Persien 2006
Montag, 11. September

Die Jungs vom Zoll. Zahnweh. Das war das erste, was ich morgens fühlte, als ich aufstand. "ja, der Tag fängt ja gut an. Kruzefix!". Jetzt muß auf die letzten paar Tage hier doch noch ein Zahnarzt her. Doch zunächst wollte ich beim Zoll einlaufen mit der Geschichte, daß ich das Visum für Pakistan nicht bekommen hätte und nun doch wieder über Bazargan ausreisen muß. Mittags fuhren wir los. Ich lief bei den Jungs vom Zoll wieder ein. Man kannte mich noch und ich kam gleich dran. Als erstes ließ man Tee heranfahren. Dann durfte ich mein Problem vortragen: "Now. Then.... Also, es ist so: Ich bekomme kein Visum für Pakistan. Die wollen ein Empfehlungsschreiben von der deutschen Botschaft. Die Botschaft gibt mir nur ein Empfehlungsschreiben, wenn ich ein Flugticket vorlege. Flugticket habe ich aber keines, weil ich ja mit dem Auto unterwegs bin. Kein Weg führt nach Osten aus dem Land, ich kann nur in die Türkei einreisen. Ist das ein Problem?" Ich hielt dem Abteilungsleiter die Papiere hin. Er meinte nur "Problem" und ging aus der Schreibstube. Ich unterhielt mich mit Mohammad, wollte wissen, wo es diese Hisbollah-Poster gibt. Er gab mir sein zweites Poster. "Nein, ich brauche 20, 30, sowas. Kann man die hier kaufen?" Die gab es wohl mal an einem Info-Stand. "Hast Du auch noch was von Hammas? Al-Aksa? Al-Qaida? Ich nehm alles", fragte ich ihn. "Nein, Hamas mag ich nicht. Die anderen auch nicht. Nur Hisbollah. Hisbollah ist gut." Die einzige Frau im Raum wollte wissen, warum ich so scharf auf Hisbollah-Poster sei. "Die gibt's bei uns in Deutschland nicht. Kann man vielleicht verkaufen. Warum?" "Ist es in Deutschland ein Problem, so ein Poster zu haben?", wollte sie wissen. "Nun, da kann man davon ausgehen. In Deutschland ist Hysterie behördlich verordnet, alles ist ganz furchtbar schlimm. Erst alles verbieten, nachgedacht wird später. Aber andererseits: Die Polizei in Deutschland würde es bei einer Kontrolle wahrscheinlich nicht erkennen. In Deutschland gehen nur die Leute zur Polizei, die für alle anderen Berufe zu dumm sind, wissen Sie? Der Durchschnitts-IQ bewegt sich daher im unteren einstelligen Bereich..." Lautes Gelächter unterbrach meinen Monolog. "Du magst keine Polizei, wie es scheint." "Neinein, sie müssen mich da falsch verstanden haben. Es geht hier ausschließlich um die bayerische Landespolizei. Mit allen anderen Polizeien hatte ich nie ein Problem. Nirgendwo." Ein anderer fragte mich, was denn an der Polizei dort so anders wäre, als an Polizisten anderswo auf der Welt. "Ich kann mir vorstellen", sagte ich, "daß es daran liegt, daß in Südbayern ausschließlich solche Leute zum Polizeidienst überhaupt zugelassen werden, die den amtlichen Nachweis erbringen können, daß ihre Eltern Verwandte ersten Grades sind..." Wieder lautes Gelächter, wobei die Bürodame am schrillsten lachte, was überhaupt nicht zu ihrer ansonsten sehr ruhigen Stimme paßte, die ihr einen so gesetzten und seriösen Ausdruck gab. "Ist wahr!", fügte ich noch mit ernster Miene hinzu, "hab ich erst neulich in einer Studie gelesen." Mohammad meldete sich ab zum Mittagessen und fragte, ob wir auch essen wollten. Leider hatten wir eben erst gegessen. Wir gingen hinaus auf den Gang. Ich setzte mich und schlief ein. Ich wachte erst wieder auf, als jemand mit Michl redete und verzweifelte Versuche unternahm, eine Antwort zu kreieren. "Was will der?", fragte ich irritiert. "Weiß nicht." Natürlich wußte er nichts. Wie denn auch, wenn man den ganzen Tag pennt? Dies störte mich allerdings erst, als ich herausfand, daß der Typ wegen uns hier war. Er gehörte zur Mahan Tir, der Gesellschaft, die für das Auto bürgt. Er war nicht alleine und im Konferenzzimmer saßen Leute von der Firma und Leute vom Zoll. Ich schlief wieder ein. Irgendwann kam der Abteilungsleiter und bat mich an seinen Tisch. Er erklärte mir, daß ich nun so schnell wie möglich an die Grenze fahren sollte. Er hätte den Papieren einen weiteren Zettel hinzugefügt. Aber ich müsse zusehen, daß ich bald an die Grenze käme. Sei allerdings nicht schlimm, wenn ich erst übermorgen ankäme.

