Alaska 2003
Mittwoch, 14. Januar 2004

Schon vor Stunden war der Befahl an die Besatzung ergangen: "Kalipatronen für alle, die nicht arbeiten. Die freien Leute in die Kojen..." Die mußte mich nachher wachhalten, daher war es das Beste, wenn sie sich nun schlafen legte. Es wurde noch einige Male angehalten. Der Diesel lief wirklich unruhig. Ich hielt einige mal an, um mich um den Diesel zu kümmern. Er lief während der Fahrt ganz normal, aber im Leerlauf extrem unruhig. Das gehört so nicht. Das tat er zwar schon immer, besonders nach langer Autobahnfahrt, aber nur für Minuten, mittlerweile war es dauerzustand geworden. Was konnte das nu sein? Normalerweise ist alles klar: Treibstoffzufuhr. Doch in diesem Falle waren alle Filter neu bis auf den Vorfilter und an dem konnte es definitiv nicht liegen. Als ich ausstieg schlug mir ein lieblich-vertrauter Duft entgegen, den ich nur widerwillens mit etwas Schlechtem zu verknüpfen in der Lage bin. Diesel pur. Ich sah unter das Auto und stellte eine rechet ansehnliche Diesellache fest. Die Haube wurde geöffnet und es dampfte und duftete darunter heraus. Der Ganze Motor war voller Diesel und es hatte sich eine recht ansehnliche Lache des kostbaren Lebenssaftes unter dem Auto gebildet. Die Schläuche, die die Einspritzdüsen miteinenader verbinden, waren teilweise porös und es suppte nur so daraus hervor. Ich ersetzte einige und glaubte, den Fehler gefunden zu haben. Doch nichts da. Der Motor wackelte weiter. Mal schlimmer, mal weniger schlimm. Zwischendrin das charakteristische Nageln, wenn er kalt ist. Aber das war er nicht. Ölstand prüfen, sogut es ging, aber auch ein Nachfüllen erbrachte keinerlei Änderung. Es kam ein Auto vorgefahren, Drei Typen steigen aus, kehren hier und da etwas zusammen, fragen ob wir aus Deutschland seien und informieren mich darüber, daß es bis Detroit noch über 700 Meilen seien, steigen wieder ein und fahren wieder in die Nacht. Sehr seltsam. Wäre mir gar nicht aufgefallen, aber Almuts Adlerblick entging das nicht. "Zefix. Schlafen ist befohlen, kanst Du das nicht?", wies ich sie zurecht.

Tage und Nächte stand nie der Motor
Wir fuhren und schlugen uns müde vor...

Es war schon drei Uhr Nachts , als wir nach Minesotta hineinfuhren. Vandalia Street, Cretin Avenue... mit der Namensgebung sind sie wirklich einfallsreich. Wir hielten uns nicht länger auf, fuhren auf dem Freeway durch und weiter ging es. "Es dämmert' schon im Osten, es weht' ein eisig kalter Wind, nun lebe wohl mein Liebes Kind, wir fahren gegen Osten..." Unbeirrt und ohne Pausen drangen wir immer weiter vor. Red Bull, Coffeintabletten, die mittlerweile schon seit mindestens drei Jahren abgelaufen sein müssen hielten mich gut lange wach, während Almut schlief. Sie sollte die nächste Schicht übernehmen - vom Beifahrersitz aus, natürlich. Wann allerdings die Ablösung stattfinden sollte, darüber war ich mir nicht im Klaren. So lange es geht, kümmere ich mich darum.
Irgendwie muß ich es verschlafen haben, das Morgenrot im Osten zu sehen. Jedenfalls ist es nicht mehr im Gedächtnis, ich weiß nur, daß es irgendwann hell war und ich nahm das wahr mit jenem seltsamen Gefühl, das durchwachten Nächten eigentümlich ist. Es kommt einem vor, wie ein langer Tag, aber in wirklichkeit brach gerade der zweite an. Ich haßte es immer, in der Morgendämmerung heimzukommen, gerade des Sommers, wenn die Vöglein zu zwitschen schon begonnten, als ob man mir einen Tag geraubt hätte. Jedoch durchfahrene Nächte behielt ich stets positiv in Erinnerung. Das geht schon, schließlich ist Mercedes-Fahren fast ebenso entspannend wie ein gesunder Nachtschlaf - zumindest für den Geist, der Körper sieht das leider anders. Ab und zu hatte ich in der nacht gegen zufallende Augen kämpfen müssen. Ab und zu schreckt man hoch oder man stellt irgendwo dunkel fest, daß man sich auf der linken Spur befindet, manchmal macht man auf den rückwärtigen Verkehr wohl den Eindruck, stockbesoffen zu sein. Wenn gar nichts mehr hilft, dann anhalten, raus und Cigarette rauchen, am besten in der Kälte, ohne Mantel. Das macht wach. Das ein oder andere Mal verpennt man buchstäblich eine Rest Area. Aber es sind nur Phasen. Im Laufe meiner fahrten habe ich festgestellt, daß diese Phasen meist nur Minuten andauern, einem allerdings vorkommen, wie Stunden. Hier zählt leider das subjektive Empfinden, es nützt nämlich nichts, wenn man gerade in einer schwachen Sekunde den Fehler macht, da ist es egal, ob man vorher stundenlang brav durchgehalten hat. Aber es geht schon.

