Panamericana-Tour 2002
vom 16. bis 22. August

Vierte Fahrtwoche

Freitag, 16. August 2002
Der letzte Nachtplatz in Peru Der Tag brachte alles ins Helle. Natürlich kein Vergleich zu unseren besten Nachtplätzen unten in Argentinien oder drüben in Afrika, aber immerhin bekam man einen leichten Anflug von wehmütiger Erinnerung an diese schönen Zeiten damals. Es war eine gewisse Aufbruchsstimmung in der Luft. Hier hatte ich etwas Bedenken, was die Fahrt anging. Gabi war weißgott keine Almut. Im Jahr zuvor war es nur eine kleine Tour durch das Südliche Südamerika gewesen, doch hier handelte es sich um eine Transkontinentalreise. Zwar hieß der nördliche Kontinent auch Amerika, aber das sind Details. Streckenmäßig ist das jetzt schon die größte Fahrt an einem Stück. Catarina war zwar in allem wesentlich lockerer als Gabi, aber Auslandserfahrung hatte er Null. Bei der Beurteilung mancher Sachen half aber die Tatsache, daß er in Südamerika lebt und so viel Unterschiede bestehen nicht, wenn es um gewisse reisetechnische Dinge geht, besonders um Papierkrieg. Er hätte sicher vieles besser hinbekommen, als ich es tat, weil er sich weniger durch die Ratschläge von Gabi aus der Bahn werfen ließ. Die konnten ihm nichts, da er kein Wort verstand. Aber er konnte kein Spanisch. Besser: Er wußte nicht, daß er spanisch konnte. Das bekam ich einfach in seinen Kopf nicht hinein, daß er einfach alles so aussprechen soll, wie es geschrieben wird. "Das tue ich doch, Du Unglücklicher..." Nein. Tat er nicht. Aber kapieren konnte er nicht, was er falsch machte. Er war schon lange dazu übergegangen, Portugiesisch langsam und mit irgendeinem seltsamen Akzent zu sprechen. Das half ein bißchen. Aber er konnte seine Umgangssprache nicht loswerden. Hochportugiesisch hätte sehr geholfen - ich bezweifle aber, daß es das in Brasilien überhaupt gibt.

Wie dem auch sei. Wohl war mir bei dem Gedanken plötzlich nicht mehr, allein mit Gabi nach und durch Zentralamerika zu fahren. Sie kann sich nicht einen Millimeter lösen von ihrer deutschen Art, die Dinge zu sehen. Und ihr irgendetwas aus- oder einzureden, das funktioniert nicht. Haut nicht hin. Beginnend von dem Punkt, an dem man meint, etwas in richtig oder falsch einteilen zu müssen. Kann man ja gerne machen, aber es ist weitaus komplizierter als es scheint, sobald man sich unter Menschen befindet, die eine von Grund auf andersartige Sozialisation genossen haben. Die keinen Staat haben, der sie berichtigt, der sie stützt, der ihnen den Weg mehr oder weniger weist. Menschen, die nicht einen Bruchteil dessen als selbstverständlich hinnehmen können, wie wir es können, Menschen, die es nicht anders kennen und die keine Ahnung haben, wie es woanders aussieht. Das gilt für den Großteil der Einheimischen in gleichem Maße als es für Gabi gilt, mit dem Unterschied, daß sie die Gelegenheit hat, sich das alles zurch die Windschutzscheibe anzusehen und es zu studieren. Die meisten Menschen, denen wir hier begegnen waren nie in Europa und werden auch nie nach Europa kommen. Von Ihnen entsprechendes Benehmen zu erwarten ist ein Schmarrn.

Ein paar Stunden noch, und wir würden an der Grenze sein. Equador hat den US-Dollar als Währung, wie man dem Reiseführer entnehmen konnte. Das war schon mal gut, denn man mußte sich nicht mit den Spielzeugwährungen hantieren und umrechnen und wechseln und Dollar braucht man immer, egal, wo man ist. Der Verkehr nahm zu, je mehr wir uns der Grenze näherten. Immer mehr equadoriesische Kennzeichen sahen wir und noch mehr alte amerikanische Autos. Equador fördert Erdöl, die Spritpreise sollten daher nicht allzuhoch sein. Das ist eine erklärung dafür. Und es ist gut für uns. Doch erstmal mußten wir da hinkommen.

Ein Bild, das man an keiner Europäischen Grenze vorfinden wird.

In dem Grenzkaff herrschte eine rege Tätigkeit. Wie immer und fast überall in peruanischen Städten, bietet sich dem europäischen Betrachter scheinbar ein Bild des perfekten Chaos. Autos, Radfahrer, Handkärren, Fußgänger, Köter, schreiende Händler, Kleinbusse mit integriertem Schreier, der im Staccato erklärt, wo der Bus hinfährt. Auch die Verkaufsstände sind wie Kraut und Rüben. Reifenhändler neben Fischändlern neben Souvenirhändler neben Haushaltswarenhändler neben Kleidungshändler neben Handarbeitsartikelhändler. Das Erstaunliche ist, daß trotz des ganzen scheinbaren Wirrwarrs, die Wahrscheinlichkeit, daß hier einer einem vor das Auto springt geringer ist, als an einer wenig belebten Straße in Mitteleuropa. Meine Theorie ist die, daß die Menschen hier weniger ihren Intellekt gebrauchen, der sowieso bei Menschen im allgemeinen und in der Masse im besonderen noch nie funktioniert hat. Sie vertrauen vielmehr auf ihren gesunden Instinkt und sind damit weiter, als die Mitteleuropiden, die ihre intellektuelle Verbildung zur Maxime erhoben, ohne zu merken, daß die Kraft des Geistes nur einigen wenigen vorbehalten ist und nun mal nicht jeder Hans Dampf ein Philosoph ist, nur weil er lesen und schreiben kann. Oder wie kommt es, daß Tiere, denen man jede Art von Intelligenz abspricht, sich weitaus menschlicher verhalten, als der Mensch, der das Wort Menschlichkeit überhaupt erst erfunden hat?

Wir erreichten schließlich die Grenzstation, erledigten die Papiere für das Auto, unsere eigenen. Diesmal ohne großes Theater und ohne große Aufregung. Mal sehen, wie es drüben in Equador aussieht. Die Päße behielt ich gleich, denn bis zur nächsten Grenzstation war es gar nicht weit.

Vor der peruanischen Grenzstation.

Das Straßenbild änderte sich nicht großartig an der equadorianischen Grenze. Überall Händler, Rikschas, Schreier, was nicht noch alles und vor allem diese nervenden schreienden Kinder. Da könnte man eines nehmen und das andere damit erschlagen. Eigentlich ein sehr witziges Bild. Es klang nicht mal anders. Das Spanisch war bisher in Chile am schrecklichsten. Hier oben sprachen sie wieder verständlicher und hielten sich mehr an das Geschriebene. Hauptsache, man kann sich verständigen. Man sticht zwar etwas aus der Masse heraus und ab und zu hört man einen Ruf "Hey, Osama Bin Laden!" Doch daran war ich längst gewöhnt und fragte mich langsam, ob ihnen nicht langsam etwas neues einfällt, denn das wird schon langsam langweilig. "Und wer oder was bist Du?", fragte ich den dritten, der mir damit kam. Aber die denken sich weiter nichts dabei. Ist wohl recht seltsam, wenn sie jemanden mit Bartwuchs sehen, und wenn es noch so spärlich ist. Die Leute hier haben nämlich sowas nicht.

An der Grenzstation angekommen erledigten wir erst unsere Einreise. Das war einfach. Wir bekamen unsere Stempelchen hier und da und alles war erledigt. Dann kam das Auto dran. Und hier wurde es wieder kompliziert. Erst schien es gar nicht so. Sie gaben mir ein Papier für den Grenzverkehr. Für Autos mit peruanischer Zulassung. Ich überlegte lange, ob ich was sagen sollte oder nicht. Ich ließ es dann. "Think african..." Nichts fragen, nichts berichtigen, das macht es nur komplizierter. Hauptsache, man hat ein Papier in der Hand, das man vorzeigen kann, alles andere erledigt sich von selbst. Er beriet sich mit seinem Kollegen. Ein anderer Typ, der die ganze Zeit im Raum gestanden hatte, in Zivil gekleidet war, und den ich verdächtigte, einer dieser nutzlosen Helfer zu sein, die einem das erklären, was man eh schon weiß, um hinterher Geld zu verlangen, schaltete sich ein. "Wo ist das Auto zugelassen?", fragte er mich, schätzungsweise, weil er an der Zahlen-Buchstaben-Kombination des amtlichen Kennzeichens sah, daß etwas nicht stimmte. "In Deutschland..." Er erklärte allen, daß in diesem Falle ein zum Fahrzeug gehörendes Papier ausgefüllt werden müßte, von dem ein Streifen beim Zoll bleibt. Das "Carnet de Passages", fiel mir ein. Ich war in Deutschland ohne das losgefahren und seit der Elfenbeinküste kam dieses mir verhaßte Papier gar nicht mehr zur Aussprache. Damals konnten wir es regeln, ich würde es auch diesmal regeln können. Aber der Klugscheißer da mußte erst mal weg, denn die anderen beiden hatten keinen Plan von nichts. Ich hatte es schon fast soweit, daß es losgehen konnte, da kam mir dieser Depp daher. Den brauchte ich, wie ein Loch im Kopf. Idiot!

Blick von der equadorianschen Grenzstation hinaus auf die Straße. Ob hier wohl irgendeiner übersieht, wer raus und wer reingeht, das blieb mir ein Rätsel. Kümmert wahrscheinlich niemanden...

Ich legte ihnen den internationalen Fahrzeugschein hin und erklärte ihnen, daß das das "Carnet de Passages" sei. Dem Zöllner konnte ich das noch verklickern, aber der andere ließ sich nicht so leicht überzeugen. Ich wurde zum ersten mal grantig und sah ihn scharf an. Ich versuchte eine Situation herzustellen, bei der klar wurde, daß der Zöllner die Autorität in diesem Raume sei und nicht er. Er erklärte dem Zöllner, daß erst deutsche Touristen hiergewesen seien und bei denen sah es anders aus. "Das sind die neuen, meines ist das alte, ich bin schon seit zwei Jahren dort weg", zischte ich ihn an. Den Zöllner wurde es zuviel und er griff zum Telephon. Nach einer Weile legte er auf und sagte mir, ich solle zum Zollbüro gehen. Er beschrieb mir den Weg. Ich bin ein Orientierungsidiot und wiederholte nochmals alles. Er gab meinen Paß dem Trottel und wies ihn an, mir den Weg zu zeigen. Als wir draußen waren, bat ich sofort um die Herausgabe meines Paßes. "Nein, wir müssen zum Zoll, der ist dort." "Nein. Nicht wir, sondern ich muß zum Zoll". Ich warf einen Blick zum Auto, aber Cat konnte mich nicht sehen. Ich tat einige Schritte auf das Auto zu, ging also in die entgegengesetzte Richtung. Cat stieg aus, ich winkte ihm zu, er machte eine Geste, die soviel hieß wie "Was geht? Was los?" Ich deutete auf den Kasper, auf den ich mich mit ausgestreckter Hand, auf den Paß deutend, zubewegte. Er gab ihn mir. Dann gab ich Cat ein Zeichen, daß alles OK sei und er am Auto bleiben solle. Ich ging dann zum Zoll. Ich sagte dort, daß man mich hierhergeschickt hätte, weil man mit meinem Kennzeichen nichts anzufangen wüßte. Man öffnete eine Tür, bat mich hinein, öffnete eine weiter Sicherheitstür und bat mich dort hinein. Sehr gut. Ein klimatisiertes, schön eingerichtetes Büro. Das einzige, was dieser Raum mit der Straße gemeinsam hatte, war, daß jeder am Brüllen war. Es war noch ein Tick unangenehmer, weil viele Frauen im Raum waren und die können nicht richtig brüllen - die kreischen. Es hörte sich an, wie im Affenstall. "Haltets Euer Maul, ihr Schlampen!", zitierte ich meinen alten Wirtschaftslehrer, Dr. Riegele. Aber auf mich hört ja sowieso niemand...

Ich saß da eine halbe Stunde, bis einer kam, der etwas wichtiger aussah, und es wurde stiller im Raum. Nur die Leute, die am Telephon waren, die quasselten weiter. Er deutete auf mich und murmelte einen Befehl, dem man sogleich nachkam, und zwar dadurch, daß ich aus dem Raum befördert wurde. Die Papiere blieben dort. Ich durfte in einem anderen Raum platznehmen, vor einem Schalter, hinter dem sich wiederum das Büro befand, aus dem ich gerade hinausgeschmissen wurde. Aber auch hier war nichts anders. Ich wartete und wartete. Ich war die einzige Person im Raum. Hinter dem Schalter setzte sich eine Frau, die aber keine Anstalten machte, mich aufrufen zu wollen. Ich lief auf und ab, und wieder auf, wie ich es immer mache, wenn ich telephoniere. Allerdings telephonierte ich nicht. Es gab auch in dem Raum nichts, mit dem man etwas hätte anstellen können, etwa ein Bild, das man verkehrt herum aufhängen oder eine Pflanze, die man entblättern konnte. Wie im Gefängnis. Nur, daß die Tür offen war. Afrika war eine gute Schule. Stellt man nämlich irgendetwas an, was die Leute überhaupt nicht einordnen können, dann werden sie auf einen aufmerksam. Es sollte natürlich nichts Schlimmes sein. Nur etwas, was keinen Sinn macht, so daß sie meinen, man hätte einen an der Waffel. Dann machen sie hin, damit sie einen los sind. Spinner braucht keiner in seiner Nähe, nicht mal Afrikaner. Aber hier war nichts, was man anstellen konnte, so wartete ich weiter. Ich untersuchte das Fenster, ob es daran etwas spannendes gab. Nichts. Es war verriegelt, das Vorhängeschloß hatte einen Zylinder. Für mich nicht knackbar. Ich fuhr mit dem Finger demonstrativ über die obere Ecke de Fensterrahmens, wandte mich recht schwejkhaft und zeigte ihr wortlos mit einem Ausdruck des Ekels meinen nun schwarzen Finger. Sie sah mich verständnislos an, wollte erst weiterschreiben, doch stand dann auf und verschwand im Büro. Sie kam wieder mit meinen Papieren und bat mich darum, ihr beim Ausfüllen zu helfen. Doch ich sollte noch warten, bis der Stempel da sei. Sie brüllte nach dem Stempel. Den konnte erstmal keiner finden. Sie fragte mich, welche Zahlen auf dem Fahrzeugschein welche Bedeutung hätten. Ich erklärte ihr alles. Dann kam ein Laufbursch mit dem Stempel und Stempelkissen. Fast eine ganze Paßseite ging dafür drauf. "IX Distrito de Aduanas - Huaquillas - Ecuador" Dann die üblichen Fahrzeugdaten. Ich fragte, ob ich das ausfüllen sollte, ich hätte Übung darin, so würde es viel schneller gehen. Sie lehnte ab. Sie müsse das machen. Unter Motornummer trug sie die Fahrgestellnumer ein und fragte mich dann nach der Fahrgestellnummer. "Merksch was?", dachte ich mir. Ich erklärte dann kurzerhand die darüberstehende Schlüsselnummer zur Fahrgestellnummer, und so stand unter Chassis eben 0709/3010362 für die Aufenthaltsdauer in Equador. Kümmert sowieso keinen - außer, man gerät an einen spitzfindigen Polizisten, der daraus ein Drama macht, um einem ein paar Dollar aus der Tasche zu ziehen. Aber laßt sie nur kommen, denn "wer auf uns trifft stößt auf Granit..." Ich ging wieder mit dem Stempelchen im Paß zur Grenzstation zurück. Cat ging diesmal mit und ich zeigte den Zöllnern dort stolz den Stempel vor. Die Zöllner sollten nur überprüfen, ob die Angaben auf dem Stempel mit denen des Fahrzeugs übereinstimmten. Der Kasper war immer noch, saß am Tisch mit den Zöllnern und fing gleich wieder an. "Das stimmt so nicht, die müssen ihm einen getrennten Zettel mitgeben, weil..." Ich unterbrach ihn, indem ich mich beiden Händen auf den Tisch schlug, mich über ihn beugte und ihn anschrie: "Genug jetzt! Wer ist hier die Autorität, wer ist der Zoll?" Indem ich die Zöllner dann ansah, fuhr ich weiter: "Dieser Typ, etwa? Wer ist denn das überhaupt? Muß er Euch, Euren Job erklären? Was macht der überhaupt hier? Ist das eine Grenzstation oder ein Irrenahus? Mit wem verhandle ich hier?" Cat fiel ein und sagte langsam auf Portugiesisch: "Ich werde jetzt sofort die Botschaft anrufen..." Ich hieß ihn Stillsein und mich machen zu lassen. Die Zöllner schickten den Störenfried hinaus. "So...", sagte ich, "jetzt können wir vernünftig reden... Also: Ich war drüben, die haben mir diesen Stempel in den Paß getan, so daß ich das Auto hier in Equador nicht unverzollt verkaufen kann. Das ist alles. Was anderes macht das Papier hier auch nicht. Ist sogar besser, denn das hier kann ich einfach wegwerfen, aber ohne Paß kann ich nirgendwohin." Klang logisch, alles war in Ordnung, sie überprüften nicht viel und endlich, endlich, durften wir losfahren. Auf dem Weg erklärte ich Cat, daß der Tick mit der Botschaft im Land oder bei der Ausreise funktioniert, aber nicht bei dedr Einreise. Die Botschaft kann nichts machen, wenn wir noch nicht eingereist sind, und daß die brasiliansiche Botschaft etwas macht, das sei stark zu bezweifeln.

