Panamericana-Tour 2002
vom 26. Juli bis 1. August

Erste Fahrtwoche


Freitag, 26. Juli 2002
Ich schaffte es tatsächlich und wider Erwarten, um 5 Uhr aufzustehen. Und das, nachdem ich bis um 2 Uhr Nachts noch rumgeräumt habe, um das Zimmer ordentlich zu verlassen. 5:30 Uhr hatte ich am Vortag mit Catarina ausgemacht, nachdem wir die Abfahrt auf meinen Wunsch schon gestern um einen Tag verschoben hatten. Als einziges im Haus war die Traudl wach. Ich verabschiedete mich und zog langsam los. Irgendwie komisch. Auch diesmal keine Aufbruchsstimmung. Nicht so, wie bei den anderen Fahrten, möglichst schnell raus aus diesem Pissland, und das für möglichst lange. Wie damals im August 2000, als ich in Deutschland losfuhr. Heute weiß ich, daß es in der damaligen Situation das einzig richtige war. Hoffentlich ging es mir in zwei Jahren in Bezug auf Brasilien genauso. Wer weiß, wo man diesmal tatsächlich landet. Mexiko war genauso ein grobes Ziel, wie damals Südafrika.
Mir krieste Mephistopheles' Ausspruch im Kopf herum: "Mit wieviel Wehmut läßt man manchen Ort und kann doch nun einmal nicht bleiben..." Zu allem Überfluß hatte ich vor sechs Wochen mit Ingrid eine kleine Meinungsverschiedenheit und die ist bis zu meiner endgültigen Abreise nicht ganz zugeheilt. Ich weiß ganz genau, warum ich mir ein Auto zugelegt habe anstatt einer Frau...
Klar, schaffte ich es nicht, rechtzeitig dort zu sein. Um 6:07 Uhr fuhr ich erst von zu Hause los (km 736.479) - dasselbe Haus, das ich schon einmal mit ähnlichem Gefühl verließ, nämlich im Juni 1987. Ich wünschte mir damals nichts sehnlicher, als endlich zurück nach Deutschalnd zu gehen, doch als die Stunde der Abreise schlug, war ich mir darüber nicht mehr so sicher, wie in den Monaten und Jahren zuvor. Hier ging es wieder fort davon, genau 15 Jahre später. Diesmal saß ich allerdings selbst am Steuer.

Um kurz vor halb Sieben rollte ich bei Cat an. Wir kamen hier jedoch relativ flott los, obwohl erst noch das eine oder andere eingepackt werden mußte. Er hatte seine halbe Wohnungseinrichtung dabei und es mußte noch Stauraum für Gabi übrigbleiben. Wir waren entschlossen, diesmal wirklich loszufahren. Das geschah dann um 6:43 Uhr (736.486). Der Tank war - wie immer - leer, also nächste Tanke anfahren. Mein alter Herr hatte mir am Vortag großzügigerweise ein paar Hunderter dagelassen. Aber das waren harte US$ und keine brasilianischen MickyMaus. Doch da Dollar für die Brasilianer "nichts Wert sind", mußte fürs erste Catarina alles mit seiner Bankkarte blechen, was in Brasilien so anfiel. Das Diesel, das in letzter Zeit unverschämt gestiegen ist, die sinnlose Mautgebühr, Verpflegung... eben alles, was so anfällt. Ein sinnvolles Teilen der Spesen sähe so aus: Er zahlt die Maut auf brasilianischer Seite, ich einen neuen Satz Stoßdämpfer.
Noch einmal ging es durch Campinas. Ich dachte, diesen Film schon mal gesehen zu haben, aber damals in Augsburg war alles eine Nummer depressiver, denn ich saß auf dem Beifahrersitz. Hier war ich selbst am Steuer und das wird sich auch nicht ändern - zumindest nicht in meinem Auto.
Alles zog noch einmal vorbei. Die Werkstatt des Japaners, der unzählige Male dem Benz nach tausenden von Kilometern auf Pisten oder - noch schlimmer - brasilianischen Straßen, Spur und Sturz wieder geradestellen mußte, die Norte-Sul, die Churrasqueria, in der ich für wenig Geld einige Rinder verzehrt hatte. Man schätzt halt die Dinge immer erst, wenn man im Begriff ist, sie zu verlieren. Ich hätte nie gedacht, daß ich mich einmal nicht wirklich freuen würde, aus diesem Kackland hinauszufahren.

Wir tankten den Dieselbunker voll und zwei 20-Liter-Trinkwasserkanister mit Alkohol von der Zapfsäule. Der ist nirgendwo billiger als in Brasilien und ich denke 40 Liter reichen, um die Bordküche für die nächsten Jahre zu versorgen. Danach ging es auf die sogenannte Autobahn in Richtung Indaiatuba.
Wie wir da so vor uns hinfuhren und uns unterhalten, hupt es plötzlich neben mir. Ich schau hin und sehe längsseits eine XT600. Eduardo auf dem Weg in die Arbeit. Haben wir es doch noch geschafft, Aufwiedersehn zu sagen. Obgleich es auf das nicht wirklich ankommt, denn in der letzten Woche habe ich mich ungefähr zweihundert mal "endgültig" verabschiedet. Jedes mal, wenn ich abends bei Lorenas wieder läutete, wie fast jeden Tag seit November 2000, war das Gelächter groß. Die Haustür ging auf: "Und? Wie war's in Mexiko?"
Ich winkte immer ab "Fresse halten..."
"Wann fährst jetzt denn mal wirklich los?"
"Morgen vielleicht nicht..."
"Gib's zu, Dir gefällt es in Brasilien und Du hast keinen Bock auf die Sombreros."
"Still sollst sein. Und mir eine Cigarette geben!"
Sein erster Kommentar, als er seinen Helm abgenommen hatte: "Jetzt glaub ich Dir, daß Du losfährst. Aber falls Du es Dir wieder anders überlegst... beim Thiago ist heute abend Grillparty." Wird schon gehen, diesmal. War nur ein kurzer Händedruck "Aufwiedersehen".
Weiter ging es. Wir passierten ein Mauthäuschen nach dem anderen und zahlten kräftig. Schon nach wenigen Kilometern "Autobahn" war ich wieder völlig hergestellt. Ich brannte darauf, endlich dieses gottverdammte Land zu verlassen.

