Libyen 2008 / 2009
Sonntag, 28. Dezember

Um Viertel nach eins erreichten wir Ajdabiya. Vor zehn Jahren fuhren wir von hier aus nach al-Kufrah. Dagegen hätte ich jetzt auch nichts. Aber wir hatten ja unseren Auftrag. Und Almut hat bezüglich Aufträgen eine recht eigene Einstellung, die man am besten erklärt mit den Worten: "Failure is not an option."
Ganz im Gegensatz zu mir. Natürlich ist das Versagen auch eine Alternative. Aber würde ich ihre Einstellung teilen, wären wir uns nie begegnet. Ich stelle mir manchmal vor, was wohl gewesen wäre, wenn wir uns irgendwo in einem leipziger Kaffee begegnet wären. Das ist gar nicht so unwahrscheinlich, da mehrere meiner ehemaligen Klassenkameraden auch dort studiert bzw. gearbeitet haben. Sie hätte mich wahrscheinlich kurz gemustert, hätte wortlos ihr Zeug eingepackt und wäre woanders hingegangen. Das macht sie immer, wenn einer mangelndes Wissen durch Lautstärke zu kompensieren versucht. Und das konnte ich schon immer relativ gut, muß ich bei aller Bescheidenheit feststellen. Wir haben ohnehin nur wenig gemeinsam: Wir fahren gerne durch die Gegend und wir mögen kein Lakritz. Aber das war es dann auch schon wieder. Alles andere ist so gegensätzlich, daß es sich schon wieder zu hundert Prozent ergänzt.

Kurz vor zwei kam wieder eine Polizeikontrolle. Die hatten aber nichts zu beanstanden und schickten uns gleich weiter. Dann kamen wir langsam in die Vorstädte von Benghasi. Um drei waren wir dann in Benghasi. Das Hotel Tibesti fanden wir auch gleich. Dort hatten wir einmal gefrühstückt. Es sah viel prachtvoller aus als damals, was wohl an der Beleuchtung lag. Überhaupt sah alles etwas hochwertiger aus als damals. Und überall diese fast schon hysterische Leuchtreklame. Das Apartment Gebäude fanden wir allerdings nicht gleich auf Anhieb. Die Bremsen hinten schabten und quetschten leicht, aber deutlich wahrnehmbar. Erst nach dem dritten Anlauf lagen wir richtig. Das Gebäude stand schon seit mehreren Monaten ungenutzt. Und es muß hier wohl ein Sandsturm stattgefunden haben, denn überall war Sand. Besonders unter den Fenstern. Auf allen Steckdosen waren richtige Sandpyramiden aufgetürmt. Gute Handwerker könnten die Libyer definitiv gebrauchen. Aber scheinbar fehlen hier die Leute, die dafür bezahlen.

Es gilt als normal, daß nirgendwo ein Rechter Winkel ist, oder daß keine Tür und kein Fenster dicht ist. Das hier war definitiv keine Grattlerwohnung, im Gegenteil. Sie gehört gebildeten und wohlsituierten Leuten, die nicht jeden Pfennig fünfmal umdrehen müssen, und die sich selbst darüber ärgern, daß es so ist. Aber die scheinen die Ausnahme zu sein, was daran liegt, daß sie den deutschen Standard nur zu gut kennen. Deswegen ärgern sie sich. Für einen Libyer, der immer nur hier gelebt hat, ist das Standard. Der ärgert sich auch nicht über solche Sachen. Da kommen Handwerker ins Haus, schneiden eine Küchenplatte ab, die zu lang geliefert wurde - da geht es schon los. Geschnitten wird nicht mit einer geeigneten Maschine, sondern mit einer Flex - da geht es gleich im Anschluß weiter, noch bevor man sich die Frage erlaubt, wie es sein kann, daß die Küchenplatte zu lang ist. Man legt auch nicht mal ein Handtuch unter. Nein, man steckt die Flex an und flext drauf los. Anreißen? Abkleben? Abdecken? Alles Fehlanzeige. Wenn sie überhaupt versuchen, mitzudenken, dann sieht das so aus: Es werden vorsorglich alle Türen und Fenster in der gesamten Wohnung aufgerissen, "damit der Staub abziehen kann", der beim "Schneiden" entsteht. Aber, daß der Staub nicht als Block durch die Wohnung fliegt und dann zum Fenster rausspringt, das fließt schon wieder nicht in die Überlegung mit ein. Das Resultat: Die gesamte Wohnung ist unter einer millimeterdicken Staubschicht vergraben, der Küchenboden vom Funkeflug zerstört und alles, was man dem Hausbesitzer zu sagen hat ist "Ma'aleisch", also "macht nichts"... Ich bin ja einiges gewohnt, was schlechtes Handwerk angeht, aber man kann es auch übertreiben.