Stadtverkehr Teheran, Vali-Asr-Street, 17:21 Uhr.

Dann bat uns der Agent, ihm zur Firma zu folgen. Er bezahlte das Taxi und wir fuhren los. Er machte es allerdings anders als wir. Er hielt nicht einfach ein Taxi an und stieg ein, sondern wir gingen da hin, wo die Taxis standen, er erfragte beim Fahrer irgendwas, wahrscheinlich die Richtung. Eine weitere Besonderheit war, daß in allen Taxis, in denen er fragte, bereits Leute saßen. Zwischendrin mußte immer wieder ausgestiegen und zu Fuß gegangen werden. Beim letzten Teilabschnitt rannte unser Agent noch gegen einen Getränkebecher, der sich in der Hand eines Passanten befand und der eigentlich vorgehabt hatte, ihn auszutrinken. Das konnte er sich nun sparen, denn der Becher lag am Boden, der Inhalt war auf des Agenten Hose verteilt, die er immer wieder unterm Gehen erfolglos von dem klebrigen Naß zu befreien versuchte.
Auch wenn der Taxipreis nur 5.000 Rial betrug, also umgerechnet 50¢, bevorzugte ich doch die bequemere Methode: Taxi anhalten, einsteigen von A nach B fahren und dafür drei oder vier Euro bezahlen. Solche Dinge kommen sowieso nur dann in Frage, wenn man nicht selber fährt. Und das kostet in diesem Fall mehr, als mit dem Taxi zu fahren. Nicht wegen des Sprits, sondern wegen Parkgebühren. Und dann muß man ja auch noch ewig suchen und, wenn man das Ziel gefunden hat, einen nahegelegenen Parkplatz. Reine Zeitverschwendung.

Man spricht Deutsch...Bei der Agentur angekommen, brachte man und zu Essen und zu Trinken und wir saßen da. Die Agentur war nahe der afghanischen Botschaft in der Pakistan-Street. Weder der Agent, noch seine beiden Kolleginen sprachen Englisch. Als es dann auf fünf Uhr zu ging, fühlte ich mich zum Handeln genötigt. Ich stand auf und fragte, wo eigentlich das Problem sei. Er konnte sich nicht mitteilen. Ich gab ihm die Karte des Hotels und versuchte ihm zu erklären, daß er es der Rezeptionistin erzählen soll, die würde es mir dann übersetzen. Das schien er verstanden zu haben, doch er rief nicht dort an, sondern woanders. Jedenfalls fand ich heraus, daß er mir nur mitteilen wollte, daß ich sofort in Richtung Bazargan aufbrechen sollte. "You Bazargan today now". Das war es auch fast, was mir die Stimme am Telephon sagte: "You must go to Bazargan immediately." "Yes OK, no problem." Er kam noch mit uns hinunter auf die Straße und hielt ein Taxi an, gab dem Taxler die Visitenkarte des Hotels Khayyam und bat ihn, uns dort hinzubringen. Wir fuhren los. Es war mittlerweile 17:15 Uhr geworden. Den ganzen Tag versessen, nur um ein blödes Papier zu besorgen. Vielleicht hätte ich es doch morgen erst machen sollen. Aber von der Auflage sofort zur Grenze zu fahren, konnte ich ja nichts ahnen. Ich hatte es auch nicht vor. Es war nur wichtig, daß ein Papier da war, was draufsteht ist zweitrangig. Das ist es, was meiner Meinung nach viele Leute überschätzen: Jeder will ein Papier sehen und es ist auch wichtig, daß es da ist, aber ob es echt ist oder nicht, was drinsteht, das ist weniger wichtig. In den meisten Ländern kann man die Papiere auslegen, wie man will, sich darauf berufen, daß man es nicht versteht, und daß derjenige, der es geschrieben hat, etwas falsch verstanden hat usw. Wichtig ist nur, daß man etwas papierenes in der Hand hat. Und das hatten wir nun. Ich nahm dem Fahrer die Visitenkarte weg und gab ihm stattdessen den Zettel auf dem die Adresse von Almuts Institut aufgeschrieben war. Er schaute verwirrt. Erklärte irgendwas über Hotel und zeigte in andere Richtung. Ich zeigte ihm die Adresse und las langsam vor: "Argentine-Street." Er fuhr rechts ran und telephonierte, vermutlich mit dem Hotel, da er die Visitenkarte mit nach draußen nahm. Er kam wieder hinein und fuhr weiter. Dann hielt er wieder an, um scheinbar nach dem Weg zu fragen. Wenige Sekunden später kam ein anderer Taxler zu uns und sagte: "Mein Deutsch ist nicht sehr gut. Willkommen. Wo wollen Sie hin?" Ich war etwas überrascht. "Hui! Sie sprechen ja ganz normal. Ich will zur Argentine-Straße!" Er erklärte es dem Taxifahrer, dann fragte er mich, ob ich dort zu einem Hotel will. "Nein, das Hotel ist am Khomeni-Platz. Ich will nicht zum Hotel." Er redete wieder mit unserem Taxifahrer, der dann wegfuhr. Der war offensichtlich überfordert. "Ich kann nicht fahren. Mein Auto kaputt. Kommen Sie... Wo wollen sie nun hin?" "Weißt was? Zum Hotel Khayyam." Er hielt ein Taxi an und erklärte das dem Fahrer. Es würde 25.000 Rial kosten. "Sehr schön. Vielen Dank!" Das war bisher der billigste Tarif für eine Fahrt.

