Alaska 2003
Dienstag, 13. Januar 2004

Um 11:44 Uhr fuhren wir los. Es war, wenn man es ganz vernünftig betrachtete, völlig unvernünftig, sich überhaupt zu bemühen, das Flugzeug noch zu kriegen. Detroit war Tausende von Meilen weit weg, 1.279, um genau zu sein, das sind mal eben 2.058 km, jedoch laut Karte und die gibt nur die einfachen Entfernungen an, sie weiß nichts von Verfahren, von extrameilen, um offene Tankstellen zu finden, von kleinen Abstechern, die man aus welchen Gründen auch immer einbauen muß.
Doch wir wollen nicht verzagen, frrischauf, den Diesel angeworfen und es konnte losgehen. Wir befanden uns in Glandive, das ist ein kleines Kaff in Montana, in der Nähe zur Grenze zum nächsten Staat Namens North Dakota mit der Hauptstadt Bismarck, benannt nach dem damaligen deutschen Kanzler, um deutsche Investoren anzuziehen. Wir mußten noch durch sechs US-Staaten hindurch. Der Tacho stand bei 787.655, als wir losfuhren. Die letzten 37 Meilen in Montana zogen sich schon hin, der nächste Bundesstaat war, wie schon erwähnt, North Dakota, den wir in voller Länge durchqueren mußten, gleiches galt für Minnesota, Wisconsin und Michigan, denn Detroit liegt idealerweise genau am anderen Ende.

Von der Autobahn aus sahen wir eine riesige Kuh auf einem Hügel stehen. "Was soll das denn sein?" "Keine Ahnung, sieht aus wie 'ne Kuh..." "Führt da ein Weg rauf?" "Ja..." Ich verließ die Autobahn, da mußten wir mal nach dem Rechten sehen. Da scheint sich ja ein gewaltiger Dachschaden manifestiert zu haben. Wir fanden den Feldweg und zwei Schilder. Auf dem ersten stand: "Welcome to New Salem, North Dakota. See the World largest Cow". Auf dem zweiten stand: "Road closed." Ja, was denn nun? Wir fuhren so weit wir kamen und machten vor der unpassierbaren Stelle Halt. Natürlich wäre auch die zu schaffen gewesen, allerdings mit viel Blech- und Zeitaufwand. An Blechen herrschte kein Mangel...
Da hatte irgendein Verrückter ein Kuh auf einen Hügel gestellt und sich den Spaß auch noch 4,5 Millionen Dollar kosten lassen. Da sind also noch mehr Leute unterwegs, die zuviel Freizeit haben. Da könnte ich sogar noch mithalten, allerdings haben die auch noch zusätzlich zu viel Geld.

Die angeblich größte Kuh der Welt...

Wir rechneten nicht wirklich damit, rechtzeitig am Flughafen zu sein, höchstens hofften wir das und "wir" ist auch schon wieder maßlos übertrieben, denn mir wäre es wie immer ganz recht gewesen, wenn Almut ihren Flug verpaßt hätte. Es ist schön hier, was soll sie denn im grauen Leipzig. ist doch für arme, diese ganze traurige Republik da drüben... Aber es soll mir ja keiner vorwerfen, daß ich Almuts Berufsleben auch noch sabotieren wollte, daher wollte ich es wenigstens versucht haben. "Wir schaffen das nie...", sagte ich immer wieder, "...eher sind wir um Vier in Antofagasta", dachte ich mir dazu. Almut schien das aber völlig egal zu sein, die meinte immer nur: "Mal sehen", getreu ihrer Lebensphilosophie, nach der man auch das scheinbar unmögliche probieren sollte, statt sich darauf auszuruhen, zu sagen, es sei sowieso nicht möglich. Alles Blödsinn, natürlich, meiner Meinung nach. "Du machst mich ganz panne mit Deinem religiösen Scheißdreck! Wenn es nach Dir ginge, könnten wir den ganzen Tag auf der Erde kriechen! Und Choräle labern!" So fuhren wir eben frohen Mutes und in bester Stimmung weiter. Sie macht sich einfach keinen Kopf darum, schließlich ist es wirklich keine Katastrophe, wenn das Flugzeug ohne sie fliegt. Sie hat einfach die Ruhe weg und so soll es auch sein. "Das rasche Schicksal, es treibt sie fort, ihre Ruhe läßt sie an keinem Ort", hatten wir schon, nur wurde es eben von Stunde zu stunde knapper. Natürlich war das Gaspedal immer am Anschlag, aber das ist bei einem fahrenden 200D ja Dauerzustand, insofern nichts neues. Schlimmstenfalls wird ein eMail an die lieben Studenten geschickt, daß sie sich eben noch eine Weile gedulden müssen. Was soll's.