Aber so schnell sollte es nicht dazu kommen, denn der Weg bis zur Grenze war noch weit. Gegen 10:00 Uhr (km 736.695), kaum 200 km nach Abfahrt, meldete sich die Gelenkwelle mit einem leisen "Tacktacktacktack". Das würde erfahrungsgemäß immer lauter werden. Auch das noch. Ausgerechnet jetzt. Hätte das nicht noch warten können bis Argentinien? Es half alles nichts. Das abgedroschene "Wehret den Anfängen" griff bei mir zum ersten Male und wir fuhren bei der nächsten Autobahntanke raus. Die hatte zum Glück eine Grube und auf die stellten wir das Auto. Ich sah mir die Bescherung an: Wie ich mir schon gedacht hatte, war eine Manschette der Gelenkwelle im Eimer, das Öl heraußen und der endgültige Ausfall der Gelenkwelle nur noch eine Frage der Zeit - wenn nicht sofort Erste Hilfe geleistet wird. Eine Neue gibt es frühestens in Argentinien. Und da waren wir noch lange nicht. Cat bewies handwerkliches Geschick. Ich hatte, weil ich dieses Problem bereits erwartete, einen Reifenschlauch in die Ersatzteilkiste gepackt. Während ich die Welle an der Radnabe abnahm, schnippelte Cat den Schlauch zurecht und zog ihn auf die Welle. Die eine Seite wurde mit Draht befestigt, dann wurde die ganze Chose mit einer Mixtur aus Motorenöl und Kugellagerfett gefüllt und auf der anderen Seite ebenfalls mit Draht verschlossen. Das sollte für's erste mal halten. Um dreiviertel zwölf waren wir wieder auf der sogenannten Autobahn. Kein Geräusch mehr bei großer Fahrt. Ganz leise!

Nun ärgerten uns nur noch die Mauthäusle. Die sorgten auch dafür, daß kräftig über das Land und das dazugehörige Diebsgesindel gelästert wurde. Ein paar Stunden noch, dann würden wir aus diesem Zoo heraus sein und diese Halbaffen hinter uns gelassen haben, die nichts haben als einen vollkommen substanzlosen Nationalstolz.
Folgendes galt seit Afrika, aber nicht nur dort: Entweder man hat Zeit, oder man hat Geld. Wir hatten es eilig. Aber Gabi hatte im letzten August die Koordinaten der Mautumfahrungen aufgeschrieben und die gab ich jetzt, während der Fahrt, die hauptsächlich darin bestand, den Schlaglöchern auszuweichen, in das Gerät ein. Dazu hatte ich ja seit letztem August kaum Zeit gefunden... Diese Koordinaten halfen uns bei der Umfahrung einiger dieser Wegelagererhütten. Nicht bei allen, wenn man zum Beispiel hätte drei Wegpunkte markieren sollen, aber nur zwei da waren. Dann konnte man in einem Gewirr von Feldwegen nach dem richtigen raten. Für die Zukunft gemerkt...
Um viertel nach zwei (736.870) legten wir einen kurzen Stop in Ourinhos ein. Cat mußte noch etwas wichtiges abschicken und der Benz brauchte Diesel. Ourinhos schien ein nettes Kaff zu sein. Aber alles was ich wollte war, unverzüglich zur Grenze zu gelangen. Ohne großen Aufenthalt fuhren wir daher weiter. Um zwanzig vor drei hielten wir an einer Tankstelle in irgend einem gottverlassenen Drecksnest, um einen 40-Liter 15W40-Motorenölkanister aufzuladen. So billig wird das Öl nirgendwo mehr sein. Vielleicht in Equador, aber die vorhandenen Vorräte (0,2 l) würden voraussichtlich nicht ganz reichen. Ich hatte meine Lektion gelernt: In den Anden muß für das reichliche Vorhandensein von Öl gesorgt sein.

Am Abend hielten wir auf Catarinas Geheiß an einer Raststätte. Wir hatten Hunger. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß es doch günstiger wäre, etwas zu kochen, als hier zu essen. Er berichtigte mich: "Es ist wohl billiger, etwas zu kochen, denn hier Essen zu kaufen, aber davon war ja nicht die Rede". "Willst Du es etwa klauen?" Er ging hinein, brauchte eine Weile und kam dann mit zwei dieser "Marmitex" genannten Mahlzeiten wieder heraus. Vollwertig, Fleisch, Reis, Bohnen, Salat, das ganze warm und frisch zubereitet. Das dürfte für längere Zeit die letzte vollwertige Mahlzeit sein, darüber war ich mir ziemlich sicher. Die letzten zwei Mauten vor Foz do Iguaçú zahlten wir auch. Es war schon spät. Um punkt Mitternacht (737.374) hielten wir noch einmal an einer Tankstelle an. Im Dauerbetrieb hält ein Tank etwa um die acht Stunden, je nach Zuladung und Fahrweise. Der war folglich fast leer und mußte wieder vollgelassen werden. Dabei noch kurz das Öl überprüft, zufrieden genickt und weiter ging's...

