Persien 2006
Sonntag, 10. September

Die Nacht verlief ruhig. Wir wurden nicht angegriffen. Weder von Kötern noch von Insekten noch von Bauarbeitern. Die waren allerdings schon aktiv, als ich aufwachte. Ausnahmsweise war Michl vor mir bereits wach. Er meldete, Bauarbeiter gesichtet zu haben. "Warum sagst Du mir das erst jetzt?", wollte ich wissen. "Ja, mei... Du hast ja nicht gefragt", antwortete er wahrheitsgemäß. Die Antwort typisch Michl: Zwar ernstgemeint, aber nicht ernst zu nehmen. Wie soll ich auch fragen, wenn ich schlafe? Lassen wir das. "Fertigmachen!" Wir räumten alles zusammen und sahen zu, daß wir weiterkamen. Die nächste Station sollte Teheran sein. Auf dem Weg war nichts mehr, und zeitmäßig war es auch so, daß wir uns nun langsam in Richtung Grenze bewegen sollten.

Auf dem Weg zur Straße.

Die Grenze versprach spannend zu werden. Eigentlich durften wir das Land gar nicht über diese Grenze verlassen, aber ich dachte mir, in Teheran würden sich schon Mittel und Wege finden, es doch hinzubiegen. Bisher hatte ja alles soweit hingehauen. Ich brauchte nur eine gute Ausrede. Und im Erfinden von Ausreden war ich schon immer recht talentiert. Genug Zeit dafür hatte ich. Es waren noch an über 700 km bis Teheran. Aber es war noch vor Sonnenuntergang zu machen, wenn der Verkehr einigermaßen flüssig blieb. Es war nämlich noch relativ früh. Erst acht Uhr. Wir fuhren auf die Straße und fuhren eine halbe Stunde. Als ich eine Tankstelle erblickte (8:30 Uhr / 277.300), an der keine kilometerlange LKW-Schlange zu sehen war, zog ich hinaus und tankte vorsorglich die Kanister voll und rundete mit dem Tank auf. Mit Hängen und Würgen schaffte ich es, die 4.000 Rial zu komplettieren. Das ist nicht leicht. Der Verkehr blieb tatsächlich flüssig.Unfall auf der Strecke Mashhad - Teheran. Die Iraner auf diesem Abschnitt überschlugen sich geradezu vor Eile, wie man auf dem Bild links gut erkennen kann. Zwei Autos hatten es geschafft, auf einer Strecke, die seit Kilometern nur geradeaus führte, von der Fahrbahn abzukommen und sich, allem Anschein nach, einige Male wörtlich zu überschlagen. Von weitem sah es aus, als würden sie Land vermessen, doch als wir näherkamen, sahen wir deutlich, daß beide Fahrzeuge stark verformt und mit dem Sand der Umgebung gut eingedeckt waren. Ambulanz und Polizei waren auch schon da, und kümmerten sich um eine Frau, die neben einem der Auttos saß und ein Kind auf dem Schoß hielt. Man muß den Fahrern allerdings zugutehalten, daß sie wenigstens die Strommasten stehengelassen hatten. Zum glück besteht der größte Teil dieses Landes aus Wüste. Das bietet viele Vorteile: Schöne Landschaft, wenig Verkehr, einfache Nachtplatzsuche, Trockenheit, folglich Regenunwahrscheinlichkeit, und - man lernt nie aus - wenig Hindernisse abseits des Asphalts, die bei entsprechender Fahrweise einen ungeahnt hohen Letalfaktor in sich bergen. Im Gebirge würde ich an dieser Stelle von schätzungsweise mindestens sechs Toten zu berichten wissen. Hier war die Zahl deutlich niedriger. "Let's see... Es ist zehn vore neun, wir fahren noch bis schätzungsweise fünf Uhr... Wir sehen weiter vor noch ein paar Unfälle... Du siehst, man bekommt hier was geboten für sein Geld."

Drei Stunden später fuhr ich wwieder an einer Tankstelle hinaus, weil wieder nur wenige LKW anstanden. Ich tankte wieder voll. Während dieses Vorgangs hupte ein LKW ständig ohne erkennbaren Grund. "Kannst Du den Idioten abstellen?", fragte ich den Tankwart, aber der verstand nichts. Selbst wenn er die Deutsch gesprochen hätte. Die Tröte war einfach zu laut. Ich zahlte und stieg wieder ein. Lauter seltsame Leute an dieser Tankstelle. Der eine fährt Rückwärts und schaut vorwärts, der andere gießt ein Stück Asphalt, der nächste poliert eine kaputte Fensterscheibe... "Fahren wir lieber", meinte Michl, "hier sind lauter Depperte." Wenn es selbst ihm auffällt, dann ist es wirklich schlimm. Wahrscheinlich ist hier irgendwo eine Irrananstalt und die sind alle ausgebrochen.

