Libyen 2008 / 2009
Samstag, 27. Dezember

Ich stand gegen 10 Uhr auf. Zwar hatte Almut gestern noch die Wäsche gewaschen, fein säuberlich zusammengelegt, und dabei völlig ignoriert, daß sie noch überhaupt nicht trocken war. "Was soll denn der Scheiß schon wieder?", fragte ich, nahm die Wäsche und hing sie zum trocknen auf den Balkon. Ich zieh doch keine nasse Wäsche an - sind wir im Mittelalter? Ich dusche auch nicht kalt, wenn warmes Wasser da ist und ich esse nicht irgendwelche Körner, nur weil sie gesund sind. Almut ging mit Janette in die Stadt und ich machte es mir vor dem Fernseher bequem, denn ich sehe auch nicht der Wäsche beim Trocknen zu. Ich weigerte mich, und wenn ich mich weigere, dann ist es sinnvoller, einer Wand das Tanzen einzureden, als mich dazu zu bewegen, mich nicht mehr zu weigern. "I'm not picking cotton... So."

Irgendwann kam Mohammed heim, schaltete auf irgendeinen arabischen Sender um, auf dem das Programm deutlich spannender war: In einer dunklen Flüssigkeit lagen abgerissene Gliedmaßen, tote Leichen, Gedärme, Schädelstücke und ab und zu bewegte sich auch noch was in diesem Chaos. Einer versuchte sogar, etwas in die Kamera zu sprechen, wobei seine Körperhaltung durch das fehlen beider Beine etwas beeinträchtigt schien. "Alter, schaut aus als wäre da eine Bombe eingeschlagen", sagte ich. "Da ist eine Bombe eingeschlagen", sagte er. Er schien nicht besonders amüsiert über den Vorfall, über den berichtet wurde. Ich rätselte, was es wohl sein könnte. Nach der Bemerkung "Scheiß Juden", blieben bloß noch zwei Möglichkeiten: Libanon oder Gaza. "Gaza", sagte er und starrte in den Kasten. "Du sollst da nicht hinschauen", sagte die älteste Tochter zur jüngsten, als wieder Menschen eingeblendet wurden, die, in Einzelteile zerlegt, auf der Straße lagen.

Was ich weniger verstand war, daß man sich über sowas immer noch aufregen kann. Als wäre es das erste oder das letzte mal. Es ist auch immer das selbe. Eine Endlosschleife: Die einen schießen mit irgendwelchen selbstgebastelten Silvesterraketen rüber, von denen die meisten in irgendwelchen Äckern landen oder gar nicht erst hochgehen. Israel sieht erst eine Weile zu, lacht erst, aber irgendwann ist der Witz dann auch abgenutzt und wenn es weitergeht, dann kommen ein paar Hubschrauber mit dem Davidstern angflogen, die drüben wieder ein paar Häuserblocks plätten. Dann rennen irgendwelche blutüberströmten Araber mit Kinderleichen durch die Straßen, verfluchen Juda und die Welt. Sich darüber aufzuregen ist ungefähr so sinnvoll, wie sich über das Wetter aufzuregen. Es ist eben wie es ist und es wird sich nicht ändern. Und es wird sich erstrecht nicht dadurch ändern, daß man immer einer Seite die Schuld zuweist. Dabei ist die Lösung ganz einfach und lange nicht so grausam, wie sie klingt, und weitaus weniger grausam als das, was da unten seit Jahrzehnten abläuft: Einer von beiden muß weg. Einfach weg! Zu glauben, daß Juden und Araber jemals als ein einig Volk von Brüdern dort unten leben werden ist naiv. Solche Leute glauben auch noch an den Weihnachtsmann. "Nahost Friedensprozeß", "Nahost Friedenskonferenz" - alles schöne Vokabeln. Aber die belegen nur meine Theorie, daß dort, wo großzügig mit Vokabeln umgegangen wird, es um den gepriesenen Gegenstand meist schlecht bestellt ist. In Deutschland redet man gerne von "Freiheit", in der islamischen Welt und in Amerika von "Anstand und Sitte", in Brasilien von "Ordnung und Fortschritt", und im Mittleren Osten eben über "Frieden". Und schon beim ersten Blick wird man feststellen, daß man in Deutschland nur bevormundet wird, in Amerika die Pornoindustrie floriert wie nirgendwo anders, in der islamischen Welt die Prostitution unter Verwandten fröhliche Orgien feiert, Brasilien das unordentlichste und zurückgebliebenste Land in der Neuen Welt ist und daß im Mittleren Osten ganze Generationen nicht mal wissen, was Frieden überhaupt sein soll. Das ist überall auf der Welt gleich: Big talk, little action...

Ich sah mir weiter die Bilder an, die der libysche Sender seinen Zuschauern bot. Wenn man allzu verwöhnt ist von Hollywood-Filmen kommen einem solche Bilder fett unrealistisch vor. Das Blut sah mehr aus wie Öl, leuchtet nicht im Dunkeln und spritzt auch nicht gegen die Kamera. Aber was solls. Reality-TV war nie wirklich bekannt für gute Spezialeffekte.