Samstag, 27. Juli 2002
Als wir in Foz erneut an einer Tanke hielten rief Catarina bei einem Bekannten an und fragte, ob er nicht ein Zimmer im Apartement freihatte, denn wir wollten irgendwo pennen. War kein Problem. Wir fuhren ungefähr so, wie der Weg wohl beschrieben worden war, kamen an einer langen breiten Straße entlang, an einem weißen Corsa vorbei und bogen ab. War natürlich falsch abgebogen und wir verfranzten uns logischerweise. Erneuter Anruf bei dem Typen. Ich war todmüde. Auf der Straße war es still, kein Auto, ich hörte nur die Wortfetzen des Telephonats. "Mercedes... Braun... ja, Bart... Kanister..." Ich dachte mir nur: "Die reden doch schon wieder Müll, um vier Uhr in der Nacht..." Catarina kommt zurück und erzählt mir, daß wir gerade vorhin an einem weißen Corsa vorbeigefahren wären. "Ja. Ich weiß, ich bin extra langsam gefahren und habe geschaut, ob es vielleicht Zivilpolizei ist." Jedenfalls saß in dem Auto genau der Typ, dessen Wohnung wir schon seit Stunden genervt suchen. Eine Viertelstunde später waren wir endlich dort (04:35h, km 737.602).
Ich war tot vor lauter Müdigkeit und er mußte mir auch noch sagen, daß da ein Computer mit Internet zur freien Verfügung stünde. Es war schon morgen, als ich ins Bett kam. Keine 30 Sekunden und ich war weggesackt. Um 10 Uhr geht die Stereoanlage an und der Typ weckt uns beide auf. Meine Augenlider fühlten sich an wie aus Blei. Dann fiel es mir ein, daß wir ausgemacht hatten, daß wir am nächsten Morgen, also jetzt, nach Ciudad del Este, Paraguay, gehen würden, um zu sehen, was es dort so gibt. Eine Digitalkamera mußte her.
Mit dem Auto bis zur Grenze und dann zu Fuß weiter. Wir wollten schnell rein und wieder raus, das Auto hätte uns dabei zuviel Zeit gekostet. Dieser Grenzabschnitt ist für Schmuggler das Paradies schlechthin. Wir stapften über die Brücke und erhielten einen Crash-Kurs im Verhalten im brasilianisch-paraguayischen Grenzgebiet. Den Inhalt dieses Kurses wiederzugeben spare ich mir an dieser Stelle. Im Prinzip reicht es zu wissen, daß hier überall Zwielichtige Gestalten lauern - uniformierte, ununiformierte und multiiformierte, die dazu da sind, einem die erstandenen Geräte wieder abzunehmen. Einkauf in Paraguay hat so zu erfolgen, wie man es in Mitteleuropa am besten nicht macht: Gerät aussuchen, testen lassen, ob es funktioniert, wieder an sich nehmen und nicht mehr aus der Hand geben, zahlen und dann auf dem kürzesten Weg weg. Wenn man das Gerät zurückgibt, um es verpacken zu lassen, und hinterher feststellt, daß man statt eines Videorekorders zwei Ziegelsteine erstanden hat, kann man sich jeden weiteren Schritt sparen, denn der führt ins Nirwana.

Ein kleines Problem galt es noch zu beseitigen: Ich hatte in meinem roten Paß zwei Einreisestempel für Brasilien. Als ich im Januar eingereist war hat mir der idiotische Grenzer erst einen Stempel in Paßseite 14 gehauen, dann hat er ihn durchgeschmiert und auf Seite 20 einen neuen Stempel reingeknallt, als ob der Paß für seine Stempelübungen da wäre. Das nervte mich damals ziemlich. Schließlich hat der Paß nur "32 numerierte Seiten", viele waren davon nicht mehr übrig und die Aussicht, einen neuen erteilt zu bekommen war gleich null. Dafür würde die Staatsanwaltschaft Augsburg schon sorgen. Doch hier stellte sich die irrationale Aktion eines minderbemittelten Grenzbeamten als Glücksfall heraus, denn der Trottel hatte in keinen der beiden Stempel eine Aufenthaltsdauer eingetragen. Schreibübungen waren ihm wohl noch zu hoch gewesen. Als die 90 Tage vorbei waren, besorgte ich mir den entsprechenden Stift und nahm eine handschriftliche Korrektur vor. In den durchgestrichenen Stempel trug ich die Zahl 90 ein, in den zweiten die Zahl 180. Hätte mich jemand gefragt, hätte ich gesagt, daß das der Grenzer auf meinen Wunsch geändert hätte. In den Computer hatte er es nicht eintragen können, weil an der Grenze Jaguarão ein kaputtes Funkgerät das einzige ist, was die Grenzstation mit der Außenwelt verbindet. Und der Spruch: "Wieso Fehler im Papier? Ich bin Deutscher und weiß wie sowas auszusehen hat, wenn ihr mit Eurem Saustall nicht zurecht kommt, dann bin sicher nicht ich schuld." hat bisher immer bestens funktioniert, weil sie ja wissen, daß sie absolut nicht Herr ihres eigenen Chaos sind.