Nach dem Tanken gibt es traditionsgemäß eine Verdauungscigarette. Meine Schachtel war leer. "Kippe", sagte ich zu Michl. "Ich hab keine mehr. Die sind leer." Ich griff hinter den Fahrersitz. "War da nicht noch eine Stange?" "Ja. Aber die haben wir schon aufgeraucht." Groß. Dann eben nicht. In Shahud hielten wir, um Nachschub zu holen. Nun war es nicht mehr weit bis Teheran. Die Strecke war schön, zwar weitgehend gerade, aber es ging doch auf und ab. "Achtung! Null!!!", und schon ging es wieder stark bergab, wie in der Achterbahn. Machte sehr viel Spaß, nötigte allerdings einige Einheimische zu einem Ausflug in die umliegende Botanik, besonders dann, wenn hinter dem Hügel eine engere Kurve kam. Die sieht man eigentlich immer von dem Gipfel der vorangehenden Welle aus, doch dazu muß man auch auf die Straße schauen, nicht auf die Hupe oder in den Aschenbecher, wie man es hier wohl in der Fahrschule beigebracht bekäme, wenn es hier welche gäbe. In den Vororten von Teheran nahm ich einen Speed-Bump etwas zu schnell, weil ich mich von einer Chaotentruppe absetzen wollte. Ich hörte zwar ein metallisches Geräusch, nahm es zur Kenntnis und fuhr weiter ohne anzuhalten.

Um Punkt 16:00 Uhr waren wir in Teheran. "Schaffen wir es noch vor dem Berufsverkehr zum Hotel?" "Locker", sagte Michl. Ungünstige Uhrzeiten sind laut Reiseführer alle Uhrzeiten, in denen eine 7, eine 8 oder eine 9 vorkommt. Die gilt es zu meiden, denn da wird die allgemeine Idiotie noch potenziert. An einer Kreuzung wollte ich rechts abbiegen. Als Querverkehr hatte ich einige Busse, die mich zwar nicht störten, da ich ja, wie gesagt, rechts abbiegen wollte. Nur funktionierte das nicht, weil ein Turbo-Opa auf dem Mofa rechts an mir vorbeifuhr und vor den Bussen stehenblieb, so daß er nun genau vor mir stand. "Da hast jetzt viel davon, Du Hornochs, Du blöder!", brüllte ich ihn an. Die checken's einfach nicht. Das ist ein dermaßen sinnloses Manöver, denn er gewann nun genau zwei Meter. Ebenso sinnlos war das Hupen des Spezialisten hinter mir. Sollte ich den Opa ignorieren? Oder wegschieben? Oder beides? Ich gab meinem Hintermann ein Zeichen, er solle einfach obenrum fahren. In der gleichen Sekunde bereute ich es schon wieder, denn ich traute denen mittlerweile zu, daß sie es tatsächlich auf einen Versuch ankommen lassen würden.
Bald darauf waren wir am Hotel angekommen. Ich ging zur Rezeption. Die Madame war wieder da. "It's me! Hooray!!!", begrüßte ich sie lautstark. "Nur zwei ganz kurze fragen: Ich hatte vor ein paar Stunden angerufen, weil ich mein Duschgel in Zimmer 105 vergessen hatte. Haben sie es vielleicht..." Sie griff unter den Tresen und reichte mir das Duschgel und das Spülmittel, bevor ich den Satz noch zu Ende gesprochen hatte. Da war es also die ganze Zeit versteckt gewesen. Kein Wunder, daß ich es im Kofferraum nicht gefunden hatte. Ich nahm beides und ging zur Tür. "Was war die zweite kleine Frage", wollte sie wissen. "Achso, ja. So ein Zimmer bräuchte ich, wenn sie denn eines frei hätten." Hatte sie. Dann wäre das ja alles geklärt. Sie ließ das Tor aufmachen. Als ich zum Auto zurücklatschte, bemerkte ich, daß der Endtopf herunterhing. Das war also das metallische Geräusch vorhin gewesen. "Blöd", sagte ich leis' und artig, als ich ins Auto stieg. Keine Reaktion von Michl. "Blööhöd!!!", brüllte ich ihm mitten ins Ohr. "Ah, was ist blöd?" "Außer Dir, auch noch die Tatsache, daß ich den Auspuff irgendwie aufsitzen hab lassen. Das heißt wir stiefeln jetzt los und besorgen Auspuffgummis. Fertigmachen." Ich fuhr das Auto auf den Hof des Hotels. Die Sachen ließen wir erst noch im Auto. Das hatte Zeit bis später.