Ich mußte ins Hotel und unsere Abreise offiziell bekanntgeben. Nicht, daß der Agent anruft und nachkontrolliert. Aber Zeit für einen kleinen Stadtbummel war schon noch. Wir stiegen bereits am Khomeni-Platz aus. Während wir darüberliefen, sah ich mir die Kommunikationszentrale noch einmal an und versuchte mir den Einschlag einer Rakete in dem Gebäude vorzustellen. Allein die Splitterwirkung wäre vermutlich recht ordentlich.

Die "Kommunikationszentrale" Khomeni-Platz
Mit Sicherheit ein "Primary Target". Aufnahme vom 27. August 2006.

Wir kamen wieder bei dem Kurden vorbei, bei dem wir original persisches Zitronenbier getrunken hatten - alkoholfrei, versteht sich. Es dauerte eine Weile, bis wir am Hotel angekommen waren. Wir liefen sehr gemütlich. Die Rezeptionistin saß da, begrüßte uns. Ich sagte ihr, daß wir noch diese Nacht bleiben würden und morgen abreisen. "Wenn jemand anruft, wir sind abgereist. Egal, wer es ist." Sie meinte, es ließe sich einrichten. Dann erzählte sie noch, daß vorhin einer angerufen hätte, der mehrmals nachgefragt hätte, ob das Hotel in der Argentine sei. "Das war unser Taxifahrer". Wieso erzählte sie mir das? Wieso denkt die überhaupt an mich, wenn irgenein wirrer Anruf kommt?