"Weiter geht's", sagte ich beim Einsteigen. Wir fuhren los. Als erstes zu einer Tankstelle. Es mußte gebunkert werden. Equador hatte als Währung, wie schon erwähnt, den US-Dollar. Sehr angenehm.

Es wurde zusehens grüner. Gabi freute sich, Cat war es wurscht und mich beschlich eine gewisse Beklemmung.

Bei der ersten Tanke hielten wir. An dieser Tanke war ein Hochstand und darauf war ein mit Pumpgun bewaffneter Wächter. Gabi hatte dabei ein ungutes Gefühl. Daran muß man sich in Südamerika einfach gewöhnen. Wie würde die erst in Honduras schauen? Eikkas Report besagte, daß dort ein jeder Mann auf der Straße eine Wumme bei sich hätte. Ganz offen. Ich verschwieg ihr das tunlichst, um nicht das ganze Unternehmen zu gefährden. Ich war über die Dieselpreise angenehm überrascht: 0,88 US$ pro Gallone, das entspricht einem Literpreis von etwa 0,22 US$ pro Liter, nicht einmal 50 Pf. Das kommt nahe an Libyen hinan... Aber immer noch das Zehnfache. Wir tankten ujdnfuhren weiter. Schon auf dem Weg zur Tanke fuhren wir durch Bananenhaine. Igitt!

Diesel- und Wassertank wurden aufgefüllt, die Kanister blieben vorerst leer.

In Equador lag ein Projekt an. Es war nicht ein Land, wie alle anderen, die wir einfach nur zu durchfahren gedachten. Von Equador aus sollte nach Zentralamerika verschifft werden. Cat wollte so lange wie möglich dabeibleiben, denn er hatte nächstes Jahr vor, in die USA zu fahren. Nun war er immerhin schon mal mit Grenzprozeduren vertraut. Visatechnisch ist Lateinamerika für Deutsche kein Problem. Wie es bei Brasilianern aussah, das wußte allerdings nur der Teufel.

Das erste Ziel hieß Guayaquil. Schon nach wenigen Duzend Kilometern war alles grün um uns. Bananenstauden, soweit das müde Auge reichte, alles grün in Grün. Nichts mehr ließ ahnen, daß wir uns noch vor kurzem in der Wüste befanden. Bis zum Äquator war es noch weit. Dieses Grün macht einen krank, da bekommt man Augenkrebs. Chiquita- und Dole-Bananen kommen von hier. Das merkt man auch sofort.

Weiter ging es durch endlose Bananenplantagen.

Wir hielten einmal an, um Essenzufassen. Oft stehen am Straßenrand Verkaufsstände aus Holz recht unmotiviert in der Landschaft. An einem dieser hielten wir an. Die hatten das, was wir in Brasilien als "Pastél" bezeichnen. Taschen aus einem recht dünnen Teig mit Käse gefüllt. Die kosteten hier umgerechnet 3 Pfennige und ich fraß eine nach der anderen. Auch Coca-Cola gab es zum Spottpreis von 30 Pfennigen. So läßt es sich leben. Alles Essentielle ist praktisch umsonst: Diesel, Cola und gutes Essen. Die ganze Sache ließ nur einen Haken vermuten: Die Löhne werden hier dementsprechend sein.

Guayaquil sollte heute noch zu erreichen sein. Und wir wußten auch schon, was die erste Anlaufstelle dort sein würde: Der Hafen. Gleich hinein in medias res. Nicht lange gefackelt, denn die Verschiffung war die größte Hürde im ganzen Projekt Panamericana. Daran konnte alles zerscheitern. "Wird schon klappen", immer optimistisch bleiben. "Gar kein Problem. In Afrika war es weitaus schwieriger, und wir haben doch gesiegt."

Während es in Richtung Guayaquil ging, gewöhnte ich mich langsam an die Tatsache, daß ich Wüste wohl erst wieder in Mexiko sehen würde - wenn überhaupt, denn Playa del Carmen liegt auf der Yucatan-Halbinsel. Das ist Karibik und die hat mit der Wüste weniger gemeinsam als der Nordpol. Aber erstmal hinkommen, nach Mexiko. Bis dahin war es noch ein steiniger Weg. "Fahren, siegen, oder untergeh'n", hieß das Motto. Ein nettes Bild sah ich an einem Kreisverkehr, von dem ich unbedingt ein Bild machen mußte:

Deutsche Technologie für die Wege Equadors. General Tire

Ich wußte zwar nichtk, daß es die Marke General Tire überhaupt gab, geschweige denn, daß sie deutscher Technologie entsprang, aber es klang gut. Deutscher Erfindergeist erstellt, nicht nur alle Motoren in der Welt, sondern auch vieles andere mehr. Mich wundert es nur, warum die Deutschen immer noch zu blöd sind, die Produkte ihres großartigen schöpferischen Genies - man nennt es gemeinhin "Auto" - auch entsprechend zu benutzen. Nobody is perfect...

Die Straßen hier waren soweit in sehr gutem Zustand. man konnte sich nicht beschweren. Die Beschilderung war südamerikanisch. Das Geld können Sie sich genausogut sparen. Auf der dicken Straße, die unweigerlich nach Guayaquil, der eigentlichen Hauptstadt des Landes führt, findet man ein Schild, das einen nach rechts abbiegen läßt, um nach Guayaquil zu kommen. Das kommt einem nach einer Weile komisch vor und man achtet auf die Schilder für die Gegenfahrbahn. Und da heißt es dann wieder Guayaquil geradeaus, also genau entgegengesetzt. "Was ist das denn für eine Sch...?" Man regt sich natürlich maßlos auf, obwohl man es eigentlich besser wissen sollte. Cat konnte keine Karten lesen, Gabi zwar schon, aber nur in Deutschland. Die Strukturen, die die Beschilderung aber dort hat, läßt jedes bisher befahrene Súdamerikanische Land missen. Haut nicht hin. Man muß sich durchwurschteln. Wir fuhren wieder zurück auf die Hauptstraße und darauf weiter. Und bald erblickten wir die Sillouette von Guayaquil bei Sonnenuntergang.

Die Himmelslinie von Guayaquil.

Erinnerungen an Abidjan wurden wach. Abidjan erreichten wir auch so um die Uhrzeit und erlitten einen Kulturschock. Hier war es nicht gar so schlimm, aber der Unterschied war doch beträchtlich. Hochhäuser, Industrie, alles, was zu einer Großstadt so dazugehört war da. Es dauerte noch eine Weile, bis wir ankommen würden, denn wir wollten noch an einer Tankstelle außerhalb der Stadt duschen.
Da muß man sich an den Schwerlastverkehr halten, denn in der Stadt sind Tankstellen mit Duschen erfahrungsgemäß sehr schwer zu finden. Doch an den wenigen Überlandstraßen kann man schon eher damit rechnen. Wir kamen in die Vororte. Eine Tankstelle neben der anderen, aber eine Dusche hatte keine. Und wenn man doch mal eine Tankstelle fand, die eine Dusche hatte, dann war die Dusche defekt.

Wir beschlossen, es auf später zu verschieben. Erstmal zum Hafen. Auch die Stadt an sich erinnerte mich an Abidjan. Nicht nur, weil auch dort eine Verschiffung anstand, sondern die Brücken und Viadukte, der rege Verkehr, sogar die Shopping-Mall, die wir besuchten, erinnerte mich an das Cap Sud. Die Hafengegend auch, aber die sieht wohl überall auf der Welt gleich aus. Und die Beschilderung in der Stadt stimmte einigermaßen. Es wurde nun langsam dunkel. Als mit Schildern wieder mal gegeizt wurde, fragten wir an einer Tankstelle nach - wie wir es in Abidjan auch taten. Wir waren Richtig. Die große Straße endet am Hafen. Wir fuhren bis zum Schluß und kamen auf einen Platz, an dem sich die LKW schon fast stapelten. Ich tat es wieder so, wie damals in Abidjan. Hingehen und fragen. Irgendwann wird man schon mal an den richtigen geraten. Ich stieg aus. Irgendwo muß man ja anfangen. Ein Container stand dort, in dem sich einige Offizielle tummelten. Ich grüßte freundlich, stellte meine Situation dar und fragte, wohin ich mich wenden müßte. Zur Kommandantur vond er Marine. Die sei auf der gegenüberliegenden Straßenseite, allerdings jetzt schon geschlossen. Freitag war auch noch. Wochenende - auf jeder Reise möglichst vermeiden. Da mußten wir wohl bis Montag warten. Nichtsdestotrotz wollte ich, da wir schon einmal am Hafen waren, gleich loslegen, möglichst viele Informationen sammeln. Wir fuhren vor eines der Hafentore. Ich stelte mich auf den Parkplatz und während Gabi kochte, zog ich los. Ich besprach vorher noch kurz mit Cat, was ich vorhatte. Normalerweise findet man das Schiff über die Schiffahrtsgesellschaft, nicht umgekehrt. Aber steht ja nirgendwo geschrieben, daß es nicht andersrum auch geht. Irgendeiner auf dem Schiff wird wohl den zuständigen bei der Gesellschaft kennen, oder zumindest die Gesellschaft. Und der Kapitän hat das letzte Wort, warum nicht das letzte zuerst einholen?

Mit dem Auto durften wir nicht hineinfahren, obwohl wir es, wenn ich recht erinnere, versuchten. Aber ich brauchte das Auto dort nicht. Ich probierte es zu Fuß. Ein Posten. Ich fragte ihn, ob ich hineinkommen könnte. "Warum? Hast Du eine Genehmigung?" "Nein, ich dachte, Sie würden mir die erteilen." "Was willst Du denn im Hafen?" Ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Er ließ mich passieren. Ich ging einige hundert Meter weiter, da stand dann der nächste Posten. Der stellte die gleichen Fragen und anschließend fest, daß er durstig wäre und gerne eine Cola hätte. Ich verstand und gab ihm 50 Cent. Die Münzen sind übrigens keine amerikanischen, sondern equadoriesische. Dann war ich drin. Ich stiefelte die Pier entlang, und fing ganz links an. Ich ging auf das Schiff. "Hallo, ich würde gerne mit einem Offizier sprechen", begrüßte ich den Matrosen. "Wer sind Sie?" "Ich bin ein deutscher Tourist." "Und was wollen Sie mit einem Offizier besprechen?" "Verschiffungsangelegenheiten..." "Wie kommen Sie überhaupt hierher?" "Über den Niedergang", grinste ich ihn an. Er kam nach einer Weile zurück. Es befände sich zur Zeit kein Offizier an Bord. Dann würde ich gerne den Diensthabenden sprechen." Es kam einer daher, hatte keine Uniform an und fragte mich, was ich denn wolle. Ich schilderte ihm die Geschichte. "Hm. Da müssen Sie tatsächlich mit einem Offizier sprechen. Am besten mit dem Kapitän. Aber der ist nicht da, der kommt erst spät in der Nacht wieder." Wäre ja ein Wunder, wenn es beim ersten Mal klappen würde. Nächster Pott. Ich stieg den Niedergang hinauf, fragte nach, wo das Schiff hinfährt. "Peru", war die Antwort. OK. Wieder runter. Nächstes. Es war eine Kette quer vor den Niedergang gespannt. "Darf ich hinaufkommen?" "Ja", hieß es - wider Erwarten. Ich ging hinauf. Ich redete immer Englisch. Am Dialekt erkannte ich, daß der Typ irgendwo aus Ostasien sein mußte. Indien, Pakistan, die Gegend. Ich legte ihm die Geschichte dar. Er holte den First Officer. Ich erklärte ihm wieder die ganze Geschichte, doch etwas ungeschickt, wie sich bald herausstellte, denn es hörte sich so an, als wollte ich eine Überfahrt schnorren. Das Schiff fuhr nach Panama. Da wollten wir ja hin. Ich versuchte, das Ungeschick zu glätten, aber er ließ nicht mit sich reden. Alles, was ich eigentlich wollte, war zu wissen, ob es überhaupt möglich ist, daß das Schiff Fahrzeuge an Bord nahm. Alles andere wollte ich mit der Verschiffungsgesellschaft klären. Aber so ein Affe, der seine ganze Jugend als Paria irgendwo in den Straßen von Delhi verbracht hat und nun eine Uniform tragen darf, der kommt sich natürlich sofort vor, wie Allah persönlich. Nichts zu machen.

Warnungen vor Drogen und vor dem Versuch, sich als Blinder Passagier an Bord zu schleichen:
"Sich in den Frachträumen als Blinder Passagier zu verstecken bedeutet den Tod."

