Libyen 2008 / 2009
Samstag, 3. Januar

Schon wieder Mitternacht. Wir hatten unsere Einreisezettel ausgefüllt. Daß die immer so einen Terz machen müssen um die Einreise... Dem tunesischen Zöllner gefiel wohl meine Schildmütze, jedenfalls wollte er sie mir ständig abschwatzen. Das funktionierte allerdings nicht, denn ich wollte im Gegenzug seine Mütze haben, die er aber nicht rausrückte. Wir standen da mit unseren dummen Ausreisezetteln wie die Deppen im Dorf. Gibts hier etwa schon wieder einen Trick, wie den in Tunis, daß man von rechts nach links zählen muß, um den richtigen Schalter zu erwischen? Ich probierte es mit dem Entwischen und machte Anstalten, daß ich nun fahren wollte. In der Regel funktioniert das so: Man tut so, als würde man einfach fahren, dann kommt eine Uniform dahergerannt und erklärt einem den nächsten Schritt - oder sie lassen einen weiterfahren, dann ist es auch gut. In jedem Fall bringt man Bewegung in die Sache und sie geht in die richtige Richtung. Schließlich hatten wir dann auch die Einreise in Tunesien hinter uns. Ich glaube, ich haben in meinem Leben in Tunesien mehr Zeit an der Grenze verbracht als im Land selbst. Ich kann mich auch erinnern, daß mir Tunesien immer recht nervig vorkam, aber diesen Eindruck habe ich mittlerweile nicht mehr. Die Erfahrungen in Fufu-Ländern wie Senegal, Brasilien oder Costa Rica relativieren das Ganze. Da muß Tunesien noch sehr weit abstürzen, um auch nur annähernd so nervig zu wirken. Das einzige, was mich heute an Tunesien nervt ist, daß es auf dem Weg nach Deutschland liegt. Man sollte von Bozen nach Kopenhagen und von Straßburg nach Königsberg eine Bogenbrücke bauen. Das hätte zwei Vorteile: Man muß nicht durch diesen nervigen Scheißhaufen von BRD fahren und Maut und Strafen für Nichts bezahlen, sondern man könnte vom Scheitelpunkt der Brücke runterscheissen. Das gleiche habe ich schon mal bezüglich Senegal und Brasilien vorgeschlagen, aber bislang hat immer noch keiner auf mich gehört...

Wir fuhren nach Tunesien hinein. Wäre schön, wenn das Navi hier auch funktionieren würde. Es zeigte nur die geographische Position an, aber die hilft einem Orientierungsidioten wie mir gar nichts. Und ich dachte natürlich auch nicht daran, Karten für Tunesien mitzunehmen. Für Libyen hatten wir jede Menge Kartenmaterial dabei, aber eben nicht für Tunesien. Daher merkten wir auch erst irgendwo in der Pampa, daß wir uns fett verfahren hatten. Almut hat mit der modernen Tchnik nichts am Hut. Sie kann aber Karten lesen. Ich kann keine Karten lesen, vertraue auf die Technik, aber die läßt mich gerade hier im Stich und ich sthe da und bin verloren wie ein Hurensohn am Vatertag... Dafür muß auch noch eine Lösung her. Am preiswertesten ist die von 1998 / 99: Eine Tunesienkarte - die gibt es sogar beim ADAC für umsonst. Aber nicht nochmal so eine Irrfahrt unter Zeitdruck. Und in den bringt der Mensch sich immer wieder selber - solange er arbeitet. Arbeit ist für geistig und / oder materiell arme Menschen gedacht, und sie dient dem Zweck, daß sie arm bleiben. Alle großen Geister, Wissenschaftler wie Philosophen, bis hin zu bedeutenden Künstlern, die es zweifelsfrei gegeben hat, haben -mit sehr wenigen Ausnahmen - eines gemeinsam: sie mußten nicht arbeiten, sondern sie konnten es sich leisten, das zu tun, was ihnen Freude bereitete. Ein Goethe hätte keinen Faust verfassen können, wenn er sich krumm und bucklig hätte arbeiten müssen, nur damit er am Abend eine Brennsuppe auf dem Tisch hat, die er mit Weib und Balg teilen muß, die bösen Blicke der Pfaffen fürchtend, die ihn träfen, würde er nicht Allah auf Knien für das fürtliche Mahl danken und brav am Sonntag in der Kirche erscheinen. Was im Umkehrschluß nicht heißt, daß jeder arbeitsscheue Penner ein großer Geist ist...