Wir gingen gar nicht erst auf's Zimmer. Ich tat die Papiere ins Auto, dann gingen wir zurück zum Khomeni-Square. Zum einen, weil das herumlaufen in Teheran Spaß macht - sofern man keine Termine hat. Zum anderen, weil wir das Taxi nicht hier anhalten wollten, sondern am Khomeni-Platz eins nehmen. Vielleicht wird das billiger. Wir gingen zu einem Taxifahrer, der da stand und ich zeigte ihm den Zettel. "How much?", fragte ich. 20.000 wollte er. Das war mal günstig. Wir fuhren los, zu Almuts Sprachschule. Zwanzig Minuten später waren wir dort. "Welches Haus war es denn?" "Das da", sagte Michl und deutete auf ein Gebäude. Kein Zweifel, das muß es gewesen sein. Alle Fenster vergittert, der Zaun hoch und ausbruchssicher. Ich klingelte. Ein kleiner Mann, der sehr geschäftig aussah, öffnete die Tür. Ich reihte ein paar Arabische Wörter möglichst sinnvoll aneinander: "Möglich sprechen Yassr?" "Yassg", half mir Michl. Ein Blick genügte. Den kann man nicht erziehen, daran sind seine Eltern schon gescheitert. Bestimmt läßt er sich auch nicht konditionieren, denn jeder Hund hätte es schon lange kapiert. "Dazwischenquatschen tut in Zukunft eben weh." Der kleine Mann fuchtelte etwas, was bei mir als "Yassr Nein" ankam. Ich ging zu der Uhr, die im Büro hin nahm sie und fragte "Yassr wann gibt's?" und fuhr über das Ziffernblatt. Er nahm meinen Finger und legte ihn auf die Neun. "Aha. Gut. Sehr schön. Zettel und Papier, bitte..." Ich deutete auf den Schreibtisch und machte Schreibbewegungen. Er gab mir Papier und Stift und ich sachrieb meine Meldung auf ein DIN-A4-Blatt: "Hi Yassr, I'm back. Now I came here just to see if Almut is still alive. If so, could you please place her in front of the door around nine o'clock? Personally I'd suggest you chain her down, so she can't run away. Hasta después..."

Die Sitzgruppe am Eingang des Restaurants.Es war Kurz nach sieben. "Besser wir gehen jetzt los. Wir haben noch fast zwei Stunden, bis wir was gefunden haben, wird es kurz vor acht sein." Wir latschten los, hinunter an den großen Kreisverkehr. Ein Restaurant gab es, aber die hatten nur Burger. Ich wollte Kabob. Burger krieg ich auch woanders. Es mußte Kabob sein. Nur war weit und breit nichts zu sehen. Das einzig interessante war eine auf dem Kosmetikladen kommende Alte, schätzungsweise anfang Dreißig. Abgesehen vom Kopftuch, sah sie durchaus professionell, wenn auch für westliche Begriffe dezent aus. Enge Jeans, enges Oberteil, stark geschminkt. Ich lief an ihr vorbei, sah sie an. Sie sah mich auch, grinste mich an, sagt "Hello Mister". Ich sagte "Pehaps later" und lief weiter. Ich erinnere mich dabei an den Fall dieses einen Deutschen, der lange Zeit hier im Iran im Knast saß, weil er sich mir irgeneinem Stück eingelassen hatte. Dabei weiß jeder vernünftige Mensch, daß Frauen grundsätzlich Ärger bedeuten. Nicht nur hier im Iran, sondern auch überall sonst auf der Welt. Michl, der etwa zwanzig Meter hinter mir lief, kam auch an ihr vorbei, nahm sie aber gar nicht wahr, als sie auch ihn ansprach. Er war zu sehr beschäftigt, sich mit seinem imaginären Gesprächspartner zu unterhalten. "Eine moslemische Nutte mit Kopftuch. Was es alles gibt..." Was es nicht gab, war ein Restaurant. Zuimndest nicht in der Nähe. Wir liefen zwar an einem vorbei, aber das sah nicht nach unserer Preisklasse aus. Stattdessen suchten wir weiter. "Andererseits", dachte ich mir, nach einer Weile sinnlosen Umherirrens, "was heißt hier 'nicht unsere Preisklasse'?" Doch nur, daß wir woanders deutlich billiger essen könnten. Es heißt aber nicht, daß es uns in den finanziellen Ruin stürzen würde, etwas mehr zu blechen. Wir gingen als hinein und nahmen Platz. Obwohl wir nicht ordnungsgemäß gekleidet waren, bediente man uns vorbildlich. Die hatten das Objekt meiner Begierde: Kabob. "Haben sie auch Coca-Cola?", fragte ich, wobei die Betonung auf Coca lag. "Sehr wohl..." "Gut, dann bekommen wir zwei davon." Wie guten Restaurants üblich, kam erst das Brot, die Butter und Oliven, dann die Getränke. Eine kleine blaue Plastikflasche mit der Aufschrift Cookah-Cola. "Wenigstens hat er nicht gelogen", schenkte ich ein, während ich beobachtete, wie Michl das Brot in Fetzen riß beim Versuch, sich ein Stück abzubrechen. Für den außenstehenden Beobachter muß es so ausgesehen haben, als versuche Michl mit bloßen Händen einen Bären zu erlegen, so dämlich stellte er sich an - ohne es selbst auch nur im Ansatz zu merken. Dabei war das Brot total idiotensicher so perforiert, daß man nicht anders konnte, als es schön entlang der Perforierung abzubrechen. Was er dem Brotkorb mühevoll abgerungen hatte, verteilte er zu einem Teil auf dem Tisch, zum anderen Teil verschlang er es laut schnaufend und schmatzend. Was soll man tun? Nichts sagen, weil man nicht dauernd nörgeln will? Das ist die Garantie dafür, daß es sich nicht ändert. Soll man es ihm sagen, wie man es einem zurückgebliebenen Fünfjährigen sagen würde?: "Nein, Du, schau mal, so macht man das nicht. Das macht man soooo..." Oder in der Art, wie wir es an der Schule immer taten?: "Alter, hast Du daheim nicht gelernt, vom Boden zu fressen wie jede andere Sau auch?" Wir waren aber keine 16 mehr, auch wenn das Vokabular das manchmal glauben ließ. In meinem Alter sollte ich einfach wortlos über den Tisch langen und ihm eine Kardinalsschelln verpassen, die er schon lange verdient hat. Wir wearen die einzigen Gäste. Aber er würde mich danach sicher verwundert ansehen und fragen, was das jetzt war und dafür müßte ich ihm gleich mit der Rückhand noch eine verpassen usw. Und kapieren würde er es mangels Antelle ja doch nicht, sonst hätte er es schon vor über einem Jahrzehnt kapiert, daß er schief gewickelt ist und nicht alle anderen.

