Persien 2006
Dienstag, 5. September

Es wurde wieder ziemlich spät, eh wir in die Gänge kamen. Ich hatte mir zwar vorgenommen, nicht zu lange vor dem Rechner zu sitzen, aber das nehm ich mir jedes Mal vor und es klappt nicht. "Hopp, auf geht's. Gepäck runter, Hotelrechnung zahlen". Ich warf Michl den Geldbeutel hin. Schluß jetzt mit dem nutzlosen Rumgehocke. Um halb eins hatten wir alles im Auto verstaut. Ich wollte noch, bevor wir losfuhren, die eMails versenden bzw. auf den Rechner herunterladen. Ich wollte auf dem Laufenden bleiben, was Almut anging. Zu diesem Zwecke ging ich los zum Internet-Café.

Zwischen Hotel und Internet-Café.

Auf dem Weg bekam ich live mit, wie ein Kind erzogen wurde. Es schrie einfach völlig unmotiviert los, als es sich der Ampel näherte. Sekunden später gab es dafür eine Ohrfeige. "Das ist genau das, was Deine Eltern bei Dir weggelassen haben", erklärte ich Michl, nachdem ich mich von meinem Lachkrampf wieder erholte hatte. Leider war das Internet-Café voller Perser, die wohl daheim keinen Computrer haben. Auf dem Absatz Kehrt und wieder zum Auto. Dann halt nicht. Was soll's...

Bevor wir Esfahan verließen, mußte ich noch zum Krankenhaus. Ich hatte Martia versprochen, das Krankenhaus zu photographieren, in dem er geschah. Wir fuhren los. Endlich kam ich mir wieder vor wie ein Mensch. Mit Stern voran und großer Fahrt fragten wir uns zur "Sepahan Klinik" durch, denn die stand nicht in der Karte. Schließlich und endlich, nach langem Herumgekurve, fanden wir es. Ich lichtete es von allen Seiten ab. "So. Bring und hier raus. Nach Shiraz", warf ich Michl an. Den Ortsausgang fanden wir schnell. Nach Shiraz waren es an die fünfhundert Kilometer, wir würden also erst am Abend ankommen. Eine Autobahn war in der Karte nicht eingezeichnet. Wir konnten nur hoffen, daß die Straßen entsprechend gut ausgebaut waren.
Die Landschaft war relativ eintönig. Wüste, eben. Aber ich mag das. Ist mir lieber als jede andere Landschaft. Am Ortsausgang von Esfahan sahen wir einen Kerl stehen mit einem Schild mit der Aufschrift 100 in der Hand am Straßenrand. Nun hatten wir wenigstens etwas zu tun, nämlich darüber zu spekulieren, was das schon wieder sollte. Es gibt in diesem Land neben dem Verkehr noch ein paar Sachen, die man als Mitteleuropäer nicht ohne weiteres einordnen kann.

Auch so eine Aktion, zum Beispiel.

An den Spuren auf dem linken Standstreifen erkennt man, daß manche auch nach Rechts abbiegen. Es handelt sich dabei um eine Autobahn, wohlgemerkt. Die Gegenfahrbahn befindet sich unter dem Laster, in der linken Hälfte des Bildes.
Geisterfahrer sahen wir hier auch mehr als einen. Das ist im Iran natürlich kein Grund für eine Radiodurchsage, wie in Deutschland. Alles, was an Reaktion von den in die eigentliche Fahrtrichtung fahrenden Autos kommt, ist Fernlicht. Allerdings weit weniger aggressiv, als man es erleben kann, wenn man beispielsweise tagsüber mit Licht fährt.

