Libyen 2008 / 2009
Freitag, 26. Dezember

Heute hatte der Benz Ruhetag. Ich fuhr auch mit Mohammed in "dem Kleinen" Wagen zur Familienfarm. Es war ein Nissan Sunny, Baujahr 2008. Meine Mutter fährt auch einen Sunny, allerdings ist der wirklich klein. Bei diesem hier handelte es sich um eine Limousine von normaler Größe. Auf diese Weise bekommt man Einblicke in das libysche Leben, die einem als normalem Touristen verwehrt bleiben müssen - in diesem Fall sogar aus der Vogelperspektive. Dem Libyer an sich scheint es gar nicht so schlecht zu gehen, auch wenn er - rein geographisch betrachtet - Afrikaner ist. Nach seiner Schule kann er sich aussuchen, ob zum Militär geht, ob er arbeiten will, Geschäfte machen, oder ob er lieber zuhause bleiben möchte. Es ist ein Rentier-Staat. Der SUV, in dem wir saßen, kostete hier umgerechnet 18.500 €. Das ist weit weniger als ein Drittel von dem, was das gleiche Auto in Deutschland kosten würde.

Tripolis
Kaum noch Wracks zu sehen im Straßenverkehr.

"Gibt es hier eigentlich sowas wie eine Kfz-Steuer?", wollte ich wissen. Er lachte mich aus. Natürlich nicht. Und billiger sind die Autos auch noch. Er hatte seiner Frau erst einen SUV gekauft. Was auch noch auffiel, war daß das Durchschnittsalter der Autos Jahrzehnte jünger war als bei meinem letzten Besuch. Auch ein sicheres Anzeichen dafür, daß das Embargo längst aufgehoben war.

Auf mußte ich bei Janette mitfahren, und sie ließ sich ihren SUV auch nicht von mir nehmen. Ich zog alle Register, und es klappte doch nicht. "Wir sind in Libyen, ich bin der Mann, also fahre ich!". Ich dachte, das wäre ein Argument. Für Janette war es nur Grund für Gelächter. Also setzte ich mich auf den Beifahrersitz und motzte über die Menschenrechte, die in Libyen nicht beachtet werden, wenn man da als Gast von einer Frau fahren lassen muß. Selbst eine Drohung, mich an Amnesty international zu wenden brachte nichts. Irgendwann gab ich auf. Auf's Maul war sie nicht gefallen, das mußte ich schnell feststellen...

Sie bewegte sich im libyschen Verkehr auch ziemlich sicher. "Fährst Du eigentlich in Deutschland auch noch Auto?", fragte ich sie. "Nur, wenn es unbedingt sein muß", sagte sie, "Hier fahre ich einfach nach Gefühl, wie alle anderen halt auch. Wenn ich das in Deutschland mache, dann würde ich nicht weit kommen. Da habe ich keine Lust zu." Wahrscheinlich die einzige Frau, die mich versteht. Mit Sicherheit die einzige, die ich kenne.

Abends fuhren wir durch Tripolis. Vergeblich versuchte sie, mir zu erklären, wie man am besten wohin kommt. Ich bin und bleibe ein Orientierungsidiot. Wir fuhren auf eine Straße, die einen für mich unaussprechbaren Namen trug. "Tripoli Sunset" taufte ich sie stattdessen. Mitten in der Nacht im Stau zu stehen ist zunächst mal etwas, das ich nicht verstehe. Kenne ich nur vom Sunset Boulevard in Hollywood. Hier war es ähnlich. Zwei Spuren pro Fahrtrichtung und dichtes Gedränge. Hier fahren die jüngeren Leute immer auf und ab und checken die anderen Autos. Hier werden im Vorbeifahren Telephonnummern ausgetauscht, Rendezvous vereinbart und was sonst noch so geht, dafür hat man eine Phantasie. Irgendwo in der Nähe eines Abschnitts dieser langen Straße wohnen auch irgendwelche Illegalen Ägypter, die die Drogen an den Start bringen und sich damit über Wasser halten.

TripolisAls wir vor einer Pizzeria anhielten, flog auch promt eine Getränkedose gegen das Auto. Wäre das Fenster unten gewesen, hätte ich sie ans Ohr gekriegt. Bier wird es wohl kaum gewesen sein. Der Schütze befand sich wohl unter einer an der Straßenecke stehenden Gruppe. "Was sind denn das für Kanacken? Cham die Problämm, oda?", fragte ich Janette. "Komm, laß gut sein. Da kann man nichts machen. Das nervt mich hier in dem Land." Sicher kann man da was machen - aber wer hat schon Bock drauf, sich damit herumzuschlagen. "Sei froh, daß Du nicht in Deutschland leben mußt. Da darf man nämlich überhaupt nichts", sagte ich. Der Grund für den Anschlag blieb mir schleierhaft. Entweder war es nur Zufall, daß gerade wir sie abgekriegt haben, oder es war die 15-Jährige Tochter, die kopftuchlos auf der Rückbank saß und das Fenster offen hatte. Aber anscheinend hatte das wirklich nichts mit uns zu tun, denn es blieb dabei.

