Persien 2006
Mittwoch, 27. September

Michl hatte es tatsächlich geschafft, uns an die Pipeline zu bringen. Wir waren nur ein paar Segmente weiter, von hier aus konnte man die Arbeiter hören und auch sehen, wenn man bis zur Kuppe des leichten Hangs ging, auf dem wir uns befanden. Sie befanden sich einige hundert Meterentfernt, sahen uns jedoch nicht. Es nieselte, daher legten wir uns nicht neben das Auto, sondern in die Rohre. Da war es trocken, aber dafür auch ein wenig kälter und lauter, denn die Teile waren aus Stahl. Wenn man mit den Stiefelkappen dranstieß, schepperte es ganz erbärmlich. Die Teile waren auch an die 15 Meter lang, wenn man an einem Ende stand, konnte man sich flüsternd mit dem am anderen Ende befindlichen unterhalten. Es war nicht damit zu rechnen, daß sie in absehbarer Zeit die Rohre in die Erde versenken, in denen wir lagen. Das passiert nur in Zeichentrickfilmen.

282.497 km
17,98 m Länge, 4706 km Gewicht

Wir standen um acht auf. Es blieb bewölkt, der Regen hatte allerdings aufgehört. So packten wir zusammen und fuhren wieder nach Alexandoupolis hinein. Diesmal ohne Polizikontrolle. Ich parkte wieder vor dem Hafen und ging hinein zum Zoll. Diesmal war offen und ich fragte nach jemandem, der Englisch oder sowas konnte. War auch kein Problem. Die nationalisierung des Autos hingegen, war ein großes Problem. Das würde mindestens ein paar Tage dauern und das Fahrzeug wird vom Zoll in Augenschein genommen. Spätestens dann werden sie merken, daß das Auto nicht zugelassen ist. Das war nicht gut. Und er faselte etwas von dreitausend Euro, die man an Steuern nachzahlen müßte. "Vielen Dank, ich denke, Griechenland ist doch nicht so ganz das richtige, wiederseh'n." Verdammt! Ich finde, Korruption sollte sich jeder leisten können, hier in Griechenland ist das nur was für die Reichen. Ich ließ es also bleiben. Unten traf ich noch den Fahrer eines MB 100, der vor dem Zoll stand mit deutschen Ausfuhrkennzeichen. Ich fragte ihn, ob und wo ich griechische Ausfuhrkennzeichen bekommen könnte. "Nur eine24-Stunden-Genehmigung, die nicht verlängerbar ist", meinte er, aber die würde reichen, um bis zur Grenze zu kommen. Aber mit ein wenig Glück würde auch die selbstgebastelte ausreichen, die wir jetzt hatten. Ich hatte keinen Bock mehr auf dieses Theater. Jedes Ausfuhrkennzeichen, das man auf der Welt sieht ist deutsch. Wenn man nach Ausfuhrkennzeichen, Zollkennzeichen, Kurzzeitkennzeichen fragt, egal wo, wird man mit großen Augen angeschaut und gefragt, was das denn sei. Ich ging wieder zum Auto.

"Die Tür auf!", schrie ich zu Michl, der sich beeilte, die Tür von innen aufzumachen. "Depp!", bedankte ich mich und ließ mich in den Sitz fallen. "Also, es sieht so aus: Wir fahren weiter und probieren's in Italien nochmal. Alternativlich können wir hier einen weiteren Tag versitzen und abwarten, was morgen passiert. Da muß erst eine Genehmigung kommen oder sowas. Hört sich jedenfalls alles ganz häßlich an."
Wir beschlossen, erst zum Supermarkt und dann weiterzufahren.

Gegen zehn waren wir wieder auf der Straße und fuhren gen Westen. Wir waren etwa eine Stunde unterwegs, da sah ich neben der Straße, hinter den Bäumen ein gelbes Gebilde hochragen. Es sah so seltsam aus, da mußte ich einfach die Straße verlassen und mir ansehen, was das war.

Ein Mining-Truck mit Reifenpanne.