"Einen Durst!" Brüllte ich in die Runde. Und nirgendwo ein Kaff. Ab und zu kam ein Kaff. In dem fand man auch ein Lebensmittelgeschäft neben dem anderen, nach alter Bazartradition. Immer alles auf einem Haufen. Aber entweder hatten sie um die Mittagszeit geschlossen, oder sie hatten keinen Saft. Das Sortiment war selbstredend in allen der Geschäfte auch gleich. Irgendwann, nach dem x-ten Kaff reichte es mir. Ich stoppte im Schatten und stieg aus, entschlossen, nicht ohne Getränk zum Auto zurückzukommen. Als ich das Fenster schließen wollte, stellte ich fest, daß es aus der Verankerung gesprungen war. Das passiert manchmal, wenn man die Tür zudrischt. Ich nahm die Verkleidung ab, drückte die Scheibe wieder in die Schiene und machte die Verkleidung wieder an die Tür.

Dann gingen wir beide Getränke holen. Ich nahm ein kohlesäurehaltiges Kaltgetränk, weil sie auch hier keinen Saft im Angebot hatten, Michl entschied sich für Ayran. Dieses widerliche Gesöff war in diesem Fall auch noch mit Minze versetzt. Kurz nach dem Losahren stand ein Mofafahrer am Straßenrand und gestikulierte wild, als ob etwas ganz Schreckliches mit dem Auto wäre. Ich stieg aus und sah nach. Er deutete immer wieder auf die Front. Ich sah nach, ob irgendeine Flüssigkeit tropfte. Nichts. Prüfte die Reifen, bis mir klar wurde, daß er die Scheinwerfer meinte. Kopfschüttelnd stieg ich wieder ein und fuhr weiter. Noch war ich nicht dazu gekommen, den vierten Gang einzulegen, da mußte ich schon wieder anhalten, da Michl beim Versuch, seinen ekelhaften Ayran zu öffnen, eine Überschwemmug zustandebrachte. Ich stieg aus und hielt ihm gelangweilt das Küchenpapier aus dem kofferraum hin. "Ah... Da kann ich jetzt aber nichts dafür. Wieso ist da auch Kohlensäure drin?" Ja, ja... Da war jeder Kommentar überflüssig. Ich fragte gar nicht erst, warum es fast eine Minute gedauert hat, bis er den überschäumenden Ayran wieder verschlossen hatte, auch nicht, warum er die Falsche nicht einfach zum Fenster hinaushob. Das sind normale Reflexbewegungen, aber Michls Reflexe kann man nur als leichenhaft bezeichnen und seine Reaktionen sind nicht nur verspätet, also retardiert, sozusagen, sondern meist auch noch falsch.

Über die fachgerechte Unterbringung von Fahrgästen möchte ich kein Wort verlieren, aber daß die es nicht schaffen, so zu fahren, daß man ohne Gezeter überholen kann...

"So... Können wir jetzt mal weiterfahren, oder soll ich schon mal ein Hotel suchen gehen?", fragte ich leicht zynisch, nach einer Putzaktion, die dreimal so lange dauerte, als hätte ich sie selbst vorgenommen. Nachdem der Blödheitspegel innerhalb des Autos wieder etwas zurückgegangen war, konnte ich mich wieder auf die Blödheit konzentrieren, die sich außerhalb des Autos abspielte. Und die war gewaltig. Ich kann nur immer wieder betonen, daß mir der Iran in Sachen Verkehr eine neue Dimension eröffnete. Ich kapier es nicht. Das ist das erste Land außerhalb Deutschlands, in dem ich mich permanent über irgendeinen Idioten aufregen muß. Das passiert mir sonst nirgendwo. Vielleicht das eine oder andere mal, aber nicht ständig. Diese Blödheit. Der einzige Trost ist der, daß die Perser sofort zur Höflichkeit in Person werden, sobald sie das Auto verlassen. Das passiert in Deutschland nie.

Die Straße wurde nach langer Zeit wieder zweispurig. Das bedeutet, daß nun ständig Gegenverkehr kommt. Nicht nur ab und zu, wie auf der Autobahn. Und hier funktioniert es nicht so, wie in der Türkei, daß jeder rechts fährt, und man selbst in der Mitte überholen kann, denn hier fährt jeder bestenfalls mittig, meistens aber wird die ganze Fahrbahn füz Zick-Zack-Manöver benötigt. Eine dritte Spur aufzumachen erfordert ein wenig mehr, als nur die Fähigkeit, geradeaus zu fahren - die den meisten Persern fehlt.