Im Sturmschritt liefen wir die enge Gasse in Richtung der großen Straße. "Hitler! Hitler!", begrüßte uns unser Freund Reifentandler. "In Englisch we say: 'Cigarette' ", grüßte ich, und reichte ihm eine Cigarette. "Du! Geh weiter. Ich brauch Reifen. Zwei. Und einen Zettel und ein Papier", fuhr ich fort, während ich meine Cigarette rauchte. Das ganze muß man natürlich durch Gestik untermalen, sonst kommt die Aussage nicht oder falsch an. "Reifen", wiederholte Michl. Wenn mir was auf den Nerv geht, dann wenn mich einer beim Reden unterstützen will, der nie gelernt hat, sich halbwegs zu artikulieren. "Sag ihm auch gleich noch die Größe!", schlug ich Michl vor. "Was für 'ne Größe?" Von dem linken Turnschuh meines Onkels. "Geh Du mal Cola holen!", schickte ich ihn weg, "Wenn ich rhetorische Unterstützung brauch, dann frag ich jemanden, der Sprechen kann. Depp!"
Der Reifenheini brachte mir Papier und Stift, ich schrieb ihm die Größe auf." Ein Iraner, der Englisch konnte kam hinzu ud fragte, ob er übersetzen soll. "Ja, bitte. Ich brauche zwei Reifen in der Größe. Möglichst billig. Er übersetzte. Nach einer Weile fragte man mich: "Koreanische oder Iranische?" "Iranische, natürlich. Koreanische kann ich daheim auch kaufen." Und als Nebeneffekt kam hinzu, daß zwei iranische Reifen mit 60$ um 30$ billiger waren, als die koreanische. "Gut. Also zwei iranische und dann hätte ich noch einen Reifen zum Reparieren. Ich ging zum Hotel, holte die beiden Reifen vom Dach und rollte sie die Gasse entlang bis zum Laden. Dort offenbarte man mir, daß sie iranische in der Größe nicht hätten. "Dann eben einen koreanischen." Einen wollte er mir nicht verkaufen. Mindestens zwei. Ich versuchte es noch ein paar mal. Keine Chance. "OK. Dann machen wir es anders". Ich ging los und montierte den vorderen linken Reifen vom Auto ab. Der war innen ganz schön abgefahren. Als der dritte Reifen auch noch in dem Laden war, rief ich den Typen her. Seinen Namen kannte ich nicht, stellte aber fest, daß er auf "Eier Toller" ansprach. Der Übersetzer stand schon parat: "Also, paß auf: Den da", ich deutete auf den Reifen, den es uns in Griechenland zerfetzt hatte, "weg. Den da", und deutete auf den, der ein kleines Loch hatte, "reparieren. Und den da", auf den von vorne links bezugnehmend, "umdrehen." Er hatte verstanden. "Umdrehen? Das Teil ist total im Eimer." Das wußte ich selbst. Doch wußte ich aus Erfahrung, daß durchaus noch ein paar hundert Kilometer damit abgespult werden konnten. Ob ich keinen Reifen haben wollte. "Doch. Iran, 175 R 14." Hatten sie nicht. "Dann nicht..." Ich gab ihm ein Zeichen, er solle loslegen. Er machte sich an die Arbeit. Ich unterhielt mich mit dem Übersetzer. Er war sehr interessiert an der Meinung, die die Deutschen vom Iran hatten. Ich sagte es ihm. Auch hier hatte ich wieder einen Regimegegner vor mir. "Was habt Ihr alle nur gegen Euren Präsidenten? Ich finde ihn cool." Daraufhin schimpfte er weiter über das System im Iran. Und über die Geistlichen, und überhaupt, alles Scheiße. Der Reifentandler meldete sich zwischendrin: "Hitler! Whiskey, Whiskey!" "Was will er?", fragte ich den Übersetzer. "Habt ihr Whiskey oder Bier dabei?" Ich sagte zum Tandler: "Hitler Whiskey no. Mohammed Whiskey no. Coca-Cola good." In dem Moment kam auch schon Michl mit zwei großen Cola-Flaschen um die Ecke gebogen. Ich fragte ihn gar nicht erst, warum das eine Stunde gedauert hat. Eilig hatte es ja niemand. Ich unterhielt mich weiter mit dem Übersetzer. Er wollte wissen, wie es in Deutschland ist. "Lovely! Das Wetter ist immer beschissen, ständig erzählt Dir ein mündiger Bürger, was Du