Aber noch war es noch lange nicht so weit. In Bismarck wurde Halt gemacht, um das Capitol zu besichtigen. Mancher wirft einem zu Recht vor, daß das eine völlig überflüssige Aktion wäre, wenn man es schon so eilig hat, allerdings würden wir uns ärgern, wenn wir trotz aller Eile den Flug verpassen. Dann wird es heißen: "Jetzt hätten wir doch das Kapitol angeschaut haben können." Ich weiß nicht, was das für eine Zeit ist, wahrscheinlich sowas wie konjunktiv Minusquamimperfekt oder ähnliches. Die Bezeichnung klingt nachvollziehbar, finde ich. Als wir in Bismarck ankamen war es halb Vier, die Sonne war gerade dabei, sich abzumelden.
Nichtsdestotrotz besichtigten wir das Capitol relativ gründlich. Stünde es bei uns in Deutschland, würde jeder losschreien: "Typischer Nazi-Bau." In seiner schlichten Großartigkeit erinnert es in der Tat an die Bauten jenseits des Atlantik, deren Errichtung etwa um die gleiche Zeit stattfand und welche drüben unter dem Motto standen: "Deutsch sein, heißt klar sein". Keine großen Umschweife, groß, klar, eindeutig und doch nicht als Platten- oder Zweckbau zu bezeichnen. Es wurde 1933 errichtet, nur so nebenbei. Almut war erst nicht ganz sicher, ob es sich um das Capitol handele. Erst als sie ihren Führer aus dem Rucksack zog, meinte sie: "Doch, das scheint es zu sein", sie schaut das Capitol an, dann das bild im Reiseführer, dann wieder das Kapitol. "Selten häßlich", beendete sie ihren wie stets knappen und präzisen Vortrag. Ich glaube, das war das erste mal, daß Almut irgendetwas als schön oder häßlich bezeichnet hatte. Zumindest auf dieser Fahrt war es ganz sicher das erste mal, denn Almut ordnet nichts ein, nichts ist gut, böse, groß, klein, schön, häßlich, "denn man könnte es aber doch auch von einer anderen Warte betrachten und käme dann zu dem Schluß..." Bloß sich nicht für oder gegen etwas aussprechen.

Vor dem Kapitol in Bismarck.

