Persien 2006
Donnerstag, 31. August

Um acht standen wir auf. So günstig war das Auto wohl doch nicht geparkt, denn die Sonne weckte mich ungewöhnlich früh. Ich überlegte erst, ob ich umparken sollte, aber das war mir zuviel Streß. Wenn ich den Motor anwerfe, dann um weiterzufahren. So entlegen war es hier doch nicht, wie wir erst angenommen hatten. Es waren einige Autos auf der Piste vorbeigefahren. Man sah weithin, auch bei Dunkelheit die Staubfahne, die sie hißten, auch wenn vom Auto selbst schon mehrere Minuten nichts mehr zu sehen war. Ich kontrollierte die Flüssigkeiten. Öl war in Ordnung, Wasser mußte nachgefüllt werden. Ein halber Liter ging hinein. Als ich das Auto starten wollte, gab es Theater. Es sprang erst aufs vierte Mal an. Seltsam. "Wie hoch sind wir?", wollte ich wissen. "Ah. Schon ziemlich hoch... Zwischen anderthalb- und zweitausend Meter." Das sagt er mir jetzt erst. Wir fuhren wieder auf die Straße zurück. Pistenfahren ist tagsüber keinesfalls viel besser als nachts. Tagsüber sieht man zwar weiter und hat mehr Licht, doch in der Nacht sieht man die Unebenheiten besser, da die Scheinwerfer Schatten werfen.
Nachtplatz bei Tag
Die Gegend um Nowbaran, zwischen Saweh und Hamadan.

Um zwanzig vor neun fuhren wir weiter in Richtung Kermanshah. Die Strecke war wider erwarten sehr gut asphaltiert. Es scheint zu stimmen, was im Reiseführer steht. Von Teheran führen ein Autobahn und eine Landstraße nach Qom und eine Autobahn und eine Landstraße nach Saveh. Die Autobahnen sind Mautpflichtig - wir sprechen hier von Pfennigbeträgen - haben aber über lange Strecken keine Auf- oder Ausfahrt. Wir waren am Vortag, als wir aus Teheran rausfuhren, versehentlich auf die Autobahn in Richtung Qom. Von dort aus wechselten wir, einem Schild folgend auf die Landstraße in Richtung Saveh. Völlig unnötiger Quatsch, dadurch verloren wir nicht nur Zeit, sondern verfuhren mindestens 5¢ mehr Sprit. Von Saveh ging eine Strecke nach Row'an, auf der wir uns nun befanden, und traf dort auf die Schnellstraße Qazvin Hamadan. Das Überholen stellt hier kein wirkliches Problem dar.

Es ist fast immer möglich, eine dritte Spur aufzumachen, aber es empfiehlt sich nicht, wenn der Gegenverkehr auf die gleiche Idee kommt. Denn die Perser überholen nicht wie etwa die Türken, möglichst knapp am zu überholenden Auto, sondern möglichst weit davon entfernt. Das mag daran liegen, daß man hier immer damit rechnen muß, daß der andere völlig sinnloserweise zackt, oder einfach daran, daß sie selbst unvermittelt eine Kurve auf der Geraden fahren. In der Türkei hingegen, geht es ohne weiteres, daß man einen überholt, der gerade selbst überholt. Keiner fährt Zickzack. Was aber auch noch ein Grund sein könnte ist, daß hier alle Autos gleich sind. Es gibt hauptsächlich zwei Modelle, beide an die 30 Jahre alt:
Saipa, PickUp Made in Iran, meist dunkelblau, selten auch in anderen Blautönen gehalten.
Paykan, PKW Made in Iran, immer dunkelweiß.

Saipa, ausnahmsweise dunkelblau
Vor uns ein Meister des Aufladens. Es daf bezweifelt werden, daß er auch ein Meister des Kurvenfahrens ist.