Ich ging zum nächsten Schiff. Absage, absage, keine Zusage, gar nichts... So ging die Zeit dahin. Ich ging wieder hinaus auf den Parkplatz und schilderte Cat und Gabi die Lage. Ich erzählte ihm die Geschichte mit dem Inder. "Das war genau der Zeitpunkt, bei dem Du fragen mußt, wieviel er will", sagte Cat. Die Sache liegt meiner Ansicht nach ganz anders: "Schwachsinn. Das läuft so nicht. Der kann nicht den Kapitän übergehen, der wiederum seinerseits auch nicht die Gesellschaft übergehen kann. Selbst wenn: Das können wir uns bei weitem nicht leisten, denn dann reden wir nicht von ein paar hundert Dollar, das sind hier andere Dimensionen." Ich wollte vom hinteren Ende her anfangen: Eine Zusage eines Kapitäns bekommen, daß er uns mitnehmen würde und den Rest mit der von ihm genannten Gesellschaft klären. In Abidjan hatten wir den umgekehrten Weg genommen. Erst die Gesellschaft, dann den Kapitän. Wenn man aber schon mal die Zusage vom Kapitän hat, dann geht man zur Gesellschaft und braucht nur noch die Formalitäten klären.

Ich bat Gabi um die Herausgabe einiger Münzen. Das "Eintrittsgeld", sozusagen. Ich ging wieder hinein in den Hafen und klapperte die gleichen Schiffe wieder ab. Wieder einige Stunden, wieder ohne Ergebnis. Kann man nichts machen. Aber probieren kann man es. Mehr als Neinsagen können sie nicht. Aber ich bekam auch keine Adresse oder Telephonnummer von einer Schiffahrtsgesellschaft heraus. Für heute gab ich es auf. Aber wir würden wiederkommen. Das letzte Wort war noch nicht gesprochen. Noch nicht einmal das erste...

Wir fuhren hinein nach Guayaquil, um eine Dusche zu finden. In der Stadt fanden wir nichts. Immer nur Hinweise auf die Tankstellen außerhalb der Stadt auf der Landstraße oder in den Außenbezirken, wo die Lasterfahrer alle übernachten würden. An einer der Tankstellen stand wieder einmal ein besonders gutgekleideter Security-Typ mit der Schrotflinte in der Hand und einer Splitterschutzweste. Cat machte mich auf ihn aufmerksam und hatte die Kamera in der Hand. Ich zückte die Kamera und fuhr vor ihn hin. Ich zeigte ihm die Kamera, er nickte. Ich machte ein Bild, Cat auch und Gabi regte sich darüber auf. "Was ist denn?", fragte ich nach hinten. "Dann frag halt wenigstens, bevor das machst, weil ich nicht weiß wie die Leute reagieren." "Bist Du erschossen worden?", fragte ich Cat. "Nö, glaub nicht. Du?" "Glaub auch nicht...", dann zu Gabi, "ist alles halb so wild, siehste? Außerdem hab ich gefragt." Wir fuhren weiter.

Augen geradeaus! Präsentiert das Gewehr!
An der Haltung muß noch ein wenig gearbeitet werden. Schrecken tun diese Leute wahrscheinlich nur die Diebe, denn richtige Räuber fahren grundsätzlich andere Kaliber auf.

Nach langem hin- und her entschlossen wir uns zu der Tankstelle zu fahren, an der wir schon am frühen Abend gewesen sind, und die eine nicht funktionierende Dusche hatte. Allerdings hatten sie einen Gartenschlauch, der in die Dusche hineinragte. Wenn nichts anderes da ist, dann muß man halt benutzen, was da ist. Cat konnte man dazu nicht überreden. "Spinnst Du? Ich dusch mich doch nicht mit kaltem Wasser." "Schwuchtel, Memme, Waschweib!" Anschließend wollte er noch nach einer Warmwasserdusche suchen. Taten wir, fanden nichts. An einem der vielen Straßenverkaufsstände hielten wir und aßen etwas. Dann suchten wir nach einem Nachtplatz. Zu diesem Zwecke fuhren wir in die Richtung, aus der wir ursprünglich gekommen waren. Südost. Ich konnte mich erinnern, daß ich da einige Felder sah, die von der Straße aus erreichbar waren. So eines fanden wir dann auch nach einiger Suche. Ich fuhr über eine Piste, die mehr ein Trampelpfad war, auf ein offenes Feld, eine Baufläche, oder was auch immer. "Das ist für heute unser Nachtlager", verkündete ich. Keinen Bock, ewig in die Pampa zu fahren, um dann ewig nach Nachtplätzen zu suchen. Der Platz war optimal (zur Erinnerung: optimal = so gut wie möglich): Nicht in der Stadt, nicht zu weit weg davon. Wir machten uns klar zum Übernachten. Zähneputzen, Bettenbau - Gabi schlief im Auto, Cat heute Nacht auch, nur ich bevorzugte die Sandbleche. Es ging schon wieder damit los, daß ich Mückenabwehr betreiben mußte. "Diese verdammten Tropen, die soll doch der Teufel holen, Zefix!" Wenigstens war die Temperatur noch so, daß man einen Schlafsack benutzen konnte. Pervers wird es nämlich erst, wenn es so heiß ist, daß man sich nicht in den Schlafsack legen kann, aber ohne Schlafsack von den verdammten Mücken zerstochen wird, daß man nicht mehr weiß, ob man ein Manschkerl oder ein Weiberl ist. Soweit waren wir noch nicht - es würde aber noch kommen, und allzubald, wie ich fürchtete.

Catarina wollte natürlich dennoch duschen und daher suchten wir nach einem Hotel oder nach einer Pension, die Duschen vermietete. "Schwuler Warmduscher". Er kam nach kurzer Zeit wieder zum Auto, um sein Duschzeug zu holen. Während Cat eben beim Verhandeln oder beim Duschen war, fuhr ich mit Gabi los, denn sie wollte etwas essen. Wir fanden einige Stände und bei einem kleinen, der Schokoriegel hatte, hielten wir. Gabi stieg aus, kaufte sich einen und stieg wieder ein. Sie stierte vorwärts und meinte, ich solle losfahren. "Hau ab, Alter." Ich kapierte erst nicht, was sie schon wieder hatte, aber als ich zu ihr hinübersah, bemerkte ich, daß ein Typ auf das Auto zuging. "Hau ab, Alter", sagte sie wieder, ohne den Blick zu ihm zu wenden. Sie stierte geradeaus auf die Straße und hieß mich endlich losfahren. Ich sah den Typen an und machte eine fragende Kopfbewegung. Er machte Gesten und sagte etwas, aber ich verstand ihn nicht, denn das Fenster war zu und der Innenraum wurde gabibedingt immer lauter. Ich fuhr halt dann eben los. "Was war jetzt das für ein Quatsch?" Ich kapierte es auch nach der Erklärung nicht. Hatte Gabi zu wenig für den Schokoriegel hingelegt? Der Typ hatte mir keinen aggressiven Eindruck gemacht. Weiß der Teufel - ich kann es nicht einordnen. Wir fuhren zurück und warteten auf Catarina, beobachteten die kaputten Leute, die diese Seitenstraße um diese Uhrzeit bevölkern. Meistens besoffene...

...von denen es sich der eine oder andere nicht nehmen ließ, an eine der Säulen zu pissen.

Erster Tag. Billanz: Trotz allem Fleiße alles Scheiße. Aber nur nicht entmutigen lassen. Ich wertete es als ein gutes Zeichen, daß ich ohne Schwierigkeiten in den Hafen gekommen war. Häfen sind immer eine harte Nuß. So, wie Flughäfen. Da greifen zum großen Teil internationale Standards und die Sicherheit ist enorm. Auf der anderen Seite ist genau da das Zeug zu finden, das genau eben dort überhaupt nicht zu suchen hat. Was da gedreht, geschoben, unter der Hand verschachert, geschmiert wird, das geht auf keine Kuhhaut. Und da geht es um Summen, die wir uns in unseren bescheidenen Verhältnissen gar nicht vorstellen können. Davon könnte man ganze Wüsten in blühende Landschaften verwandeln. Ich hoffe allerdings, daß da keiner auf den Trichter kommt.

Wie ich da so lag und einzuschlafen versuch, schon mit geschlossenen Augen, da merke ich, daß es hell wird. Es nähert sich ein Auto. Was soll das denn nun? Das Auto bleibt so stehen, daß unser Benz genau im Scheinwerferkegel steht. Eine Taschenlampe geht zusätzlich an und plötzlich fängt es über dem Auto an, rot zu blitzen. Polizei. Vier Polizisten steigen aus, zwei gehen in Stellung und nehmen ihre Karabiner in Anschlag. Ich richte mich auf und blicke genau in das Licht. "Hände hoch!" Ich folgte der Anweisung, möglichst ohne hastige Bewegungen zu vollziehen. Der Schlafsack war zum Glück offen, daher konnten sie zu jeder Zeit meine Pfoten sehen und wurden nicht nervös. Ich hopste herunter vom Gepäckträger - immer mit erhobenen Händen - und rief sie an: "Kein Grund zur Panik, meine Herrschaften, ich bin nur ein harmloser deutscher Tourist, der hier schlafen wollte. Bin unbewaffnet." Ob ich Papiere hätte. "Ja, in meiner rechten Knietasche..." Derjenige, der offensichtlich der Vorgesetzte war, kam auf mich zu. Catarina stieg aus dem Auto aus. Ruckartig nahmen sie ihn ins Visier. "Wenn die Herrschaften bitte die Waffen herunternehmen möchten, im Auto ist noch ein brasilianischer Tourist und eine deutsche Touristin, die übrigens sehr nervös wird beim Anblick von Waffen und unangenehm zu kreischen anfängt..." Sie nahmen auf Befehl des mich durchsuchenden Offiziers ihre Waffen tatsächlich herunter und ich rief die Besatzung zusammen - ebenfalls auf seinen Befehl. Anschließend ging der Offizier meine Papiere durch. "Ihr könnt hier nicht übernachten. Das hier ist "zona de muerte" (= Todeszone). Es sah so aus, als wolltet Ihr gerade einen Leichnam loswerden..." "Nein, ich habe keinen Platz für das in meinem Auto, da kann ich die Herren völlig beruhigen..."

Gabi war mittlerweile aufgewacht und stand draußen vor dem Auto. Fest stand wohl, daß ein Stellungswechsel vorgenommen werden mußte. Sie schlugen uns vor, entweder in die Stadt zu fahren und ein Hotel zu nehmen, oder noch etwas weiter hinauszufahren und bei der Mautstation zu übernachten. Dort seien Kollegen und es sei nicht so gefährlich. Was wir uns dabei überhaupt gedacht hätten, einfach hier in dieser gefährlichen Gegend zu bleiben. "Für mich sah es hier recht ruhig und friedlich aus und man stört niemanden..." Ruhig sei es wohl, allerdings nicht friedlich, denn gerade weil es hier nicht sehr bewegt sei, locke der Platz allerlei Gesindel an.

Sie waren aber in Ordnung, wollten kein Geld, keine Strafe bezahlt haben, nichts. Wir sattelten die 60 Pferde und fuhren wieder auf die Straße und dann nach links Richtung Osten, bis wir an der Mautstation angekommen waren. Wir stellten uns zwischen einige LKW und schlugen das Lager auf. Gabi kochte, ich betrieb Mückenabwehr. Nur gut, daß wir wieder in den Tropen sind. Und siehe da! Wer meckerte am meisten über die Drecksschnacken? Alles roch nach Autan. Weiß nicht, wieviel das hilft, aber wenn man mit Autan gestochen wird, dann kann man immer sagen, daß man ohne noch viel mehr gestochen worden wäre. Mein Erfolgsezept bleibt immer noch: Lange Ärmel, lange Hosen, nicht viel Bewegung. Und selbst dann stechen sie durch. Hier waren sie auch noch außergewöhnlich aggressiv. Dauernd dieses helle gesumme im Ohr. Man kann nicht in Ruhe essen. Das abspülen übernahm ich. Vor der Station gab es einen Wasserhahn, den ich zu diesem Zwecke benutzte. Und an dem Wasserhahn Milliarden von Mücken. Wenn man die Hände vor sich in der Luft zusammenklatschte, hatte man immer mindestens eine erwischt. Da wird das Abspülen natürlich zur Tortur, wenn man alle fünf Sekunden alles fallen lassen und eines dieser Drecksviecher zerklatschen muß.

Was für ein Tag! Soviel ist passiert und am Ende waren wir nur ein paar Kilometer weiter als zuvor, in einem anderen Land, aber dennoch keinen Millimeter näher an Zentralamerika. Was soll's. Wir würden es schon hinkriegen. Soviele Gedanken machte ich mir darüber in diesem Augenblick auch gar nicht, denn dazu war ich einfach zu müde. Die Temperaturen waren recht menschlich, der Schlafsack gerade noch angenehm. Auch das würde sich bald ändern... "Gute Nacht."

Samstag, 17. August 2004
Die Nacht verlief ruhig. Von angeblichem Motorenlärm mitten in der Nacht habe ich nichts mitgekriegt. Schließlich war ich auf dem Parkplatz um zu schlafen, nicht um fremden Motoren zuzuhören. Das passiert wohl nur, wenn man zu deutsch ist. Cat hat das zwar wohl mitbekommen, aber für ihn hieß es nicht viel mehr, als daß eben ein paar LKW in den frühen Morgenstunden losgefahren waren. Warum sie stundenlang die Motoren laufenlassen, bevor sie losfahren ist auch schnell damit erklärt, daß es bei den alten Kisten wohl etwas dauert, bevor der Öldruck stimmt und der Kompressor gefüllt ist, der Motor auf Betriebstemperatur. Aber alles das braucht man der Gabi nicht zu erklären. Daß auch in Deutschland ein jeder Berufskraftfahrer den Motor warmlaufen läßt, das kann sie nicht wissen. Sie war auch immer die Spezialistin, die mir in Deutschland gerne den Motor ausmachte, wenn das Auto mal länger stand. Sancta simplicitas...
Mich störten die Mücken vielmehr. Von denen blieb Gabi weitgehend verschont, schließlich lag sie im Auto. So hatte jeder seine Unannehmlichkeiten, mit denen man aber klarkommen muß, wenn die Mittel beschränkt sind. Was uns nicht umbringt, macht uns nur stärker.

Auf dem Parkplatz der Mautstation vor Guayaquil, das genau achteraus liegt, auf dem Bild aber nicht zu sehen ist.

Wir fuhren wieder hinein nach Guayaquil. Mal sehen, was es dort so gab. Die wichtigen Büros hatten alle zu, davon konnte ausgegangen werden. Aber Reisebüros könnten offen haben. Außerdem gab es hier eine Art Shopping-Mall genau am Wasser und die wollten wir uns einmal ansehen. Nicht zuletzt, weil es dort ein Internet-Café gab und meine Kamera, schon wieder am Überlaufen war - dank meiner Schwester. "Die ist doch so blöd, wie sie fett ist!", platzte mir wieder der Kragen. "Soll das denken den Pferden überlassen, hab ich ihr immer gesagt. Aber weil sie aussieht, wie eine Zuchtstute, meint sie, das wäre das selbe." Völlig überflüssige Aktion, die sie da gelandet hat. Immer wieder kam es vor, daß eben kein Internet-Café rechtzeitig zur Stelle war und daher mußten immer wieder Bilder gelöscht werden. Und jedes mal gingen tausend Flüche ins Tausende von Kilometern entfernte Augsburg. Muß man ja alles gar nicht wirklich wiederholen.