Aber zurück nach Paraguay. Nachdem ich nun den Termin meines selbsverlängerten Stempels aber auch überzogen hatte, kam ich auf folgenden Plan: Mit dem grünen Paß, der inzwischen abgelaufen war, unbemerkt nach Paraguay. Da wird nichts kontrolliert. In Paraguay einen Stempel holen und nach dem Einkauf zurück nach Brasilien, den grünen Paß vorzeigen und mit diesem neuen Stempel hinterher in Richtung Argentinien ausreisen. Dann häte es nämlich so ausgesehen, als ob ich gerade erst aus Paraguay eingereist wäre. Wollte mir weismachen "Ganz einfach geht das... mit einem Trick, einfach durchsacken." Blieb mir zu hoffen, daß sie nicht auf das Verfallsdatum schauen, oder, falls sie drauf schauen, nicht in der Lage sind, es zu lesen.
Einreise mal ohne Auto und mit abgelaufenem Paß. Ich steuerte die paraguayische Grenzstation an, in der in irgendeinem Eck, von aller Welt unbeachtet, ein Grenzer sitzt. Ich bitte ihn um einen Stempel, er meint, ich bräuchte keinen, Paraguay ist kein Problem, ich soll einfach so durchlatschen, wie alle anderen auch. "Nein, Sir, ich bin kein Paraguayer und kein Brasilianer, bin Deutscher und will Stempel." Deutsche dürfen hier auch rein und raus, wie sie lustig sind. Ja, verdammt... "Bittebittebitte, ich sammle Länderstempel und hab noch keinen aus Paraguay." Er gab nach: "Also, gut, wenn der nicht fehlen darf..." Zack!
Wir gingen dorthin, wo es Computarläden gibt. In Paraguay ist alles Zollfrei und entsprechend billig. Besonders hier, wo alle Länder absurde Importsteuersätze haben, ist so eine steuerfreie Zone echt Gold wert. Wir suchten gezielt nach Digitalcameras und fanden sie auch in Hülle und Fülle vor. Ich stolperte auch noch über einen externen CD-Brenner für 105 US$. Der ging natürlich mit.
Im Anschluß daran wendete ich meine Aufmerksamkeit wieder den Cameras zu. Die Qual der Wahl. Zumindest so lange, bis ich rausfand, daß bei keiner Kamera die Chipkarte im Lieferumfang enthalten war und daß man diese auch nicht getrennt kaufen konnte. "Toll. Was soll ich denn dann damit?" Wir gingen in ein Shoppingcenter und ich fand dort dann eine Olympus. Wunderbar, alles dabei, 165 US$, getestet, funktioniert, war in Ordnung. Gleich noch Akkus und ein Ladegerät dazu und die Sache passte, ich war fertig und es konnte wieder zurückgehen.
Wieder über die "Brücke der Freundschaft" nach Brasilien und ich ging zum Schalter, um mir den Einreisestempel zu holen. Jetzt kommt's noch mal drauf an. Der Zöllner bemerkte nämlich, daß der Paß abgelaufen war und meinte, er könne mich so nicht ins Land lassen. Mir lief es kalt den Buckel runter. "Fuck!" Ich ging wieder in Richtung Paraguay, völlig aus dem Konzept geworfen. Cigarette angesteckt und erstmal festgestellt, daß ich im Niemandsland, bestenfalls in Paraguay war, das Auto in Brasilien stand und ich keinen Plan hatte, wie ich aus der Situation wieder rauskommen soll. Schichtwechsel abwarten und hoffen, daß der nächste Zöllner nicht studiert hat. Als ich mich wieder einigermassen eingekriegt hatte, der Puls wieder im grünen Bereich lag, fiel mir ein, daß ich, bevor ich losgelatscht war, mit dieser Möglichkeit gerechnet und Vorkehrungen getroffen hatte. Ich hatte nämlich die Kopie meines brasilianischen Passes eingesteckt und das völlig vergessen. So überraschend war es für mich, daß gerade in Brasilien eine meiner papierkramtechnischen Verrenkungen nicht hinhaut, daß ich gar nicht mehr richtig schalten konnte.

Erneuter Versuch beim gleichen Zöllner. "Entschuldigung... sie haben mich etwas nervös gemacht." Er meinte: "War nicht meine Absicht." Ich hielt ihm die Kopie hin und meinte. "In solchen Stunden fällt mir dann doch mal ein, daß ich ja auch noch brasilianischer Staatsbürger bin. Meine Mamma ist aus Belém do Pará. Die Kopie ist zwar nicht beglaubigt, aber sie können gerne die Nummer prüfen. Der Paß ist gültig." Er sah sich die Kopie an und fragte, ob ich auch ein RG, einen brasilianischen Ausweis oder sonst irgendein brasilianisches Dokument hätte. "Nö. Hab mich nie darum gekümmert." Wieso. "Ja, einerseits aus Faulheit, ist zuviel Rennerei, andererseits, weil ich ja in Deutschland lebe und hauptsächlich deswegen, weil man in Brasilien als Gringo sowieso mehr wert ist", kein Fetzen davon war gelogen. "Nun, ja", sagte er dann, "wenn das so ist, dann glaub ich Ihnen das einfach mal, aber kümmern Sie sich wenigstens um den Ausweis, das erleichtert vieles hier in Brasilien." Hat der eine Ahnung. Mit dem Auto wäre es dann nämlich gleich vorbei, aber das hatte ich zum Glück nicht dabei. Ich stieß zu den anderen und meinte zu Catarina: "Uiuiui... Das war das erste mal in meinem Leben, daß ein brasilianisches Papier etwas positives für mich bewirkt hat. Ist gerade nochmal gutgegangen" "Wieso Papier?", fragte mich Cat, "ich dachte, Du hättest Deinen brasilianischen Paß in Argentinien vergessen" "Hab ich auch", erklätre ich ihm, "aber eine Kopie aus Afrika habe ich noch in der Dokumentenmappe gehabt. So, jetzt aber nichts wie rein ins Auto und raus aus Deinem Kackland."

Wir fuhren zurück zum Apartment, ich ließ nochmal kurz ein eMail nach Augsburg mit der Bitte, daß man sich um den LapTop kümmern solle, ich hätte gerade ein Drittel der Reisekasse für Kamera und Brenner ausgegeben und das ganze Zeug nützt mir nicht viel, wenn das mit dem LapTop schiefgeht. Dann rein ins Auto und in Richtung Argentinien. Jetzt hatte ich natürlich keinen brauchbaren Einreisestempel im roten Paß, ich konnte nur hoffen, daß ich, wie letztes Mal, ohne Kontrolle aus dem Land komme. Ausweichplan: Sollten sie uns Anhalten, dann soll Catarina das Auto durchs Niemandsland an die Argentinische Grenze fahren und dort auf mich warten. Ich red mich dann schon irgendwie raus und komme nach. Schon bald lag die Grenze in Sichtweite. Normaler Verkehr, keine Stockungen, keine Warteschlangen. "Anlauf beginnt!"
Auf brasilianischer Seite war tote Hose. Kein einziger Uniformierter ließ sich blicken und wir brachen durch nach Argentinien. Frei! Ausweichplan ausgefallen! Das ist immer das beste, was man sich selber melden kann. Ein Bild davon gibt es nicht. Ich hatte zwar nun eine Digitalcamera, aber keine einzige funktionierende Batterie. Die hatte ich natürlich in dem Trubel vergessen. Egal. Durchbruch gelungen, das hebt die Laune ganz entscheidend. Das war nun schon das zweite mal, daß ich aus Brasilien mehr oder weniger ausbrechen mußte. Kommt hoffentlich so schnell nicht mehr vor.