Des weiteren sieht man Peugeots Pars (dunkelgrün metallic oder schwarz), Iran Khodro Samand (meist gelb, weil Taxi oder silbergrau metallic). Das sind die etwas moderneren. Der Rest teilt sich auf in alten Amischlitten aus der Schah-Zeit, Renault. Franzosen sind ziemlich stark vertreten. Mit einem Wort, abgesehen von den seltenen Mercedes Modellen (hauptsächlich Strichachter), fährt hier nur Schrott durch die Gegend, der eine serienmäßig mit einem enormen Lenkungsspiel ausgeliefert wird. Die Perser, die ohnehin nicht die Hellsten hinter dem Steuer sind, kriegen das Ausgleichen nicht in den Griff und daher wird zickzack gefahren, als wollten sie ein schlechtes Ziel bieten, weil jemand auf sie ballert. Die Polizei hingegen ist meist mit den neuesten Modellen der E-Klasse ausgestattet. Manchmal fahren sie auch Peugeots und ganz selten uralte Paykans, denen man ansieht, daß sie sich schon seit mindestens zwanzig Jahren auf dem asphaltierten Schlachtfeld von einem Tag zum nächsten durchringen.

Wir fuhren durch einige Käffer, hielten ab und zu an, um den Kühlschrank zu nässen, oder um zu tanken. Vor allen Tankstellen, die Diesel verkaufen stehen LKW an, oft hunderte von Metern. Bisher wurden wir immer nach vorne geholt, weil der Tankwart meint, wir wollten Benzin. Natürlich fuhr ich dann immer genau vor die Dieselzapfsäule und begann zu Tanken. Alles, was dabei passiert, ist, daß der Tankwart drei oder viermal sagt, daß es sich um Diesel handelt, hier "Gasoil" genannt. Und nachdem man dreimal das Wort wiederholt, auch wenn er zwischendrin mal "Benzin" sagt, läßt er einen in Ruhe. Eine Parallele zu Brasilien. Dort kennen sie auch keine Diesel-PKW. Die Landschaft jedenfalls war schön und ließ nicht im entferntesten einen Vergleich zum brasilianischen Einheitsgestrüpp zu. Und immerhin halten die Perser ihre Schilder in Persisch und in Englisch. Meistens zumindest. Innerorts sind englische Schilder manchmal Mangelware, in besonderen Orten sind Schilder überhaupt Mangelware.

Die Strecke selbst war auch interessant. Es gab einige Besonderheiten. Wir fuhren von einem Plateau herunter in langen flachen Serpentinen. "Use low gear", stand auf den Schildern. Ich ließ den höchsten Gang drin, denn weil wenig Verkehr war, standen mir mindestens beide Spuren zur Verfügung, oftmals alle vier.

Auf den Serpentinen
Kurvenoptimierung konnte auf der ganzen Strecke betrieben werden...

Ab und zu sah man Schilder, die auf eine "Emerjency Ramp" hinwiesen, ähnlich, wie man sie am Zierler Berg hat. Für die Preußen: Es handelt sich dabei um Schotterpisten, die von der Straße nach rechts abzweigen und steil bergauf führen. So kann der LKW, wenn die Bremsen heißgelaufen sind, immer noch durch die Erdanziehung zum stehen kommen kann. Das witzige war nicht allein der Rechtschreibfehler in der englischen Schreibweise. Man soll froh sein, daß sie sich wenigstens die Mühe gemacht haben, auch die Ausländer auf die ohnehin kaum vorhandenen Verkehrsregeln hinzuweisen. Nein, die Notrampe selbst war der eigentliche Witz. Denn, um diese im Notfall benutzen zu können, mußte man ungebremst (logischerweise) eine scharfe Rechtskurve vollführen. Das war aber auch nicht alles. Bei den meisten davon ist die Afahrt auch gleich zu anfang so steil, daß man den LKW gleich frontal gegen den Berg fahren könnte. Was aber unerheblich ist, denn auch ein unbeladener leichter LKW würde schon beim Versuch, von der Straße auf die Rampe zu fahren, einfach umkippen und auf der Seite oder auf dem Dach bergab auf dem Flüsterasphalt weiterschlittern. Erst recht dann, wenn ein Perser am Steuer sitzt. Die schaffen das auch auf gerader und ebener Strecke, das sollte ihnen hier keine Schwierigkeiten bereiten.