Wir suchten einen Supermarkt um die Vorräte aufzustocken. Auf dem Weg zum Hafen hatten wir einige größere Supermärkte gesehen. Da fuhren wir auch hin. Leider hatten die meisten davon zu, daher mußten wir uns mit einem kleineren Supermarkt begnügen. Der hatte aber dennoch alles, was wir brauchten. Darüberhinaus brauchten wir natürlich ein Schiff und die Aussichten, ein solches zu bekommen waren natürlich in einem größeren Supermarkt besser - sofern der ein Reisebüro hatte. Einen richtigen Plan hatte natürlich keiner. Der einzige mit Verschiffungserfahrung war ich, aber ich war auch gleichzeitig von allen der bei weitem Planloseste. So mußte ich mich erst einmal orientieren. Was wird geboten, was tut sich, welche Möglichkeiten stehen zur Verfügung? Um die Shopping-Mall herum waren einige Reisebüros, davon hatten einige wenige offen. Ich fragte nach Schiffsverbindungen nach Zentralamerika. Gab es wohl, aber mehr so Kreuzfahrtmäßig. Sehr teuer und Autos werden sowieso nicht mitgenommen. Es war mehr oder weniger immer dasselbe. Schon nach kürzester Zeit beschloß ich, dem Ratschlag Eikkas zu folgen, den er mir in einem eMail einmal gab: Verschiffungsgesellschaften heraussuchen in Equador und Kolumbien und an alle ein eMail auf Spanisch und Englisch schicken. Er hat sie mir sogar aufgesetzt, ich mußte sie nur ausfüllen und verschicken. Zum Zwecke, ein Internet-Café zu finden, gingen wir in die Mall. Eine recht seltsame Mall. In sogut wie allen südamerikanischen Ländern befindet man sich mit dem übertreten der Eingangstürschwelle in einer vollkommen anderen Welt. Marmorböden, Glas, Markenware, die natürlich importiert und daher wesentlich teurer ist als in den Industrieländern. Kein Dreck überall, keine losen Kinder, keine Bettler. Die werden hier nicht hineingelassen. Security everywhere.

Wir mußten über die Straße gehen. Es war eine T-Kreuzung. Die Autos, die links oder rechts abbiegen haben gleichzeitig mit den Fußgängern grün. Wieder so eine Sache. In Deutschland ist klar: Fußgänger hat Vorrang, so besagt das Gesetz. Und er ist geschützt durch das Gesetz. In Equador hat vermutlich auch der Fußgänger Vorrang. Aber da ihn das Gesetz zwar schützt, dieses aber nur aus einem Stück Papier besteht, das bekanntlich geduldig ist, weiß das keiner. Was man hier weiß ist: Autos tun weh, wenn man sich ihnen in den Weg stellt. Aber so sah das Gabi eben nicht. Es ist grün, also kann ich gehen und wenn die Idioten nicht anhalten, dann ist mir das wurscht, wozu gibt es Verkehrsregeln? Cat und ich blieben stehen, dem gesunden Menschenverstand folgend, Gabi regte sich über die Autofahrer auf un ging übern die Straße. "Sag mir wenigstens die Geheimnummer von der Mastercard", dachte ich mir noch. Aber sie latschte los. Wenn sie von einem Auto getroffen würde, dann hoffte ich, daß es kein teures war, denn der Blechschaden würde in die tausend gehen. Sie wichen ihr natürlich aus und hupten. Das können die Equadorianer, weil allerorten auch Rinder einfach über die Straße latschen. Die sind das gewöhnt. Als dann rot wurde, eilten Cat und ich über die Straße. Kommentare ersparten wir uns. Man hat als deutscher scheinbar viel davon, wenn man sich "Ich hatte Vorrang" auf den Grabstein meißeln lassen kann.

Ich bin mir nicht einmal sicher, ob hier der Fußgänger Vorrang hat. Ich kann mich nnämlich an einen Aushang in Brasilien erinnern. Auf dem Stand der Hinweis für Fußgänger, daß Kraftfahrer immer Vorrang haben. Das folgt der alten portugiesischen Verkehrsordnung von Neunzehnhundervordemkrieg und ist meiner Meinung nach auch sehr vernünftig. Denn was hilft es, wenn man dem Schwächeren höhere Rechte einräumt? Das ist widernatürlich. Fußgänger gegen Auto. Das Auto ist eine Maschine, kann nicht denken und hat zudem einen gewissen Bremsweg. Der Fußgänger hat keinen und man setze voraus, daß er zumindest über ein Oberschlundganglion verfügt. Der kann sofort stehenbleiben, wenn es darauf ankommt. Wie dem auch sei. Nur eine kleine Episode, die wieder deutlich macht, was es für folgen haben kann, wenn man die eigenen Standards für algemeingültig ansieht. Hier passierte nichts.

Wir fanden drei Internet-Cafés und es ging an. Ich brauchte ein Diskettenlaufwerk, wie immer. Die Kamera wurde entladen, die Bilder auf Diskette gesichert und gleichzeitig, als Sicherheitsmaßnahme, wurden alle Bilder auf den Server geladen. Das war zeitaufwendig. Die Beantwortung meiner privaten eMails fiel immer sehr kurz aus. Besonders eMails an meine Nora oder an meine Nachbarin waren so entstellt, daß es oft besser gewesen wäre, gar nichts zu schreiben. Das war dadurch bedingt, daß mir Gabi immer über die Schulter sah. Sie bezahlte schließlich. Und man sagt ja nichts, denn sonst beginnt sofort wieder die Diskussion. Wer zahlt schafft eben an. Danach schrieb ich die Verschiffungsgesellschaften (genannt Navieras) in Equador und in Kolumbien an. Es waren an die fünfundzwanzig Stück. "Wir fahren nicht nach Kolumbien", war immer der Standardsatz von Gabi, wenn das Wort Kolumbien fiel. Das würden wir ja noch sehen, denn das überließ ich dem Schicksal. Kolumbien wäre zwar was, ein Hauch von Abenteuer, aber nicht, wenn man mal in Afrika war und da war noch was: Wäre Almut dabei, wäre das großartig, mit Cat in Kolumbien kontne ich mir auch noch vorstellen, aber mit Gabi da hinzufahren, wo es brenzlig werden könnte, das wollte ich mir nicht wirklich antun. Aber es wäre sicher eine gute Schule. Dort wäre sie sicher von der Deutschtümelei geheilt worden.

Es war unwahrscheinlich, daß wir heute noch eine Antwort bekommen würden von den Navieras. Wir schlenderten noch ein wenig in der Shopping-Mall auf und ab. Es war ein komischer Bau. Nicht ein Klotz, wie diese Malls gewöhnlich eben gebaut sind, sondern in die Länge gezogen. Wie eine Kette, und man mußte öfter das Freie passieren, wenn man von einem Kettenglied zum anderen wollte. Als wir dann endlich zum Auto kamen, war es dunkel. "Was ist der Plan?", fragte ich. Cat meinte

Von Tanja wenig Nachrichten. Sie wollte nachkommen. Irgendwo nach Costa Rica oder vielleicht Mexiko. Wir mußten rüber über den Darién. Cat bemerkte richtigerweise, daß sie nicht losfliegen könnte, wenn sie nicht wüßte, wann wir dort wären. Daher sollten wir nach Quito fahren, von dort aus könnte er sich um seinen Flug kümmern und Verschiffungsmöglichkeiten gab es dort sicher auch. Nur liegt Quito im Landesinneren in den Anden. Was eine Naviera dort wohl verloren hatte? Aber das war nicht das Problem. Wir fuhren los, bis Gabi mal fragte, wo wir eigentlich hinwollten. "Nach Quito", meldete ich nebenbei. "No way", sagte sie. "Wieso? Morgen ist eh Sonntag..." Bei ihr entstand wohl der Eindruck, daß Cat kein Geld hatte, weil er immer unsere Dollar wollte und uns dafür Landeswährung gab. In Equador war das zwar das selbe, aber das machte nichts. Ich versuchte wieder, Cat davon zu überzeugen, daß Quito quatsch sei. Mit ihm ließ sich besser diskutieren. Es gab einige Differenzen, aber wir fuhren dann doch nach Quito. Ich einigte mich mit Gabi darauf, daß wir ihn nur rausschmeißen und gleich wieder zurückfahren würden, um rechtzeitig am Montag die Geschichte mit der "Fähre" in Guayaquil zu erledigen.

Auf dem Weg hielten wir an einer Tankstelle an um Abendessenzufassen. Gabi kochte, ich kümmerte mich um den Boliden und Cat legte sich auf den Randstein und schlief.

Abendessen irgendwo zwischen Guayaquil und Quito, noch vor den Anden.

Arg viel weiter wollten wir allerdings nicht fahren, denn den Andenanstieg wollten wir bei Tag beginnen, nicht noch jetzt. Als ich müde wurde, fuhren wir an eine Tankstelle und übernachteten dort. Cat schien etwas beleidigt. Konnte ich auch verstehen, denn meistens, wenn es Meinungsverschiedenheiten gab - was zu erwarten ist, wenn Gabi an Bord ist - entschied ich mich um der Ruhe willen, das zu tun, was sie sagte. Das begann schon mal damit, daß ich nur das übersetzte, was ich für richtig hielt und dabei immer hoffte, daß sich schon irgendwie eine Lösung finden würde. Die fand sich aber nie. Es schien sich immer mehr alles zuzuspitzen, denn wenn man Zusagen macht, die sich widersprechen, dann muß das einmal schiefgehen. Geht gar nicht anders. Das war auch früher nicht anders. Schwieriges Gemüt, die Gabi.

Sonntag, 18. August 2002
Am nächsten Tag ging es weiter. Die Straßen waren eigentlich nicht schlecht, allerdings wurden sie zunehmend schlechter, je mehr wir uns Quito näherten. Es wurde auch kalt und neblig. Seitdem mir der Baum auf den Kofferraum gekracht war, war die Spur hinten verstellt und die Reifen liefen sich an der Innenseite ab. Ich wollte daher die Reifen auf der Felge umdrehen, damit sich die Seiten abwechselten. Das gibt dem Reifen ein paar tausend Kilometer mehr an Lebensdauer. "Augen offenhalten, falls jemand einen Reifentandler sieht, ganz laut schreien!", erging der Befehl an die Besatzung.

Beim Reifenummontieren.

Es war wieder eine jener interessanten Überlandfahren. In jedem Kaff gab es etwas zu sehen. Wir stellten bald fest, daß die Leute hier auf die Weise nie zu Geld kommen konnte. Wir durchfuhren Duzende von Käffern. Auffallend war eben, daß in jedem Kaff an der Durchfahrtsstraße Verkaufsstände aufgestellt waren. Nur verkauften die immer nur das gleich wie der Nachbar. In einem Kaff gab es also nur Kokostnüsse an jedem der hundert Stände, im nächsten gab es verschiedene Säfte, wobei jeder das selbe Angebot hatte. Besonders ekelhaft war der Rosensaft. Schmeckte wie Parfüm, nur ohne Alkohol. Beinahe hätte ich meinen gesamten Mageninhalt über die Bude verteilt. Laß fahren, dahin, laß fahren...

Im nächsten Kaff verkauften sie Gebäck - wieder jeder das selbe. Dann Eintopf, dann Cola, dann HotDogs. Aber daß man mal in einem Kaff Eine Cola, einen HotDog und anschließend ein Gebäck bekommt, das Funktioniert nicht. Und dazwischen liegen unzählige Kilometer Dschungel. Wenigstens war das Wetter erträglich. Bewölkt aber kein Regen - bestes Fahrwetter.

Hier einige Eindrücke dieser Fahrt, die sich besser und einfacher mit Bildern beschreiben lassen, als mit vielen Worten, die am Ende ja doch nicht viel aussagen.
Hauptverkehrsrichtung am Straßenzustand zu ersehen Transandinischer Kanutransport Ich hatt' einen Kameradden
Mit Mercedes Benz voran Interesting Flora Mülltransport

Wir kamen nun langsam wieder in die Anden. Das GPS zeigte wirre Werte an, die angezeigte Höhe stimmte nicht mit dem Verhalten des Autos überein. Wenn man den Motor kaum noch hört, das Auto kaum noch beschleunigt, der Auspuff schwarz qualmt, als hätte man eine Altöleinspritzung, dann ist man definitiv auf etwa 3000 Metern Höhe. Aber das GPS zeigte weit weniger an. Alles sprach gegen das Gerät. Ich ließ mich doch durch nichts beirren, da man hier kein GPS-Gerät braucht, hatte dieses auch kein Stimmrecht.

Von einem 280E überholt.

Es waren, mit Argentinien oder Peru verglichen, häßliche Serpentinen. Die Straße war eng, Teilweise bös mit Schlaglöchern besät, und Leitplanken oder Markierungsposten sogut wie nicht vorhanden. Amerikanische Autos wurden immer mehr. Ich denke mir, es lag an den Spritpreisen, denn die sind hierzulande wirklich ein Witz. Equador ist an sich ein billiges Reiseland und sehr unkompliziert. Kaum Polizei an der Straße, wir wurden nicht belästigt. Bisher - das muß ich leider feststellen, trafen wir die korruptesten Bullen in Nordargentinien. Die freundlichsten aber in Südargentinien, so, daß der Schnitt wieder hergestellt ist. Aber in dieser Beziehung lag Equador am weitesten vorne - bis jetzt. Wir wußten nicht, ob sich das ändern würde, aber bisher sah es eher danach aus, als würde es so bleiben - nur ein Gefühl. Es gab im ganzen Land kaum Checkpoints. Ich kann mich an keinen einzigen erinnern.

Diese Fahrt nach Quito läßt sich gut und gern mit der Fahrt nach San Pedro an der liberianischen Grenze vergleichen. Es war deutlich kälter, aber überall grün und die Straße war nicht viel besser. Es war allerdings ziemlich neblig. Die Fahrweise der Equadorer erinnert sehr stark an die der Ivorer. Das ist nicht die einzige Parallele, wie ich schon früher feststellte. Der 200D arbeitete sich brav die Steigungen hoch, wie schon zuvor unzählige Male. Wir würden schon ankommen. Aber nicht besonders früh. Wir waren unter den langsameren Fahrzeugen. Nur mit ganz alten Mähren konnte es der alte Kämpfer aufnehmen. Langsam aber stetig. Und wir wurden natürlich ständig überholt, daher dachte ich mir, es wäre gar nicht so verkehrt, mich hinter einen dieser mittelgroßen mittelalterlichen Transporter zu setzen. Im Folgenden Bild sehen wir eine Szene, die gar nicht selten ist: Eine Kurve am Hügel, es herrscht starker Nebel, eine Spur in jede Richtung, kein Seitenstreifen, keine Ausweichmöglichkeit (wenn, dann nur direkt nach unten, ein paar hundert Meter), durchgezogene Linie, die Geschwindigkeit betrug etwa 70 km/h. Aber das interessiert die Busfahrer nicht. Die überholen zu dritt hintereinander fünf Autos, zwischen denen der Platz nicht reichen würde, um einzuscheren. Wenn Gegenverkehr kommt, der bergab fließt und natürlich nicht daran denkt, sich an die vorgeschriebenen 100 km/h zu halten, dann ist Fahrkunst und Teamwork gefragt. Aber darin sind die Lateinamerikaner - mit ausnahme der Brasilianer (natürlich) und der Bolivianer (zumindest in La Paz) im allgemeinen ganz gut. Wie gesagt, man fährt miteinander, statt gegeneinander, wie wir es aus Deutschland gewohnt sind.