Um 16:45 (km 737.618) waren wir erst mal in Argentinien, die Einreise lief glatt, wie nicht anders zu erwarten, hier klappt es einfach. Der Plausch mit der gutaussehenden Zöllnerin aus Buenos Aires war geradezu eine Wohltat. Nach der Grenze mußte als erstes getankt werden. Wir wußten, daß das Diesel in Argentinien mittlerweile billiger war als in Brasilien. In den letzten Monaten stieg der Dieselpreis in Brasilien ins Unverschämte. Damit hatte Brasilien den einzigen Pluspunkt auch noch verloren und es gab einfach keinen Grund mehr, sich hier länger als unbedingt nötig aufzuhalten. Ich wechselte an der Straße bei einem alten Mann 20 US$ zum Kurs von 3,30 P$. Das ist recht anständig. Als ich zuletzt hier war war der Kurs 1,40 und niemand wollte wechseln. Wir fuhren in das Grenzkaff, aber hier war nichts Vernünftiges geboten. Keine Tankstelle, die Visa nimmt und sonst auch nichts. Wir fuhren also weiter in Richtung Posadas. Wie weit wir heute noch fahren würden war unklar. Mir war nur wichtig, endlich aus Brasilien draußen zu sein und möglichst lange draußen zu bleiben. Für Catarina sah die Sache anders aus. Er war noch nie im Ausland, sieht man mal von ein paar Stunden Venezuela ab. Noch weit mehr als ich damals, als ich im Februar 2001 zum ersten mal die Grenze passierte, sah er sich hier in ene andere Welt versetzt. Eine geschlossene Asphaltbahn ohne Schlaglöcher und einwandfreie Straßenmarkierung fallen dem Reisenden als erstes auf, besonders, wenn er aus einem Land kommt, in dem sowas allenfalls auf Bildern existiert, aber da waren auch noch die tausend anderen Kleinigkeiten, die dann das bewirken, daß ein Brasilianer mit offenem Munde am Beifahrersitz sitzt und erst anfängt zu begreifen, daß die Umgebung, in der er lebt, aufgewachsen ist und die sein Leben von A bis Z geprägt hat, einfach doch nicht das Maß aller Dinge ist. Zu diesen Kleinigkeiten zählen der geschnittene Rasen am Fahrbahnrand, der gepflegte Zaun dahinter, die Tatsache, daß man nicht in Müllberge, sondern in die Landschaft glotzt, daß hier vorwiegend Autos das Straßenbild bestimmen anstatt Esel, Maultiere, Hühner, Köter, Fußgänger und halb auseinanderfallende Laster. Klar, auch in Argentinien fahren Rostlauben durch die Gegend, auch hier sieht man ab und zu eine Wellblechhütte am Straßenrand, aber das Gesamtbild wandelt sich extrem beim Überqueren der Grenze. Und hier in Foz do Iguaçu ist die Diskrepanz noch am geringsten. Wären wir in Uruguaiana über die Grenze gefahren, also zwei Tage lang über unbeschreibliche Straßenbelagsreste und durch widerwärtige brasilianische Drecksnester ohne Beschilderung, die nur deswegen nicht in sich zusammenstürzen, weil sie von Müll und Dreck zusammengehalten werden, dann hätte er beim Überfahren der Grenze mal einen richtigen Kulturschock erlitten. Jedenfalls sagte er auf dieser Fahrt, daß er nun erst begreife, warum seine Landsleute so auf Argentinien schimpfen: Keiner von ihnen war je hier. "Fußball ist doch nicht alles..." - Fehlanzeige... für die Brasilianer schon, denn das ist das einzige, was sie wirklich können - wenn man mal von Klauen und Betrügen absieht, denn in diesen Disziplinen sind die meisten von ihnen auch recht gut.

Die mittlerweile mit Batterien bestückte Kamera tat leider nicht viel mehr, als eine Fehlermeldung zu bringen. Irgendwie hatte ich das dumme Gefühl, über den Tisch gezogen worden zu sein. Aber umdrehen war jetzt nicht mehr. Bringt nichts. Vielleicht waren einfach nur die Batterien leer? Wir fuhren durch ein kleines Kaff, versuchten Batterien aufzutreiben, allerdings erfolglos. Und als ich welche fand, waren sie leer - oder die Kamera tatsächlich defekt, aber mit dem Gedanken wollte ich mich einfach nicht anfreunden. Nicht, daß es mich wundern würde, aber ich hatte doch aufgepaßt und mich an alle Regeln gehalten. Im Laden ging sie definitiv, denn ich hatte selbst ein Probebild geschossen.