Mittags erreichten wir Kermanshah. Nun war Frühstücken angesagt, wozu ein geeigneter Platz gefunden werden mußte. Ich ließ mich von Michl ins Zentrum lotsen. Das dauerte. Die Stadt ist zwar nicht besonders groß, aber das hält die Einheimischen nicht davon ab, alle Straßen zu verstopfen, um ihre Fahrübungen abzuhalten. Als wir im Zentrum waren, brauchten wir erst mal einen Parkplatz. Wir fanden eine Nebenstraße, die offensichtlich als solche gedacht war. Scheinbar gab es auch einen Aufpasser. Mehrere Autos rangierten vor und zurück, parkten ein, aus. Wenn man einmal irgendwo stand, dann gab es kein Zurück mehr, denn da die Perser alle so dicht aufeinander fahren, kann man einfach nicht zurücksetzen. Ich schaffte es, einen Parkplatz zu ergattern. Wir stiegen aus. Ein im VW-Bus sitzender älterer Herr gab mir ein Zeichen, ich solle zusperren - oder das Licht auszumachen. Konnte man deuten, wie man wollte, aber da ich das Licht nicht anhatte, war wohl jenes gemeint. Die nächste Geste schien das zu bestätigen. Die deutete ich nämlich so, daß ich da nicht parken, sondern abhauen sollte. Ich stand noch eine Weile am Auto, während sich Michl fertigmacht, was nicht normal vor sich geht, sondern wie immer in Zeitlupe. Irgendwas paßte mir an dem Platz nicht. Als dann auch noch zwei Kinder ankamen, die mir irgendwelche Koranfetzen andrehen wollten, stiegen wir wieder ein. Während Michl die Lage in gewohnter Schlaftablettenmanier analysierte, wimmelte ich die beiden ab. Ich war böse aus der Übung gekommen, denn es klappte nicht. Südamerika war schon zu lange her.

Kreisverkehr Kermanshah
Kreisverkehr in Kermanshah. Keine Vorfahrtsregelungen, jeder fährt, wie er meint. Der Baggerfahrer spart sich selbst das Schauen - was soll ihm schon passieren? Geschwindigkeit: zwischen 20 und 30 km/h.

