Persien 2006
Dienstag, 26. September

Es hatte in der Nacht nicht geregnet. Wir wachten auf, es war bewölkt, aber dennoch trocken. Sogar die Luftfeuchtigkeit hatte sich zurückgehalten. Außerdem war es schön, mal wieder an einer Tankstelle zu übernachten ohne fettes Geschrei. Meine Güte. Reisen kann so schön unkompliziert sein, wenn nicht ständig einer am krakeelen ist.

Karamursel / 282.054 km / 09:15 Uhr
Unser Nachtplatz an der Akpet-Tankstelle

Wir machten uns fertig und fiuhren weiter. Bis Istanbul war es nicht mehr weit. Auf dem Herweg hatten wir nicht soviel Maut zu zahlen wie jetzt. Auch irgendwo vor Istanbul, bei Mimarsinan, wo ich nochmal an einer Tankstelle hinausfuhr, war das Diesel mit 2,22 YTL über zwanzig Punkte hinterm Komma billiger als weiter im Osten (2,44 YTL). Der Weg nach Osten ist billig, der nach Westen teuer, scheint fast so, als wollte die Obrigkeit die Bewohner des Ostens auch im Osten halten. Tanken wollten wir möglichst erst wieder in Griechenland, wo das Diesel wesentlich billiger ist als in der Türkei, daher tankte ich nur gerade soviel in den Tank, daß uns das Diesel nicht ausging.

Je näher wir an Istanbul kamen, desto zäher floß der Verkehr. Warum, das erklärte Michl: Es führen nur zwei Brücken über den Bosporus, der gesamte Verkehr muß also über diese zwei Brücken, da muß rund um die Uhr Stau sein. Zwar gibt es auch noch ein paar Fähren, aber die schaffen nicht viel weg. Wir waren auf dem Hinweg schon über die Bosporus-Brücke gefahren und taten dies nun in umgekehrter Richtung.

Nun verließen wir Anatolien und fuhren nach Thrakien.
Mehr zur Bosporus-Brücke gibt's bei Wikipedia.

Thrakien ist bereits wieder Europa, obgleich man hier keinen Kulturshock erleidet, weil die eine Seite genauso aussieht, wie die andere, die Unterschiede werden sich nun langsam imm Laufe der Kilometer einstellen. Auch durch den europäischen Teil von Istanbul fuhren wir nur durch. Bis zur Grenze waren es nur noch wenig mehr als hundert Kilometer, schätzungsweise.

In Malkara (282.300 km / 13:15 Uhr) tankten wir erneut. Hier war der Diesel an allen Tankstellen bei 2,24 YTL, also war er wieder ein wenig teurer geworden. Ab und zu kommt der Klassiker: Man fährt und wartet, immer in der Hoffnung, daß die nächste Tankstelle billiger ist, gibt irgendwann genervt auf, tankt und an der nächsten Kreuzung fährt man an der Tankstelle vorbei, an der es billiger gewesen wäre. Passiert immmer wieder und man ärgert sich, weil man nun glatt zweieinhalb Pfennige zuviel gezahlt hat.

"Was machen wir jetzt mit dem Kennzeichen?", fragte ich Almut. "Was würdest Du vorschlagen?", kam die typische, unverfängliche ich-will-mich-auf-keinen-Fall-festnageln-Gegenfrage. Wir haben die Möglichkeit, gleich an der Grenze den Griechen zu sagen, daß wir eine Zulassung brauchen. Das Problem ist, daß wir es damit offiziell machen, daß wir keine Zulassung haben, und wenn die dann mit Zoll-Caution und Versicherung daherkommen, dann sind wir mit der Barschaft schnell am Ende. Europa ist schon nervig, wenn man selber Europäer ist. Da fällt einem vieles nicht auf. Als Europäer fährt man durch die halbe Welt und hat kaum Probleme, aber ich kann mir durchaus vorstellen, daß es für angehörige anderer Kontinente sogut wie unmöglich ist, in Europa das gleiche zu tun. Und was, wenn die auf dem Standpunkt stehen, daß wir das Auto gerade importieren und Einfuhrsteuer zahlen müssen. Wir hatten alle europäische Pässe, das Auto käme gerade aus der Türkei und bräuchte eine Zulassung. Wir entschlossen uns, nur dann was zu sagen, wenn sie an der Grenze selber etwas merken.

