Persien 2006
Montag, 4. September

Um 11 ruft Mohammed an und sagt, wir sollen uns um 19.30 treffen. Ich hatte noch so lange getippt, daß ich beschloß, noch eine Weile liegen zu bleiben. Es war ohnehin zu heiß, draußen. Wir beschlossen, im Hotel zu Frühstücken. Da es schon gegen drei Uhr Nachmittags war, hatten wir keine Lust, wieder ewig herumzueiern, um etwas passendes zu finden. Die Preise waren auch sehr human, also lohnte sich eine große Suchaktion nicht. Wir bestellten Kabob. Auch hier war der Reis wieder hervorragend. Ich esse sonst nie Reis, aber hier war er einfach hervorragend. Ob das wohl an dem Safran-Zeug liegt?

Nach dem Essen zog ich ins Internet-Café. Mal sehen, was Almut so tat. Schlielich hatte die noch das Problem mit der Verlängerung. Da war tatsächlich auch eines da, nur ein paar Stunden alt. Interessant fand ich, wie kompliziert die Verlängerung ihres Visums gelaufe war:

"Mit Yassir war ich am Sonnabend auf dem Amt, aber er konnte nichts ausrichten, weil ihm da erst aufging, daß es sich um ein Transitvisum handelt. Gestern dann nahm er mir meinen Pass ab und gab ihn mir mittags wieder mit den Worten, das sei alles kein Problem. Aber mit dem Pass war nichts geschehen. Heute nahm er mich gegen Viertel vor zehn aus dem Unterricht und ließ mir durch einen Mitstudenten sagen, daß es mich ein Sümmchen kosten würde, da das Visum ja gestern schon abgelaufen sei. Ich war begeistert und machte mich auf den Weg - wohlgemerkt ohne ihn. Ich ging zuerst zu dem Liebschaftsamt. Die sagten aber, daß dort keine Visaverlängerung mehr vorgenommen würde - alles sei soeben zusammengelegt worden am Maidan Sapahi. Also ging ich dorthin. Aus dem Plan, zu Fuß zu gehen, wurde nichts, da mich eine Iranerin, die ich nach dem Weg fragte, in einen Bus verfrachtete. Interessanterweise in die Männerabteilung dort. Sie lieferte mich bei der Polizei ab. Da es eben die Polizeistation von vor zwei Tagen war, wußte ich, wo ich hinzugehen hatte. Überall waren lange Schlangen, aber als alleinauftretendes weibliches Wesen wird eine Extraschlange aufgemacht. Warten muß man trotzdem recht lange. Die Bearbeiterin schickte mich zu irgendeinem Mudir, der schickte mich zu ihr zurück. Sie sagte mir schließlich, daß Transitvisa nicht verlängerbar seien. Ich erzählte von Euch, was sie aber nicht interessierte. In diesem Augenblick griff ein Englisch sprechender Iraner ein und meinte, er begleite mich zum Mudir. Dort erheiterte ich dann mit der Geschichte die ganze Gesellschaft. Wobei die Geschichte nichts als die Wahrheit war. Ich meinte, mein Paß mit dem regulären Visum sei irgendwo in der Türkei, also hätte ich mit dem Transitvisum einreisen müssen, um rechtzeitig zu dem Sprachkurs zu kommen. Er wollte zunächst dabei bleiben, daß Transitvisa nicht verlängerbar seien - schließlich brauche man es ja nur für den Transit. Dann bot er mir von sich aus eine Woche an und verlängerte diese nach meinen Dankbekundungen auf zehn Tage - mit der Begründung, es sei lobenswert, daß ich Persisch lerne. Wie dem auch sei, in drei bis vier Tagen kann ich den Paß abholen. Mich wundert es, daß ihr ihn gleich bekommen habt?! Da ich nun schon einmal dem ganzen Betrieb entkommen konnte, beschloß ich, heute einen "Urlaubstag" einzulegen. Ich schlenderte von der Polizeistation zurück in die Enqelab-Strasse und von dort in die Vali'aser-Strasse. Hier befindet sich ein Postamt, wo ich meine einige Dutzend Karten endlich aufgeben konnte. Das Porto pro Karte ist so billig wie ich es noch nirgends sonst erlebt habe - 1.000 Rial, das sind weniger als zehn Cent?! Nun ist es frueher Nachmittag. Ich vertreibe mir die Zeit schreibend, lesend und trinkend und werde dann, sobald die Geschaefte wieder öffnen, noch andere schon lange anstehende Besorgungen vornehmen und mich dann gen Herberge begeben. Ha, dort erwartet mich sicher eine Standpauke. Aber was soll's. Falls sie mich hinauswerfen, fahre ich nach Schiraz. Dann können wir uns ja dort treffen, und auf dem Rückweg könnt ihr mir Isfahan zeigen. [...] Eigentlich haette ich ja Strafe zahlen muessen wegen der Verspätung, aber in dem ganzen Trubel scheint das untergegangen zu sein. Ich hoffe, daß sie nicht beim Abholen noch auf die Idee kommen."