Es war auch schon wieder hell, als wir uns Chicago näherten. Ich brauchte Diesel, die Leuchte war schon seit geraumer Zeit wieder an. Als ich die I-94 verließ sah ich, daß das Polizeiauto, das uns schon seit einiger Zeit gefolgt war, gleiches tat. Ich fuhr an die Zapfsäule, stellte den Motor ab, stieg aus, streckte mich und ging ihnen, fröhlich grinsend entgegen, wahrscheinlich mit Augenringen wie Wagenräder. "Good morning, Sir." Er begrüßte mich sehr höflich und warf mir ein Fragenpaket vor die Füße: Warum ist die Windschutzscheibe kaputt? Wo bist Du her? Wie bist Du ins Land gekommen? Was sind das für Kennzeichen? Ein zweites Auto fuhr neben den Benz, offensichtlich ein Zivilpolizist, denn er hatte ein japanisches Auto, weiß und ohne besondere Kennzeichen.
Mittlerweile ist da eine gewisse Routine eingekehrt, ich hab mittlerweile immer das Gefühl, daß sie hilflos und gleichzeitig neugierig sind, aber eigentlich keinen Streß machen wollen. Ich gab ihm die mittlerweile sozusagen im Handschuhfach bereitliegenden Antworten. "Wir sind aus Germany, über Montana eingereist vor ein paar Tagen, das Auto ist auch aus Deutschland, kann in den USA nicht registriert werden, nicht möglich, ich würde es gerne tun, aber es wäre ein illegaler Import. Hier sind meine Papiere: Führerscheine, national, international, gleiches gilt für Fahrzeupapiere..." Ich hielt ihm alle Papiere hin, inklusive Paß. "Die Windschutzscheibe und noch einige andere Sachen werde ich in Kalifornien reparieren lassen, Sir. Da unten ist es schneller und billiger." "Geht in Ordnung, ist nicht schlimm, es war nur der Gesamteindruck, ist etwas verwirrend, wir können mit dem Auto überhaupt nicht das geringte anfangen, es ist nirgendwo gemeldet, sieht aus, als käme es von weit her, die Kanister auf dem Dach... Wo kommt ihr überhaupt gerade her?" "Aus Anchorage." "Alaska?" "Ja. Schön dort." "Es muß fucking cold sein, dort oben." "Ist es, aber auch fucking beautyful, Sir." Er sah den Paß an und bat mich um Erlaubnis, mit meiner Mitfahrerin sprechen zu dürfen. "Selbstverständlich, nur zu..." Er gab meine Papiere weiter, ging, nachdem er einen Blick in den Kofferraum geworfen hatte, zu Almut. Er bat mich höflichst darum, daß ich wo anders hingehen möchte. Ich wollte ja sowieso tanken, also tat ich das, während er mit Almut sprach.

Während der Polizeikontrolle.