Was noch auffiel, wenn ich das Tripolis von jetzt mit dem Tripolis von vor zehn Jahren verglich war, daß man sehr viele bekopftuchte Frauen sah. Damals rannten die ganz normal durch die Gegend, aber mittlerweile sah man sogar viele Fledermäuse. So nenne ich immer diese schwankenden Gestalten im Ganzkörperkopftuch mit Sehschlitz. Die ganz extremen - vermutlich gleichzeitig die ganz häßlichen - hatten nur ein münzgroßes Loch in ihrer Verpackung, damit sie die Straße sehen. Damals waren Kopftücher alten Frauen und Frauen in der Provinz vorbehalten. Alle anderen liefen normalgekleidet durch die Gegend.

Auch Almut, die im Lauf der letzten zehn Jahre schon einige Male hier war, zeigte sich erstaunt. Das ist wohl eine Welle, die nicht zuletzt durch das Fernsehen seit 911 über die islamische Welt rollt. Mein Kommentar: "Sind das Idioten! Anstatt daß sie das Fahrverbot für Frauen von den Saudis übernehmen, übernehmen sie diesen Schwachsinn! Scheiß Christen!", war meine Schlußfolgerung. "Das sind keine Christen, das sind doch Moslems!", berichtigte mich Janette. "Dann halt scheiß Moslems! Ist doch alles der gleiche Dreck! Darf ich jetzt mal fahren?", fragte ich, bei der Gelegenheit. "Ja, Du darfst zurückfahren. Aber erst holen wir noch einen Kebopp..." Na, also, geht doch. Als die Mädels wieder einstiegen fuhren wir zum Kebopp-Laden. Diese Kebopps darf man sich nicht so vorstellen, wie die Fladenbrot-Teile, die man in Deutschland bekommt. Hier handelte es sich um kleine Baguettes, in die ein Rinderhackfleischspieß kam. Und das ganze kostet umgerechnet 80 Cent. Ich nahm gleich zwei. Und ein kohlesäurehaltiges Kaltgetränk mußte noch her, dann war ich zufrieden.

Ich ging voran zum Auto, die Mädels brav mit dem Gepäck ein paar Schritte hinter mir. Janette saß schon auf dem Beifahrersitz. "Ah! I needed that!" Ich fuhr los, so sanft wie möglich. "Wolltest Du fahren, oder schlafen?", kommentierte Janette meine Fahrweise. "Man muß immer so fahren können, daß sich die Mädels hinten einen Cocktail mixen können", sagte ich. "Mammammammamma, was ist ein Cocktail?", kam es von hinten. Gut. Dann fahren wir halt normal. Ich mußte mich lotsen lassen, denn ich kannte mich null aus. "Die haben ja aber auch allen umgebaut, hier", sagte ich - als ob das der Grund dafür wäre, daß ich stets das Abbiegen vergaß. "Da sind wir doch hergekommen!" und "Da ist doch der Flughafen ausgeschildert!", bekam ich zu hören. "Das kann ich doch nicht lesen!" "Brauchst nichts lesen. Wenn da ein Flugzeug aufgemalt ist bedeutet das 'Flughafen'. Das ist in Bayern nicht anders..." "Ah, klar! Deswegen Flughafenstraße..."

Hauptsächlich ging es mir darum, mich wieder in den Verkehr hier einzufinden. Dazu brauche ich immer ein paar Stunden. Schon in den ersten Minuten hatte ich die libysche StVO wieder vor Augen. Die umfaßt ein paar Zeilen, zwei, um genau zu sein:
§ 1: Du darfst fahren wie Du willst.
§ 2: Alle anderen auch.
Na prima! In zwei Paragraphen ist alles zusammengefaßt, wofür man in Deutschland dicke Bücher braucht - mit mäßigem Mehrwert.
Kurz vor dem Hochhaus am großen Baum hinter der Brücke verriß ich reflexartig das Lenkrad. "Was war das denn?" "Da oben stand ein Idiot, den habe ich zu spät gesehen..." In Südamerika hatte ich es mir angewöhnt, grundsätzlich Leuten auf Brücken auszuweichen. Die werfen da oft Steine runter, um den Getroffenen dan hinterher zu überfallen. Aber selbst auf der B300 passierte es dem Igl, der 2000 mit seinem Pajero mit uns nach Marokko gefahren war, daß ihm ein Gegenstand von einer Brück knapp verfehlte. Das erzählte ich Janette, und es stimmte auch, aber die glaubte mir nicht. "Doch! Da hat sich irgendeine häßliche Rumänin von der Brücke stürzen wollen und hat ihn nur knapp verfehlt. Dann überlebt sie auch noch, die Mißgeburt. Stell Dir vor, hier fliegt so eine fette Drecksau durch die Windschutzscheibe rein und wir haben die auf dem Schoß! Kein Spaß, Alter... Da weich ich lieber aus oder fahr drüber."

Daheim fraß ich dann meinen Kebopp auf. Und ich muß sagen: Unübertroffen. "Wie sollen wir das morgen machen?", fragte Almut. Heute war Freitag, das ist der moslemische Feiertag. Am Samstag ist sozusagen der Samstag und Sonntag ist Montag. Da müssen wir in Benghazi an der Uni sein, um das mit den Büchern zu organisieren. Almut mußte morgen vormittag mit Janette in die Stadt, und unter anderem eine Karte für das Handy besorgen, damit die Kommunikation wiederhergestellt werden kann. "Wir machen das folgendermaßen: Wir wachen auf und schauen dann...", sagte ich, während ich genüßlich meinen zweiten Kebopp verschlang.


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