Wir kamen nach Duzenden von Kilometern wieder auf den Weg nach Medenine. Zwar kenne ich all diese Städte vom Namen her, habe aber keine Ahnung, wo sie liegen. Dieser idiotische Ausflug hat wieder unnötig Diesel gekostet. Abgesehen von einer mehrstündigen Pause fuhren wir die Nacht durch. In der Früh beschloß ich, einen Ölwechsel machen zu lassen. Das regte mich doch sehr stark auf, dieser Leistungsverlust. Es fühlte sich so an, als würde ein Zylinder leer mitlaufen. Den Ölwechsel nahmen wir in einer Tankstelle mit angeschlossener Werkstatt vor. Es war sieben in der Früh. Ich ließ fragen, ob ich den Ölwechsel selbst vornehmen dürfte, woraufhin er meinte, es sei kein Problem. Kurz darauf tauchte ein anderer auf, der offensichtlich den Ölwechsel machen wollte. Ich gab den Widerstand bald auf, obgleich mir bewußt war, daß wir kaum mehr tunesisches Geld hatten. Nach etwa einer Stunde war alles erledigt und zu meinem Erstaunen wollte auch niemand von uns Geld. Ich rätselte woran das wohl lag. Sicherlich nicht an meiner sympathischen Erscheinung... Klar, für Libyen ist das normal, aber wir waren mitten in Tunesien...

Leider änderte der Ölwechsel rein gar nichts. Nun gab ich es auf. Das Auto muß in die Werkstatt, sobald wir ankamen. "Eine Scheiße ist das schon wieder!", fluchte ich. Dabei wollte ich doch am Montag gleich weiterfahren nach Spanien. Da würde wohl Papis 124er herhalten müssen, wenn sich das Problem hier nicht von selbst löste... So fuhren wir weiter. Der Verkehr wurde immer mehr, langsam mußte man arbeiten, um das Auto in Gang zu halten. Bloß nicht unnötig vom Gas gehen. Ich ließ mich von den vorausfahrenden Autos ansaugen und zog erst hinaus, wenn ich auf etwa einen halben Meter heranwar. Man merkte sofort den fehlenden Luftwiderstand, das Auto verlor jedes Mal dramatisch an Schwung. Klar, daß gerade in so einer Situation auch noch so ein Trottel vor einem fährt, der nicht in der Lage ist, seine Geschwindigkeit konstant zu halten. Aber erstaunlicherweise ist das in diesen Gefilden kein Problem, das man nicht mit einem Manöver in den Griff bekäme.

Erst dachte ich,wie imer, wir hätten noch massig Zeit, aber das stimmte nicht. Die Uhr war wie immer schneller. Dann verfuhren wir uns auch noch in Tunis. Getankt mußte auch werden. Eigentlich hatten wir die Fähre bereits aufgegeben. Um elf sollte sie auslaufen, doch als wir in La Goulette eintrafen war mittlerweile halb zwölf vorbei. Wir fuhren an den Hafen, Almut ruhig, ich sehr aufgeregt. Der Hafen glich einer Geisterstadt. Nichts los. Ein paar abgerissene Gestalten lungerten herum. Das waren keine Hafenarbeiter und keine Touristen. Auch keine Illegalen, die nach Europa wollten. Sie wurden auf uns aufmerksam. Ich reduzierte die Geschwindigkeit und brülte hinaus: "Splendid! Splendid!" Das war der Name der Fähre, auf der wir um diese Uhrzeit schon längst sein sollten. Nun stürmten sie auf uns zu. "Geh auf die Rückbank", sagte ich zu Almut. Kaum war der Satz ausgesprochen, war sie schon auf der Rückbank. Keinen Bock darauf, daß einer von denen da hinten in unserem Zeug wühlt und hinterher die Hälfte fehlt. Der soll sich schön neben mich unter meine Fittiche setzen. Aber nein. Er schwang sich auf die Fahrertüre, hielt sich am Gepäckträger fest und sagte mir, wo ich hinfahren sollte.

Mit Vollgas folgte ich seinen Anweisungen.