Der stand ganz einsam und verlassen im Gelände, weiter hinten lag noch eine Schaufel, wohl ein Aufsatz für ein noch größeres Teil. Der Grubenlaster schien schon länger hier zu stehen. An dem Teil ein Reifen zu wechseln dürfte auch ein wenig länger dauern als bei diesen Spielzeugreifen am Mercedes. Ich kletterte hoch, in das Führerhaus, das ich erst von den Spinnenweben befreien mußte. Alles war noch da, der Hinweis auf Deutsch, man solle die Gebrauchsanweisung beachten, selbst der Schlüssel steckte. Es fehlten nur die zwei Räder an der Backbordeseite, die Hupe und die verdammte Gebrauchsanweisung.
Auch von dort oben konnte ich weit und breit nichts und niemanden erkennen. Ob das hier so eine Art Schrottplatz war? Ich dachte nach: Dieses Teil läuft doch mit Diesel. Und der muß einen Tank haben, in dem man eine Party mit vierzig Leuten veranstalten konnte, das Fahrzeug stand herrenlos im Gelände und das schon seit Monaten, denn selbst die Hydraulikzylinder waren vom Flugrost befallen. "Wo ist denn der Tank?", fragte ich erstaunt, als ich ein paarmal um das Teil gewandert war und nichts entdecken konnte. "Was ist das?", fragte Almut und zeigte auf einen Behälter, den ich allerdings schnell als Pressluftbehälter entlarvte. Ich war verwirrt. Das Teil konnte unmöglich mit Luft betrieben sein. Ich suchte weiter. Ohne Erfolg. Vielleicht war der Preßluftbehälter doch der Tank, aber der Treibstoff reicht dann nur für eine halbe Stunde. Und nirgendwo eine Einfüllöffnung. Nochmal von vorn. Diesmal startete ich die Suche von dem mächtigen Motorblock aus. Wie aus dem Nichts standen plötzlich zwei Typen da. Wo waren die denn hergekommen? Die hatten irgendwelche schweren Leitungen dabei und kletterten nun ihrerseits auf dem toten Riesen herum. Kein Diesel umsonst. Was soll's. Weiter geht's.

Der nächste Halt war der Schrottplatz, den wir schon auf dem Hinweg aufgesucht hatten. Eine Türdichtung für Almuts Tür wäre nicht schlecht, und auch so hätte das Auto noch einige Kleinigkeiten vertragen können. Und wie schon auf dem Herweg, war auch jetzt niemand da. Bei der blauen Limousine fehlte die hintere Tür, beim Kombi waren noch alle Türen dran. Ich wartete eine Weile, Almut ging zur Tankstelle, um Kaffee und Cola zu holen. "Falls Du den Typen triffst, schick ihn her", brüllte ich ihr noch nach.

Als Almut nach geraumer Zeit mit Michl wieder kam, war ich dabei, die Türverkleidung des T-Modells abzunehmen. Wieder eine Weile später kam dann doch der Schrottplatzbesitzer, schien etwas beleidigt, weiß der Geier, warum, wollte auch kein Geld haben. "Dann eben nicht", sagte ich und wir fuhren weiter. So eine Heulsuse. Vielleicht wird die Tür mehr wert dadurch, daß sie Wind und Wetter ausgesetzt ist.

Auf dem Weg kamen wir an einem seltsamen Unfall vorbei. Vermutlich fiel er mir nur dadurch auf, daß ich ein Schwesterschiff am Landstraßenrand stehen sah, dann erst sah ich, daß dahinter ein Auto im Graben auf dem Dach lag. Der Fahrer des blauen Mercedes hatte einen offiziell aussehenden roten Kittel an, Sanitäter oder irgendwas. Und der suchte nach irgendwas im Grase in der Umgebeung des verunfallten Fahrzeugs.

Der Blaue Engel.

Maut mußten wir nun keine bezahlen, obwohl Mautstellen vorhanden waren. "Free Pass", hieß es stattdessen. In Grevena tankten wir für 10€, nachdem ich lange gesucht hatte und sogar versucht hatte, einen Tankstellenwärter zu bestechen, daß er mir das Steuerfreie gibt, aber da war nichts zu machen, bestechen dürfen hier nur die Reichen. Für 0,96¢ tankte ich, dann sah ich eine Tankstelle, die das Diesel für 0,92¢ verkaufte, fluchte wie ein Landsknecht, tankte den Rest dort noch voll, fuhr weiter. Michl sagte irgendwas, das mit "Ah!" anfing und unverständlich weiterging, und deutete nach hinten. Ich drehte mich um und stellte fest, daß Almuts Platz frei war. Blöd. Ich fuhr wieder zur Tankstelle zurück, Almut stieg ein, ich fuhr weiter und fluchte noch viel mehr als vorhin, als ich an einer Tankstelle vorbeifuhr, die nur 0,88¢ für den Liter verlangte. Typisch. So ein Dreck, aber auch! Da waren mir die landeseinheitlichen Preise im Iran doch lieber, als hier wo jeder seine Preise festlegen zu können scheint, wie er gerade mag.