Ich war allerdings zu müde, um mich genauer mit dem einheimischen Handwerk zu befassen. Wenn ich zufällig dabeisein sollte, wenn Handwerker aufkreuzen, nehm ich ihnen einfach das Werkzeug weg und sag: "Gib das Teil her, stell Dich da hin, faß nichts an und wart bis ich fertig bin..." Während der Wasserboiler hochfuhr, trugen wir das Gepäck aus dem Auto in den siebenten Stock hoch. Es entstand ein kurzes Wortgefecht Besold vs. Boiler. Das entschied ich zwar zu meinen Gunsten, aber duschen mußte ich doch ohne Warmwasser.

Um zehn standen wir auf - mittlerweile war das Wasser warm und nun duschte ich grad zum Trotz nochmal und so lange, bis das Wasser wieder kalt war. Dann ging es zur Bibliothek. Der Verkehr war klasse, die achteren Bremsen allerdings nicht wirklich. Das Quietschen hatte sich zwar gelegt, dafür war aber Schaben umso lauter geworden. Almut and die Universität und wir stellten und auf den Parkplatz. Ich trat hinten gegen die Reifen in der Hoffnung, daß das Schaben dadurch aufhört. Dann zog ich mir meine zivile Jacke an, nahm meine Kraftfahrermütze ab, um mich etwas unauffälliger zu machen. Man geht ja schließlich zu stdierten Leuten, da kann man nicht aussehen wie ein Lump. Viel half es nicht. Nun sah ich eben aus wie ein Lump mit Jacke. Egal. Zum Kistenschleppen reichte das.

Stadtverkehr Benghasi
Stadtverkehr Benghasi.

Nun versuchte ich wieder in den Hintergrund zu treten und Almut machen zu lassen. Versteh sowieso nichts. Ab und zu übersetzte Almut. Geht mich aber sowieso nichts an. Ich bin nur der Fahrer und ich soll ein paar Bücher ins Auto schleppen. Solang die Bücher nicht da waren, war ich auf Standby. Nachdem wir von einer Stelle zur nächsten und übernächsten gegangen bzw. getrampelt waren, wußten wir was Sache war: Die Bücher können wir morgen um elf Uhr vormittags abholen. "Gut, in der Zeit können wir nach Tobruk fahren."

Wir gingen zurück zum Parkplatz, stiegen ein und fuhren zur Wohnung zurück. Erwartungsgemäß hatte der Tritt gegen die Räder nichts geholfen. Das Schaben ging allmählich in ein ganz häßliches Kratzen über. Auf dem Weg fiel mir ein Teilehändler ins Auge. Ich hielt davor, stieg aus und ging hinein. Der Typ hieß Hassan, war schon oft in Deutschland, lizensierter Ate-Reseller und konnte relativ gut Englisch und so kaufte ich dort nicht nur einen Satz Bremsklötze für zehn Dinar, also knapp sechs Euro. sondern ich unterhielt mich auch noch zwanzig Minuten über dies und jenes. Er gab mir seine Telephonnummer, für den Fall, daß wir irgendwas brauchen. Für Übersetzungen mußten wir ihn zwar nicht belästigen, aber man weiß ja nie. Ich speicherte seine Nummer. Dann fuhren wir in die Wohnung. Ich schlief noch aus, dann packten wir unser Zeug zusammen und beluden das Auto. Eigentlich wollten wir gleich los, aber ich entdeckte noch eine Pizzeria. Hilft nichts. Wenn ich Hunger hab, dann hab ich Hunger. Ich orderte einen Burger mit Pommes.