Um 22:00 Uhr kamen wir in Posadas an. Ich versuchte es mal so zu machen wie es Catarina in Brasilien immer macht: Essen schnorren. Ich ging zum Chinesen und erzählte ihm Haargenau die selbe Story, die Catarina am Vortag an der Raststätte erzählte. Wir sollen einfach später nochmals vorbeischauen. Was sollten wir derweil tun? Um die Ecke war ein Internetcafe mit DSL für 1,50 P$ pro Stunde. Das ist geschenkt, wäre vor einem halben Jahr undenkbar gewesen. Ich also erstmal dort eingekehrt und versumpft. Catarina ging noch ein wenig weiter, nach was anderem sehen.
Eine Stunde oder anderthalb Stunden später kommt er und ich geh zum Chinesen, das Essen abholen. Inzwischen war die Cheffin da, die fand die Idee nicht so gut, aber ich konnte sie davon überzeugen, daß es besser wäre, mir das Zeug für 2 Peso zu verkaufen, als es einfach wegzuschmeißen - es war eh kurz vor Feierabend und wir waren ganz offensichtlich auf der Durchreise, so daß sie nicht befürchten mußte, wir würden nun jeden Tag mit diesem Text ankommen. Schmeckte ausgezeichnet. Catarina meinte, ich müsse ihm nun im Casino helfen. Er hatte ein Casino gefunden und da sowas in Brasilien verboten ist, ist er dort versumpft und hat mal kurz 60 Dollar verspielt. "Großartig! Mach nur so weiter, dann kommen wir mit viel Glück zur chilenischen Grenze... Merk Dir eins: Das Casino gewinnt immer." Aber es half nichts, ich ließ mich überreden und ging mit. Er hatte noch Geld übrig zum Verspielen. Ich kaufte für 20 Peso zwei Chips, legte sie auf einen Tisch und wollte schon wieder gehen und die 20 Peso verlorengeben. "Not yet, Kamerad." Nun hatte ich drei Chips. "Cool. Das war ja einfach." Gleich nochmal probiert. Zwei Chips gesetzt und wieder drei mitgenommen. Nun hatte ich meinen Einsatz schon verdoppelt. Was nun? Zwei Chips in die Hosentasche. Der Einsatz ist schon wieder drinnen, jetzt ist es egal, wenn ich alles verliere, dann geh ich mit 20 Peso wieder hinaus. Ein billiger Spaß...
Wieder setzen, immer so, daß 66% Chance bestehen. Wieder gewonnen. Bald hatte ich verdreifacht. Ich sagte zu Catarina: "So. Ich hab verdreifacht, ich geh jetzt und kauf mir eine Pizza. Dann kam jedoch die liebe Hybris. Die kommt immer irgendwann. War ja bisher so einfach, immerzu gewonnen, prächtig gelaufen. Aber immer nur einen Chip gewonnen. Klar, 60 Peso sind schon gut, aber 80 sind besser. Also setze ich alle vier, dann gewinne ich gleich zwei Chips. So einfach wenn es wäre... Easy come, easy go. Alles weg. Ich hatte nur noch meine zwei Chips vom Anfang. Shit. Also nochmals von vorn: 20 Peso setzen. Natürlich verliert man wieder. Ich ging zum Ausgang, kehrte nochmals um, beschimpfte Catarina, trat ihm auf den Fuß und ging dann zum Auto zurück. So ein Schmarrn, nie wieder geh ich ins Casino, es gewinnt nämlich wirklich immer, auch wenn ab und zu ein Spieler was gewinnt.

Sonntag, 28. Juli 2002
Nachdem nach ein paar Stunden Catarina weitere 60 Peso verloren hatte, kam er zum Auto und wir suchten uns einen Platz zum Übernachten. Tankstellen sind in letzter Zeit der Renner. Da hat man alles, was man braucht: Strom, Wasser, Dach und Diesel. Auf der Straße in Richtung Osten fanden wir eine, bei der die Tankwarte uns das Übernachten erlaubten. Wir durften in der Werkstatt schlafen, das Auto auch. Ich wollte die Batterien für die Kamera laden und erkundigte mich, ob das Stromnetz hier 110V oder 220V hätte. Natürlich 220V, wie in allen zivilisierten Ländern. Und schön, daß man das Ladegerät einstellen kann. Ich drehte mit einem Schraubenzieher die Nut der Verstellschraube so hin, daß sie auf die Zahl 220 zeigt und steckte es an. Dann ging ich zum Duschen und Zähneputzen, was einige Zeit dauerte. Als ich zurückkam roch es nach verschmorter Elektronik, aus der Richtung, in der das Ladegerät steckte. Ich nahm es heraus und checkte es. Konnte doch nicht sein. Ich hatte es doch extra eingestellt. Leider habe ich das nicht unter der Lampe gemacht, und übersah daher den kleinen Pfeil. Nicht die Nut, sondern dieser Pfeil sollte auf 220 zeigen. Und genau der stand auf 110V. Jetzt hatte ich das Akkuladegerät auch noch schnell geliefert, vor dem ersten Einsatz. Perfekt! Nun aber bloß schnell in den Schlafsack, bevor noch mehr Mist passiert. Großartig... Ist leider nicht so, daß man hier an jeder Ecke ein Ladegerät findet - selbst wenn, kostet es Unsummen.

Recht frustriert ging ich neben der Hebebühne zu Schlafsack. Es war mittlerweile viertel nach Drei in der Früh geworden (km 737.940). So zivilisiert Argentinien auch ist, das Problem mit den Straßenkötern haben sie hier nicht im Griff, wie überall in Südamerika.
Nachts kam eine dieser Drecktölen vorbei und bellte ohne jeden Grund in die Werkstatt hinein. Diese überflüssigen Viecher findet man überall in Südamerika und ich hatte mittlerweile einen unbändigen Hass auf sie entwickelt. Es gibt nur wenige Hunde, die davon nicht betroffen sind. Die meisten Tölen können ohnehin nichts, außer Krach und Dreck machen, besonders diese Straßenköter. Die könnnen außerdem noch Tollwut übertragen und sind daher zum Abschuß freigegeben. Dagegen ist jede Ratte ein angenehmes Tier. Die machen kaum Dreck und Lärm schon gar nicht. Und Ratten sind darüberhinaus auch noch relativ intelligent. Ich spürte das Verlangen, mich dem Köter an die Kehle zu werfen und ihn mit bloßen Händen zu erwürgen. Aber der Tankwart kam mir zuvor. Mit einem eleganten Anlauf, wie ein Fußballer beim Elfmeter, versuchte er den Hund zu erwischen, aber der war schneller, lief weg und verschwand in der Nacht.