Wir kamen um halb neun am Hafen an. Zwei Uniformierte standen am Eingang, wiesen uns in die Fahrspur neben der wir standen und begannen, das Auto zu durchsuchen. Hoffentlich merken die Penner nicht, daß an dem Auto keine einzige Schraube für den Straßenverkehr zugelassen ist. Sie ließen mich den Kofferraum ausräumen, wühlten vorne alles um. Ich mußte sogar das Blech vor dem Tank wegschrauben. Da hatte ich ein ungutes Gefühl, denn auf dem Tank lagen die Kurzzeitkennzeichen. Wenn die zwei und zwei zusammenzählen können, dann schauen sie sich die Kennzeichen in der Halterung mal genauer an. Ich nahm das Blech so raus, daß sie die Kennzeichen nicht sahen, reichte das Blech an Almut weiter und sagte: "Laß mal die Kennzeichen dezent verschwinden". Da schrie schon der nächste uniformierte Trottel, ich solle die Hupe ausbauen. "Was wollen diese Kanacken jetzt eigentlich?", es fing an, mich zu nerven. "Machen Sie mal langsam, OK?", sagte ich zu dem, der mir am idiotischsten erschien, "Wir reisen aus und nicht ein. Ich kann nicht alles gleichzeitig machen." Sie gingen dann bald und ich räumte alles wieder in den Kofferraum - bis auf den Müll. Den ließ ich liegen. Als wir wieder fertig waren, ging ich in die Station hinein und wusch mir die Hände. Eine Wache fuchtelte irgendwas auf ausländisch, aber ich nahm keine Notiz davon. Meine Hände waren schwarz, und ich mußte sie waschen und das alles wegen des von diesen armseligen Kreaturen veranstalteten Kasperl-Theaters. Nachdem ich es nicht geschafft hatte, den Dreck von meinen Händen gleichmäßig auf dem Spiegel zu verteilen, gab ich mich mit der tröpfchenförmigen Verteilung zufrieden und stiefelte wieder zum Auto zurück. "Scheiß Bullen. Jedes mal, wenn ich die seh krieg ich einen Ausschlag, aber im Ausland passiert mir das zum ersten mal", sagte ich zu Almut und zeigte ihr mein Handgelenk, das von roten Punkten übersät war. Ich stellte sicher, daß der Müll auch außerhalb des Autos zurückblieb, um dem uniformierten Müll gesellschaft zu leisten und um den Durchschnitts-IQ ein wenig zu erhöhen. So was bescheuertes. Das hatten wir auch auf der Rückfahrt von Libyen erlebt, bei der Ausreise aus Italien in die Schweiz. Daß die Italiener geistige U-Boote sind, das weiß man spätestens seit Mussolini. Aber damals fragten wir uns auch, warum die ein Auto durchsuchen, das gerade ausreist. Kann ihnen doch wurscht sein, was wir an Bord haben, sollen sich doch die Schweizer damit herumschlagen. Und hier waren es auch so Überbleibsel einer einstigen Kulturnation, die ein Auto bei der Ausreise auseinandernahmen. Kein Wunder, daß von Rom und Athen nichts übrig ist. Alles ist mittlerweile vernichtet, was diese beiden Weltreiche groß gemacht hat, nur die Dummheit nicht. Gegen die kämpfen selbst die Götter bekanntlich vergebens, die hat bis in unsere Tage überlebt, was uns diese Halbmenschen hier eindrucksvoll zu beweisen versuchten. Wir hätten es ihnen auch so geglaubt, hätten nur etwas zu sagen brauchen. Natürlich ist es uns auch hier wieder gelungen, ein ganzes Auto an diesen Vollidioten vorbeizuschmuggeln, ohne daß die Penner auch nur ansatzweise etwas gemerkt hatten. Dafür haben sie die Knaller beschlagnahmt. "Problem!", sagte er. Daß der ein Problem hat, ist klar, aber dabei handelt es sich nicht um die Knaller, die er beschlagnahmt hat, sondern um den Knall, den er von Geburt an hat. "Affen! Geht zurück auf Eure Bäume!"

Vor der Fähre.