Au dem Weg aus Istanbul

Um 14:10 Uhr (282.373 km) waren wir an der Grenze angekommen. Irgendwie hatte ich bei Grenzen immer ein mulmiges Gefühl. Völlig überflüssig wäre es, wenn die Türken nun die Papiere genauer ansehen. Ich bin zwar fünf Jahre lang mit einem ungültigen Paß durch etwa zwanzig Länder gereist, aber bei Fahrzeugpapieren kann man sich schlechter herausreden. Beim Paß kann man immer sagen, man habe davon nichts gewußt. Meine Bedenken wurden innerhalb von einer Minute beseitigt, denn das war genau die Zeit, die der Zoll benötigte, um uns anzufertigen. Dann mußten wir hinter einem Bus warten, bis dieser abgefertigt wurde, und damit fortfahren konnte, seinen Teil zur Völkerwanderung beizutragen. Wir kamen dran, bekamen unsere Stempel und durften weiterfahren. Obwohl keine große Schlange war, obwohl wir zügig abgefertigt wurden, dauerte es doch ganze fünfzig Minuten, bis wir überhaupt aus der Türkei ausgereist waren.

Wir fuhren über die Brücke, die erst rot-weiß, dann blau-weiß angestrichen war und standen bald auf griechischer Seite. Sie schauten nur, fragten nach den Pässen, es gab eine kurze Durchsucheng und wir durften weiter. Der Zöllner sprach ein wenig Deutsch, aber ich wollte dennoch nicht ihn fragen, ob er uns mit der Zulassung weiterhelfen kann. Das erschien mir in dem Augenblick zu riskant. Wir fuhren weiter nach Alexandroupolis hinein. Dort gab es einen Hafen und wo ein Hafen ist, ist auch ein Zoll.

Es waren nur wenige Kilometer, bald waren wir da. Nun ging die Sucherei los. Ich sprach kein Wort Griechisch, gerade, daß ich lesen kann, was so angeschrieben ist - das ist alles, was mir vom Griechischunterricht geblieben ist. Ich fuhr zu einem hotel und fragte nach der Zulassungsstelle. Der Typ sprach zwar Englisch, aber mit DMV konnte er nichtws anfangen. Und jetzt erklär mal einer einem Griechen auf Englisch, was eine Zulassungsstelle ist. Es klappte nicht, also fuhr ich weiter in der Hoffnung, daß sich irgendwas findet. Ich fuhr mehrmals den Hafen auf und ab, aber ich fand keinen Hinweis auf den Zoll. Dann kam mir die Idee, daß ich doch zu einem Autohändler fahren konnte und dort nachfragen.
Wir fuhren auf die lange Durchfahrtsstraße. Anhänger-, Traktoren, Motorrad- und Bootshändler fanden wir. Nach einem Autohändler mußten wir etwas länger suchen. Den ersten, den wir fanden, der hatte zu. Wir fuhren weiter und fanden schließlich einen Opelhändler. Ich ging hinein und fragte nach jemandem, der Englisch sprach. Man rief jemanden, er stellte sich vor und ich legte los. Ich erklärte ihm den Plan: Ich möchte mein Auto in Griechenland zulassen. Zu diesem Zwecke müßte er mir praktisch mein eigenes Auto verkaufen - mit griechischer Zulassung, versteht sich. Er verstand, was ich meinte, doch der Plan hatte eine kleine Macke: Um mir mein Auto zu verkaufen, mußte er es erst importieren. "Und in Grichenland", warnte er mich, "sei die importsteuer oft so hoch, daß es sich nicht lohnt. Was ist es denn für ein Auto?" "1982er Mercedes Diesel", sagte ich. Er wüßte es zwar nicht genau, aber die Importsteuer könnte durchaus mehrere tausend Euro betragen. "Hä? Ist das hier nun EU oder nicht?", fragte ich. Er vermutete, das hätte an der Importsteuer wenig geändert, aber ganz sicher war er sich nicht. Er schickte mich zum Zoll. "Wie keißt denn das auf Griechisch?" "Zoll? Tellonioh."