Als der Tank wieder voll war, fragte ich den Zivilpolizisten, ob ich mich denn entfernen düfe, um zu bezahlen. "Ja, klar, kein Problem..." Der Kassierer war ein Mexikaner. Hatte schon seit Wochen keinen mehr gesehen. Schön, wieder Spanisch zu reden, geht oft leichter als Englisch. Ich kam zurück, ein anderer Beamter brachte mir die Papiere entgegen. Ich wunderte mich, warum er mir nur einen Paß zurückgab. "Ist das alles?", fragte ich, während ich in meine Knietasche griff und meinen Paß hervorzog. "Oh... Ich hab ihnen ja gar nicht meinen Paß gegeben." Ich hielt ihm den Paß hin. "Kein Problem, da steht ja auch nichts anderes drin, als im Führerschein, oder?" "Ja, doch, das Immigrationspapier ist im Paß..." "Ach, come on, das ist schon in Ordnung." Ich klappte den Paß auf und nötigte ihn, mehr oder weniger, hineinzuschauen. Er warf einen flüchtigen Blick darauf und meinte "OK", dann, nach einer Pause, "So, und Du fährst also auf dem Planeten spazieren, wie? Muß schön sein. Aus Deutschland hierher in die USA verschifft?" "Ja, gewissermaßen. Von Afrika nach Brasilien und dann langsam hier hochgefahren." "Mann... unglaublich." Sie stiegen in ihre Autos. "Schönen Tag noch und paßt auf Euch auf. Gute Weiterreise..."`So wollen wir es doch haben. Genau so und nicht anders. Hier fehlt einfach dieses pseudowichtige Gehabe, es ist alles ganz normal, freundlicher Umgangston, sie tun ihre Arbeit, ohne jedoch dabei leute zu belästigen. Alle diejenigen, die minderwertig waren, nicht viel mehr können, als aufrecht gehen und auswendig gelernte Sätze, die haben sie zur INS gesteckt an die südliche Grenze und die, die auch dazu zu bescheuert waren, sitzen im Senegal am Sraßenrand. Doch auch dort sucht man den Bodensatz vergebens, denn dieser Bodensatz versieht tagaus, tagein, seinen Dienst bei der bayerischen Polizei - die Nürnberger seien hier ausgenommen.

Wir hatten wieder eine Zeitzone passiert, zum zweiten Male während der Fahrt. Die erste begann in North Dakota, eine Halbe Stunde nachdem wir das Motel verließen und in Chicago passierten wir die zweite. Zwei Zeitzonen auf einer Fahrt, das passierte sonst nur im Flugzeug oder auf dem Schiff. Nun hatten wir es auch im Auto erlebt. Nun konnte das Etmal ausgerechnet werden. Für alle die, welche sich bedauerlicherweise nie mit U-Booten oder zumindest mit der Seefahrt beschäftigt haben, die Definition: Etmal ist die von einem Schiff innerhalb von 24 Stunden zurückgelegte Strecke. Üblicherweise wird von Mittag zu Mittag gemessen. Allerdings ist mir unbehannt, wie die das machen, wenn sie Zeitzonen passieren. Unseres lag jedenfalls bei 866 Seemeilen (1.641 km), das entspricht einer Marschgeschwindigkeit von fast 37 Knoten (fast 70 km/h). Ist recht ordentlich, allerdings waren wir auf der Hinfahrt schneller. Rückfahrten laufen üblicherweise viel zäher, denn es geht dem Ende zu und das mag ich nicht. Wer weiß, ob man sich wiedersieht. Klar, Ulan Bator hat mittlerweile Alaskas Platz im hinterkopf eingenommen, aber es ist so weit weg und klingt so unrealistisch. Gut, das tat Alaska auch, vor nicht allzulanger Zeit, und doch haben wir im Geist unsere siegreiche Fahne dem Captain Cook aufs Dach gesetzt.

Von Chicago sahen wir nicht viel mehr als die Skyline. "Das nächste mal..."

