Libyen 2008 / 2009
Donnerstag, 1. Januar

Um Mitternacht gingen wir auf das Dach. Das Feuerwerk hielt sich zwar in Grenzen, aber ich war verwundert, daß es überhaupt stattfindet. Es waren bestimmt Europäer. Davon gibt hier ja einige und ich kann verstehen, daß sie sich hier wohlfühlen. Wir vertilgten dann einen Kilo Popcorn und vernichteten drei Liter Jack Cola. Das dauerte eine Weile, weil das staatliche Alkoholverbot heute nur für die Frauen des Hauses galt. Aber niemand hatte es pressant.

Tripolis am 1. Januar 2009

Von wegen Feiertag. Heute nicht. Vormittags mußte almut zu irgendeinem Ministerium. Wir fuhren mit Janette in ein Café, das deutlich mehr Stil hatte als das Café Arabica in wien und diesen Namen auch weit eher verdiente. Wie es wiklich hieß weiß ich nicht. Kann das Gekritzel nicht entziffern. Dort wurde Almut abgeholt und hinterher fuhr ich Janette mit ihrem Auto durch die Gegend. Die hatte einiges zu erledigen. Das wäre genau der richtige Job für mich. Irgendwelche Wichtigen von A nach B zu fahren. Kinder zur Schule fahren, Waren einladen, abliefern, einräumen, fröhlich vor mich hinträllern... Aber wie es halt mit Traumjobs so ist, das sagt der Name schon, gibt es sie eben nur in Kalifornien.

Eine schöne morgenländische Kirche, die mir so ins Auge fiel...

 

Am späten Nachmittag gingen wir zur Verwandschaft unserer Gastgeber zum Essen. Charakteristisch für arabische Länder scheint zu sein, daß die Häuser von außen immer schlimmer aussehen, als sie innen tatsächlich sind. Das Haus zu dem wir geladen waren sah von außen aus wie eine Baustelle, von Innen allerdings wie ein kleiner Palast. Alles sehr ordentlich, als wäre alles für ein Photo-Shooting von Schöner Wohnen hergerichtet. Nichts, aber auch gar nichts erinnerte daran, daß die Araber ihren Müll normalerweise da hinwerfen, wo sie gerade stehen. Typischerweise essen Menschen und Frauen voneinander getrennt, was im Normalfall die Kommunnikation etwas erschwert. Heute allerdings nicht, da Mohammed auch zu Teppich saß, der sehr gut Deutsch konnte. Und ich werd mich nie daran gewöhnen, mit den Händen vom Boden zu fressen. Gut, daß sich im Hause unserer Gastgeber die abendländische Art und Weise der Nahrungsaufnahme durchgesetzt hat. Während des Essen spazierte ein Bruder von Vater Onkel mit einem Gewehr durch das Wohnzimmer zur Türe hinaus. Sah etwas deplaziert aus in dieser feinen Umgebung. Draußen, allerdings paßte es wieder in die Gegend.

Das Herrenzimmer, wie ich vermute.

Abends fuhr ich noch mit Almut in die Stadt, und zwar mit dem Bus. Ein Iveco-Kleinbus war es und wer je bei mir im Auto saß und behauptet hat, ich würde halsbrecherisch fahren, der sei herzlich eingeladen bei einem dieser Kameraden hier einzusteigen. Im laufe dieser Fahrt entwickelte ich einen gewissen Respekt für diese Kleinbusfahrer. Das sind Profis. Manches Mal mußte ich mir selber eingestehen, daß ich bei der einen oder anderen Situation zumindest vom Gas gegangen wäre, aber der Junge hielt drauf und man merkte nicht nur die Routine, sondern auch, daß das Autofahren den Arabern im Blut steckt. Keine noch so kleine Spur von der allgegenwärtigen Idiote am Steuer, die man bei den Persern leider feststellen muß. Einer der deutlicheren Unterschiede zwischen diesen beiden Völkern, die man im Westen doch gerne in einen Topf wirft. Sie benutzen die gleiche Schrift und sie haben die gleiche Religion. Aber abgesehen davon sind sie so unterschiedlich wie Finnen und Italiener. Das ganze Fahrgefühl ist ein anderes. Hier in Libyen kann man getrost mit 100 in einen Kreisverkehr hineinfahren, im Iran wäre das ein Selbstmordversuch. Ist reine Gefühlssache, hier gibt es keine Regeln, aber die Leute können fahren, es bleibt alles berechenbar. Solange sich keiner ruckartig bewegt passiert auch nichts. Die "Freude am Fahren" bekommt hier eine ganz andere Bedeutung. Das schrieb ich schon oft, das weiß ich schon lange, aber diese Busfahrt eröffnete mir ganz neue Dimensionen. Der Chauffeur konnte nämlich trotz zügiger Fahrweise immer noch so fahren, daß man sich nicht an der Bank festkrallen muß, um nicht abzuheben. Es war ein gemütliches Schunkeln und wären die Fenster abgedeckt, könnte man meinen, der Bus fährt durch verkehrsfreies Gebiet und der Fahrer hört einen langsamen Walzer. Keine abrupten Lenk- oder Bremsbewegungen, das ist das Geheimnis. Das einzige, was man abrupt machen darf, ist beschleunigen. Bei unserem Auto uninteressant, beim diesem Bus ab und zu angebracht. Was die Libyer auf jeden Fall erkann haben: Bremsen bedeutet nicht zwangsläufig, daß man die Sicherheit erhöht. Das mußten schon einige meiner deutschen Bekannten feststellen, aber daraus gelern haben sie nichts. Es wird immer noch lieber gebremst als gelenkt oder gehupt - und hinterher wundert man sich, daß man einen LKW im Kofferraum hat. Wer bleibt auch auf der Autobahn stehen, nur weil Reifenteile vor einem liegen? Ausweichen, notfalls drüberfahren, aber auf keinen Fall bremsen. Nie. Aber nein. Es hat sich nichts geändert. Um bei der Bank einen Kredit zu bekommen, muß man beweisen können, daß man ihn nicht braucht. Und um in Deutschland Autofahren zu dürfen, muß man erst einmal beweisen, daß man es nicht kann.


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