Alaska 2003
Donnerstag, 25. Dezember 2003

Heute mußte es definitiv losgehen, bloß keine Verzögerung mehr. Es ist immer wieder das selbe, wenn es einmal losgehen muß: Alles ist fertig und wartet auf den Fahrer. Und der hat noch nicht einmal gepackt. In der Früh fuhr ich zu Wolfgang und es gab Frühstück. Kurz danach fuhren Almut und ich los. Es mußte ins Kino gegangen werden, daran führte kein Weg nicht vorbei. Wir fuhren zum Hollywood Boulevard, hundert und tausend mal war ich hier vorbeigefahren, nie hatte ich es geschafft, ins Kino zu gehen, nur weil amerikanische Weiber nicht so funktionieren, wie man es gerne möchte. Sau blödes Gestell, wegen dem bißchen Kino. Aber nun war die Voraussetzung ja eingetroffen und der Weg frei. Ich wollte mir den "Letzten Samurai" ansehen. Der lief um 12:30 Uhr an. Es war Elf, wir hatten also genau anderthalb Stunden Zeit, nach Silverlake zu fahren, alles zusammenzupacken, dann wieder hinaus nach Hollywood. Meinen Kram, der sich im Laufe eines halben Jahres bei Hansi angesammelt hatte mußte nun sortiert werden. Brauchbares irgendwie ins Auto stopfen, alles andere in die Mülltonne oder wahlweise vor des Wirtes Haustüre. Dieser Drecksack hat sich natürlich aus dem Staub gemacht und seinen Termin zum Sterben nicht wahrgenommen. Aber das kommt schon alles zur rechten Zeit.
Es goß schon seit Tagen, aber nun goß es in Strömen, so etwas habe ich in Kalifornien nie erlebt. Nie. "Und ein schwerer Regen fällt und fällt - so, wie Abschiedstränen auf die Welt." Ich kenne es nicht anders. So war es als es in Augsburg losging, vor mittlerweile über drei Jahren, so war es, als es letztes Jahr in Campinas losging, und vor einem halben Jahr in Playa war es auch nicht anders. "Mit wieviel Wehmut läßt man manchen Ort, und kann doch nun einmal nicht bleiben..." Wir fuhren los ins Kino, stellten das Auto im Parkhaus ab, ich versah es noch mit einem Zettel: "Die Kanister sind leer, kein Grund zur Panik. Ein deutscher TOURist, kein TERRORist." Darunter die Telephonnummer. Nicht, daß wieder so ein paranoider Hebräer das Entschärfungskommando holt, das dann wieder halb Hollywood lahmlegt. Am Anfang ist es ja noch witzig, aber auf die Dauer geht das an die Nerven. Keinen Bock auf sowas, gerade jetzt nicht.
Natürlich schaffte ich es auch diesmal nicht, halbwegs pünktlich anzukommen, denn der Film hatte schon begonnen. Keine Chance noch reinzukommen, denn die Zeitangabe 12:30 Uhr bezieht sich auf den Film, nicht auf die Werbung. Was läuft denn im Hauptkino? "Paycheck, ist neu..." Sei's drum, das Gesetz verlangt ja nur, daß man mit einer Frau ins Kino geht. Welche Alte man in welchen Film schleppt, das scheint vollkommen egal zu sein. Kontrolliert kein Mensch.
War wirklich nett, ein riesiges Kino, angeblich das älteste in L.A.

Die Angelegenheit sieht ziemlich chinesisch aus.

Als wir wieder hinauskamen mußte ich mich noch mehr über die Amrikanerinnen wundern, die stellen sich an, als würde ihnen im Kino mindestens ein Bein ausgerissen. Almut schien jedenfalls nichts zu fehlen, sie hatte auch keine Schmerzen und sonst auch nichts. Nun war jedenfalls das Wichtigste erledigt, es konnte losgehen. Es eilte, denn das Wetter war wirklich unerträglich geworden, jeder einzelne Tropfen hatte die Größe einer Coladose. Nichts wie weg, raus aus der Stadt. Ein paar Kleinigekeiten fehlten zwar noch, wie zum Beispiel warme Wintersachen, denn ich hatte nur zwei Pullis dabei. Schneeketten, und eine neue Batterie fehlten auch noch, aber da es nur nach Alaska gehen sollte, war das nicht wirklich akut. Wir fuhren raus aus dem Parkhaus. Der Tach zeigte 775.614 km, die Uhr 15:16 Uhr Ortszeit. Der Diesel sprang an. "Nun gilt's, es geht mal wieder los."