"Die Sache wird schon schiefgeh'n. Jawohl, Herr Kapitän..."

Wir kamen bei einbrechender Dunkelheit in Quito an und mußten uns erst einmal zurechtfinden. Es gab eine Altstadt und eine Neustadt. Des Weiteren war alles durcheinander. Aber das kannt' ich schon und fühlte mich dabei ganz wohl.
Die Neustadt war auch recht zivilisiert. Es gab zwar Warnungen vor Kriminellen, aber die kennt man auch schon. Es gibt keine südamerikanische Stadt, in der nicht davor gewarnt wird und ich persönlich fühle mich in Frankfurt am Main oder in Berlin weitaus mehr bedroht, als irgendwo in Südamerika. Alles nur Gequatsche. Es kommt immer darauf an, wie man sich gibt. Passieren kann überall was - und meistens passiert es eben daheim. Natürlich müßig, einer Gabi Z. L. das weismachen zu wollen. Doch dazu später.

Wir suchten uns ein feines Lokal, um zu dinieren. Im Lonely-Planet fanden wir eines, das scheinbar gerne von Touristen aufgesucht wird. An den Namen erinnere ich mich nicht mehr. Es hatte ein Parkhaus nebenan, daher kam auch nichts anderes in Frage. Sofort nachdem wir es betraten, stellte ich fest, daß das Lokal von Touristen regelrecht heimgesucht wird. Wir ließen uns nieder. Es machte einen dezenten Eindruck. Zwar etwas teuer für Landesverhältnisse, aber um Cat zu verabschieden war es durchaus angemessen. Ein sehr gediegenes Lokal. Man darf sich nicht dadurch irritieren lassen, daß man kaum Spanisch hört, sondern zumeist Deutsch oder Englisch. Das Essen - ausgesuchte Delikatessen - konnte man sich auf einem Teller selbst zusammenstellen und anschließend konnte man es nach Geschmack braten lassen. Exquisit.

Wüßte ich den Namen noch, ich würde es sofort empfehlen. Vielleicht war ja jemand in diesem Lokal und kann mir weiterhelfen..?

Mir war jedoch klar, daß wir auf einen Eklat zusteuerten. Ich hatte doch beiden eine Art Zusage gemacht, wissend, daß die Wünsche ganz konträr waren. Wenn keiner versteht, was der andere sagt, ist das ja nicht schwer. Konnte nicht gutgehen, mußte irgendwann auffliegen. Und der Zeitpunkt rückte immer näher, denn Cat wußte ja gar nichts davon, daß es hier um seine "Verabschiedung" gehen sollte.
Nachdem wir uns dann das Essen geholt und gemütlich die ersten Bissen gegessen hatten, fragte ich Cat, was denn der Plan sei, wo er denn zu übernachten vorhätte. "Im oder am Auto natürlich", sagte er uns sah mich an, als ob ich bekloppt wäre. "Dreck!", dachte ich mir, "na, dann auf in den Kampf", dann lachte ich und erklärte ihm, daß ich Gabi zugesagt hätte, daß wir ihn nur hier in Quito rauslassen und dann weiterfahren wollten nach Manta, um uns um "die Fähre" zu kümmern. Er schob nur die Unterlippe vor und signalisierte mit dem Kopf ein deutliches "Nein". Nach einer Pause, mit der Gabel munter durch die Luft schwingend: "Was ist denn das überhaupt für ein Quatsch? Ihr fahrt heute zurück - also gegen Mitternacht, ein oder gar zwei Uhr, denn Internet muß nachher auch noch sein. Wollt ihr in den Serpentinen übernachten? Weißt Du, was Dir die Alte erzählen wird? Oder wahlweise vier Stunden durchfahren, bis ihr unten seid, dann mußt Du irgendwann schlafen und pennst morgen bis in den Nachmittag hinein. Hast dann noch drei oder vier Stunden Helligkeit. Jetzt sag mir Du, als erfahrener Autofahrer, was Euch weiter bringt: In der Früh ausgeschlafen losfahren oder jetzt Hals über Kopf abfahren um dann in der Pampa einen Haufen Zeit zu verlieren?"
"Das brauchst Du mir nicht erzählen", erwiderte ich, "das Problem ist ja nicht das. Das weiß ich selber. Aber ich kenne sie gut genug, um zu wissen, daß ihr mit Logik nicht beizukommen ist. Wir sollten jetzt lieber ausdiskutieren, was wir ihr erzählen. Sie will fahren, je eher, desto besser. Und ich krieg 'nen Ohrenkrebs, wenn ich mir das Gemecker die ganze Rückfahrt anhören darf."
Das Gespräch ging weiter, immer wieder unterbrochen durch Essensholen oder durch Gabi, die ja kein Wort verstand und wissen wollte, worum es ging. "Ich versteh' immer nur 'ella, ella, ella', aber ich versteh nicht, was ihr über mich sagt, also, wenn das noch lange so weitergeht, dann sag's, dann geh ich raus." Warum sind häßliche Frauen meistens auch noch bescheuert? "Was soll ich denn machen? Hä? Soll ich schnell 'ne neue Sprache erfinden? Soll ich Deutsch mit ihm reden? Hättest halt in der Schule in Spanisch aufgepaßt!", möchte man ihr in's Ohr brüllen. Aber vergiß es. Einfach irgend etwas antworten, das ist lange gescheiter... Mit ihr war natürlich nicht zu reden. Egal, wie oder weshalb ich das Wort an sie richtete, die Antwort war "Wir fahren heut'!!", noch bevor ich irgendwas sagen konnte. Sie gab mir auch noch einen schlauen Rat, nämlich den, daß ich mich nicht immer im Leben jedem Konflikt aus dem Weg gehen könne, sondern ich solle mir so etwas wie Charakter zulegen und Farbe bekennen. Dann wieder ich zu Cat: "Gut, also, sie hat gesagt, ich soll mich entscheiden." "Wie entscheiden?" "Mit anderen - mit meinen Worten: Entweder für die vernünftige Lösung des eigentlich nicht vorhandenen Problems, oder für ihren Schwachsinn." Damit war deutlich, worauf es hinauslaufen sollte. "Heißt das, ihr fahrt nicht?", fragte er, sichtlich beruhigt, "Ja, und das heißt auch, daß wir uns jetzt gemeinsam überlegen, was wir der erzählen..." Nach einiger Überlegung kam der konstruktive Vorschlag: "Gar nichts. Ich hau ihr einfach eine in die Fresse, bis sie sich nicht mehr rührt und wir werfen sie in irgendeine Schlucht in den Anden." Ich überlegte auch, dann sagte ich: "Der Plan ist schon gut, aber das Problem ist, daß ich die Nummer von der Master-Card nicht habe..." "Master-Card!?! Welche Master-Card?!? Ach! Ihre Master-Card!!!" "Ja, Du Penner, Du blöder. Meinst Du, ich nehme sie mit, weil sie so hübsch ist? Oder weil ich von ihrem Erfahrungsschatz profitieren kann, den sie sich beim Warten auf die Straßenbahn in Stadtbergen angeeignet hat? Also. Können wir uns drauf einigen, daß wir uns hier und jetzt ernsthaft überlegen, was wir der erzählen?" Stille. Das verstand Gabi als Aufforderung, zu sprechen. "Hast Du es ihm jetzt klar gemacht, daß wir fahren?" Ich dachte mir: "Sei doch einmal still...", aber sagte "Ja, wie? Einfach das Gepäck ihm vor die Füße werfen, Hand schütteln und Tschüß, oder wie? Dich würde ich gerne sehen wollen, wenn ich das bei Dir machen würde." Aber Gabi kennt da nichts. "Er hat ganz genau gewußt, daß wir nach Zentralamerika fahren, er wußte schon, daß es knapp wird, als wir in Cuszco waren, da riet ich ihm schon, sich in einen Bus zu setzen und nach Hause zu fahren. Ich zahle für diesen Urlaub und ich bin nicht bereit, auch nur eine Sekunde länger zu warten, nur weil er meint, wir müssten hier bleiben und warten, bis er ins Flugzeug steigt. Hier gibt es Busse und Hotels und der Flughafen ist sicher nicht versteckt worden." Sagt sie, die es gerade schafft, alleine die Toilette aufzusuchen, und hängt abschließend an: "Mit seinen Sprachkenntnissen und seiner Reiseerfahrung ist das nicht zuviel verlangt, finde ich." Was auch schon wieder Schmarrn war, denn Sprachkenntnisse hatte er theoretisch eine Menge, aber in der Praxis sah en ganz anders aus. Und auch war es das erste mal, daß er überhaupt im Ausland war. Sie hatte mehr Sprachkenntnisse und sollte auch mehr Erfahrung haben - daß dies nicht der Fall war, liegt nur daran, daß man eben Stadtbergen zum Mittelpunkt der Welt erklärt und meint, der Rest der Welt wird auch nicht viel anders sein. Aber die Diskussion hier weiter zu erläutern wäre Stumpfsinn. Das Prinzip ist klar und deutlich: § 1: Gabi hat recht. § 2: Sollte einmal jemand anders recht haben, siehe § 1.

Wir zahlten und gingen alle drei hinaus. Cat und ich entschlossen uns, ihr gar nichts zu erzählen. Sie hatte doch gesagt, ich solle mir so etwas wie Charakter zulegen und nicht jedem Konflikt aus dem Weg gehen. Gut. Machen wir: "Gabi, ich fleh Dich an, platz nicht. Aber wir bleiben noch bis morgen." Sie zog gackernd und mit Kraftausdrücken um sich werfend davon. Cat feixte, war aber einigermaßen entsetzt. Der hat nicht ganz kapiert, was jetzt so schlimm daran sein soll, einen Tag länger zu warten, wenn man noch sechs Wochen Zeit hat. Doch ich kenne sie lange genug und ich weiß, daß es nicht der eine Tag hin oder her ist, der ihr so schwer zu schaffen macht, sondern einfach die Tatsache, daß es halt einmal nicht gelaufen ist, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Wir fuhren dann in ein Internet-Café. Cat mußte seine eMails checken. Ich eigentlich auch, aber ich rief nur die für die Weiterreise relevanten ab. Es war beispielsweise eines von Eikka da. Er riet unbedingt dazu, nach Kolumbien zu fahren. Man sollte es nur vermeiden, nachts zu fahren, ansonsten sei alles ganz tranquilo. "Go and see and smell the roses", lautete die Schlußzeile, wenn ich recht erinnere. "Nein", war Gabis Antwort, als ich gerade ansetzte, etwas zu sagen. Schade. "Almut!, wo bist Du?"

Ich mußte noch die Bilder herunterladen von der Kamera. Mit 8 MB kommt im Jahre 2002 auch bei niedrigster Bildqualität nicht weit. Ich versuchte festzustellen, ob der Rechner einen USB-Anschluß hatte. Der Tower stand auf dem Tisch, neben dem Bildschirm, also stützte ich eine Hand auf dem Bildschirm ab, eine auf dem Tower und beuge mich vor. Damit nicht das ganze Gewicht auf dem Bildschirn ruht, sondern das Bein auch noch möglichst viel von meinem geringen Körpergewicht aufnahm, gleichte ich mit einem Bein den Schwerpunkt aus, indem ich es im gleichen maße nach hinten schwang, als ich mich nach vorne beugte. Ich beugte mich natürlich etwas zügig vor, plötzlich spürte ich an der Ferse meines Stiefels einen leichten, weichen Widerstand, der aber bald nachgab. "Paß doch auf, hörte ich Gabi brüllen." Beeindruckte mich nicht besonders, denn ich konnte es sowieso nicht haben, dauernd überwacht zu werden, abgesehen davon, daß sie grundsätzlich nur brüllt wie ein Afrikaner und daher stellt Brüllen bei ihr kein Grund zur Aufregung dar.

Gabi hatte ich nicht umgestiefelt, sondern einen Miniatur-Equadorianer.

Der Kleine machte aber keinerlei Anstalten, losbrüllen, weglaufen oder auch nur weitergehen zu wollen. Der fand alles wunderbar gemütlich, blieb auch noch eine ganze Weile sitzen und sah Gabi an, als wäre er im Zoologischen Garten und hätte zum ersten mal einen Elephanten gesehen. Einen Ausdruck der Verwunderung mit einer kleinen Beimengung Angst und viel Unbedarftheit im Gesicht, so saß er da und glubschte aus seinen Augen. Auffällig war, daß beide ungefähr die gleiche Schuhgröße hatten.
Ich lud die Bilder auf den Server und sicherheitshalber auf Disketten. Damit war die Kamera wieder frei. Langsam wurden die Disketten knapp. Bald würde ich eine CD brennen müssen. Auch wieder eine Prozedur, die man sich unterwegs sparen sollte.

Für heute langte es mir schon wieder. Geht mir alles auf den Wecker. Schließlich reist man, um sich zu entspannen. Doch wenn Gabi in der Nähe ist, ist meistens nichts mit entspanen. Immer nur am Streßmachen, Granteln, Meckern, Drängeln, Besserwissen, Rumkreischen, alle sind dumm, nur sie ist gescheit. So, genau so habe ich sie in Erinnerung von ganz früher. Letztes Jahr hat sie sich etwas zusammengenommen, da war alles weitgehend in Ordnung, aber diesmal hatten wir noch nicht einmal Halbzeit.