Wir durchfuhren Chicago und hatten noch sechs Stunden Zeit. Bis Detroit waren es immerhin noch fast 500 Kilometer, die Marschgeschwindigkeit mußte um 15 km/h erhöht werden. Der Staat Illinois wurde relativ schnell durchquert und es ging hinein nach Indiana. Almut, die mittlerweile erwacht war laberte irgendetwas von Wisconsin. "Müssen wir da etwa auch noch durch?" "Nein, durch den sind wir in der nacht gefahren..." Das kommt davon, wenn der Navigator schläft. Es wurde wieder einmal aufgebackt. Almut ist nebenberuflich auch noch Schmutt, irgendwer muß ja für das leibliche Wohl der Bastzung sorgen. "Bist Du wahnsinnig? Mal das Obst da weg, auf Bananen kann man nicht navigieren." Doch es war schon zu spät, denn wir waren irgendwie auf der I-94 geblieben, anstatt die I-90 zu nehmen, die uns ein paar Meilen erspart gehabt hätte. Pech, also Marschgeschwindigkeit weiter anheben. Wie man das mit einem 200D macht? Also: Man wartet, bis im Rückspiegel ein Freightliner, ein Peterlit, oder sonst einer dieser monstermäßigen Lastautos auftaucht, wartet bis er neben einem ist und geht so nah ran an den Feind wie es nur irgendwie geht, sobald sein Heck mit dem eigenen Bug auf gleicher höhe ist, setzt man sich hinter ihn und läßt sich vom Sog mitziehen. So hangelt man sich dann auf Geschwindigkeit.

Es schien, als wären wir zurück ind er Dritten Welt. Maut und schlechte Straßen. Auch wenn die Beträge niemals 50 Cent überstiegen und die Schlaglöcher im Vergleich zu dem, was man anderswo geboten bekommt, nicht wirklich schlimm waren, so war es doch ein deutlicher Abfall verglichen mit dem, was man sonst hierzulande geboten bekommt. Alles grau, dreckig, die Landschaft auch nicht besonders ansprechend. Da haben wir uns zum Scheiden eine dufte Ecke ausgesucht. Aber daran dachte keiner, denn wir waren zu sehr damit beschäftigt, rechtzeitig zum Flughafen zu kommen. Chancen bestanden ja noch. Irgendwann und irgendwo in Indiana zog es mir dann wie erwartet den Stecker raus. Es ging einfach nicht mehr, man ist schließlich nicht mehr der jüngste. Sie mußte weiterfahren. Ich ließ den Fuß auf dem Gas, ließ mich in den Sitz zurückfallen und schloß ganz schnell die Augen zu. Almut hielt den Kurs. Ich hielt es für überflüssig, ihr Überholmanöver ohne vorherige Kenntnisnahme meinerseits zu verbieten, denn wir waren sowieso das langsamste Fahrzeug weit und breit. Als ich einmal aufwachte, war die Dame allerdings gerade dabei, einen Transporter zu überholen. Ich übernahm wieder. "Nanana. Keine Überholmanöver..." Das kann dumm ausgehen. So fuhren wir dann eine Weile. Mit Michigan brach der letzte Staat an und aber auch ein Schneegestöber. Mir war schon aufgefallen, daß die Leute hier eine etwas deutsche Fahrweise haben. Hier wurde ich zum ersten mal in Amerika von hinten angeblinkt. "Halt's Maul, Du scheisen Doische, hau i Dir frässe... Was soll das denn? Steh nich hier im Wald?" Almut verstand auch nicht, was das gesollt hatte. Aber meinen Verdacht sahen wir bestätigt. Erstens kamen wir in einen Stau, was noch nichts heißen mag, aber über die ganze Strecke waren in fast regelmäßigen Abständen Fahrzeuge zu sehen, die von der Fahrbahn abgekommen und im Graben liegengeblieben waren.

Einige dieser ungeschickten Gesellen. Uns konnte der Schnee nicht so leicht festhalten, wir hatten die Ausrüstung, um uns selbst zu befreien, allerdings wäre damit das Flugzeug verpaßt, also blieben wir lieber auf der Straße.