Wir fuhren eine dreiviertel Stunde nach der Ankunft auf das Gelände und gingen hinein, dort wo die Schalter waren, um herauszufinden, wo wir das billigste Ticket herbekommen. Anek hatte das billigste Ticket. Allerdings fuhr die Fähre nicht nach Venedig, sondern nach Ancona. Diesmal nötigte ich Almut, zwei Deckspassagen und eine Kabine zu nehmen. Sie wollte aber gar keine. "Ist doch egal, wir können immer noch tauschen." Wieder eine Stunde später fuhren wir in den Laderaum. Die Einweiser waren wieder professionelle Chaoten, die nicht für einen Pfennig Denkvermögen besitzen. Konkretes Beispiel, tatsächlich passiert: Ich fahre das Auto rückwärts hinein in den Bauch der Fähre, der nächste Einweiser winkt mir zu und brüllt und zeigt auf den LKW, der sich etwa auf vier Uhr befand, ich mußte also ein Manöver fahren wie beim Einparken in der Fahrschule, nur etwas größer, denn ich mußte an der Wand vorbei, die vor dem LKW war.

Bald hatte ich den LKW auf sechs, die Wand, in der sich die Türen befanden, durch die die Fahrer in den Inneraum der Fähre gelangten, auf zwölf Uhr. Zwischen ihr und mir stand noch ein Auto. Und während mir der eine Idiot bedeutet, daß ich näher an den LKW fahren soll, weist der andere Idiot einen weiteren LKW so ein, daß er genau neben mir steht und der LKW neben ihm genau mit der Wand abschloß, so daß kein durchkommen mehr war.

"Ganz hinterfahren, sonst sinkt am Ende noch das Schiff..."

Nun kam kein Auto mehr an ihm vorbei, niemand konnte sich nunmehr in diesen ringsum von massiven Stahlwänden oder von tonnenschweren Lastern umgrenzten Kasten stellen. So konnte ich wiederum wieder von dem LKW wegfahren und mich in die Mitte der so entstandenen Parklücke stellen, die etwa zwei Fahrzeuglängen umfaßte. Auch mein Vordermann lockerte auf. Der Einweiser brüllte, ich solle zurückfahren, ich gab ihm wiederum ein Zeichen, er soll das Maul halten und sich verpissen. So ein Idiot! Es kommt kein Auto aus der Wand geschossen und der LKW neben mir war inzwischen durch weitere Autos selbst eingekeilt. Hier kommt nichts mehr - woher denn, wenn alles zu ist? - also kann ich mich so hinstellen, wie es für mich am bequemsten ist und für mich ist es nicht besonders bequem, wenn ich mich zwischen LKW und Anhängerkupplung durchquetschen muß, um an das Gepäck zu kommen. Mit vier Meter Abstand zum LKW geht das viel besser. Dazu brauche ich keinen geistig minderbemittelten Einweiser, der sich wichtigmachen muß, nur weil er einen blauen Overall anhat. Andererseits ist klar, daß er nicht erkennen kann, daß das Manöver, das er mir befiehlt, noch sinnloser ist, als sein Beruf. Genauso können sie ein paar Affen aus dem Zoo diese Arbeit machen lassen. Die springen auch nur auf und ab, geben unartikulierte Laute von sich und gestikulieren wild in alle Richtungen. Kein Hirn, kein System, keiner weiß, was er macht, geschweige denn, was der andere macht. Und wenn man die Leute in den Autos so beobachtet, stellt man fest, daß die Einheimischen und die LKW-Fahrer, die sich womöglich jede Woche dieses Affentheater ansehen, die Protagonisten gar nicht mehr wahrnehmen. Die nehmen das Gebrüll als Zeichen zum anfahren und zum anhalten, aber sie fahren doch so, wie sie meinen.

Kaum waren wir an Deck, schon legte die Fähre ab und kaum hatte sie abgelegt, fing es an zu regnen, aber gescheit. Innerhalb kürzester Zeit standen wir im Wasser, das beständig hin- und herschwappte. Wir wollten nach Möglichkeit, daß Almut eine Dreierkabine für sich alleine bekam. Wenn das klappt, ist es gut, aber selbst wenn nicht, hatten wir immerhin einen Platz, an dem wir unser Gepäck lassen konnten. Ich beschlagnahmte für mich sofort den Platz vor der Rezeption. Im Halbdunkel unter der Treppe war es sehr gemütlich.

Vor der Rezeption.

Der Plan mit der Kabine ging natürlich schief. Wer rechnet auch damit, daß im Zeitalter der Gleichberechtigung die Kabinen nach Geschlechtern aufgeteilt sind? Und Almut hatte eine Zimmergenossin. Nun mußte Almut in die Kabine, aber was soll's. Schadet ihr nichts. Ich legte mich auf den Teppich, nahm ein Handtuch als Kopfkissen und schlief.


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