Catarina wollte in einer Pension übernachten. Wir zogen also los und suchten eine. Wir fuhren die Gegend ab, in der die Fluggesellschaften ihre Büros hatten. Dann konnte Cat am nächsten Tag dort gleich nach Flügen fragen. Er hatte nämlich vor, auf möglichst billige Art und Weise zurück nach Brasilien zu kommen und wollte probieren, ob er nicht auf einer Cargomaschine einen Mitflug für billig schnorren konnte. Speditionen, Flug- und sogar Schiffahrtsgesellschaften fanden wir zu Hauf, nicht aber Pensionen. Cat schrie irgendwann: "Halt! Da war was, das hat so ausgesehen." Ich hielt an, fuhr ein Stück zurück und Cat stieg aus. Während er darußen war, blieben Gabi und ich im Auto und rauchten eine Cigarette. Plötzlich stand ein Uniformierter neben meinem Fenster. Ich sollte mitkommen, denn ich hätte die Ampel dort hinten bei Rot über fahren. War natürlich Quatsch, denn die war blendend grün, als ich darüberfuhr. Ich stieg aus ging mit ihm ein paar hundert Meter zur Ampel zurück. Es war eine Einbahnstraße. Die Gegenfahrbahn war durch einen Randstein getrennt und auch etwas tiefergelegen als unsere Fahrbahn. Auch eine Einbahnstraße, allerdings logischerweise in die entgegengesetzte Richtung. Dort, auf der Gegenfahrbahn, standen noch zwei weitere seiner Kollegen. Fahrzeuge sah ich keine. Sie standen zu dritt an der Kreuzung. Er erklärte seinen Kollegen, er hätte mich doch noch erwischt. "Um was geht es, meine werten Herren?", fragte ich unbedarft in die Runde. "Du bist über die Ampel gefahren, als sie schon rot war. Gerade eben, vor ein paar Minuten." Und wieder waren wir mittendrin in den "Verhandlungen". Die Taktik "Habla español no" war nun unangebracht, nachdem wir uns bisher bereits prächtig unterhalten hatten. Aber da es sich hier definitiv um eine Falschdarstellung des Sachverhalts handelte, hatte ich wenig Bedenken. "Nein, meine Herren", sagte ich in aller Fröhlichkeit, "sie müssen mich da mit jemandem verwechseln. Ich bin nicht bei Rot, sondern bei Grün ganz gemütlich über diese Ampel da gefahren." Sie ließen nicht locker. Wie ich hier einfach behaupten könnte, es stimme nicht, wo sie es doch alle drei gesehen hätten. "Was passiert in Ihrem Land, wenn Sie über eine rote Ampel fahren?", fragte mich einer von ihnen. "Da bekomme ich eine Strafe." Er nickte zustimmend, zückte seinen Strafzettelblock und sagte: "So ist es hier in Equador auch." "Weiß ich", sagte ich, "aber das betrifft mich nicht, denn ich bin bei grün über die Ampel gefahren. Das ist in Equador nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht..." Nun standen wir allerdings, wie bereits erwähnt, auf der Gegenfahrbahn. Die besagte Ampel stand also mit dem Rücken zu den Polizisten. "Wo waren Sie denn eigentlich gestanden, als ich angeblich über rot fuhr?", wollte ich wissen. "Na hier", sagte er und zeigte auf den Boden. "Aha... und wie haben Sie dann 'gesehen', daß ich über rot gefahren bin? Die Ampel sieht man doch von hier aus gar nicht leuchten." Der andere erklärte mir, daß die Ampeln gleichzeitig rot werden. Wenn also die auf der Gegenseite, also die von hier aus einzusehende, auf Rot schaltet, dann tut die andere auf der Gegenfahrbahn, dasselbe. "Soso...", murmelte ich und gab ihnen mit dem Kopf ein Zeichen, sie sollen mir das mal vorführen, weil ich zu blöd bin, einen Sinn dahinter zu erkennen. Schließlich war hier keine Querstraße, sondern es handelte auch nur um eine Fußgängerampel. Sowieso ein Witz, diese Fußgängerampel mitten im Gewerbegebiet, wo weit und breit kein einziger Fußgänger ist. Wir stellten uns so hin, daß man beide Ampeln sehen konnte und warteten. Der andere übergab mir den Strafzettel. "Danke. Solche Souvenirs mag ich. Die sind nämlich umsonst." Kurz darauf schaltete die Ampel auf rot. Sie drehten sich um und wollten mir zeigen, daß nun die andere auch rot sei. Doch die leuchtete munter grün vor sich hin und, wie zur Bestätigung, fuhr noch ein PKW in aller Ruhe über die Ampel. Erst viel später, schaltete sie auf rot. Ich hob die Schultern, setzte einen gekünstelten Ausdruck des Bedauerns auf und bedankte mich für die nette Unterhaltung. Sie mußten selber lachen, fragten mich, ob ich nicht noch ein paar Cigaretten hätte. "Ja, klar, Jungs, nehmt Euch. Da." Ich stiefelte wieder zum Auto zurück. Cat war wieder da. Wo ich denn gewesen sei. Ich erzählte ihm die Geschichte. "Hast Du schon wieder gezahlt?" "Null. Drei Kippen habe ich ihnen dagelassen. Dafür durfte ich den Strafzettel wohl behalten." Er würde in der Pension bleiben. "Ja, dann schau, daß Du rauskommst, Du Tunte! Wir müssen uns noch einen Nachtplatz suchen. Wo treffen wir uns morgen?" "Hier in der Gegend. Ich habe da vorne ein Büro gesehen, da will ich nachfragen. Gegenüber war eine Naviera, da könntest Du gleich nach der Überfahrt fragen. Sagen wir um 10..."

Montag, 19. August 2002
Wir trafen uns wie verabredet mit Cat. Irgendein Idiot pöbelte uns noch an, weil ich scheinbar falsch geparkt hätte. Kein typischer Equadorianer, denn er hatte helle Haut. Sah eher aus wie ein kleinwüchsiger Mitteleuropäer. "Was will er denn?", fragte mich Cat. "Keine Ahnung. Eine auf die Gosch'n, glaub ich." Zu dem Pöbler sagte ich "Oui, Missiöh, habe nischt gewußte, daß in Equador Leute arbeiten... Geh nach Alemania, kanns Du pöbeln", gab ihm, schon im Wegdrehen begriffen, ein Zeichen, er solle weitergehen. Der Pöbler ging dann irgendwoanders hin, nachdem er schnell gemerkt hatte, daß ihn alle übergehen. Das habe ich in Deutschland gelernt, dem Land der Profipöbler in grüner Uniform. Dagegen war der hier ein richtiger Anfänger. Nicht einmal die Grundvoraussetzungen hatte er erfüllt. Seiner spastischen Gestalt hätte eine grüne Uniform mit der Aufschrift "Blöd" auf dem Ärmelstreifen und ein Schild "Bayerische Landespolizei" hervorragend gestanden. Und sowas schon am frühen Morgen.

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag...

Cat latschte zur Flug-, ich zur Schiffahrsgesellschaft. Wir kamen beide bald zurück, natürlich mit leeren Händen. Aber macht ja nichts. Wir bleiben dran. Das würden wir schon hinbekommen, wäre ja gelacht. Weiter ging's. Wir fuhren in die Innenstadt. Cat wollte bei der brasilianischen Botschaft vorbeifahren. Ich hatte ihm einmal die Geschichte von Daniel Dömer erzählt, der irgendwo in Asien ausgeraubt wurde und der das Rückreisegeld unter Angabe eines Bürgen, nach Überprüfung aller Angaben, bei der Botschaft erhielt - das er nach Ankunft in Deutschland natürlich zurückzahlen mußte. Er wollte dasselbe auch probieren, nur konnte er natürlich als Brasilianer nicht zur deutschen Botschaft, mußte es bei der brasilianischen probieren. Ob die überhaupt genug Kohle hatten, die eigene Miete zu bezahlen, das bleibe dahingestellt. Irgendwo versteckt, mitten im Durchgang, zwischen kleinen Läden und Cafés, befand sich der Eingang zur Botschaft. Keine Ahnung, im wievielten Stock. Unten wehte die brasilianische Fahnenkarikatur in ihrer vollen Größe von etwa 30 auf 20 cm. Die Farbenpracht hatte allerdings schon etwas unter den Witterungs- und Umwelteinflüssen gelitten.

Während Cat also dort versuchte, Geld zu schnorren, ging ich zur Post genau gegenüber. Gab saß nur im Auto und zog eine Fresse. In diesem Fall vielleicht ganz gut. Das ist fast so wirkungsvoll wie zwei scharfe Dobermänner auf dem Rücksitz zu haben. Da traut sich keiner ohne Panzerfaust hin. Ich blätterte die Kataloge durch und begann zu telephonieren mit Gott und der Welt. Immer wieder das selbe: "Hallo, einen wunderschönen guten Morgen, ich brauche den zuständigen für einen Autotransport von Equador nach Zentralamerika. Können sie mich verbinden?" Bei manchen war der zuständige noch nicht da, schon wieder weg oder gerade in einer Besprechung. Bei vielen aber, war er da und ich wurde verbunden. Dann ging es weiter: "Ich bin deutscher Tourist, habe einen PKW mit deutschen Kennzeichen in Equador, Zollpapiere an der Grenze ausgestellt und gültig. Das Fahrzeug soll zum niedrigstmöglichen Preis nach Zentralamerika. Können sie mir weiterhelfen?" Auch hier fielen wieder einige durch das Sieb. Zu teuer, fahren diese Strecke nicht, transportieren keine Autos, oder nur im 20ft-Container. Die meisten hatten ihre Büros hier in Quito, aber wicklten alles, was mit Fracht zu tun hatte in Guayaquil ab. Bei einigen erwirkte ich aber einen Termin in Quito.

Seit langem standen wir mal wieder in einem Stau.

Cat kam zurück und machte sich auch gleich ans Telephonieren. Hinterher gingen wir eine Kleinigkeit essen. Er erzählte mir, daß er denen erklärt hätte, daß er kein Geld mehr hätte und heim müßte. Aber die rücken nichts raus. Woher denn auch? Wir machten aus, daß ich ihn wieder in die Gegend der Fluggesellschaften fahre und er dort zu Fuß eine nach der anderen abklappern würde. Wir sollten uns um 14 Uhr wieder dort treffen. Gabi saß nur auf dem Beifahrersitz, sah teilnahmslos aus dem Fenster und sagte kein Wort. So ist's recht, es fährt sich weitaus angenehmer, als wenn eine ständig ohne Grund Gift und Geifer speit.

Während Cat also die Fluggesellschaften abklapperte, machten wir und wieder in das Zentrum, um den einen oder anderen Termin wahrzunehmen. Wir gingen auch zu McDonald's, denn Gabi hatte noch nichts gegessen. Nicht, daß es ihr schaden würde, aber zu McDonald's sag ich nicht nein. Da weiß man, was man kriegt, Vitamine hin oder her.

Die angesetzten Termine brachten nicht viel Neues, dienten nur der Informationssammlung. Ich notierte mir einige Telephonnummern, um gegebenenfalls darauf zurückzukommen, wollte aber alles versuchen, daß wir bessere Angebote bekamen. Das hier war sozusagen nur die Erkundung, damit man sich ungefähr ein Bild machen kann, wie die Landschaft so aussieht. Ergebnisse gab es noch lange keine, wir standen auch erst am Anfang. Und das machte Gabis miese Stimmung noch schlechter. Kann ich verstehen, wenn man den ganzen Tag nur auf dem Beifahrersitz hockt und schlechte Laune schiebt. Ein normaler Mensch würde halt einen Stadtbummel machen oder irgendetwas tun. Um im Auto zu sitzen braucht man nicht extra nach Equador zu fahren. Aber wenn sie meint... mir war es recht. Als wir Cat wieder abholten, gab er mir schon von weitem ein Zeichen, daß es wieder nichts gewesen sei. "Aber für Euch habe ich was gefunden, das glatt interessant klang. Er brachte mich zu einem Büro und wir kamen gleich dran. Ich stellte die Situation erneut dar und hörte mir dann das Angebot an. Es war keine Naviera, sondern eine Consolidera (so hießen sie, glaube ich, kann auch Consolidadora geheißen haben). Die verkaufen einem einen Platz in einem Container. Man zahlt entweder nach dem Volumen, das die Fracht im Container einnimmt oder nach dem Gewicht, je nachdem, was teurer ist. Wir kamen in jedem Falle auf ungefähr 600 US$. Das war schon in Ordnung, verglichen mit den anderen angeboten. Ich hatte mit 700 US$ insgesamt gerechnet. Soweit, sogut. Nun die Abidjan-Frage. Wenn die auch noch mit "Ja" beantwortet würde, dann hatten wir unsere Überfahrt sogut wie in der Tasche: "Können auf dem Schiff zwei Passagiere mitfahren?" Das konten sie nicht beantworten. Ist auch eine ungewöhnliche Frage. Aber sie wollten sich bei der Reederei erkundigen. Wir sollten einfach in zwei Stunden wieder vorbeikommen. Wenn das klappt, dann haben wir schon den schwierigsten Teil geschafft. Ich ging zum Auto und überbrachte Gabi die halbwegs positive Kunde: "Ich glaube, da könnte sich was ergeben. Der Preis ist in Ordnung, die müssen nur noch nachfragen, ob wir auf dem Schiff mitfahren dürfen." Erst kam überhaupt keine Reaktion, dann die Antwort: "Ich will nur wissen, wann wir endlich hier losfahren." Ich versuchte ihr noch zu erklären, daß es mein primäres Ziel wäre, eine Verschiffung nach Zentralamerika zu bekommen und, daß mich ihr kindischer Privatkrieg gegen Cat nicht die Bohne interessiert, weil ich in meinem Leben ein paar andere Sachen auf der Welt als wichtig empfinde. Aber mit Vernunft ist da nichts zu wollen. Ich wollte ein Schiff, sie lieber einen Affenaufstand schieben. Dann einigte ich mich mit Cat darüber, daß jeder das tun sollte, was er am besten kann und was unserem Vorhaben am meisten Nutzen abwirft. Also kümmerten Cat und ich uns weiter um die Verschiffung und Gabi machte nichts, außer ab und zu mal in Tränen auszubrechen. Daß man hier in Quito jedenfalls leichter an eine Verschiffung kommt, als auf der Landstraße zwischen Quito und Guayaquil, das interessierte sie nicht. Sie wollte nur ihren Dickschädel mit allen Mitteln durchsetzen, es ging gar nicht mehr um die Verschiffung. Gerade sie, der es mit der Verschiffung nicht schnell genug gehen konnte. Daß es auch in Guayaquil keinen europäischen Fährhafen mit deutschen Abfahrtszeiten und Restaurants und Swimmin-Pools gab, hat sie wahrscheinlich gar nicht mitbekommen.

Ich mußte noch eine Telephonkarte holen und ging zur Post. Hinter dem Panzerglas saß eine völlig verheulte Alte, die zitterte und, abgesehen davon, nicht viel auf die Reihe brachte. Ich wartete ewig und drei Tage und begann allmählich etwas genervt zu werden, da die Spedition um 17 Uhr zumachte. Ich klopfte auf den Tresen und gab ihr zu verstehen, daß sie nicht zum Flennen da sei. Sie stand auf und holte eine Kollegin. Die gab mir dann auch prompt die Telephonkarte, ich bezahlte und ging zurück zum Auto und fuhr zur Schiffahrtsgesellschaft. Gabi hatte ihre hochanspruchsvollen CD eingelegt mit künstlich erzeugten, primitiven Dissonanzen, zu denen eine blödgekiffte oder hirnlose Nachgeburt geistreiche Texte krächzt wie: "...und wenn ich nicht hier bin, bin ich im Aquarium..." Ganz zweifellos ein intellektueller Leckerbissen. Klassische Musik war ohnehin Tabu, wenn Gabi im Auto saß. Schon immer. Man konnte sich natürlich mit ihr auf gemeinsame Musik einigen. Aber sicher nicht an diesem Tag. Eine Moralpredigt kam natürlich auch noch. Wohl weil ich am Tag zuvor in einem Nebensatz zu ihr gesagt hatte, daß ich vergessen hätte, vor ihrer Ankunft dem Cat zu sagen, daß sie etwas komisch sei. Doch mich interessierte wirklich das Schiff und ich konzentrierte mich auf die Eindrücke von Quito.