Der Stau wollte und wollte sich nicht auflösen, den Flug gaben wir verloren. Mir fiel ein, daß ich Almut doch versprochen hatte, daß sie vor ihrem Abflug noch die CD mit den Bildern bekommen sollte. "Ewigkeit geschwor'nen Eyden", fiel mir da wieder ein. "Mensch, die CD... LapTop vor..." Almut kramte ihn vom Rücksitz, ich schloß ihn an und brannte nebenbei alle 630 Bilder und Videos dieser Fahrt auf CD. Dabei stellte ich fest, daß sich mittlerweile über 4.500 Reisebilder auf dem Rechner gesammelt hatten, seit ich auf Digitalkamera umgerüstet habe. Bedauerlich, was für Aufnahmen uns in Afrika verloren gegangen sind, nur weil ich zu geizig war, mir rechtzeitig eine DigiCam zuzulegen. Während der Rechner noch brannte, löste sich langsam der Stau auf und nun schlug wieder wie einst in der Heimat die Stunde, da der alte 200D mit Blinker links auf die linke Spur fuhr. Eis und Glätte, schlechte Sicht, da haben die Herren mit ihren HochPSigen SUVs in Verbindung mit Automatikgetriebe nicht viel zu Lachen. Ich dafür umso mehr. "Die letzten werden die ersten sein." Nun aber Marsch Marsch, es war höchstes Flugzeug. "Wie weit ist es noch?", fragte ich Almut. "Kann nicht mehr weit sein, höchstens zehn Meilen. Boarding Time war längst gewesen, der Flug ging um 19:15 Uhr und es war bereits 19 Uhr. Almut lotste mich mit gewohnter Präzision zum Flughafen. "Was haben die Kasperl mittlerweile für eine Alarmstufe?" Keine Ahnung, war auch wurscht, wir konnten es noch schaffen. Es stand aber auch schon groß dort: Yellow Alert. Wir kamen jedenfalls unbehelligt durch. Es war 19:10 Uhr. Ich fuhr vor die Tür, über der United dranstand. Almut sprang hinaus. "Wie machen wir das, wenn das Flugzeug schon weg ist?", fragte ich sie im Hinausstürzen. "Das weiß ich jetzt nicht." "OK, ich fahr hier rum oder park und komm wieder her. Jetzt hau ab..."

Doch denken beide, eh sie geht:
Wer weiß, ob ihr Euch wiederseht...

Sie ging hinein und ich fuhr auf den Parkplatz. Fünf Minuten später stand ich am Schlater und erkundigte mich nach einer gewissen Almut Hinz, ob sie das Flugzeug noch gekriegt hätte. Die Alte wollte nicht so recht mit der Sprache rausrücken. "Ich frag nur, weil die aus Versehen mein Geld mitgenommen hat." Stimmte so zwar nicht, aber dann doch wieder irgendwie. Ich hatte an Bargeld genau 20 Dollar in der Tasche. Die Schalterin telephonierte umher und gab mir dann die Information, daß Almut bereits im Flugzeug sei und die Türen geschlossen. Gut. Wir hatten es geschafft. Unsere Abschiede wurden immer knapper, von Fahrt zu Fahrt. In Libyen 1998 war es ein halbes Drama gewesen, als würden wir uns nie wieder sehen. Doch wir blieben in Kontakt und es ging erneut nach Libyen im Jahr darauf. Dann nach Afrika und Brasilien. Auch hier war der Abschied ein Drama, denn als Almut flog schien sie meinen letzten Hoffnungsschimmer mitgenommen zu haben, mein Auto jemals wiederzusehen. Ich bekam es wieder und wieder ein Jahr später ging nach Argentinien, am Ende ein Händedruck, nun waren wir in Alaska gewesen, es war vorbei, für einen Händedruck hatten wir nicht mal die Zeit. Und doch sehen wir uns wieder. Keine Ahnung, wann und wo. "Gute Leute muß man eben haben". Hut ab. Und wenn sie auch einen gewaltigen Sprung in der Schüssel hat, spätestens nach dieser Fahrt ist sie in den recht bescheidenen Kreis meiner Freunde aufgenommen.