Nach dem Essen gingen wir wieder zum Institut. Alle Fenster vergittert, hohe Mauer drumherum, Metallgitter auf der Oberseite der Mauer. Wie bei vielen Botschaften, die wir hier und in Ankara und an vielen anderen Orten gesehen haben. Die Eisenstangen kennt man noch zur Genüge von brasiliansichen Häusern des gehobenen Mittelstandes: Jede zweite Eisenstange ist nach innen gebogen und läuft spitz zu. Wenn also jemand einbrechen will kommt er vielleicht die Mauer hoch, aber er kommt auf der anderen Seite nicht hinunter, da er sich an den gebogenen Eisenstangen halten muß und somit in der Luft hinge. Doch zwei Sachen irritieren den Beobachrter: Solch stark gesicherte Gebäude sind in Teheran selten. Botschaften, vielleicht, und Kaserenen, aber sonst ist es eigeltlich ungewöhnlich. Selbst Banken versichten auf diese Schutzmaßnahmen, schließlich rangiert das Land in der Kriminalstatistik auf den untersten Rängen. Das war das eine. Das andere war: An diesem Gebäude zeigten die gebogenen Eisenstangen nicht nach innen, sondern nach außen, in Richtung Straße. Diese Beobachtungen legten den Verdacht nahe, daß hier nicht Maßnahmen gegen Einbruch, sondern gegen Ausbruch getroffen worden waren.