Die Splendid sei noch im Hafen, noch nicht ausgelaufen. Er meinte, er bräuchte den Ausdruck, er würde in das Büro gehen und die Tickets holen. War schon klar, daß hinterher Geld fällig war, keine Frage, aber ich war noch nie so froh, auf diese Gaunder getroffen zu sein wie heute. "Wieviel tunesisches Geld haben wir noch?", fragte ich Almut. Sie zählte es schnell ab, gab es mir dann. Während der eine die Tickets besorgte, verstrickte mich der andere in Preisverhandlungen. "Dinar tunis muschkila kebira", sagte ich und meinte damit, daß wir nicht mehr viele tunesische Dinare hatten. Aber die Jungs waren Flexibel und nahmen auch Euro. Wir einigten uns auf umgerechnet 20 €, tunesische Dinare eingeschlossen. Aber erst, wenn wir auf die Fähre kommen. Vorher gibt es nichts. Der andere kam wieder, und zwar tatsächlich mit den Fährtickets. Nun wollte ich auf die Fähre. "Splendid?" Einer setzte sich ins Auto und zeigte mir den Weg. Der, der die Tickets angeschleppt hatte wollte nun seine Entlohnung. Ich bedeutete ihm, daß sein Kollege sie schon hätte, und daß sie das gerne untereinander ausmachen können, wenn wir erst auf der Fähre sind. Ich peste los, sah im Rückspiegel noch, wie sich die beiden zuückgebliebenen gegeseitig mit den Fäusten in die Fresse schlugen. Das war mir jetzt aber wurscht, ich wollte auf die Fähre. Der Typ lotzte mich genau vor das Hafentor. Ich fuhr darauf zu, die umherstehenden Polizisten machten keine Anstalten, das Tor öffnen zu wollen. Ich schrie "Splendid! Splendid!" hinaus und gab Gas. Der Polizist gab mit im Austausch ein Zeichen zum Warten. Toll. Aber manchmal funktioniert es und probieren kann man es immer mal. Nachdem er das Gespräch am Funkgerät beendet hatte, ließ er uns rein. Wir ließen unseren Freund raus, denn für ihn war hier schon die Landesgrenze. Almut nahm wieder auf dem Beifahrersitz platz. Alles war wieder gut, nur, daß wir noch nicht auf der Fähre waren. Ich probierte es nochmal: "Splendid, Splendid", und zeigte nach vorne. Wieder ein Zeichen zum Warten. Dann kam einer und erklärte mir, wie ich fahren mußte. Endlich! Ich fuhr hinein in den Hafen, aber nach zwanzig Metern hatte ich schon wieder vergessen, was der Typ erklärt hatte und fuhr überall hin, nur nicht dahin, wo die Splendid lag. "Fuck!", schrie ich. "Da ist sie doch!", sagte Almut ganz ruhig und zeigte auf die Fähre, vor der sich Hunderte von Autos stauten. Ich fuhr erleichtert in die Richtung. "Wir hatten zwar die Ausreise nicht erledigt, aber vielleicht merkt es ja keiner", dachte ich still für mich. Als nächstes hatte ich einen anderen Satz im Kopf: "I don't thing your particular brand of mindless optimism is going to contribute much to the proceedings", denn schon hatte mich der Blick eines Immigrationspolizisten erwischt und der wollte die Ausreisestempel sehen - die wir natürlich nicht hatten. "Splendid! Splendid!" - es half ungefähr gar nichts. Er erklärte auf Französisch, daß ich erst zum Zoll und dann zur Immigration mußte, und beide waren "dort hinten". Gut. Ich also eingestiegen und nach "da hinten" gefahren. Und dort war nicht mehr viel los. Neben uns waren noch zwei Autos in dem riesigen Hangar. Ich erledigte den Zoll und fragte dann, wo ich als nächstes hinsollte. Zur Durchsuchung. Wo die denn stattfindet. Da kommt ein Wichtiger und durchsucht das Auto. "Na, gut", dachte ich, und rechnete wirklich nicht damit, daß da einer kommt. Als ich fahren wollte, kam dann doch einer. Er sah in den Innenraum, sah in den Kofferraum, schickte uns dann aber gleich weiter. Wohin? Ich hatte soviel Ahnung, wie die Leute hier, wie es schien. Jeder schickte mich woanders hin. Der eine da hin, der andere dort hin. War man da oder dort angekommen, konnte man in der Regel mit mir nichts anfangen. Dann kam ein Gerücht auf, ich solle zum Büro Vier. Wo zum Teufel ist dieses scheiß Büro Vier? Es wurde mir zu blöd. Ich verlegte mich aufs Pulksprengen. Ich suchte mir eine möglichst große Gruppe Uniformierter und rannte hin, hielt ihnen meinen Paß hin und sagte "Splendid! Splendid!", woraufhin sie mir irgendwas auf Französisch erzählten. "No, no, Monsieur le Police! Splendid!", war meine geistreiche Antwort. Ich rannte nur in eine Richtung in die sie zeigten, wenn dort ein anderer Uniformierter stand, am besten mehrere. Dort das gleiche Spielchen wieder veranstalten, wobei man immer in die Richtung der Uniformen zeigen muß, von denen man gerade "geschickt wurde". Das funktionierte blendend, innerhalb weniger Minuten hatte ich meine Stempel und keiner erzählte Geschichten von Büro Vier. Man muß nur zur rechten Zeit den richtigen Leuten auf die Nerven gehen. Allerdings ist das kein Patentrezept. Ich verlasse mich da gerne auf mein Gefühl. Das weiß eher, was es tut, als mein Verstand. "Fertig!", sagte ich, zeigte Almut stolz beide Pässe und fuhr weiter in Richtung Stau, nachdem das Auto erneut durchsucht wurde. Ebenso gründlich: Einen Blick in den Innenraum, einen Blick in den Koferraum, fertig, tschüß. Der Polizist, der uns vorhin zurückgeschickt hatte war nicht mehr zu sehen. Wir fuhren an das Stauende.