Diese Fahrt zählt mit zu unseren längsten. Sie kommt an dritter Stelle: Afrika 2000 mit 15.053, Libyen 1999 mit 14.541 und nun Alaska 2003 mit 14.145 km. Es ist noch zu früh, um großartige Schlüsse zu ziehen, oder gar um irgend etwas Weises dazu zu sagen. Ich belasse es einfach bei dem Bericht. Erstmals gelang es uns hier mit erfolg einen Onlinebericht zu erstellen. Daß er nicht immer mit der Fahrt schritthalten konnte lag zum einen daran, daß wir gerast waren und wenig Zeit hatten, täglich ausführliche Berichte zu schreiben, zum anderen, daß wir in einer gegen unterwegs waren, die internetmäßig noch einiges aufzuholen hat. Eigentlich müßten alle Berichte einmal mit Abstand aufgearbeitet werden, doch dazu ist es noch zu früh. Eines Tages, wenn man mal zur Ruhe oder zu Schaden kommt, wird man sich sicher die Zeit nehmen müssen. Ich war von jeher sehr Vergangenheitsorientiert und wenn eines Tages aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr gereist werden kann, dann werde ich das allein schon deswegen tun, um vergeblich zu versuchen aus den Erinnerungen das zurückzuholen, was mein einst war - viel mehr wird von alledem nicht übrig bleiben, als schöne Erinnerungen...

Kilometerstand bei Fahrtende: 789.759 km
Zurückgelegte Kilometer: 14.145 km

Noch am Flughafen versuchte ich erneut, meine suspendierte Lieblingsstewardess aus dem Roten Löwen zu erreichen. Ich tat das eigentlich täglich, aber nie ging jemand ans Telephon. "Ob sie sich wohl aus dem Kellerfenster gestürzt hat, weil sie suspendiert wurde?" Verrückt genug ist sie, ist ja schließlich eine Frau, aber passen würde mir das gar nicht. Der tret ich in der Hölle noch ins Kreuz, wenn sie mir meine Mittwochabende versaut. Doch kaum hatte das Telephon einmal geklingelt ging sie auch schon ran und erkannte auch meine Stimme. Sehr gut. Wo ich sei, wie es gewesen sei, wo ich nun hinfahren würde. Chicago, war eine der schönsten Fahrten, 43 Grad Minus, sehr romantisch. Das verstand sie natürlich nicht, kein Wunder. Im Englischen versteht man das oft falsch, denn im Englischen gibt es kein Wort für Romantik, zumindest hab ich es nicht gefunden und ich habe wohl gesucht, denn das ist eines meiner Lieblingswörter. Die haben den größten Wortschatz, aber das Wort fehlt. Typisch Tommies: Viel Reden, wenig sagen. Romanticism trifft es ebensowenig wie Romance.beides voll daneben. "Schlechte Nachrichten für Dich: Ich werde in ein paar Tagen wieder in Kalifornien sein." Wie es denn so sei in Chicago? "Keine Ahnung, da bin ich nur durchgefahren... ist bestimmt nett." "Bist Du nicht in Chicago? Hast Du doch gerade gesagt..." "Ach, Dreck, nein, ich bin Detroit am Flughafen. Wie komme ich auf Chicago? Muß der Schlafmangel sein..." Wieso am Flugplatz? Ich hab eine Freundin zum Flieger gebracht. "Aha. Deswegen war es also romantisch." Ich sage doch, es trifft es nicht. "Nein, es war romantisch, weil ich Tag und Nacht den Klang meiner Diesel-Engine im Ohr hatte...", verstand sie auch nicht. Aber ist auch egal, wie soll sie es auch verstehen, wenn sie im nächsten Satz meint, daß ich von dem Land in dem sie seit 30 Jahren lebte, mehr gesehen hätte als sie selbst. Aber das scheint wohl immer so zu sein, auch umgekehrt, immerhin war sie im Gegensatz zu mir in Neuschwanstein, und ich habe Jahrelang eine Stunde davon entfernt gewohnt und es nur aus der Ferne gesehen. So ist es nun mal im Leben. Aber ich freute mich zu hören, daß sie nicht gestorben war. Zur gleichen Zeit ärgerte es mich ein wenig, daß man das selbe auch vom Wirt behaupten mußte...