Ich klingelte. Eine Frauenstimme meldete sich an der Sprechanlage. "Shalom! Yassir!", brüllte ich hinein. Als Antwort kam etwas, das sich anhörte wie "Alalalalala". Ich hörte es mir an, nickte verständnisvoll und meinte dann: "Ja, paßt. Mach einfach die Tür auf und laß uns über alles in Ruhe reden..." Es passierte nichts. Ich klingelte wieder. Wieder die Frau, wieder meinte ich "Yassr". Die Tür sprang auf. Im Gang stand eine schwarzweiß gefleckte Fledermaus, die in alle Richtungen des Hauses irgendwas auf Persisch brüllte. Dann sah sie uns an, versuchte, irgendwas zu fragen. "Ich versteh Dich nicht, gute Frau... Do you speak english?" "No. No english..." Ich stemmte beide Hände in die Hüfte: "And why not?" Das geht doch nicht an, einen Klotz in die Landschaft zu stellen und ihn Sprachinstitut zu nennen, wenn hier nicht englisch gesprochen wird. Nicht, daß Englisch eine Sprache sei, aber in jedem Fall eine Methode, sich zu verständigen. Das klappt hier nun nicht. Aber auch nicht im Ansatz. Ich bedeutete ihr, daß ich im Büro warten werde, bis Yassr zurückkäme. Das schien in Ordnung zu sein. zumindest kam kein Protest. Den von mir zuvor geschriebenen Brief entfernte ich wieder vom Schreibtisch. Man brachte uns Cola und ließ uns warten.
Gegen dreiviertel Neun fuhr bereits der Bus vor. Erstaunlich. Bisher haben im Iran sogut wie alle Zeitangaben einen Bezug zur Realität gehabt. Das möchte man gar nicht meinen, zieht man doch jedesmal vorschnell Parallelen zu den Arabern, wo man Zeitangeben egal welcher Art getrost mit "Inshallah" übersetzen kann. Ich sah zu, wie sich der Menschenstrom, die der Bus ausspie sich in dem engen Vorraum sammelte. Ich stand auf und ging an die Bürotür, hielt ausschau nach Almut, während schon die ersten in das Büro hineindrängten. "He!", sagte ich dezent, als ich sie ausmachte. Sie stand mit dem Rücken zu mir. Keine Reaktion. "Pssst!" Nichts. "Kssst!", alle Leute drehten sich schon nach mir um. Ich hasse das. Ihre Durchlaucht hört nicht auf einfache Zurufe, braucht einen standesgemäßen Anruf. Bitte... "Almut!", sagte ich, deutlich und vor allem laut, jetzt, wo es eh schon egal war. Sie drehte sich um, sichtlich überrascht. "Hä?! Was machst Du hier?" "Dich abholen, vielleicht?" Sie kam mit hinaus auf die Straße und ich schilderte ihr die letzten zehn Tage in Extra-Kurz-Fassung. Es war nicht klar, ob sie heute mitkam, oder morgen erst. "Wo habt ihr geparkt?", wollte sie wissen. "Auf dem Hotelparkplatz." Sie hatte einen packen Bücher dabei. Almut stellte uns noch ihre Zimmergenossinen vor. Die Namen konnte ich mir noch nie merken, nannte sie Lawendel und Silvania, oder ähnlich. Die eine war recht hübsch. Die andere stand auf der Straße und hatte kein Kopftuch auf. "He, you forgot your towel", sagte ich und zeigte auf ihren Kopf. "Oh!", machte sie, kicherte unbeholfen und verschwand im Haus. Nach einigen Minuten kam sie wieder zurück mir rosarotem Kopftuch auf. "Viel besser. Jetzt bist Du wieder ein Mitglied der Zivilisation", stellte ich fest. "Und Du bis wohl hier, um Almut zu befreien...", stellte eine von ihnen fest. "...wenn Yassr sie entbehren kann..." "Das kann er. Der wird sicher froh sein, erklärte Almut." Oho. Was war denn da passiert? "Na, das hab ich Dir doch geschrieben..." Sie erzählte die Geschichte nochmal. Yassr wollte sich um die Verlängerung ihres Visums kümmern. Er schaffte es nicht nur nicht, sondern er offenbarte Almut irgendwann, daß sie wohl kräftig zahlen müsse, was diese dazu veranlaßte, die Sache selbst in die Hand zu nehmen - was dann auch klappte. Klar. Sie war ja auch bei mir in der Lehre... Jedenfalls fand ich mich am Ende der Schilderung an das Eisentor gelehnt, gegen die Tränen ankämpfend, die mir ein anhaltender Lachkrampf in die Augen trieb, der Verursacht wurde durch die Vorstellung, daß Almut wörtlich weggelaufen war, um den Papierkram zu erledigen und Yassr sie nicht mehr hatte einholen können. "Was hätt' ich denn machen sollen?" Was ist nicht die Frage, aber das wie. Wie läuft's sich überhaupt in dem Rock? Den kann ich gerade mal als Hosenbein benutzen, falls ich mal 'ne Bermuda will. Frau Doktor, etwa einen Meter zwanzig groß, läuft mit Kopftuch, Rock und Mantel - und einer Schrittlänge von höchstens 40 cm - durch die Straßen von Teheran, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her, nach wenigen Minuten werden die Beine zu schnell rotierenden Scheiben, berühren die Füße den Boden nur noch zum Zwecke feiner Richtungsänderungen, während der Oberkörper völlig ruhig aufrecht liegt, als stünde sie auf der Stelle.