Als wir zum Parkhaus herausfuhren begann sofort der Regen auf das dicke Blech des Daimlers zu klopfen. Almut konnte ihn nicht wirklich übertönen, als sie mir mitzuteilen versuchte, daß sie in Erinnerung hätte, daß wir auf der Fahrt von Yammousoukro nach Abidjan einen Wassereinbruch hinter dem Handschuhfach hatten. "Ja, das Leck ist immer noch nicht abgedichtet". Ich wollte es neulich machen, aber in Kalifornien ist so ein Leck einfach kein Druckmittel. Es regnet nie, warum als nicht das Leck Leck sein lassen.
Wir bogen links ab auf Highland und kamen direkt auf den 101er. "Wurde Zeit, daß es wieder hinausging..." Den ersten Berg krochen wir mit 60 km/h hinauf, danach gingen durchgehend 100 km/h. Wir bekamen einen sehr guten Schnitt hin. Die neuen Gelenkwellen hinten konnten wieder Vollast vertragen, ich mußte keine Angst haben, daß es einen Rumpler täte und mir die eine oder andere um die Ohren fliege würde. Also wurde immer nur Vollgas gefahren. Er glitt dahin, wie auf Schienen, so gut war er schon seit Jahren nicht mehr gelaufen. Ich war auch zuversichtlich, daß wir es ohne Weiteres beizeiten an die Grenze schaffen würden, denn wenn wir es geschafft hatten, von São Paulo nach Belém in drei Tagen zu kommen, durch Unwetter und Unstraßen, wie sie nur die Brasilianer verbrechen können, würden wir es auf der Interstate Fünf erst recht hinkriegen, keine Frage. Nur Vegas ließen wir diesmal weg.
Als wir Los Angeles verließen, war es kalt, grau. Es regnete in Strömen. Aber als dann der Daimler den amerikanischen Highway entlangstampfte, da riß der Himmel auf und nun strahlt' die Sonne von einem blauen Himmel herunter, als ob eine ewige Kraft... und so weiter. Eine knappe Stunde waren wir unterwegs und das Unwetter war nur noch als ein kleiner grauer Streifen im Rückspiegel zu ahnen.

Wir fuhren am Pazifik entlang, die Landschaft erinnerte stark an Chile.

Die Amis haben, wie man auf dem Bild erkennen kann, schon eine kleine Macke. Jeder normale Mensch, der hängt seinen Wohnwagen an das Auto, hierzulande macht man es natürlich genau umgekehrt und hängt das Auto hinten am Wohnmobil an.
Ich hatte vor ein paar Tagen auf eBay noch einen Artikel verkauft und um das Porto zu sparen fuhr ich es persönlich vorbei. Ich hiel nach etwa 100 meilen an einer Raststätte an, warf den LapTop an und ließ mich von ihm hinlotsen. Die Ware war abgeliefert, danach ging es zu Denny's zum Essen.
Bald war es bis San Francisco nicht mehr weit, wir wollten etwas außerhalb der Stadt übernachten. Die über die Golden Gate mußte gefahren werden, ob man wollte oder nicht. Neben dem Highway sahen wir ein Gebäude, auf dessen Parkplatz das eine oder andere Wohnmobil stand. Dort wollten wir hin. Der erste Anlauf ging daneben und endete wieder auf dem Hochweg. Der zweite endete in einem Parkhaus. Unglaublich groß und völlig leer. Wir fuhren an einer Absperrung vorbei in den ersten Stock, dort sollte es wärmer sein. Hinter einem romantischen Mäuerchen stellte ich den Daimler ab. Ich war noch nicht dazugekommen, auszusteigen, als Almut mit ihrer ruhigen Stimme vermeldete. "So. Da sind sie schon." Ich dreh mich wieder vor und sehe ein Polizeiauto, ein Officer kommt auf unser Fahrzeug zu. "Guten Abend, Sir", sagt er, "wie sind Sie tuend?" "Weiß nicht..." "Was hatten sie hier vor?" "Naja, eigentlich hatte ich vor, hier zu schlafen, aber das ist wohl verworfen..." Er nickt zustimmend, das sei ein privates Gebäude, ob ich denn die Absperrung unten nicht gesehen hätte. "Doch, aber da war eine Lücke und ich... aber kein Problem, ich fahr ja auch schon gleich sofort." Almuts Paß wollte er gar nicht sehen, aus meinem zog er meinen vorläufigen amerikanischen Führerschein. Das ist schlecht, den muß ich verschwinden lassen, die beiden Dokumentensätze sollten sich nicht gegenseitig in die Quere kommen. Deutsches Auto, deutsche Papiere, amerikanisches Checkheft, amerikanische Papiere. Do not mix. " Er hieß mich warten. "Wir überprüfen nur noch schnell, ob sie auf der Most-Wanted-Liste des FBI sind", grinste er ins Auto hinein. Als natürlich nichts dabei herauskam gab er mir die Papiere und entließ uns in die kalte Freiheit.
Wir fuhren weiter auf dem 101er bis wir in den Vororten von S.F. unmittelbar neben dem Hwy eine Tanke und ein IHOP (International House Of Pancake) sahen, zwischen denen ein Parkplatz lag.

Unser Nachtlager Flankiert von Hausmauern rechts und hinten gegen den Wind, vom Daimler gegen Feindeinsicht und von links durch die Leitplanke des Hwy 101.

Es war verdammt kalt für Kalifornien. Nach einer kurzen Suche nach meinem Pulli fiel mir ein, daß ich den wohl in Deutschland gelassen haben muß. Nun war ich mit einem einzigen Sweater nach Alaska unterwegs. Sehr männlich, oder auch sehr dumm, je nachdem, wie man es sieht.
Almut hielt es für eine bessere Idee, nicht auf oder neben dem Auto zu schlafen, sondern in einem Eck. Wenigstens war es windgeschützt. Genau neben dran, nur einige Meter entfernt, verlief der Highway.
Obwohl das einer der schrecklichsten Nachtpläte war, die wir je hatten, fühlte ich mich wieder wie der König der Welt. Genau hier inmitten weggeworfener Kaffebecher, neben dem lauten Highway, vor Kälte zitternd. Das alles störte nicht, denn wir waren wieder unterwegs und das ist alles, was zählt. Abgesehen davon war ich todmüde und schlief sofort ein.


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