Um der Sucherei ein Ende zu machen, ließ ich endlich nachsehen, was der "Einsame Planet" so an Lokalen empfahl. Auf der großen Einkaufsstraße, auf der wir hergekommen waren, sollen zwei Pizzalokale gewesen sein. Um auf die zu kommen konnte man nicht einfach zurück, sondern mußte um die halbe Welt fahren. Einige Zeit später standen wir in einer Parklücke an besagter Straße. Kein Schatten. Nicht weit war ein Lokal. Allerdings unterirdisch, somit den Blick auf das Auto verunmöglichend. Weiter vorne sollte noch ein Lokal sein, laut Reiseführer. Doch das gab es wohl nicht mehr. "Hier wird es doch wohl irgendwo ein Restaurant geben, bei dem man in der Nähe Parken kann, Kruzefix", stiefelte ich zum Auto zurück. "Da weiter oben waren zwei Burger- oder Pizzalokale", informierte mich Michl. Ich fuhr hin, wo er meinte. Nur gab es bei keinem von beiden auch nur ansatzweise einen Parkplatz. "Such was anderes", befahl ich, währen ich so langsam es eben ging die Straße hochfuhr und nach Lokalen suchte. "Hier steht Schöner 123er auf dem Weg nach Kermanshah'Kentucky Fried Chicken'", las Michl vor. "Kentucky? Hier?", das kam mir persisch vor. Wieso sollte es hier sowas geben? Das ist doch amerikanisch, die werden sich hüten, hier irgendwelche Lizenzen zu verteilen. Nicht, solange nicht die Truppen hier durchmarschiert sind, um den Boden vorzubereiten. Aber schließlich gab es auch Coca-Cola, im Gegensatz zu Libyen, wo es keines gab, auch weder McDonald's noch Burger King, noch Ähnliches gab. In Amerika bin ich kein großer Freund von Kentucky, aber hier bot ein Besuch durchaus Studienmaterial. Das wollte ich mir mal ansehen. Wir fuhren etwas heraus aus dem sich legenden Trubel und fanden das Lokal auch gleich. "Das da?" "Ja, das muß es laut Karte sein. Wir sahen erst nach, ob es nicht eine Ecke weiter war, oder eine zuvor, denn in den Stadtplänen des "Lonely Planet" waren immer nur die wichtigen Straßen eingezeichnet. Aber wir waren schon richtig. Ich parkte genau davor, packte die Teheran-Times, klemmte die Fliegenpatsche unter den rechten Arm und wir gingn zum Lokal. Bei genauerem Hinsehen sahen wir auch die Aufschrift zu sehen. Das Wort Chicken war sogar dabei. Da muß sich jemand aber leicht geirrt haben. Klimaanlage gab es zwar, aber die blies nicht besonders kalt. Ich sah mich um. Ich hatte keinen großen Bock, noch länger herumzufahren, zumal jetzt scheinbar Siesta angesagt war. Ich sah nach, was es denn so gab. Die Karte schlug ich kurz auf, klappte sie aber auch gleich wieder zu. Es ist einfach quatsch, die Zeichen mühsam zu entziffern, um dann festzustellen, daß man mit dem Wort sowieso nichts anfangen kann. Hinter dem Tresen war ein Poster, das verschiedene Hähnchengerichte zeigte. Eine Keule, Hot Wings, etc. und in der Mitte, ganz groß ein Hähnchenschnitzel. Pizza hatten sie auch. Michl entschied sich dafür, ich nahm das Schnitzel. Ich zeigte darauf, und zwar mit der Fliegenpatsche, die nur noch wenige Zentimeter vom Poster trennten. Darauf sah ich den Wirt an, der der Fliegenpatsche genau mit dem Blick gefolgt war. Er sah dann mich an, deutete selbst mit dem Finger drauf und sagte "Filet". Ich nickte. "Und eine Pizza Spezial", fügte ich hinzu und deutete auf Michl. Er wiederholte, gab es an seinen Gehilfen weiter und verließ das Lokal. Wir setzten uns und lasen Zeitung.
Das Essen kam nach zwanzig Minuten, wie immer verkehrt. Ich bekam die Pizza und Michl bekam mein Essen, das mit der Bestellung absolut nichts zu tun hatte. Ich tauschte und besah mir mein Gericht. Vor mir lag ein halbes Geflügel, das mit etwas Phantasie an ein Hühnchen erinnerte. "Naja... Ein Filet hätte man daraus bestimmt machen können, aber die restlichen Arbeitsgänge haben sie sich gespart. Die Pommes waren auch nicht das, was man sich darunter vorstellt. Kartoffeln, die vermutlich mit der Schere zerhackt wurden und in der Pfanne gebraten. Wenn es überhaupt Kartoffeln waren. Ich aß bis ich satt war. Der Hunger treibt's schon rein. Wir bestellten dazu eine Cola und eine Fanta, um etwas zusammenzubrauen, das an Spezi erinnerte. Dazu war allerdings auch etwas Phantasie nötig - jedoch nicht soviel, wie beim Hühnchen. Michls Pizza war eher ein landestypisches Fladenbrot mit allerlei Grünzeug und Hühnchenteilen ohne Käse überbacken. Nach Besteck mußten wir fragen. "Entschuldigen Sie. Wir essen nicht mit den Händen. Und auch nicht vom Boden", dabei so gestikulieren, daß bei ihm "Besteck" ankam. Er brachte Plastikbesteck. Wahrscheinlich haben sie hier nicht Metallbesteck, damit man es ihm nicht nachwirft. Der Bestellung einer zweiten Flasche wurde auch kaum nachgekommen. Ich mußte sie mir selbst aus dem Kühlschrank holen. Der Preis haute mich auch fast um. 65.000 Rial, über sechs Euro wollte der Heini haben und es gab noch Diskussion wegen des Wechselgeldes, das er nicht hatte. Ich notierte für das KTB: "13:00 "Kentucky Fried Chicken" Note 5. Teuer, keine Klima, schlechtes Essen, schlechter Service. Weiter nach Diskussion mit Wirt. 273.428". Ich zeigte ihm noch den Zettel mit der Adresse der Familie von Ölhahn. Wenigstens das klappte halbwegs. Halb Wegs. Er meinte, ich sollte am nächsten Kreisverkehr umdrehen und dann am nächsten rechts fahren. Immerhin.