Irgenetwas fand ich komisch, als ich die Hallen entlangschritt. Dann fiel es mir auf. "Hm... Ich mach gar keinen Krach beim Laufen. Zu solch erhabenen Hallen gehören einfach g'nog'lde Schurch, sonst macht es keinen Spaß, da hallt ja so gar nichts..." Aber noch mehr Eisen an den Schuhen wäre wirklich bescheuert, frieren einem am Ende die Fersen auch noch ab.
Als wir auf den Aufzug warteten bekam ich wieder eine Lektion in Sachen Gutes Benehmen. Ich finde nicht, daß ich mich daneben benehme - zumindest nicht außerhalb der Schule. daher habe ich Almut gebeten, sie solle mich immer darauf aufmerksam machen. Das kam dann immer so schubweise und immer nahm sie es ganz genau. "Du hast grad wieder 'Schlampe' statt 'Frau' gesagt..." Man wird jetzt vielleicht sagen, daß das eine Kleinigkeit sei und ohnehin keinem auffallen würde, aber nach Almuts Theorie artet es irgendwann aus. Abgesehen, daß die Amis viel mehr auf guten Ton achten. Ganz stolz überließ ich einer Frau dann eben den Vortritt in den Aufzug. Ganz stolz, daß ich fast von ganz allein draufgekommen war, vergaß ich natürlich, daß der selbe Vorgang auch beim Aussteigen gilt. Aber als mir das einfiel, war ich schon fast bei der Ausgangstür, während die Alte noch immer damit beschäftig war, den Ausgang des Aufzugs zu treffen. "Naja, beim nächsten mal..." Ich empfinde es immer als viel höflicher, wenn man den Leuten aus dem Weg geht. Ich hasse es, wenn ich irgendwo vor mich hinschlendere und vor mir schläft einer im Gehen. Ich habe, als ich noch in Deutschland war, lange über die Einführung eines Rechtslaufgebotes nachgedacht. Habe es dann verworfen, denn wenn das Rechtsfahrgebot schon nicht funktioniert, obwohl es Fahrschulen gibt, wie sollte es mit dem Rechtslaufen klappen, wo doch heutzutage jeder Hans Wurst ohne vorherige Ausbildung auf die Straße kann und dort auch noch umherlaufen darf?

Als wir wieder zum Auto gingen, sprach uns einer an. Er bewunderte den Gepäckträger und er hatte auch gesehen, daß dieser Made in Italy war. "Er ist trotzdem sehr stabil", meinte ich, "und es ist das einzige italienische Bauteil, alles andere ist german Engineering..." Er meinte, das Auto sähe aus, als wäre es durch Guatemala gefahren. Der Schein trügt wohl nicht. Er selbst sei auch in Lateinamerika gewesen, allerdings nicht mit dem Auto, sondern mit dem Bus. Er würde aber auch gerne so wie wir durch die gegend fahren. "Das ist sehr einfach: Geh nach Kalifornien, kauf Dir einen 123er, die kriegt man dort für sehr billig, setz Dich rein und fahr los." Wir tauschten Adressen aus und fuhren dann. Uns fiel nämlich wieder ein, daß wir ja nicht zu unserem Vergnügen da waren. Da war ein Flug und der wollte gekriegt sein.

Aber dennoch mußte Motorenöl her. Der Motor lief unruhig. Das tat er schon des öfteren, in der Regel legt es sich wieder, wenn man einen Liter dickes Öl in den Tank schüttet, doch diesmal schien es irgendwie seltsam unregelmäßig, als ob er nur auf drei Töpfen liefe. Auch beim Anspringen, tat er sich nicht so leicht wie sonst. Alles sehr seltsam... Wir fuhren zu einem Supermarkt und kauften Öl. Einen Liter in den Motor, einen Liter in den Tank, dann zur Tankstelle und volltanken, soforet im Anschluß zurück auf die Autobahn. Die Hauptsache ist, er läuft. Wir hatten starken Gegenwind, recht viel schneller als 80 ging nicht. Aber besser langsam und beständig, als schnell. Mittlerweile hatten wir längst North Dakota verlassen und fuhren durch Minnesota, hielten auf Minneapolis zu.

Ich weiß nicht, ob es eine Halluzination war, aber ich hab noch genau das Bild vor Augen: Im Grünstreifen stand ein Polizeiauto mit blinkenden Lichtern vor einem Baum. Es sah so aus, als sei es von der Fahrbahn abgekommen und da dagegengepralt. Ein einzelener Mensch stand auf der Gegenfahrbahn, am linken Rande des Überholrstreifens. "So, also bildet man die bayerische Verkehrspolizei aus", spach ich zu mir selbst, "kein Wunder, daß sie sich bei Glätte von einem 200D mit abgefahrenen Sommerreifen abhängen lassen..."


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