 

Im Stau stehend wurden wir erneut durchsucht. Was haben die denn? Vielleicht suchen die nach Illegalen, die sich nach Europa schmuggeln wollen. Die Tunesier sind echt in Ordnung, dagegen sind die Griechen wahre Nervensägen. Aber was will man schon von einem Volk erwarten, das stolz auf seine Knabenliebhaber ist? Ich werde es irgendwann erlaben, daß ich tatsächlich eine Fähre verpasse, weil ich immer öfter denke, daß Fähren grundsätzlich fünf Stunden verspätung haben. Ich war noch nie pünktlich, aber trotz aller Verspätung immer noch rechtzeitig. Das ist seltsam. Vor einer Stunde waren meine Nerven zum zerreißen gespannt, ich fuhr, als ginge es um mein Leben, nun stehe ich hier im Stau, die Fähre ist noch weit davon entfernt, auch nur Anstalten zu machen, als würde sie je losfahren. Die 20 € waren wohl doch keine so gute Investition, wie ich zunächst dachte. In der Zeit hätten wir das wohl auch alleine geschafft. Um 11:34 Uhr waren wir am Hafen angekommen, nun hatten wir 13:08 Uhr. Erst um 13:41 Uhr war der Daimler, nach erneuter Durchsuchung an der Rampe, im Bauch der Fähre eingeparkt. Es sind doch alles Richtzeiten. Und wenn man einmal die Fähre verpaßt - Pech gehabt. Ist selbst mir noch nie passiert, daher behaupte ich, um eine Fähre zu verpassen, die nach Süden geht, darf man nicht nur schlampig, faul und nachlässig sein, sondern man muß zusätzlich auch noch geisitig behindert und acht Mal an der Sonderschule durchgeflogen sein.

Und wieder einmal geht es aufs weite Meer hinaus...

Wir hatten es wieder mal geschafft. Nun aber rauf und hinein in die Kabine. Wir gingen zur Rezeption. Wo sind die Pässe? Im Auto. "Splendid!", sag ich, und Almut geht wieder hinunter, um sie zu holen. Ich bleibe an der Rezeption mit dem Gepäck. Aber da wir nicht in Deutschland waren, wo jeder kleine Idiot nur Dienst nach Vorschrift kennt, probierte ich es ohne die Pässe. Und siehe da, es genügte, unser beider Namen anzugeben und ich bekam die Zimmerschlüssel. Als Almut mit den Pässen kam, war schon alles erledigt und wir konnten in die Kajüte. Die Kajüten sind für vier Personen ausgelegt, aber normalerweise läuft das so ab, daß man zu zweit in der Kajüte ist. Ich denke, das wird erst geändert im Falle, daß die Fähre überbucht ist. Das war jetzt natürlich nicht der Fall. Zwar ist jetzt Hauptsaison für Sahara-Touristen, aber die machen nur einen verschwindende Minderheit aus. Die meisten Leute, die hier fahren sind entweder Mitbürger, die in Europa leben und in den Ferien ihre Verwandschaft besuchen, oder es sind LKW, die Waren transportieren. Aber diese tun das das genze Jahr über. Ich nahm eine Dusche und schlief dann ein. In der Nacht war ich ja kaum dazugekommen. Das schöne an dieser Innenkabine ist, daß die Sonne nicht stört. Wenn das Licht aus ist, dann ist es Kuhnacht. So mag ich das. Sonne im Schlafzimmer erinnert mich an Kalifornien. Da krieg ich nur Heimweh, und das mag ich nicht.


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© by Markus Besold