Berg der Götter
Die schon von Weitem sichtbaren Felswände, die scheinbar grundlos aus der Ebene schießen.

Wir stiegen ein und fuhren weiter. Irgendwie würden wir die Familie schon ausfindig machen. Ich hielt an einer Straße da an, wo ein Laden offen hatte. Mit dem Zettel stieg ich wieder aus und ging zum Laden. Zwei Leute kamen raus, der eine hielt einen Zettel in der Hand und zeigte in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Ich stellte mich hinter seinem Gesprächspartner an, der sich bald bedankte und seines Weges ging. Er wandte sich mir zu. Ich hielt ihm ebenfalls einen Zettel entgegen, den er grinsend an sich nahm und durchlas. Auch er schickte mich wieder zurück, rechts, am Kreisverkehr umdrehen, bis zum nächsten fahren und dort jemanden fragen. So tat ich. Als ich dort wieder angekommen war, stieg ich bei einem Lebensmittelladen aus, fragte jemanden, der in der Schlange stand. Der schickte mich weiter und bei der nächsten links. So tat ich. Die "nächste" war ein Kreisverkehr. "Ah, vielleicht hat er die nächste Straße gemeint", meldete sich Michl zu Wort. Auf dem Rückweg nun also rechts. Wieder fragen. Man schickte uns zurück, links, umdrehen am Kreisverkehr, bis zum nächsten und dort links.

Da waren wir nun vor einem Zeitungsstand. Wieder konnten wir jemanden fragen. Ich fragte den, der eine Zeitung kaufen wollte, der wiederum den Zeitungsstandbesitzer fragte. Der nahm den Zettel, sagte den Namen Janschupan ein paar mal vor sich hin, nahm mich beim Ärmel und stiefelte los. Er klpfte an einem Haus, fragte dort irgendwen irgendwas, dann ging er weiter, klopfte wieder und nach einer Weile öffnete eine Frau. Sie begrüßte mich und sagte "Modar Elham". "Ja, genau, Elham, Ölhahn, irgendsowas", begrüßte ich auch sie. Wir wurden also erwartet. Ich deutete in Richtung Zeitungsstand, sagte "Sayara, Arabah, Auto". "Maschin", berichtigte sie mich. "Ja, Maschin..." Ich ging mit dem Zeitungshändler zurück, bedankte mich, nahm ihm den Zettel wieder ab, den er noch in der Hand hielt und fuhr los. Sie deutete gleich an, daß ich das Auto in den CarPort fahren soll. Gut. Bevor ich mich schlagen lasse...
Als erstes kramte ich das Zeug heraus, das ich für sie dabeihatte. Allerdings wußte ich nicht mehr, welche Tüte Almut gemeint hatte, also gab ich ihr einfach beide. "Wird schon die richtige dabeisein..."

Wohnzimmer Tabman 22
Wir wurden in das stattliche Wohnzimmer gebeten, das großen Fenstern ausgestattet war, die einen hervorragenden Ausblick boten.