 

Wir also zurück zum Hafen und nach diesem Tellonioh fragen oder schauen. Ich fuhr zurück zum Hafen und parkte vor dem Eingang. Ich wollte nicht mit dem Auto hineinfahren und unnötig das Risiko eingehen, daß man mit draufkommt, daß es nicht zugelassen ist. Kaum war ich durch das Tor gelaufen, geriet ich in einen Schwarm von Fluginsekten, vermutlich Drosophilae. Ich hasse diese Drecksviecher! Ich hatte sie nun im Kragen, in den Augen, in der Nase, überall. Ich ging weiter zum Zoll. Die erste Schranke war zu, die Häuschen, von denen aus die bedient wurden, waren geschlossen, niemand drin. Als ich mich umsah, bemerkte ich, daß ich überhaupt niemanden sah. Das ganze Gelände war wie ausgestorben, in der Richtung, aus der ich gekommen war, standen ein paar Laster, bei einem davon lief der Motor, von ferne bellte ein Köter. Aber sonst war alles still. Ich ging um die Häuschen herum, versuchte, die Türen aufzumachen, aber die waren beide geschlossen. Wenn man jemanden sprechen will und es ist keiner da, dann macht man am besten etwas seltsamen, dann wir sich schon einer melden. Das funktioniert immer. Keine Kassiererin im Supermarkt? Artikel selber einscannen und an der Kasse herumdrücken. Kellnerin steht an der Theke und schwätzt? Glas auf den Boden werfen. Zöllner nicht vorhanden? Computer einpacken und gehen. Das Problem hier war, daß die Türen zu waren, die Fenster auch, ließen sich auch mit verstärktem Druck nicht öffnen. Aus dem Haus, das auf der anderen Seite stand, schrie plötzlich eine Stimme. Sag ich doch, das funktioniert meistens. Ich deutete auf das Häuschen zuckte mit den Schultern, schrie zurück: "Tellonioh!" Er kam aus dem Haus und zeigte auf drei Häuser, die weiter unten standen. Zwei kleine und in der Mitte ein großes. "Small no, small no, no small yes", sagte er. Eindeutig: Er meinte das große. Ich bedankte mich und ging hin. Wieder vernahm ich das Hundegebell. Sicherheitshalber nahm ich einen Stein auf. Am großen Haus angekommen, stellte ich fest, daß die Tür verschlossen war. Zu. Dreck!

Ich ging also den langen weg wieder zum Auto zurück und überlegte, was nun getan werden konnte. Es war gegen fünf. Wieder geriet ich in den Schwarm Fruchtfliegen. Hatte ich in meiner Gedankenversenkung vergessen. Ich ging zum Auto. Michl starrte aus dem Fenster, Almut sah mich herankommen, beugte sich über Michl drüber, um mir die Tür aufzumachen - ihn muß man erst schriftlich auffordern. "Und?", fragte sie. "Zu", sagte ich, "Plan: Wir fahren in ein Internet-Café und ich schau nach, was es im Netz so gibt." Wir brauchten nicht lange suchen. Bald saßen wir in einem Internet-Café. Man merkte sofort, daß man wieder in Europa war: Die Qualität der Speisen und Getränke war etwas höher, die Preise waren dafür wesentlich höher und für Internet mußte man 5€ pro Stunde bezahlen, wobei die Verbindung die schlechteste war, die wir bisher geboten bekommen hatten. Ständig war man damit beschäftigt, die abgerissene Drahtlosverbindung wieder herzustellen. Schlecht und teuer. Im Iran konnte man für dieses Geld einen ganzen Tag im Internet verbringen, sich zwei Liter Coca-Cola bestellen und mit dem Wechselgeld sogar noch volltanken. Das war vorbei. Und dadurch war es mit der Gemütlichkeit auch schon wieder vorbei. Sechzig abgezählte Minuten heißt, am Computer arbeiten, statt gemütlich zu surfen und nebenbei Sandwich essen, Cola schlürfen. War nicht drin.