Bei uns war es relativ einfach: Wir haben Transitvisum, wir müssen in Mir Jaweh aus dem Land, aber das Pakistan-Visum dauert so lange. Daraufhin bekamen wir das Visum verlängert - was sollen sie denn machen? Zumal ich bei der Botschaft in Ankara angegeben hatte, kein Visum für Pakistan zu haben. Daß die Frau Doktor immer alles verkomplizieren muß, das liegt auf der Hand - dafür hat sie ja jahrelang studiert.

Nach dem Lesen und Beantworten der eMails tippte ich noch schnell den Bericht fertig. Bis zur Einreise in den Iran schrieb ich ihn fertig, dann war es auch schon sieben und ich mußte los. Zurück zum Hotel. Michl war schon da. "Und? Hat das Telephon geklingelt?" "Nicht, das ich wüßte..." Das hieß ja nun was... Ich wartete ein wenig, dann klingelte es. Was der Typ an der Rezeption zusammenstammelte weiß ich nicht. Es war kein Wort dabei. Ich legte wieder auf. "Dein Kumpel war dran... Auf geht's." Ich ging hinunter, da stand auch schon Mohammad in der Eingangstür. Ich stellte kurz Michl vor und schon fanden wir uns wir im Auto wieder.

Wir fuhren in einen Teegarten, wo Ali sofort Tee und drei Schischas bestellte. Man saß auf großen Tischen, die einen erhöhten Boden darstellen sollten. Ich ließ die Füße am richtigen Boden und tat so, als wäre es eine Bank mit viel zu großer Sitzfläche. Beim zurechtrücken meines Skelets spürte ich ein Pieksen in der Handfläche. Ich dachte an einen Kiesel oder einen Reißnagel. Als ich nachsah stellte ich fest, daß es ein glühendes Stück kohle war, das ich dann laut "Aua, scheiße" rufend irgendwoanders hinbeförderte. Mein Gastgeber erschrak und warf dabei die Wasserpfeife um. "Ich war's nicht", hörte man Michl dazwischen krächzen.

Beim Wiederinstandsetzen der Wasserpfeife.

"Nun, wo waren wir stehen geblieben? Ach, ja. Hafez." Michl und Mohammed unterhielten sich weiter über Hafez, Goethe, den fernöstlichen Diwan. Mir war das alles völlig neu. Jetzt weiß ich, was gemeint ist, wenn die Leute manchmal sagen, daß Reisen bildet. Jedenfalls weiß ich nun, welches Werk von Goethe als nächstes in die Bordbibliothek wandert. Wenn ein Goethe sich mit ihm verbunden fühlt, dann kann es kein schlechter Mensch gewesen sein.

Wir fuhren, nachdem wir einige Liter Tee vernichtet hatten, weiter. "Wo rennt Ihr jetzt alle hin?", wollte ich wissen. "In ein Restaurant, ihr habt doch sicher Hunger, oder? Wir haben jedenfalls Hunger und die Mädels müssen morgen arbeiten." Mit zwei Autos ging es wieder in die Stadtmitte. Wir trafen uns vor einem Restaurant. Zwei sieben- oder achtjährige heißen uns willkommen. Ich stehe eine Weile verwundert vor ihnen. Wo gibt es denn heutzutage noch Kinder, die erzogen werden? "Was ist?", fragte Ali. "Also, ich muß schon sagen, für einen Haufen Terroristen seid Ihr Perser ganz schön wohlerzogen..." Normalerweise springen Rotzgören ständig auf und ab, sind nur laut und nerven. Und wenn man dann doch mal was sagt, nachdem einem so ein Mistkind schon zum dritten Mal das Getränk umschüttet, dann wird man empört daran erinnert, daß man selbst auch mal ein Kind war. "Ja, aber zu meiner Zeit konnten Eltern ihre Kinder noch erziehen", pflege ich da immer zu sagen. Heutzutage werden Kinder ja in Watte verpackt und darin dann verzogen. Das Ergebnis sieht man, wenn ma sich meinen werten Beifahrer genauer ansieht. Seine einzige Ausrede, wenn man ihn darauf aufmerksam macht, daß er beispielsweise frißt wie eine Sau: "Ja, mei, ich bin halt so." Das haben ihm wahrscheinlich seine Eltern vorgebetet. Jeytzt ist er dreißig und kann nicht normal essen. Was nicht weiter schlimm ist, wenn alle anderen sich in ihren Tischmanieren auch nicht von Wildschweinen unterscheiden. Dann fällt es keinem auf. Allerdings waren wir hier in Persien, wo viel Wert auf Manieren gelegt wird. Natürlich essen sie meistens mit den Händen vom Boden. Was aber nicht heißt, daß sie keine Tischmanieren hätten. Im Restaurant saßen wir natürlich zu Tisch, nicht am Boden.

Die Rechnung wurde von den Gastgebern übernommen. Schon wieder. Ich fragte nach, wann die denn mal nach Deutschland kämen. "Hihi. Never..." Das war ja blöd, so geht's nicht. Mal sehen, was sich da organisieren ließ. Wir verabschiedeten uns und dann ab in die Koje. So schön Esfahan auch ist, Wurzeln können wir hier nicht schlagen. Die Straße ruft...


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