Mit der Verständigung klappte es nicht so ganz. Sie konnte kein Englisch, wir kein Persisch. Wir einigten uns wohl oder übel auf Fuchtelsprache. Sie zeigte uns das Bad, die Kücke, die Dusche und fragte nach, ob wir schon gegessen hätten. Wir bejahten, was sie nicht davon abhielt, alles mögliche aufzufahren. "Ich geh jetzt erst mal ins Brausebad", sagte ich zu Michl, woraufhin ich nachfuchtelte, ob das denn in Ordnung ginge. Duschgelegenheiten sollte man unterwegs immer wahrnehmen. Man weiß nie, wann es die nächste gibt. Dabei fiel mir auf, daß mein Duschgel weg war. Ich rief in Teheran an und fragte, ob ich das vielleicht auf dem Zimmer vergessen hatte. "Please call back in ten minutes..." Ich also zehn Minuten gewartet und wieder angerufen. Sie hatten es gefunden. Ich bat darum, es aufzuheben, ich würde in ein paar Stunden vorbeikommen, um es abzuholen. Man muß ja nicht gleich dazusagen, daß ich dabei an ca. 200 Stunden dachte.

Ein Auto fuhr vor dem Eisernen Tor vor. Herein kamen ein Herr, ein Mädchen und ein Bub. Das Mädchen hieß uns auf Englisch willkommen. Das war die Schwester von Ölhahn, die ich noch nie im Leben gesehen habe. Der Schwester Englisch stieß zwar schnell auf grenzen, aber es war eine Unterhaltung möglich, wenn man auf zuviele unnötige Wörter verzichtete und hauptsächlich Substantive und Werben benutzte. Macht nichts, ist schon recht so. Englisch ist sowieso keine Sprache, also nieder damit. Der Herr war der Bruder vom Vater, also der Onkel. Der Vater selbst war in den Bergen, das hatte die Mutter bereits vorher zu sagen versucht und ich hatte es sogar richtig verstanden, was aber nur daran lag, daß Vater sich auf Persisch fast so anhört, wie auf Deutsch. Mutter und Tochter übrigens auch. Der Unterschied zum Spanischen ist bedeutend größer. Und der Bub war sein Sohn, etwa 16 Jahre alt.
Ein Fernseher stand im Eck und wir durften uns einen Sender raussuchen. Es waren auch einige deutschsprachige Sender dabei. Ich wollte jedoch Al-Jazeera anschauen. Nachdem CNN ein arabischer Sender sein soll, ist vielleicht Al-Jazeera ein grönländischer. Doch es kam nur ein kurzer Trailer über Al-Jazeera. Als dieser sich zum fünfzigsten Mal wiederholte, schaltete ich durch, um zu sehen, was es so gab. Dabei stieß ich auf den Pentagon-Channel. Eine Rede Rumsfelds wurde in voller Länge übertragen, dabei ging es unter anderem um den Iran. Ich dachte, es wäre Bush's Spezialität, bei allem und jedem auf Gott hinzuweisen. "Wer hat nun Recht? Gott oder Allah?" Blöde Frage. Wie immer der, der gewinnt. Oder war's schon mal anders und ich hab's nur verpaßt?

v.l.n.r.: Ölhahns Mutter, Ölhahns Schwester, Rumssfeld
Er dräuet den Persern mit blutigem Krieg...