Um Drei fuhren wir los. "Wie weit ist es denn bis Tobruk?", fragte ich. "Siebenhundert, etwa", antwortete Almut seelenruhig. "Was???" Ich hätte mit dreihundert gerechnet. Nun waren wir reichlich spät. Und die Klötze mußten auch noch gewechselt werden. Wir pesten los und am Ortsausgang hielt ich immer Ausschau nach Werkstätten. Nach altem arabischen Brauch ist immer alles an einem Platz. Werkstätten also nur in der Gegend, wo auch andere Werkstätten sind. Ich konnte nie einen Sinn dahinter erkennen. Das war auch in Equador so, nur noch etwas extremer. Da fuhr man in ein Kaff, dort verkauften sie nur ein Gericht, im nächsten ein anderes - aber das ganze Dorf. Da würde ich doch gerade etwas Anderes anbieten, wenn alle das gleiche anbieten. Aber hier hatte es wohl den Sinn, daß man sich gegenseitig die Kunden zuspielt, oder sich gegenseitig Werkzeug leiht, oder Ersatzteile kriegt, ohne erst nach Timbuktu fahren zu müssen. Ich fand eine Werkstatt, die mich sogleich an die nächste verwies. Dort standen lauter alte Volvos. Ich fuhr hin, zeigte die Bremsklötze einem Typen, der da saß. Er brüllte irgendwas hinter sich in die Werkstatt hinein, und sofort kamen zwei Typen, die sich meiner annahmen.

Sie holten einen Wagenhaber und machten sich an die Arbeit. Eigentlich hätte ich das auch selbst machen können, aber die rissen sich förmlich drum, also ließ ich sie machen. Während die die Räder abnahmen und die alten Bremsklötze rauszogen, bemerkte ich, daß der Boden mit Bremsklötzen übersät war. Und viele davon hatten genau dieselbe Form und Größe wie die, die ich gerade in der Hand hielt. Wieviel ich dafür bezahlt hätte. "Zehn". Hier hätte es sie wohl für fünf gegeben. Allerdings hätte ich mir das Geld auch sparen können, wenn ich gewußt hätte, daß die Teile hier einfach so rumliegen. Verglichen mit dem Zeug, auf dem wir fuhren, waren die im Sand rumliegenden Dinger noch fast wie neu.

Nachher - Vorher
Links der alte, rechts der neue Bremsklotz. Es war an der Zeit...

Die Bremsverschleißanzeige beim 123er kann man sich eigentlich sparen. Wenn die Teile wirklich runter sind, dann kann man das gar nicht überhören. Die Jungs wechselten die Klötze. Zwar würde jeder deutsche Kz-Meister in Ohnmacht fallen, aber hier gibt es sowas nicht. Beim 123er werden die Bremsklötze hinten links und rechts der Scheibe hineingeschoben, dann mit zwei Stiften gesichert, welche wiederum durch jeweils einen Splint gesichert sind. Diese Splinte sollen die Stifte daran hindern, aus dem Sattel zu fallen. Geschieht dies nämlich, dann sterben alle. Das ist TÜV-Theorie. Nun waren aber drei von vier Splinten beim herausnehmen abgebrochen. Das ist die Praxis. Was tun? Richtig: "Ma'aleisch..." Inzwischen war noch ein Dritter Geselle hinzugekommen. Der hatte für diese Gegend auffallend helle Augen. Farbe allerdings undefinierbar. Aber dadurch konnte er wohl noch besser Englisch als die anderen und so stellte die Kommunnikation kein echtes Problem dar.

Danach bat ich sie noch darum, den Reifen aufzupumpen. Sie nahmen den Reifen, trugen ihn in eine benachbarte Werkstatt und ließen Luft hinein. Der Luftdruck wurde geprüft, indem er mit dem Daumen in die Reifenwand drückte. "Very good!", meinte er. Der helläugige bellte ihm etwas auf Arabisch zu, gab mir ein Zeichen zum Warten und rannte los. Eine Minute später kam er wieder und präsentierte stolz einen kugelschreiberartigen Luftdruckprüfer. Als er ihn ansetzte, zeigte er über vier Atü an. Ich ließ Luft ab, bis die Anzeige bei 2,5 stehen blieb. Dann montierten sie das Rad, taten die Radkappen wieder drauf und meinten, ich sei "Ready". Nun ging es ans bezahlen. "Kämm?", fragte ich. Ich dachte, das hieße "Wieviel", aber es klappte scheinbar nicht. "How much?" Wieder fuchtelten sie irgendwas auf Ausländisch, was man als Mitteleuropäer als "Nein" deuten könnte. "Money, Dinar, how much?" "No! No money! No problem!" Ich ging zum Auto und petzte. "Die wollen kein Geld nicht, so wie ich das verstehe..." Ich nahm einen Fünf-Dinar-Schein und gab ihn ihnen. Ich hatte es nicht falsch verstanden. Die wollten kein Geld. "Ich hätte da noch ein paar Tafeln Milka, die uns sowieso bloß wegschmelzen..." Ha! Trick! "Tu her!", sagte ich. Ich nahm zwei Tafeln, zwischen beide tat ich den Fünfer. Als ich in die Werkstatt ging, kamen sie schon wieder und schrieen: "No! Mister! Please!" Ich zeigte ihnen, daß ich nur Schokolade hatte und sie gaben den Widerstand auf. Ich legte die beiden Tafeln auf die Theke, sie freuten und bedankten sich und ich sah zu, daß ich weiterkam. Es half nichts. Der Typ war schneller und legte mir den Schein aufs Armaturenbrett. Nun gab ich auf und fuhr. Das war der Beweis dafür, daß wir von Afrika Welten entfernt waren.