Am Nachmittag fuhren wir los. Es war 14:30 Uhr und wir hatten über tausend Kilometer vor uns. Ich verließ die Straße, um den Sonnenuntergang anzuschauen, wollte die Beethoven-CD einlegen und stellte dabei fest, daß das Radio keinen Strom hatte. Ich fuhr von der Straße rechts ab, eine kleine Piste entlang. Parallel zur Straße verlief die Ruine einer Bahntrasse, die ich für die Bagdadbahn hielt. Ich hatte allerdings keine Zeit, mir das genauer anzusehen, denn die Sonne war bereits am Horizont und hier wird es nach Sonnenuntergang ziemlich schnell dunkel. Das alberne Radio mußte repariert werden. Ich checkte die Sicherungen, aber die waren alle in Ordnung. Ich hatte neulich an der Hupe herumgepfuscht. Davor ging das Radio noch, jetzt nicht mehr. Vielleicht hatte ich ja durch die Kabelverlegerei etwas kaputtgemacht. Ich nahm das Radio und Handschuhfach heraus und fühlte nach, wohin das Kabel vom Radio führte. "Der hat doch wohl nicht..." Doch. Der Mechaniker hatte tatsächlich das Pluskabel des Radio mit dem Schalter der Hupe verbunden. Wie kommt man denn auf so eine Idee? Ich wollte durch den Schlater die Hupe zuschalten - nicht anschalten. Und schon gar nicht wollte ich das Radio damit in Verbindung wissen. 140 € gablecht dafür, daß ich doch alles selber machen darf. Da braucht keiner über die Mechaniker in der Dritten Welt schimpfen. Die bauen zwar auch Mist, aber die haben keinen Meisterbrief. Da sieht man mal wieder, was diese Papiermanie der Deustchen bringt: Kostet nur Geld. Ich hätte es einfach von vornherein selbermachen sollen, allerdings hatte ich keinen Bock, in der Kälte am Auto zu schrauben. Hier war es schön warm. Die Abisolierzange brach mir in der Hand, die andere Zange verlor sich irgendwo im Motorraum. Aber nach einer Stunde gingen Hupe und Radio wieder. Zurück auf die Straße.

Sonnenuntergang
Sonnenuntergang in der nördlichen Sahara.

Je weiter wir nach Osten kamen, desto mehr häuften sich die Polizeikontrollen. Dieser 60-Liter-Tank muß auch mal demnächst ersetzt werden. An einer Tankstelle fuhr ich hinaus, weil die Leuchte schon wieder an war. "Ma fisch Nafta!", sagte der Typ an der Tankstelle. "Wie, keinen Diesel? Da tanken doch zwei Laster." Dieses Phänomen kannte ich aus dem Iran. Dann halt bei der nächsten. Aber da war ein Laden. Mein kohlesäurehaltiges Kaltgetränk was schon wieder alle und ich ging in den Laden, um ein neues zu holen. Ich konnte mich nicht recht entscheiden. Erdbeere? Mongo? Apfel? Hm. Der Verkäufer fragte mich auf Englisch "Wo Du her? Germania?" "Yes." "Ah! Yes!! Germania!! Heil Hitlär!!" Er war aus Marokko, konnte ein wenig Englisch. Das Getränk ging wieder mal auf Führers Kreditkarte - wie seinerzeit die Zahnarztrechnung im Iran, diverse Eintrittsgelder und vieles andere mehr... Ich bedankte mich recht schön und verabschiedete mich.

Die nächste Polizeikontrolle sah ich mal wieder zu spät und kam mit fast quetschenden Reifen zum stehen. Der Polizist gab mir ein Zeichen, rechts ranzufahren. Ich tat dies. Er durchsuchte das Auto, fragte mich, ob ich Soldat sei. Das verstand ich und sagte nein. "You police. Hitlär!" Unser Altkanzler scheint in dieser Gegend sehr populär zu sein. "Er meint, Du sähest aus wie ein 'Hitlersoldat'", übersetzte Almut. Das lag sicher an der Schildmütze. Ich hatte Ende der Neunziger ähnliche Erfahrungen mit meiner dunkelbraunen Mütze gemacht. Aber die ist irgendwann völlig Formlos geworden und irgendwann sah ich mehr nach Witwe Bolte, als nach Hitlersoldat aus. Das würde bei dieser Mütze wohl noch ein paar Jahre und viele Kilometer dauern, bis die so aussieht und solche Assoziazionen weniger werden. Aber mir kann es recht sein. Gekostet hat mich das noch nie etwas - im Gegenteil. Gerade in diesem Teil der Welt erntet man da viele Sympathiebekundungen. Gerade jetzt, wo es in Gaza wieder knallt. Wir fragten nach der nächsten Tankstelle. In zehn Kilometer soll eine sein. Falls wir nicht genügend Sprit hätten, würde er uns gerne ein paar Liter Diesel überlassen. Aber zehn Kilometer müßten wir noch schaffen, außerdem hatten wir noch die Kanister.

An der Tanke bekamen wir dann unseren Diesel. Ich tankte für 10 Dinar. Vor dem Laden stand ein Mann im Anzug. Er sprach gut Englisch, fragte nach unserem Wohin, meinte, wir sollten vorsichtig mit den Kamelen sein. Eine Radkappe hatten wir verloren, bemerkte ich hierbei. Almut hatte Brot aufgestellt und kam zum Auto zurück. Weiter geht es durch die dunkle Nacht in Richtung Benghasi. Es waren noch ein paar hundert Kilometer bis dorthin...


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