Als ich zur Spedition hineinging wurde ich bereits erwartet. "Jetzt kommt's noch mal drauf an", sagte ich zu Cat. "Guten Nachmittag, die Herren. Wie sieht es aus?" Am Gesichtsausdruck konnte ich ihnen nichts ablesen. Kein "Ja", aber auch kein "Nein". Er erklärte mir, wie alles läuft. Auf dem Schiff kann man schon mitfahren, allerdings würde es etwa sechs Wochen bis Panama brauchen, denn es fährt nicht nach Norden, sondern zunächst nach Süden und spätestens in Puno müßten wir von Bord gehen. Puno liegt in Peru. Dort kamen wir doch gerade erst her. Diese Strecke schien mit doch etwas unsinnig. Man muß ja nicht mit der Kirche ums Dorf fahren. Erst runter nach Puno und dann mit dem Flieger nach Panama-City oder Colón zu fliegen ist nicht wirklich das Wahre. "Gut... Danke recht herzlich. Kann man nichts machen." Klar ist auch, daß die Anzahl der Rückschläge bei einer solchen Aktion diejenige der Erfolge bei weitem übersteigen muß. Man muß erst einige Rückschläge einstecken, der Erfolg kommt als letztes - wenn er kommt. Das weiß man eben nicht. Aber wir hatten es in Afrika hinbekomen, als jeder sagte, es sei unmöglich. Ich würde es auch hier hinkriegen. Nur wußte ich noch nicht wie und wann.

Wir schliefen an einer Tankstelle an der Straße zum Flughafen, diesmal war Cat auch mit von der Partie. Er hatte sich für 600 US$ ein Flugticket kaufen können, sein Flug ging um 5:00 Uhr früh. Cat und ich gingn noch in die Tankstelle hinen. Dort saß der Besitzer mit ein paar Kumpels und wir unterhielten uns mit denen noch eine Weile. Dann gingen wir zurück und richteten die Pritschen. Ich schlief auf den Blechen, Gabi auf der Rückbank und Cat in der Hängematte. Wunderbar, wie die Strahlenflugzeuge im Tiefflug über unsere Köpfe hinwegdonnerten. In Flugmotoren verehr ich Menschenwitz und Kunst. Göttlicher Gesang. Ich war da wohl der einzige. Cat schlief und Gabi nicht. Egal. Gute Nacht.

Dienstag, 20. August 2002
Am nächsten Morgen, noch lange vor Sonnenaufgang ging es los. An dem relativ kleinen Flughafen herrschte rege Betriebsamkeit, wir waren weiß Gott nicht die einzigen, die hier Leute abluden. Überall wuselten die Transferbusse und die Privatautos gaschäftig umher. Ich parkte genau vor dem Gate. Den Motor konnte ich natürlich nicht laufen lassen, ansonsten würde das Geschrei von Gabi den Flugmotorenlärm übersteigen. Cat packte seine hundert Koffer vor das Auto und wir trugen sie dann gemeinsam zum Check-in. "Wie kann man nur soviel Kruscht umeinanderschleppen.
Und wieder ging einer von Bord... In dem Fall leider der falsche.

Davon hast Du nicht mal ein Viertel gebraucht?!?" "Ja, das werd ich mir für das nächste mal merken. Machs gut. Du armer Teufel.... mußt mit dieser Kreatur noch bis nach Mexiko fahren. Such Dir unterwegs einen Gringo oder - noch besser - eine hübsche Gringa mit Geld - und wirf die Alte hochkant raus. Beneiden tu ich Dich jedenfalls nicht." Ich winkte ab. "Erinnere mich nicht daran. Schau jetzt, daß Dich schleichst. Nächstes Jahr Mexiko?" "Vielleicht. Mal sehen. Mit der Alten jedenfalls nicht." "Nein. Das kann ich Dir jetzt schon versprechen... Wird mir nicht schwerfallen, das Versprechen zu halten." Ab hier durften nur Passagiere weiter. Für mich hieß das: Hand an den Helm, auf der Ferse Kehrt und hinaus. Man drängte schon, ich solle wegfahren. Das tat ich auch. Gabi schlief noch eine Weile weiter.

Als wir an einer der breiten Durchfahrsstraßen an einer Ampel hielten, stand neben uns ein Auto. Eine Mutter mit ihrem Sohn, offensichtlich - auch keine typischen Equadorianer. Zu hell, zu blond. Die Mutter fragte, wo wir denn hinfuhren. "Guayaquil!", brüllte ich hinüber. Ob wir ihren Sohn nicht ein stück mitnehmen könnten, dann braucht er nicht den Bus zu nehmen. Den schickte ja der Himmel. "Klar, kein Problem..." Ich fuhr bei der nächtsen Tankstelle runter von der Straße, unterhielt mich kurz mit der Mutter und der Sohn, etwa in meinem Alter, stieg um. Langsam ging auch die Sonne auf. Er war irgendwie Landvermesser oder sowas. Bei dieser Gelegenheit inspizierte ich wieder mal mein GPS, das in den letzten Tage etwas zu spinnen begann. Die Höhe war viel zu niedrig. Wir waren mitten in den Anden. Das Auto fuhr nicht so, wie es unterhalb von 2000 m fährt. Es war viel träger. Dennoch zeigte das GPS eine unnsinnig niedrige Zahl an. Aller Logik entgegen stieg die Zahl langsam an, obwohl wir ja die Serpentinen abwärts fuhren, dann auch noch so stabil und eindeutig. Normalerweise sind schwankungen von 50 m normal, zumal man sich ja bewegt. Das nervte mich nun. Bei genauerem hinsehen bemerkte ich dann, daß es nicht die Höhe anzeigte, sondern die zurückgelegte Strecke - wohl seit Guayaquil. Blöd...
Zum Dank einen Tank...

Schon wieder etwas eingespart. Kann es nicht mehr von denen geben? Da ich kein Namensgedächtnis besitze, weiß ich auch nicht, wie unser Gast hieß. Jedenfalls hatte er allerlei interessante Sachen über die Gegend um uns zu erzählen. Ich fragte ihn auch bezüglich Kolumbien. "Nein!", keifte Gabi dazwischen, die mittlerweile aufgewacht war. Kann die nicht einmal einfach still sein? Ich habe doch ihn gefragt, nicht sie. Er erzählte nichts Schönes über Kolumbien. Auch seien ab und zu kolumbianische Rebellen im Norden Equadors. Mal sehen, was die Zukunft so bringt. Spannend ist es allemal. Wir sind mitten in Equador und haben keinen Schimmer, wie es weitergeht. Gabi wußte es schon. Wir nehmen die Fähre und fahren nach Panama. Ganz einfach. Stadtbergen, Straßenbahnhaltestelle...

Die Teufel von QuitoIch erzählte ihm auch unsere Geschichte und unseren Plan. Er sagte, wir sollten doch einfach mit einem Holz- oder Bananendampfer hinüberfahren. Sicher könnten die ein Auto an Deck mitnehmen. Er würde als Dankeschön für das mitnehmen bei seiner früheren Firma anrufen und anfragen, ob die darüber etwas näheres wüßten. Wir fuhren ihn zu seiner Wohnung und luden ihn dort ab. Unser Fahrgast gab uns seine Nummer und sicherheitshalber auch noch die Nummer von seiner ehemaligen Firma.

Wir hatten gerade mal ein Drittel der Strecke nach Guayaquil zurückgelegt. Allerdings das langwierigste Drittel, bestehend aus Serpentinen und schlecht geteerten Straßen. Nach Westen hin werden sie besser, obwohl von Gut keine Rede sein konnte. Es war eine Landstraße. Die gleiche, über die wir gekommen sind und sie führte immer wieder durch Käffer mit diesen verdammten Speed-Bumps. Und wenn es nicht die waren, dann waren es Köter, Kinder, Schafe, Rinder, trompetende Trauergesellschaften, oder Autos, denen man ausweichen mußte. Da kann man nicht einfach durchheizen, wie es einem gefällt.

Aber sehr interessant, diese Überlandstraßen. Hier kann man auch diesen Unsinn schön beobachten, daß in jedem Kaff immer nur das gleiche verkauft wird. Ein Stand gleicht dem anderen, das Angebot und die Preise sind auch gleich. Da fragt man sich erneut, wieso keiner auf die Idee kommt, etwas anderes als die anderen zu verkuafen, wie in jedem anderen Land auch. Wenn man also etwas essen will kann man entweder das erwerben, was gerade angesagt ist, oder aber man fährt weiter, in der Hoffnung etwas zu finden, was einen eher anspricht. Kann natürlich sein, daß man dazu ein paar Käfer weit fahren muß und - wenn es blöd läuft - feststellt, daß das, was man zuvor hätte haben können, besser gewesen wäre. Und wieder zurückzufahren ist ein Schmarrn. Dann hungert man eben vor sich hin, entschließt sich dann, einfach irgendwas zu essen. Man würdgt das Zeug hinunter, vertraut auf seine Magensäure, und auf seinen stählernen Verdauungstrakt, um dann, wenn es blöd läuft - und das tut es meistens - im nächsten Kaff festzustellen, daß sie die schönsten Burger gehabt hätten. Für Unterhaltung sorgten neben Polt auch einige umgestürzte Laster.
Sieht aus, als wäre der LKW einfach wegen Übermüdung aus dem Stand umgekippt. Keine Ahnung, wie dieser es geschafft hat, auf der Geraden und innerorts. Das kriegt nicht mal meine Schwester fertig.

Ich wollte möglichst früh in Guayquil sein, damit ich noch möglichst viel erledigt bekam. Es sind nur ein paar Stunden am Tag, in denen man etwas erledigen kann. Die Nacht und vor allem die Wochenenden sind dafür ungeeignet. Die erste Anlaufsstelle sollte eine große Verschiffungsgesellschaft sein im noblen Gewerbeviertel von Guayaquil. Natürlich mußte man das erst einmal finden. Das kostet auch wieder Zeit. Wir kamen so gegen kurz nach Vier in den Außenbezirken an.

Bis wir das Porta-Gebäude erreicht hatten, war es schon fast zu spät. Ich ging dennoch hinauf. Jetzt, wo wir schon einmal hierwaren, wäre es Schwachsinn, einfach wieder zu fahren. Vorher setzte ich Gabi auf den Fahrersitz, für den Fall, daß einer hinauswollte. Dann verschwand ich im Gebäude und fuhr in den 10 Stock. Es hatte natürlich alles schon zu un man bat mich, am nächsten Tag wieder zu kommen. War klar. Ich schlenderte wieder hinunter. Als ich am Parkplatz ankam, stand das Auto nicht so da, wie ich es abgestellt hatte. Schnell stellte ich fest, daß es jemandem im Wege stand und, daß ich vergessen hatte, Gabi zu erklären, wie der Rückwärtsgang hineingeht. Irgendein Pförtner hatte ihr beim Schieben geholfen.

Gabi fluchte natürlich auf Cat, "die scheiß Ballerina", der natürlich am allerwenigsten dafür konnte, aber das tat nichts zur Sache. Wir mußten das auf den nächsten Tag verschieben, es half alles nichts. An das Gemecker gewöhnt man sich. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Einfach nicht hinhören, geschweige denn widersprechen. Widersprechen ist ganz schlecht, denn das schraubt die Lautstärke nach oben.
Doch man muß schon sagen, daß seit Cat weg war, Gabi ruhiger geworden war. Ruhig war sie noch lange nicht, das geht auch nicht, aber das verlangt ja auch keiner. Nur etwas mehr Anpassungsfähigkeit.

Wir gingen in eine luxuriöse Shopping-Mall, um uns umzuschauen und um einige Einkäufe zu tätigen. Ich brauchte eine Telephonkarte für den morgen anstehenden Telephon-Marathonlauf. Gabi sah sich noch in den Geschäften um. Viel blieb nicht mehr zu tun an diesem Tag. Wir fuhren durch Guayaquil und suchten noch in Telephonbüchern nach Navieras. Ich schrieb mir alle wichtig aussehenden Nummern heraus. Auch für solche Fälle wäre ein LapTop ganz brauchbar gewesen. Aber meine Schwester hat sich den besten Augenblick ausgesucht, um einen Denkversuch zu unternehmen.

Übernachtet wurde natürlich wieder vorne an der Mautstation. Wenigstens brauchten wir nicht nach neuen Möglichkeiten zu suchen, wir kannten den Weg. Zumindest halbwegs. Blöd nur, daß das GPS die gefahrene Strecke immer wieder hinten weglöscht, daher mußten wir schon etwas suchen, bis wir die eine Straße fanden, die nach Südosten in Richtung Grenze führte.

Guayaquil gefiel mir immer besser. Auch Nachts ist scheinbar immer etwas los. Es war schließlich Mittwoch und dann auch noch relativ spät in der Nacht, als wir im Stau steckten. Im Stadtzentrum sowohl, als auch in den äußeren Bezirken, wo scheinbar die Überlandbusse fuhren, wimmelte es von Autos und Menschen, die auf den ersten Blick hektisch durcheinander wuselten und aneinander vorbeidrängten und drückten. Bei genauerem hinsehen, also bei Betrachtung Einzelner, kam allerdings kein Gedanke an Hektik auf. Jeder einzelne sah aus wie die Ruhe selbst, lachte, scherzte, grinste oder ging apathisch oder gemütlich vor sich hin. Richtiges Gerenne gab nicht einmal bei den Bussen. Die steckten eh im Stau und man konnte sie jederzeit zu Fuß einholen, die Türen waren meist auch offen. Kein Streß.

Guayaquil, Nacht, Stau
In einem der äußeren Bezirke von Guayaquil-City bei Nacht.

Als wir auf dem LKW-Parkplatz ankamen gab es Abendessen. Als Bordköchin ist Gabi nach wie vor ungeschlagen. Wenn ich koche, kann man es essen und es füllt auch den Magen, man ist verpflegt. Aber Gabis Essen schmeckt auch noch. Liegt wohl an den Gewürzen. Damit konnte ich nie umgehen, denn das einzige Gewürz, das ich kenne heißt Salz. Während also Gabi das Essen zubereitete, betrieb ich Mückenabwehr mit Autan, Insektenspray, Handtuch und Fliegenpatsche, die eher für die Tagjagd geeignet zu sein scheint, als für die Nachtjagd. Die Viecher waren heute wieder ziemlich aggressiv unterwegs. Irgendwo muß hier Süßwasser in der Nähe sein. Das Auto blieb zu, damit es innen möglichst Mückenfrei blieb. Das Essen war
Unangenehm war auch das anschließende Spülen. Das war meine Aufgabe. Vorne am Häuschen war ein Wasserhahn, aus dem naturgemäß Wasser kam, wenn man ihn aufdreht. Dies wiederum hat zur Folge, daß sich da im Laufe der Zeit eine Pfütze bildet, welche wiederum eine hervorragende Nist- und Brutstätte für diese widerwärtigen Viecher ist. Als Verbündete hatte ich zwar Fledermäuse in großer Anzahl, doch die Mücken hatten eine Überlegenheit von hundert zu eins. Ich ging also als erstes zum Auto und holte das Mückennetz aus der Versenkung. Das war schon lange nicht mehr im Einsatz. Das Spülen ist eigentlich keine große Angelegenheit, aber hier wurde es ein riesen Terz. Das Hemd sollte nicht naß werden, weil die Drecksviecher dann durchstechen können, wenn der Stoff am Körper klebt. Und diese Pfütze war wirklich unangenehm. Kaum stand man einige Sekunden am laufenden Wasser, schon hatte man einen Schwarm Mücken um den Schädel schwirren, der, wieder ein paar Sekunden später, zu einem Geschwader anwächst. Dieses ekelhafte helle Surren, das normalerweise die Viecher verrät. Man kann dadurch den Störenfried auch im Dunklen orten. Sobald es aufhört, zuschlagen. Meist erwischt man sie auf diese Weise. Aber hier war keine Horchpeilung mehr möglich, weil so viele von den Biestern unterwegs waren, und in der Masse wirken sie wie Störsender, es surrte einfach überall. Ich ging dazu über, ein paar Sekunden zu spülen, dann ruckartig zurückzutreten, zum Handtuch, das ich mir um den Nacken gehängt hatte, und schlug damit genau dort hin, wo ich zuvor stand. Dann wieder vor und weiterspülen. Nach ein paar Sekunden, das gleiche Spielchen wieder. Das kann es doch nicht sein, oder? Die ganze Energie, die man sich über das Essen zuführt, die muß man wieder an diesen Viechern verschwenden. Sollten wir noch länger hier bleiben, dann wird das Spülen auf den nächsten morgen verschoben, wenn die Mücken abgezogen sind.