Für die Almut war die Fahrt nun vorbei, für mich noch lange nicht. Ich muß noch zurück nach Kalifornien und stand am Flughafen von Detroit. Ein ehemaliger Klassenkamerad aus alten Schultagen studiert gerade an der hiesigen Unität, bei ihm wollte ich mich ein paar Tage einnisten, um einige kleinere Reparaturen am Auto vorzunehmen und erst mal auszuschlafen. Das Handy funktionierte nicht, also kramte ich seine Adresse aus dem LapTop und ließ mich mangels Almut vom LapTop hinlotsen. Wie damals in Argentinien, so fühlte ich auch heute, daß irgendein wichtiges Teil einfach fehlte. Daran werde ich mich erst wieder gewöhnen müssen, daher ist es kein schlechter Übergang, wenn man sich erst einmal bei Alten Kameraden aufhält. Da ist der Sturz nicht gleich so hoch.
Schon nach kurzer Zeit stand ich am University Tower. Laut seiner letzten eMail wohnte er in Apartment 407, aber das stimmte nicht mehr, wie ich schnell herausfand. Die blöde Sau am Eingang war nicht gerade sehr informativ unterwegs. Aber ich fand auch das neue Apartment heraus. Nur ging da keiner an die Anlage, sie tutete nur blöd vor sich hin. Ich fand auch seine Handynummer im LapTop und rief ihn an. Es meldete sich seine Stimme, allerdings nur als Tonbandaufnahme auf dem Blechdeppen. Da ich - außer mit meinem Auto - nicht mit Maschinen spreche, legte ich auf. Ich holte bei Dreck Donnald's mein Abendessen, verspeiste es vor dem Tower und machte mich dann auf die Suche nach einer Bleibe. In der Innenstadt waren nur äußerst verdächtige Motels zu finden. Alles hinter Sicherheitstüren und meistens in ziemlich dunklen, toten Vierteln und Seitenstraßen.

Als ich den dritten Versuch startete, mit Matthias in Kontakt zu treten und wieder in Richtung Auto ging, sprach mich ein Neger an. Ich bemühte mich, es zu verstehen. Er fragte, ob ich mit Auto unterwegs sei. "Yes", dann fragte er, ob ich ihm irgendwas geben konnte. Ich kenne das Wort nicht, habe es auch schon wieder vergessen. Ich dachte, er meinte soetwas, wie "Lift", also praktisch, daß ich ihn irgendwohinfahren sollte. Ich erklärte ihm, daß ich auf jemanden warten würde und so schnell nicht hier wegzufahren vorhatte." Aber dann verstand ich "Kabel" und "Batterie" und "mäi Kha", was wohl "mein Auto" heißen sollte. "Jumper-Kable?" Er nickte. "Ich habe keine Jumperkabel", aber er gab mir zu verstehen, daß er welche hätte. Ich deutelte, daß er also Starthilfe brauchte. Langsam kamen wir der Sache näher. "No Problem, ich fahr vor..."

Schwere Geburt. Aber sein Auto lief.

Die Negerkonzentration scheint in Detroit wesentlich höher zu sein, als überall, wo ich bisher in den USA gewesen bin. Das muß nichts Schlechtes heißen, aber es heißt erafhrungsgemäß außerhalb Afrikas oder der südlichen Karibik auch nichts Gutes. Nicht wegen der Hautfarbe, wie man in Deutschland paranoiderweise gern unterstellt bekommt, sondern einfach durch die Tatsache, daß der größte Teil von ihnen nicht zu den Mitttel- und Oberschichten gehört. Mittellosigkeit und Drogen (welche man in Afrika kaum findet) sind nun mal zwei Komponenten, die sich ziemlich explosiv verhalten, wenn man sie nicht strikt trennt. Das macht das ganze unberechenbar und gefährlich.
Ich probierte es nocheinmal mit der Sprechanlage, aber wieder ging keiner hin. Auf die Idee, einfach hinaufzustiefeln und an der Türe zu klopfen, kam ich nicht. Ich war seit über 36 Stunden Wach und mußte nun dringend ins Bett.


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