Schon um sieben weckte man uns, denn nun ging der Betrieb los und die Werkstatt wurde gebraucht. Als wir zusammenpackten kam wieder der Köter an und in aller Herrgottsfrühe Hundegebell im Ohr zu haben, das macht mich aggressiv bis in die Haarspitzen, ich nahm den Hydraulikschlauch und lief auf den Köter los, der allerdings, wie die meisten Straßenköter, erst eine große Schnauze hat und dann, wenn es drauf ankommt, den Schwanz einzieht. Er sah mich auf sich zulaufen, wich erst zurück. Bestimmt war ich derjenige, der Schaum vorm Maul hatte. Als ich keine Anstalten machte, abzubremsen, lief er weg. Viel zu schnell für mich. Ich schleuderte ihm den Hydraulikschlauch hinterher, und zwar so, daß er sich wie ein Diskus drehte. Die Richtung stimmte. Volltreffer auf die Hinterläufe. Das Bellen von vorhin verwandelte sich in ein lautes Winseln, das immer leiser wurde, je weiter er sich entfernte. Und er hinkte, war also angeschossen. Ich lief hin, hob den Schlauch auf und nahm die Verfolgung auf, da ich mir nun geschwindigkeitsmäßig bessere Chancen ausrechnete. Am besten ganz leise laufen. Doch der Köter bemerkte mich und lief wieder schneller. Und wieder flog der Schlauch mit voller Wucht. Ziel: Hinterläufe. Noch einen Treffer und ich könnte ihn in aller Gemütlichkeit erschlagen. Doch der Schuß lag viel zu weit links und auch noch zu kurz. Ich gab die Verfolgung auf und ging zurück zum Auto. "Gejaule klingt doch schon viel besser als Gebell, findest nicht?" Catarina wollte mir noch einen Sermon halten, daß man das nicht macht, denn der Hund könnte jemandem gehören. "Komm mir nicht blöd, wer seinen Hund mag, der paßt auf ihn auf und läßt ihn nicht rumstreunen und unschuldige Kraftfahrer anbellen, und wem es egal ist, was sein Hund macht, dem ist auch egal, was mit seinem beschissenen Köter passiert."
Sowas kommt natürlich bei Hundefreunden nicht an, allerdings findet man davon hier nicht viele. Dafür umso mehr von diesen Kreaturen. Es gibt allerdings auch ab und zu nette Hundtis. Die findet man meistens entlang der Landstraßen. Entweder am Rand, oder aber mitten auf der Fahrbahn. Die stören natürlich nicht weiter, denn die sehen meistens aus wie Pfannenkuchen. Die bellen nicht, machen keinen Dreck, stehen nicht im Weg, übertragen keine Tollwut, man muß nicht teures Geld für Hundefutter ausgeben. Nigerianische Züchtung, ich glaube sie heißen Quarter-Dogs. Entweder weil sie nur noch aus einem Viertel ihres ursprünglichen Volumens bestehen, oder weil sie so platt sind wie ein Quarter. Man muß nur ein paar mal drüberfahren. Diese lassen sich dann allerdings sehr schlecht trainiren. In Argentinien heißen die Hirschfänger "Mata-Perro", was soviel heißt wie Hundetöter. Sowas mußte her. Hundefreunde mögen mir verzeihen, aber mittlerweile hatte ich einen dermaßen inbrünstigen Haß auf Hunde entwickelt, der nur noch übertroffen wurde vom Haß auf augsburger Bullenschweine. Mit dem einzigen Unterschied, daß Polizisten keinen schnellen Tod verdienen. Gegen die erscheint auch der tollwütigste Straßenköter doch noch wie der beste Freund.

Wir fuhren weiter nach Corrientes. Kamen aber vorerst nicht weit, denn mir steckte die Müdigkeit noch in den Knochen. Wir fuhren bald schon an einer guten Stelle etwas von der Straße ab und schliefen noch ein paar Stunden. Wieder Köter. Mitten in der Pampa. Haben die hier eine Dose Müll aufgemacht? Und dann immer dieses abscheuliche, unnötige Gebell. Weiterfahren wäre eine Möglichkeit gewesen, aber 50 km weiter sind auch Köter. Überall. "Ich werd noch wahnsinnig". Ich steckte mir eine Cigarette an, ging zum Kofferraum, holte einen alten Schinken aus der Bordküche und einen brasilianischen Silvesterknaller größeren Kalibers. Den Schinken zerteilte ich und warf ihn in Richtung Hund. Der unterließ kurzzeitig das Bellen und näherte sich dem Schinken und als sein Hundehirn bemerkte, daß es was zum Essen war, verschlang er den Schinken und wartete auf mehr. Wieder ging das Gebell los. Dem hat wohl irgendeiner beigebracht, daß er bellen muß, wenn er Hunger hat. Falsch. Das Gegenteil wäre richtig gewesen und hier mußte eine Umerziehungskur stattfinden. Ich warf ihm noch eine halbe Scheibe hin. Er näherte sich und aß sie wieder. In die dritte wickelte ich den Knaller, steckte ihn an der Cigarette an und warf ihn wieder köterwärts. Er sprang zum Schinken und als er gerade daran schnupperte ging das Bömbchen hoch. Man hörte nur ein aufjaulen und der Hund verschwand irgendwo mit irrem Lauf, es herrschte Stille, man konnte schlafen.
Um 10:00 Uhr ging es weiter, immer in Richtung Corrientes. Catarina fragte, noch bevor wir losfuhren beiläufig, wo ich den Hund hingetan hätte.
"Hund? Welchen Hund?", fragte ich und sah ihn an, als wäre er nicht ganz gescheit.
"Den von vorhin!"
"Bist jetzt ganz blöd? Wieso soll ich den irgendwohintun, der kann doch selber laufen... leider."
"Ja, wo ist er denn? Ich seh ihn nicht."
"Klar siehst ihn nicht, der ist weggelaufen, Du Hirn."
"Ein toter Hund kann laufen? Oder hast ihn nicht richtig erwischt? Hast Du nicht auf ihn geschossen?"
"Hä? Was hast denn Du für Drogen genommen? Glaubst ich lauf hier durch die Gegend und erschieß irgendwelche Köter?"
"Was hat dann da so geknallt?"
"Das war nur ein Kracher. 1000er. Geile Teile! Hab ich noch von der Festa Junina übriggehabt."
"Hast Du nicht neulich daheim mit einer 38er rumhantiert?"
"Ja. Und?"
"Ich hab gedacht, Du hast sie mitgenommen."
"Hab ich auch, aber ich hab eigentlich nicht vor, sie zu benutzen und schon gar nicht für Köter. Für wie blöd hältst Du mich? Damit wir auch ja die Bullen am Heck haben. Außerdem ist der Munitionsvorrat knapp und schwer zu ergänzen. Das sind die Köter nicht wert."
"Und wozu die Kracher?"
"Die sind für die Köter, Schlangen, Feiern und als Ausrede, wenn es doch mal knallt. Man weiß nie. Hier unten ist's noch friedlich, aber weiter oben kann es rauh werden."
Man weiß wirklich nie, am besten man hat keine Feuerwaffen dabei und wenn doch, dann immer so, als hätte man keine. Wobei man hier auf gar keinen Fall deutsche Maßstäbe anlegen darf. Waffen haben in Südamerika einen ganz anderen Stellenwert, sie sind überall präsent, fallen gar nicht mehr so auf.