Die Tochter fragte mich, ob wir Lust auf eine Sightseeing-Tour durch Kermanshah hätten. Na, selbstverständlich. Wir fuhren im Paykan des Onkels los. Wir fuhren zu den Grotten von Taq-e Bostan. Wir fuhren eine Weile durch Kermanshah, das mir immer noch klein vorkam, obgleich in dieser "Kleinstadt" ca. 650.000 Leute wohnen, wie man dem Reisef""uhrer entnehmen kann. Die Grotten waren eine Art Park. Es kostete auch Eintritt, wobei hier wieder nur Pfennigbeträge gemeint sind. Man ließ mich nicht bezahlen. Die Grotten hatten Reliefs, die aus sasanidischer Zeit stammten, etwa 400 v.Chr., davor Säulenreste. Es kam auch jemand, der uns eine Führung anbot. Ich war mir nicht sicher, ob hinterher nicht Geldforderungen kommen würden. Man weiß ja nie. Ich willigte schließlich ein, was sollte ich denn tun? Die Führung war in Englisch, ausschließlich für uns, sehr detailliert, und kostete keinen einzigen Pfennig. "Das hier ist echt wie in Libyen", stellte ich wieder Vergleiche an.

Danach fuhren wir weiter, wieder durch Kermanshah und stoppten an einem verdreckten Parkplatz. Ich fragte mich, was wir denn hier wollten. Die Schwester und der Couseng, die komischerweise beide auch jetzt wieder vorne gesessen waren, statt, daß sich einer hintersetzt, stiegen aus und man öffnete uns die Tür. Der Onkel fuhr das Auto parken. Völlig unscheinbar in dieser für iranische Verhältnisse völlig verdreckten Gasse war ein großes Gebäude. Sehr gepflegt und nicht auf den ersten Blick erkennbar, war es unterhalb der Höhe der Straße gehalten, so, daß wenig mehr als das Dach von der Straße aus zu sehen war, was den Unbefangenen meinen lassen könnte, es wäre nur eine weitere Flachdachhütte in der Gegend. In Wirklichkeit handelte es sich um das Immam Hussein Museum. Wir gingen hinein. Interessant waren die bemalten Fließen. Damals gab es noch keine Action-Filme, daher mußten sie die auf Fließen mahlen. Kaum eine Szene, bei der nicht jemandem der Kopf abgehackt wurde, bei der niemand mehrfach erstochen wurde, bei der nicht hunderte von geköpften Leichen oder zerstückelte Kinder abgebildet waren.

Museum Immam Hussein
Mein persönliches Favourite war dieses hier., bei dem Immam Hussein einen Gegner mit einem Schwerthieb in zwei Hälften teilt. Am Boden Tote Pferde und zertrümmerte Leichen.

Sehr kreativ waren die Leute also damals im 19. Jahrhundert schon was die Darstellung von Gewalt angeht. Im Innenhof waren Comics aus der gleichen Epoche an die Wand gemalt, die natürlich den einen oder anderen Spruch mit "Dänemark" als Inhalt nach sich zogen. Damals mochten sie noch Comics. Immam Hussein ist ja im 7. oder 8. Jahrhundert ermordert worden, folglich konnte er hier nicht begraben werden, weil irgendjemand in der Zwischenzeit die Leiche verschmissen hatte, also ließ sich in der Not keine andere auftreiben, als die des Erbauers. Der liegt nun hier in einem Sarg begraben. So ähnlich wurde es mir erklärt. Michl war da etwas genauer informiert, da er den Reiseführer vorher studiert hatte. Allerdings scheitert seine Wissensvermittlung nicht am mangelnden Englisch, sondern an mangelnder Sprachbegabung. Wenn er einen Satz halbwegs zusammenhängend zu Ende gebracht hat, weiß man schon nicht mehr, wie er angefangen hat. Das Gebäude ist ein Nachbau eines gleichen Gebäudes in Mashhad.

Das Museum wurde geschlossen. Weil wir da waren wieder mal weit nach der offiziellen Schließzeit. Wir schlenderten zum Auto und fuhren zum Basar. Nur kurz, weil der auch schon im Schließen begriffen war. Wie alt der Basar von Kermanshah war, wußte man nicht. Man wußte nur, daß er "sehr alt" war. Auch wenn man den Reiseführer konsultiert, wird man nicht klüger. Und so sah er auch aus. Sehr alt und sehr bunt. Und verhältnismäßig gepflegt. Er verbreitete eine gemütliche Atmosphäre. Auch wenn gerade allerorten Feierabend gemacht wurde, lief es ohne große Hektik und vor allem ohne Gebrüll ab. Die Perser scheinen da wesentlich besser erzogen als ihre arabischen Glaubensbrüder. Was ich als sehr angenehm empfang war, daß uns nicht einmal jemand etwas andrehen wollte. Höchstens fragte man woher wir seien und hieß uns willkommen.