Zur Kfz-Zulassung in Griechenland kann man einiges finden. Taxierungstabellen, Gebühren usw. Einen Wohnsitz braucht man wohl nicht, aber es scheint sich um eine langwierige Angelegenheit zu handeln. Kaufvertrag übersetzen, beglaubigen, Fahrzeug schätzen lassen, und soweit ich mitbekommen habe, ist es auch noch so, daß die Griechen horrende Summen für importierte Autos verlangen, auch wenn diese aus der EU kommen. Zwar dürfen sie das nicht, aber die Griechen interessiert es wenig, war die Narren in Brüssel vor sich hinbeschließen. Griechenland muß dafür Strafe zahlen, wenn es EU-Waren mit Einfuhrsteuern belegt. Soweit reicht die Macht der EU. Aber es rechnet sich, mit dem Geld von der Einfuhrsteuer, die Strafe zu bezahlen, denn es bleibt mehr als die Hälfte übrig. Die Steuer ist jetzt nur doppelt so hoch wie noch vor einigen Jahren. Zumindest habe ich das so verstanden. Alles kompliziert. Wie sieht es in Italien aus? Nicht viel besser. Als die Stunde vorüber war, blieben wir noch und besprachen das weitere Vorgehen. Fest stand, nach den Recherchen, daß Dieselautos nur außerhalb Athens und Thessalonikis zugelassen werden konnten. "Das heißt, wir bleiben entweder hier in der Gegend, können dann morgen gleich in der Früh die Zulassung erledigen oder auch nicht, oder wir fahren jetzt noch weiter und suchen dann morgen hinter Thessaloniki wieder einen Zoll. Zeitsparender wäre es, hier zu bleiben, bei der Pipeline zu übernachten und morgen wieder hierherzufahren.

Wir gingen zum Auto. Ich stellte das Navi ein: "Michl, nur Pipeline." Er lotste uns und wir fuhren in Richtung Westen. Es ging die Serpentinen hinunter und ich optimierte jede Kurve, bis plötzlich ein dunkelblau-weißer SUV im Bild erschien, der am Straßenrand quer geparkt war. "Blöd." Ich fuhr wieder normal und versuchte die Vielleicht -haben-sie-ja-nichts-gemerkt-Tour. Ich weiß nicht, ob sie funktioniert hat oder nicht. Sie zogen uns raus, waren aber nicht erbost darüber, daß ich beide Fahrbahnen benutzt hatte oder sie hatten es nicht gesehen. Sie fragten nach den Papieren. Ich gab ihnen die drei Pässe und bemühte mich dabei, so normal wie möglich zu schauen. Wenn sie jetzt nach den Fahrzeugpapieren fragen, wird's unangenehm. Dann würde sich nämlich eine Diskussion entwickeln - und da hatten wir schlechte Papiere.

Aber sie gaben uns einfach die Pässe zurück und wünschten gute Weiterfahrt. Sowas brauche ich nicht jeden Abend, also zur Pipeline und nichts wie ab in die Koje. Wir fanden die Pipeline relativ schnell. Allerdings wurde da gearbeitet und man hatte unsere Rohre bereits verlegt. "Unverschämtheit! Und wo sollen wir jetzt schlafen? Asoziales Pack, da unten..." Ich stieg wieder ein und wir fuhren weiter. Die Pipeline mußte irgendwo weitergehen. Wir fanden sie nicht, fanden aber auch keinen Platz, an dem wir bleiben konnten. Nur geschlossene Dorftankstellen, aber nichts an der Autobahn, auch keine verlassene Hütte auf dem Acker, die ein Dach bot, nichts. "Die Pipeline muß irgendwo weitergehen", sagte Michl, "wenn wir nach Osten fahren, müssen wir wieder auf sie treffen, ich kann mich nämlich erinnern, daß ich die Pipeline am Tag nachdem wir hier übernachtet hatten nochmal gesehen habe." Das wird schon stimmen, also folge ich seinen Anweisungen. Es wurde langsam Mitternacht.


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