"Was ist denn jetzt der Plan?", wollte ich wissen, als ich mich wieder beruhigt hatte. Almut wußte natürlich keine Antwort, sondern gab mir zwei Möglichkeiten: Entweder, wir fahren jetzt gleich, oder ihr holt mich morgen. Soweit waren wir vor einer halben Stunde schon. Ich nickte anerkennend zu dieser großartigen Erkenntnis. "...Du kannst aber auch wahlweise einfach weglaufen", riet ich Almut, wobei ich mich bemühte, möglichst erst zu wirken, was mir unter normalen Umständen schon schwerfällt. Ich sah mir die hübschere von beiden Rumäninen an. "Die ist hübsch, gell?", hörte ich Almut in meine Beobachtungen quatschen. "Die bringt mich gerade auf einen Plan: Du pfeifst jetzt erst mal auf Libyen. Wir nehmen die Alte mit, fahren in die Türkei und dann hinunter Richtung Palästina. Und unterwegs vermieten wir sie - wie heißt sie gleich wieder?" "Lavinia." "Genau. Bestimmt funktioniert das. Wir können statt Geld z.B. Diesel dafür verlangen. Einen Liter pro Minute oder so... Da denk ich mir eine dominante Strategie aus. Aber das klappt. Pack die gleich mal mit ein." "Ich glaube aber nicht, daß sie damit einverstanden wäre." Die kapiert schon wieder gar nichts. Das ist doch gerade das geniale an den Arabern. Ob Frauen mit etwas einverstanden sind oder nicht, interessiert nur die Frauen selber, sonst niemanden. "Also, ich finde den Plan gut", bestand ich drauf. "Ich find den besser, daß einer von uns im Lotto gewinnt." "Sieht Dir wieder ähnlich. Bloß keine sichere Geldquelle, um Gottes Willen. Könnte ja weh tun. Und was ist das überhaupt für ein Quatschgedankengang, daß wir hier morgen herkommen, und Dich abholen. Kannst genausogut jetzt mitfahren. Außerdem muß ich noch zum Zahnarzt, weil mir der Oberkiefer abfault. Also: Fertigmachen!" Ein wenig später standen etwa zehn zentnerschwere Tüten vor der eisernen Eingangstür. Es waren zwar nur Bücher und nicht Munition, wie erwartet, aber Bücher können ganz schön schwer sein, besonders dann, wenn sie unnütz sind. Almut verabschiedete sich noch von den anderen und als das bestellte Taxi kam, ein kleiner schwarzer KIA, stiegen wir ein. Der Fahrer fuhr erwartungnsgemäß: Wie ein Idiot. Das veranlaßte mich, mich bei Almut über die Fahrweise der Perser zu beschweren. "Das erstaunlich ist, daß sie die höflichsten Erdenbürger werden, sobald man ihnen das Auto wegnimmt." Genau das, was ich eben loszuwerden meinte, sagte wohl auch einer von Almuts Persischlehrern - genau so, allerdings in Landessprache. Es handelt sich also um ein allgemein bekanntes Problem. Kurz vor dem Hotel verhinderte er durch eine Vollbremsung einen Auffahunfall vorne, verursachte aber durch selbige beinahe einen Auffahunfall hinten. Zu sehr mit der Hupe beschäftigt, der Einfaltspinsel. Hoffentlich hat die Karre keinen Beifahrerairbag. Keinen Bock, so eine Tüte in die Visage zu bekommen.

Eine Halbe Stunde nachdem wir losgefahren waren, kamen wir heil am Hotel an. Wir trugen die Tüten rein. Ich meldete eine weitere Person an. Er wollte uns verlegen, aber ich erinnerte ihn daran, daß wir bereits drei Betten auf dem Zimmer hatten. Der weitere Plan sah folgendermaßen aus: Morgen zeitig aufstehen, Zahnarzt, Abfahrt Richtung Grenze. "Haben wir noch Zeit, uns die Alamut anzusehen?", wollte Almut wissen. Eigentlich hieß es, wir sollen sofort in Richtung Grenze fahren. Aber wir können uns immer noch auf ein Mißverständnis berufen. Und wenn wir morgen losfahren, haben wir immer noch genug Zeit, immerhin läuft das Visum erst am 14. September ab, wir hatten demnach also noch über 72 Stunden. 12 Brauchen wir bis zur Grenze, also bleiben 60 übrig, von denenn man noch fünf für die Grenzprozedur abziehen sollte.


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