Mittwoch, 21. August 2002 - Seit zwei Jahren und 110.000 Kilometern unterwegs.
Das Schlafen war für mich auch mit gewissen Umständen verbunden. Gabi schlief, wie immer auf der Rückbank. Der Innenraum war Mückenfrei. Wenn nicht, dann ist er schnell Mückenfrei zu kriegen. Während also Gabi innen noch ein paar Mücken erschlug, wobei das ganze Auto wie ein Boot bei schwerem Seegang schlingerte und stampfte. Währenddessen richtete ich mein Lager. Es war heiß, also konnte ich mich nicht mit dem Schlafsack zudecken. Das Mosquito-Netz mußte her und es mußte aufgebaut werden. Nur wie? Erstmal die Isomatte auf die Bleche, dann ein Teil des Netzes. Darauf die Decken und den Schlafsack. Nun mußte ich auf irgendeine gescheite Weise das Netz so über mich zu legen, daß es aber möglichst viel Abstand zu mir hatte. Ich stellte die Stiefel auf die Kanister, befestigte die beiden Spaten so am Gepäckträger, daß die Stiele nach oben standen. Den einen am Fußende, den anderen am Kopfende. Fertig war der Laden. Not macht erfinderisch. Die Idee hätte mir schon in Afrika kommen können. Den Rest des Netzes stopfte ich unter die Decken, deckte mich mit dem Handtuch zu und normalerweise wäre jetzt die letzte Cigarette fällig gewesen. Ich verzichtete aber darauf, da ich ansonsten aller Wahrscheinlichkeit nach die eine oder andere zu große Masche im Netz haben würde. Das surren klang nun wie ein Wutgeheul. Ab und zu hob sich über mir ein kleiner dunkler Schatten gegen den etwas helleren Nachthimel ab. Eine Mücke, die auf dem Netz saß. Etwas größere Schatten, die hoch droben in dunkelblauen Weiten Manöver vollführten, auf die Richthofen neidisch gewesen wäre, stammten von Fledermäusen, die sich auf die Mücken stürzten. Faszinierende Tiere, diese Fledermäuse. Asdic, Ortungssystem, Ultraschall. Ab und zu schoß einer dieser Schatten wenige Zentimeter über dem Netz vobei. Manchmal, wenn es ganz still war, bildete ich mir ein, ein leises "Ping" zu hören. Wahrscheinlich wirklich nur Einbildung, aber hatte was.

Als ich am morgen wach wurde, war es leicht bedeckt. Ich stand auf, baute das Bett ab. Als ich zum Wasserhahn ging, war alles friedlich. Ein paar Fliegen waren da, aber das war es auch schon wieder. Keine Spur von Mücken. Wo die sich wohl verstecken? Jetzt sollen sie herkommen, dann klatsch ich sie weg!
Wir mußten zusehen, daß wir langsam in die Gänge kamen. Ein Schiff mußte her und immer noch hatte ich keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Wir fuhren in die Stadtmitte. Und wieder kam mir die Erinnerung an Abidjan, wenn man von Dö Platoh ins Zentrum fuhr über die große Straße. Und immer wieder Busse. Fast jeder von ihnen hatte ein persönliches Motto auf dem Heck aufgepinselt.

"Es ist schlecht, schlecht zu sein,
Aber noch schlechter ist es, gut zu sein..."

Hier machte es mir auch nichts aus, im Stau zu stehen. Angenehmer war auf jeden Fall die Sprache. Kein schwules französisch, sondern verständliches, klares Spanisch. Guayaquil gefiel mir auch auf jeden Fall besser als Quito. Es war einfach mehr los. Auf der anderen Seite kann ich mir auch gut vorstellen, daß für den Flugtouristen Quito interessanter ist. Ohne Auto würde ich Guayaquil wahrscheinlich hassen. Guayaquil ist eine Industriestadt. Die eigentliche Hauptstadt, wenn man so will, während man Quito als ein etwas größeres und auch zivilisierteres Yamassoukro bezeichnen könnte. Aber das sind nur meine eigenen Vergleiche und Mutmaßungen. Am besten, man sieht es sich einfach selbst an.

Die erste Anlaufstelle war natürlich die Shopping-Mall am Wasser. Das Auto kam ins Parkhaus und wir gingen hinein und ich steuerte ins Internet-Café in der Hoffnung, daß schon die eine oder andere Antwort da wäre. Vereinzelt tröpfelten sie auch herein. Aber nicht viel Spannendes. Drei oder vier eMail waren da. Eine Absage, drei Angebote, die alle so um die 1.200 bis 1.500US$ lagen. Alle drei Navieras waren aus Equador. Von den Kolumbianern keine Antwort. Passagiere nahm jedoch keiner von den dreien mit. Alle verwiesen auf den Luftweg. Aber das kam überhaupt nicht in Frage. Wir würden mit dem Schiff fahren.

Ich suchte noch weiter im Internet nach Navieras in Guayaquil. Ich schrieb mir die Telephonnummern heraus, möglichst viele, schrieb es mir auf ins Fahrtentagebuch und ging los. Eine Telephonkarte nach der anderen wurde vertelephoniert. Zwei oder drei Termine wären schon ein großer Erfolg. Der Text war auch immer der gleiche. Erst die Frage ob jemand Englisch spricht. Da kann ich mich leichter artikulieren. Und fast jeder konnte gutes Englisch. Kein Vergleich zu den Dorftrotteln oder Buschaffen in Brasilien. Die können ja gar keine Sprache. Nicht mal Spanisch. Für diesen Tag bekam ich einen Termin am Nachmittag und eine andere Naviera sagte, ich solle einfach vorbeikommen. Lieber persönlich einmarschieren, das ist immer besser. Der Schnitt für heute war recht gut. Und mehr als drei oder vier Termine schafft man an einem Tag eh nicht. Wir hatten natürlich keinen Stadtplan, was das Finden der einzelnen Ziele nicht gerade erleichterte. Man mußte sich halt eben durchfragen. Ging schon immer irgendwie.

Wir fuhren zur ersten Naviera - ich weiß nicht mehr, welche das war. Ich wollte auf den Parkplatz fahren, aber ein Wächter kam aus seinem Häusl und sagte mir, der sei nur für Mitarbeiter und es gäbe keinen Kundenparkplatz. Ich könne mich aber gleich neben der Einfahrt auf die Straße stellen. War auch nicht viel weiter weg und da Gabi im Auto blieb, war es vor Dieben sicher. Ich fuhr also rückwärts und der Parkplatzwächter gab mir ein Zeichen, daß ich noch weiterfahren könnte. "Ja, Alter, ist ja gut... Daß sich die Leute hier immer in Sachen einmischen müssen, die sie überhaupt nichts angehen!", hörte man Gabi zischen. "Wer denn? Wo denn?", fragte ich und sah mich um. Die einzigen Leute weit und breit waren der Parkplatzwäckter und einer mit dem er sich unterhielt. Und ich verstand nicht, was sie meinte. "Der Depp, der braucht sich nicht darum kümmern, wie Du einparkst, das wirst Du doch wohl selber können", war die Aussage, die sie tätigen wollte, wie ich so nach und nach herausfand. Ich fand das nett von ihm, daß er mich einwies. Einparken kann ich zwar, aber es ist bequemer, wenn man nicht selber schauen muß. Und wenn ich meine, ich bräuchte ihn nicht, dann brauche ich ihn ja nicht anzuschauen und er kann mit dem Arm wedeln, solange er mag. So sehe ich das. Ich fühlte mich in keinster Weise in meinem Tun behindert, noch merkte ich, daß sich jemand in meine Angelegenheiten mischte. Außer Gabi, und zwar ständig. Sie weist nicht ein, sie parkt nicht ein, sie ist von nichts betroffen. Weiß nicht, wo sie die Verbindung herzog, oder wodurch sie sich angesprochen gefühlt hat.
Was mich aber viel mehr erstaunte war, daß ich überhaupt nicht den geringsten Plan hatte, wes wirren Geistes Kind Frl. Gabi Z. L. war. Mich wunderte, daß so eine Aussage gerade von einer kommt, die in einem Land wohnt, in dem 90% der Bewohner aus Hilfs-Sheriffs, inoffiziellen Mitarbeitern von Stasi West und ordinären Denunzianten bestehen, die im Leben noch nie etwas anderes taten noch tun werden, als sich in anderer Leute Leben einziumischen, weil sie kein eigenes haben.
Mit Beispielen halte ich mich an dieser Stelle zurück, denn die alein würden Bände füllen. Nur eines: Ich fahre durch Augsburg, halte an, weil ich eine Cigarettenschachtel überfahren und dabei das Gefühl hatte, sie wäre noch voll gewesen. Ich setze zurück, steige aus, nehme die Schachtel und öffne sie. "Bingo!" Die meisten waren nicht kaputt. Eine volle Stuywesant-Schachtel für umsonst - das nenne ich fette Beute. Gleich steckte ich eine an und fuhr heim. Kaum bin ich daheim, stehen schon stehen ein paar dieser widerwärtigen Randexistenzen von Bullen vor der Haustür. Mich hätte jemand angezeigt, ich hätte in der Frauentorstraße ein Paket gestohlen. "Wissen Sie, was wir beide gemeinsam haben? Wir haben beide keine Arbeit. Aber was mich von Euch unterscheidet ist, daß ich dann aufstehen und zu Bett gehen kann, wenn ich will." Und mit Narrenkappe und Verkleidung mich zum Deppen zu machen werde ich auch nicht gezwungen.
Und dann kommt eine, die in diesem Denunziantenstaat lebt, und zwar gerne, und erzählt etwas von wegen hier in Equador würde sich jeder in das Leben anderer Leute einmischen. Eine Gehirnwäsche kann es nicht gewesen sein, schon alleine deshalb, weil dazu ein Gehirn nötig ist. Sowas regt mich auf.
Wenn sie wenigstens aussehen würde wie ein Model, dann würde ich mir den Stuß gerne länger anhören, "quod licet Veneri non licet bovi". Rindvieh trifft es schon ganz gut, aber ich merke schon seit langem, daß hier einfach eine böswillige Verwechslung vorliegt. Ich muß wohl mal gesagt oder zu laut gedacht haben, daß ich mir eine Beifahrerin wünsche, die der Venus gleicht. Man schickte mir die Gabi. Ihre Form, ihr Verstand und ihr Charakter erinnern tatsächlich sehr stark an Venus. Doch ich meinte natürlich die "Göttin der Liebe und der vollendeten Schönheit" und nicht den gleichnamigen Planeten, der rund und dumm auf vorgegebener Bahn durch den Äther schwirrt.
Aber was soll's. Das konnte ich hic et nunc nicht ändern. Ich tröstete mich damit, daß Gabi wenigstens zur Abschreckung von Autoknackern wesentlich besser geeignet ist als Frau Venus. Ich hatte auch keine Lust, das Diskutieren anzufangen. Sie kapiert es eh nicht. Da gehört eine Roßkur durchgezogen. Kolumbien wäre was. Da würde selbst sie es spätestens kapieren. Als ich aus dem Weg zum Gebäude war, da kamen mir zwei Leute entgegen, die man schon von weitem als Touristen erkannte. Autotouristen, sonst wären sie nicht hier.

Légere Kleidung, Rucksack, Papiere in der Hand - wie leicht ist der Tourist erkannt.

Ich ging auf sie zu und begrüßte sie mit wohin des Wegs? Sie kamen gerade aus Panama, erledigen hier den Papierkrieg für die Autos, die wohl noch im Hafen stecken. Das stelle ich mir hier wesentlich angenehmer vor als in Brasilien. Hier scheint alles zu funktionieren. Zumindest war das mein Eindruck. Equador hat sich überhaupt bisher als ein sehr nettes Land gezeigt. Alles, worüber man sich ärgern will sind am Ende doch nur Kleinigkeiten und man vergißt sie schon bald wieder. Ich fragte nach, mit welcher Gesellschaft sie gefahren seien, ob die gut sei, wünschte Ihnen viel Spaß beim Papierkrieg. Dann unterhielten wir uns noch kurz über Panama, das Land in das wir wollten und Equador, das Land, das vor ihnen lag.

Dann begab ich mich zum Büro, das irgendwo in diesem Hochhaus war und dieses Hochhaus sah von außen sehr ansehnlich aus, von innen aber machte es auf mich einen nicht ganz fertigen Eindruck. Geschäftsleute und Handwerker eilten oder irrten umher. Eine Dame an der Information, die kaum über den Tresen schauen konnte, weil sie so klein war, versuchte, den Leuten zu erklären, wo sie hinmüssen. Auch mir erklärte sie, wo ich hingehen sollte. Ich folgte den Anweisungen und fand mich kurze Zeit später im Wartezimmer eines Büros wieder. Dort saß ich da und harrete der Dinge, die man mir da erzählen würde.

Nach einigen Minuten kam endlich eine Mitarbeiterin und bat mich in das eigentliche Büro hinein. Ich trug meinen Text mittlerweile schon fast mechanisch vor. Man machte mir ein Angebot für eine Container-Verschiffung, das so um die 1.000 Dollar lag und damit viel zu teuer war. Außerdem wollte ich keine Container-Verschiffung, sondern ich wollte, daß das Auto als offene Ladung an Deck transportiert wird. Bulkbreak oder free-on-deck stowage hieß das wohl, wie man mir hier erklärte. Und zusätzlich wollte ich natürlich, wie damals in Afrika, selber mitfahren. Auf irgendeinem Bananendampfer oder Ähnlichem. Aber das ging schon mal gar nicht. Die einzige Möglichkeit war, das Auto in einen Container zu stopfen. "Wenn es gar nicht anders geht, OK. Aber ich will auch mitfahren auf dem Schiff." Er sah mich ratlos an, wußte gar nicht, daß das geht. Ich erklärte ihm alles, von der Absprache mit der Reederei und dem Käpt'n bis hin zur Letter of indemnity.

 

 

Donnerstag, 22. August 2002
Text


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