Ein LKW-Fahrer setzte dem ganzen die Krone auf. Auf der Gegenfahrbahn kamen uns hintereinander zwei LKW entgegen. Ich dachte mir nichts dabei und fuhr normal auf meiner Spur. Plötzlich entschließt sich der hintere LKW zu überholen. "Das ist jetzt ein Scherz, oder?" Ich konnte es einfach nicht glauben, aber er zog raus, als ob ich nicht da existierte. Ich hatte sogar die Kamera noch im Anschlag und drückte ab, während ich vom Gas ging. "Der zieht's echt durch." Erst dachte ich noch, es geht schon irgendwie, doch er kam immer näher und seine Geschwindigkeit war nur geringfügig höher als die des Lasters, den er gerade überholte. Irgendwann sah ich, daß es schief gehen mußte, wenn ich nicht etwas mehr tat, als nur vom Gas zu gehen. Ich zog nach recht, so weit wie möglich. Doch der Vollidiot in dem Laster, der überholt wurde tat nicht das, sondern fuhr erst mal weiter, als wäre er alleine auf der Straße. Erst als ich das Fernlicht einsetzte, fuhr er rechts. Ich konnte nicht weiter rechts. Wir paßten nicht alle drei nebbeneinander auf die Straße. Ich mußte wohl oder über runter von der Straße. Auf einmal zog es das Auto in Richtung graben. "Hoppla", entfuhr es mir, weil ich darob erschrak. Die Straße war hier etwa 20 - 25 cm höher als das Bankett, auf dem ich mich nun befand. In dem Moment zog der LKW in wenigen Zentimetern Entfernung an uns vorbei. Wir fuhren weiter mit einer Wagenseite auf dem Bankett, die andere auf der Straße. Ich kam nicht wieder auf die Straße zurück, bremsen war auch nicht drin, da ich durch den Geschwindigkeitsverlust nun die LKW-Kolonne hinter mir hatte, die ich kurz vor der Heldenaktion eben, noch überholt hatte.

Wenige Sekunden vor dem etwas ungeschickt verlaufenen Ausweichmanövers.

Hinter mir klebte einer dieser Drecksexistenzen und hupte, statt mich einfach zu überholen. "Wieso haben wir keinen Heckschützen mit dem entsprechenden Gerät an Bord?", ärgerte ich mich, während ich überlegte, wie ich wohl unbeschädigt auf die Straße zurückkam. Ich stand voll auf dem Gas, wir rollten immer noch mit etwa 70 - 80 km/h. Tendenz steigend. "Scheiße", rief ich, als ich in wenigen Metern sah, daß irgendein Kaftankacker faustgroße Steine quer über das Bankett bis hin an die Straße gelegt hatte. Keine Chance, auf die Straße zu kommen, der Winkel war zu spitz, die Geschwindigkeit zu hoch. Bremsen wollte ich nicht riskieren. Ich zog das Auto an die Straße, sowei ich konnte, in der Hoffnung, der Stein würde dem Rad als Stufe dienen und ihm wieder auf die Straße verhelfen.

Mit drei Rädern auf der Straße würde der letzte Reifen sich schon hochziehen lassen. Ein häßlicher Schlag, das Auto war wieder auf der Straße. Ein metallisches Schepper, das aber nicht von unserem Auto stammte. Es klang eher, als hätte der Stein meinen Hintermann erwischt. Als dieser heftig zu hupen anfing, faßte ich das als Bestätigung auf. Jawohl. Hoffentlich hatte die Drecksau eine ordentliche Dulle. Jedenfalls ging er auf Abstand. Was mich weniger erfreute, war der Anblick unserer Radkappe, wie sie schön langsam zwischen uns und dem nachfolgenden LKW hindurch auf die Gegenfahrbahn rollte und dann links neben der Straße nach einigen spektakulären Sprüngen in der Prärie liegenblieb. Nun mußten wir doch anhalten. An einer Piste, die zufällig gerade nach rechts abging, hielt ich an.