Werkstatt in Benghasi
Beim Wechseln der Bremsklötze.

Noch bevor wir wieder auf die Straße kamen, sah ich einen Lebensmittelladen und fuhr dort hin. Brot und Getränke geholt und wieder zuruck zur Straße. Doch wir hatten noch keinen Kilometer auf der Straße zurückgelegt, da fuhr ein alter Fünfer BMW neben uns und gab uns ein Zeichen zum Anhalten. Ich fuhr bei einer Tankstelle raus. Der BMW hatte münchener Zollkennzeichen, die von libyschen Kennzeichen überpappt waren. Der rote Streifen verriet jedoch, daß die Zollkennzeichen schon 2002 abgelaufen waren. "Servus! Was geht?", fragte ich ihn. Aber er verstand mich nicht. Er stellte fest, daß der Benz gut aussieht und fragte, ob er zu verkaufen war. Ich mußte ihn enttäuschen, er war nicht zum Verkauf und dazu noch ein Diesel. Den kriegt man hier schwer los, weil alle PKW Benziner sind. Ich ging wieder zurück. Nun, da das auch geklärt war, hoffte ich, ein paar Meter fahren zu können. Diesmal klappte es auch. Der nächste Stopp kam erst eine halbe Stunde später bei einer Polizeikontrolle. Doch dann konnten wir bis um 19 Uhr ungestört durchfahren. "Jetzt sind wir in Kyrene", sagte Almut. Und da wir schon mal da waren, suchten wir die Ausgrabungen und fanden diese auch relativ schnell. Ich parkte davor, setzte meinen Bauhelm mit der Kopflampe auf und wir gingen hinein. Das Tor stand offen. "Look! This is where we first met!" - den Satz kannte ich noch aus Titanic... Viel erkannte man nicht, aber wir waren uns ziemlich sicher, daß sich in elf Jahren nicht viel verändert hatte. Das Zeug steht hier schließlich schon seit zweitausend Jahren und keinem fiel ein, daß er hier alles umstellt. Warum auch?

Ich sah mich ein wenig um, ließ die letzten zehn, elf Jahre revue passieren, zog eine Billanz. Damals studierte Almut Arabistik, nun doziert sie, hat ihren Doktor gemacht und arbeitet nun an der nächsten Stufe. Und was habe ich in der Zeit gemacht? Hm. Einen guten Eindruck? Blöde Sprüche? Lotto gespielt - ab und zu? Da stand ich nun, ich armer Tor und war so reich, als wie zuvor. "Wir bleiben was wir waren: Der Schrecken der Barbaren..." Mehr fiel mir dazu nicht ein. Es war nicht einmal bedauerlich, denn ich würde es wieder genauso machen, egal ob absichtlich oder aus Versehen. Weiter geht's...
Als wir wieder am Auto waren und ich gerade losfahren wollte, kam ein Fahrzeug aus einem Waldweg mit hoher Geschwindigkeit auf uns zugefahren. Almut kam ein wenig aus der Ruhe - was mich immer stark beunruhigt und verunsichert. Wenn der uns nicht sieht, dann donnert er uns in die Flanke. Wenn er uns aber gesehen hat und ich zurücksetze, donnert er uns auch in die Flanke. Mir fiel der birmanesische Offizier von der 'Ipanema' ein: "If it is too tight, you lose your life. If it is too loose, you lose your life." Ich blieb einfach stehen und blinkte rechts. Die beiden Autos rasten hinter uns an uns vorbei. Es waren zwei Polizeifahrzeuge. Als sie die Straße erreicht hatten, schalteten sie Sirene und Rot-Weiß-Licht ein.
Wir fuhren noch zur Jugendherberge, in der wir damals übernachteten. Alles war neu gepflastert und sie machte einen deutlich gepflegteren Eindruck. Der Baum, unter dem ich damals geparkt hatte, stand immer noch da.