nicht tun darfst, was alles strafbar ist, auf Schritt und Tritt wird man kontrolliert und ständig wird etwas bemängelt. Der Staat erklärt Dir, wann Du Dir ein neues Auto kaufen mußt. Geld gibt's dafür aber keines, im Gegenteil. Für Regenwasser muß man bezahlen, Atemluft wird demnächst auch versteuert. Let's see, what else... Ständig jammert jeder, wie schlecht es ihm geht. Jeder überwacht jeden, keiner hat ein eigenes Leben und muß sich um das der anderen kümmern." Er hörte sich das eine Weile an, dann fragte er, ob es denn in Deutschland auch gute Sachen gibt. "Ja. Es gibt verschiedene Flughäfen und Grenzübergänge, über die man das Land verlassen kann. Die sind meist gut. Man braucht nicht Arbeiten und kann trotzdem Mercedes fahren. Das fand ich auch immer sehr angenehm, aber das Fahren macht nicht wirklich Spaß dort. Sonst..? Fällt mir beim besten Willen nichts ein. Aber ich wäre nicht nach Los Angeles gegangen, wenn ich Deutschland so toll gefunden hätte." Er meinte, daß er auch einmal in die USA wollte. Er hätte Verwandschaft dort. "Dort soll es aber gut sein". "Ja", sagte ich ohne zu überlegen, "das kann ich bestätigen. Das kalifornische Wetter ist nahezu perfekt, man kann Geld verdienen, jeder kann mehr oder weniger machen, was er will." "Aber es soll auch ein wenig gefährlich sein", wandte er ein. "Man kann nicht alles haben. In Berlin oder Frankfurt ist es noch beschissener. Dort ist es auch noch verboten, sich zu wehren. Wenn man in den USA einen Einbrecher erschießt ist er tot, macht man das in Deutschland, wandert man ins Gefängnis. Die stehen unter Artenschutz, denn in Deutschland gibt es nicht so viele Einbrecher. Vielleicht deswegen, weil man nicht ins Haus gelangt, indem man der Wand einen Tritt versetzt. Aber das Thema wird jetzt zu Umfangreich..."
Der Reifentandler war mit dem Umdrehen des Reifens fertig. Ich nahm den umgedrehten Reifen und ging gleich los zum Auto, um den anzubringen. Sieht blöd aus, wenn das Auto auf diesem Wagenheber hängt. Kurz darauff war ich wieder zurück, um die Felge und den gerichteten Reifen zu holen. "Wieviel?", wollte ich wissen und zückte den Geldbeutel. Er winkte ab. "Wie?" "No, no, welcome". Ich gab ihm umgerechnet fünf Euro und ging. Schließlich mußten noch Auspuffgummis her. Nachdem ich die Felge und den Reifen auf dem Dach befestigt und den übriggebliebenen Auspuffgummi abgenommen hatte, ging ich wieder zurück. In dem Laden neben dem Reifentandler stand ein Mann vor der Tür, der mich mit diesem Gummi in Richtung Straße latschen sah, und hielt mich an. Ich solle in den Laden kommen. Er nahm mir den Gummi ab und suchte fleißig in allen Kisten, die so in seinem Laden standen. Schließlich zog er eine Packung mit vier Auspuffgummis darin. Ich fragte wieviel die kosten soll. Auch er winkte ab. Ich gab ihm umgerechnet zwei Euro, bedankte mich und verließ den Laden.

Im Reifenladen in Teheran.

Auf dem Zimmer zurück, sah ich auf BBC-World nach, was sich in der Welt so tat. Aber viel Interessantes war nicht dabei. Nur der Prozeß von Saddam Hussein. Wie schlimm und unmenschlich es doch war, als er vor zwanzig Jahren diese Kurden getötet hat. Da ist die Frage durchaus berechtigt, wo denn die Gutmenschen vor zwanzig Jahren waren, die ihn jetzt dafür verurteilt wissen wollen. Haben die ihm nicht selbst die Waffen geliefert? Jedenfalls schien es damals niemanden gestört zu haben, denn damals war er ja noch der Gute, der gegen den bösen Iran kämpft. Scales of Justice. Man kann solcher Art von Nachrichten aber einen gewisssen Unterhaltungswert nicht absprechen.


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