Das dämlichste Bankett im ganzen Land - und ausgerechnet an dieser Stelle muß man auch noch dem dämlichsten lebenden LKW-Fahrer begegnen.

Ich suchte die Radkappe, stellte fest, daß ein Haken fehlte und ging zum Auto zurück. Michl, aus dem Schlaf gerissen, hatte mittlerweile festgestellt, daß die Felge eine Dulle hatte. Stimmte. Daß der Reifen das mitmacht. Das war noch einer aus Libyen. Er verlor keine Luft. Auch die Dulle merkte man beim Fahren nicht. Hammer hatten wir keinen dabei, ansonsten hätte ich einen Versuch unternommen, die Felge gerade zu klopfen.
Kaum eine Viertelstunde später kam fast nochmal die gleiche Aktion, auch mit einem weißen LKW. Doch der scherte wieder ein, als ich Fernlicht gab. Bei dem wäre es auch schon wurscht gewesen, denn das Bankett war auf gleicher Höhe wie die Straße. Da hätte es sich gut ausweichen lassen.

In Shiraz wieder das Phänomen, das man hierzulande oft beobachten kann: Über Land wird man von bester Beschilderung verwöhnt, kaum ist man in einer Ortschaft geht das große Ratespiel los. Keine Schilder. Nicht auf Arabisch, nicht auf Lateinisch. Da, wo es immer nur geradeaus geht, da stellen sie Schilder auf, daß man von der Ladschaft nichts mehr sieht. Innerorts, wo man nie weiß, wo es lag geht, geizen sie sogar mit Verkehrsschildern, von Wegweisern ganz zu schweigen. Irgendwas ist bei denen doch schiefgelaufen.

Um dreiviertel neun waren wir im Hotelviertel angekommen (274.733). Im Hotel übernachten oder wieder aus der Stadt hinausfahren? Das Hotel Zand hatte einen Parkplatz. Erst hieß es, das Hotel sei voll. Ich schickte Michl hinüber zum anderen Hotel. Der Besitzer kam kurz darauf und meinte, er hätte nun doch ein Zimmer frei. Wir machten uns nicht die Mühe, die Zimmer erst zu inspizieren. Das Hotel Zand war das einzige mit Parkplatz und auf den kam es an. Fünf Euro pro Mann kostete es. Wir nahmen es. Als ich das Zimmer besah, war mir klar, daß es besser und billiger gewesen wäre, wieder in die Wüste hinauszufahren. Der Fehler würde mir nicht mehr unterlaufen.

Wir gingen noch zu einem Laden an der Ecke, um etwas zu essen. Ich schaffte es, dem Verkäufer klarzumachen, daß wir zwei Burger und zwei Cola wollte. Statt der Cola gab es dann Fanta, aber über solche Kleinigkeiten ärgerte ich mich schon längst nicht mehr. Es kommt immer die richtige Bestellung zum falschen Besteller oder umgekehrt. Ist einfach so.
Als wir dann wieder in Richtung Hotel gingen, liefen wir an zwei Typen vorbei, die Falaffel verkauften. Ich sah mir an, wie sie das machten, da sprach mich der Koch an. "Sprechen Arabisch nein", sagte ich auf Arabisch. "Du sprichst Arabisch?" "Nein", antwortete ich wieder auf arabisch. Er war aus dem Irak. Und sein Helfer auch. Sie schenkten uns ein paar Falaffel, fragten, ob wir nicht auch welche kaufen wollten. "Jetzt, wo ich gerade so einen Burger gegessen hab, kommst Du daher..." Aber da im Hotel das Frühstück nicht inklusive war - zum Glück, wenn man sich so das Zimmer ansieht - merkte ich mir das für morgen früh vor.


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© by Markus Besold