Perser beim Fahren
Blick von der Brücke auf die Straße.

Als wir einmal durchwaren und nichts weiter tun konnten, als im Wege zu stehen, während die Verkäufer ihre Läden schlossen, rief Ölhahns Schwester per Handy ihren Onkel herbei, der uns dann nach hause fuhr. Dort hatte Mamma Janschuspan bereits dick aufgekocht und der Teppich war auch bereits gedeckt. Wenn es etwas gibt, an das ich mich einfach nicht gewöhnen kann, dann ist es, am Boden zu Essen. Nicht, weil ich glaube, als zivilisierter mitteleuropäischer Klosterschüler anrecht auf einen Tisch zu haben, sondern weil ich nicht im Schneidersitz sitzen kann, ohne nach hinten umzukippen. Das läßt mein Übermenschenskelett nicht zu, weil es fehlkonstuiert ist. Und seitwärts sitzen geht auch nicht, weil man dann nur eine Hand frei hat zum Essen. Ich bemühte mich jedoch darum, mich den Landessitten anzupassen. Man bot mir mehrmals einen Stuhl an. Ich lehnte ab. Ein Sofa im Rücken hilft gegen das Umkippen - allerdings nicht dagegen, daß man auf dem Weg vom Teller zum Mund alles vollkleckert. Man kann nicht alles haben. Aber Michls Eßversuche stellten sicher, daß ich kaum auffiel. Ich weiß nicht, wer ihm das Essen beigebracht hatte, aber derjenige muß etweder auf der Weide oder im Zoo aufgewachsen sein. Ich ließ ihn machen. Bin ja nicht seine Mutter - und selbst die war beim Versuch, ihn zu erziehen, gescheitert. Kläglich.

Wie dem auch sei. Nach dem Essen schauten wir Nachrichten. Die Frist für den Iran lief ab. Eine Antwort sollte bis heute vorliegen. Das erklärt nun auch die ausführliche Rede Rumsfelds einige Stunden vorher, deren Inhalt also nicht nur zufällig auf den Iran paßte. Das geht im gleichen Stile weiter wie bisher. Ein Grund für den Krieg ist schnell herbeigeredet. In Afghanistan war es Osama Bin Laden, im Irak Weapons of Mass Destruction. Weder wurde der eine gefaßt, noch das andere gefunden, aber hinterher, wenn man gewonnen hat, fragt eh keiner mehr danach. Nun haben sie hier Atombomben zu suchen. Natürlich werden sie keine finden, aber wie gesagt. Interessiert hinterher keine Sau mehr.

Um 24:00 Uhr stellen wir fest, daß es in Wirklichkeit eine Stunde früher ist. Was denn der Quatsch mit der Uhrzeit immer soll? "Selbe Zeit wie Teheran?", wollte ich wissen. "Ja. Zeit im Iran immer gleich", versicherte man mir. Wäre schön, wenn man sich hier mal darüber einigen könnte. Kennt sich doch kein Schwein aus. Und man merkt es nicht mal. Man muß ja schließlich nicht arbeiten. Aber so ein Theater mit der Uhrzeit hatte ich bisher noch nie. Zwar kommt im Auto keine Durchsage, daß man die Zeit umstellen soll, aber
Ich fuhr noch schnell den Benz zur Einfahrt raus, damit der Paykan auch noch im Innenhof Platz hatte. Das klappte auch vorzüglich. Wider Erwarten fuhr der Onkel die Pfosten, die das Dach der Garage hielten, nicht um, sondern daran vorbei.


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