Stammparkplatz Jugendherberge Kyrene
Unser "Stammparkplatz" bei der Jugendherberge.

An einer neuen Tankstelle fragte ich nach Öl, denn langsam wurde es Zeit zum Nachfüllen. 11 LD sollte es kosten. Ich ließ es bleiben, in der Hoffnung, irgendwo billiger an das Zeug zu kommen. Wir fuhren zurück in die Stadt. Da es eh schon egal war, beschloß ich, zum Frisör zu gehen. Ich gehe nie zum Frisör. Zuletzt war ich in Corea-Town vor drei Jahren. Aber hier kann man das schon mal machen. Ich ging hinein in den Salon und wartete, bis der Herr Friseur den Kunden abgefertig hatte, der gerade auf dem Sessel saß. "Francia?", fragte er mich. "Fuck! Nein! Schau ich irgendwie schwul aus, oder was?", regte ich mich auf. "Germania!" "Na'am!", sagte ich. "Germany Hitler!" "Ja, genau. Das Germany!" Dann wurden auch alle Fußballspieler aufgezählt. Aber das war es dann schon wieder mit den Deutschkenntnissen. Im Fernseher lief Gaza. Ab und zu mußte der Frisör aufhören mit seiner Arbeit, weil der Kunde aufgrund der Bilder den Kopf so stark schütteln mußte. Und ich durfte wieder nicht lachen - aber es sah zu komisch aus, wenn der Frisör seine Schere zurückzog, als hätte er einen Schlag gekriegt. Und er versuchte immer wieder den Kopf des Kunden in Geradeusstellung zu bringen, aber das hielt nur ein paar Sekunden. Dann mußte er sich wieder aufregen. "Me Palestinian! Look! Look at this!", sagte er zu mir und zeigte auf den Fernseher. "We need new Hitler!", sagte er. "Hitler ma fisch!" Mehr konnte ich dazu auch nicht sagen, und ich hob die Schultern, als bedauerte ich zutiefst, ihm keinen Hitler aus dem Ärmel zaubern zu können. Und er schrie weiter mit dem Frisör. Aber allem Anschein nach konnte auch er seinen Wunsch nicht erfüllen. Ein weiterer Kunde kam in den Laden, schaltete um auf irgendein Fußballspiel, wurde aber sofort angewiesen, den Bericht wieder herzutun. Dann kam ich an die Reihe. Als ich merkte, daß er dabei war, sich zu verkünsteln, deutete ich auf das Haarschneidegerät, nahm den Aufsatz ab und meinte er solle das nehmen. Viel einfacher. Er schaute mich fragend an. "US-Marine!", sagte ich und zeigte auf meinen Schädel. Er verstand und machte. Ich hätte es selbst nicht besser machen können. Endlich fertig. Frisörbesuche nerven mehr als Zahnarztbesuche.

Nebenan war ein Lebensmittelladen, der wohl von irgendwelchen Ägyptern geführt wurde. Die konnten nämlich gut Englisch. Hinterher fuhren wir weiter in Richtung Tobruk. Ich wollte nach dem Weg fragen, um sicher zu gehen und ging in einen weiteren Laden. "How can I help you?", fragte mich der Typ gleich als ich hineinkam. Ich fragte nach dem Weg nach Tobruk. Ein zweiter Mensch, der gerade ankam, erklärte ihm, er würde vorausfahren. Das tat er auch. Wir waren komplett falsch. Erst, als wir aus der Ortschaft waren, fuhr er rechts ran und meinte, immer geradeaus. Und Gled wollte er natürlich keines. Ich erinnerte mich da an eine ähnliche Begebenheit in Mauretanien, als mit der Typ noch sundenlang hinterherlief und belästigte... Sowas gibt es hier nicht. Im Gegenteil. Es hat nämlich doch seine guten Seiten, daß hier nicht jeder Depp ohne Weiteres hineinkommt. Wo wenig Touristen sind, sind die Leute immer sehr nett und Gastfreundlich und man wird nicht abgezogen. Das ist hier immer noch so, das war in Kolumbien so, im Iran... Es sind die schönsten Reiseländer. Nun waren wir auf den richtigen Weg gebracht und fuhren durch die dunkle Nacht auf Tobruk zu.


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© by Markus Besold