Nach sechs Stunden waren wir in Corrientes angekommen. Wir fuhren durch die Stadt durch. Auf einer Landstraße tuckelte vor uns ein alter Ford Falcon mit 20 km/h. Muß wohl deutscher Abstammung gewesen sein, denn der Idiot fuhr hart Mittellinie anliegend und dachte nicht daran, wenigstens Rechts zu fahren, damit die restliche Welt überholen konnte. Hinter uns formierte sich langsam eine Kolonne. Ich überholte trotz Verbot und auch andere taten das. Plötzlich ging auf sechs Uhr ein Blaulicht an. "Ach, Scheiße, das hab ich denen jetzt auf dem Silbertablett serviert." Bullen. Ich stieg aus und schon ging es los. Papiere wollten sie sehen. Ich hätte im Überholverbot überholt. Das kostet 300 Peso.
"Die zahl ich... aber nur dann, wenn der Trottel, der den ganzen Verkehr blockiert mindestens den selben Betrag zahlen muß."
"Der ist längst weg."
"Weg? Der? Wenn wir uns beeilen holen wir ihn zu Fuß ein. Außerdem haben andere auch im Überholverbot überholt - was ja vernünftig ist. Es kam nichts entgegen und schließlich kann nicht einfach ein Depp den ganzen Verkehr ungestraft aufhalten." Aber hier ging es nicht darum, wer was falsch gemacht hatte, sondern es ging darum, daß die Jungs Geld wollten. Und Touristen haben immer Geld. Das Spielchen kannte ich nun zur Genüge und ich hatte es meistens zu meinen Gunsten entschieden, wenn man von einigen wenigen Ausnahmen absieht. Nur hier hatte ich meine Hauptwaffe nicht: Zeit. Wir hatten es eilig.
"Sie haben im Überholverbot überholt und darauf steht nun mal Geldbuße. Wollen Sie bestreiten, daß sie im Überholverbbot überholt haben?"
"Nein, aber soviel Geld hab ich eh nicht bei mir, also zahl ich entweder 300 Dollar an den Polizeichef oder ich zahl Euch das, was ich gerade da habe und wir lassen es gut sein."
"Wieviel haben Sie denn da?"
"Moment, ich frag nach." Ich ging zu Catarina und fragte, wieviel Geld wir an Bord hätte. "Nichts, Du gibst denen nichts. Wir haben Zeit."
"Nein, haben wir nicht, wir müssen in 8 Tagen in Lima sein, hast Du eine Vorstellung, wie weit das noch ist?"
"Hast Du eine Vorstellung davon, wie viele von denen wir noch treffen bis Lima?" Er hatte Recht. Und das hier war noch der zivilisierte Teil. In Peru würde es erst richtig zur Sache gehen. Und darum war es mir wichtig, möglichst schnell nach Peru zu kommen, damit wir dort etwas mehr Zeit hatten.
"Also tu was her - und viele Münzen. Er gab mir das Geld. Ich ging zu dem Bullen und meinte, das sei alles, was wir an Bargeld gerade verfügbar hätten und die Automaten würden hier in der Gegend nicht funktionieren, wir hätten schon probiert, Geld abzuheben und wir brauchen nochwas für die Maut. Er gab sich damit zufrieden. Aber mich ärgerte es, daß ich diesmal gezahlt hatte. Bei sowas normalerweise immer Zeit einsetzen. Nie zahlen, sondern diskutieren. Die gehen schon, wenn es ihnen zu lange dauert. Aber wir hatten es eilig. Das darf man einfach nicht tun. Niemals in Eile sein.

Eineinviertel Stunden später - wir waren ständig in der Pampa unterwegs gewesen - wurden wir an einem Polizei-Checkpoint angehalten. Man verlangte die Papiere, das übliche. Dann sagte der Stationsvorsteher, sie hätten einen Funkspruch erhalten, daß ein braunes Auto mit Kennzeichen AAA697 vorne in der Kurve zu schnell gefahren sei. OK, wieder diskutieren. Ich war etwas genervt. Nicht wegen der Kontrolle, aber daß das im Vorzeigeland Argentinien passieren mußte. Doch ich spielte mit...
"Ich weiß nicht, von welcher 'Kurve' Sie sprechen, die Strecke verläuft seit über einer halben Stunde schnurgerade und wenn ich da die Geschwindigkeit überschritten hätte, wieso sollte die Polizei dort hierherfunken? Die wissen nicht, wohin ich fahre, ich hätte genausogut abbiegen können, irgendwo. Die hätten mich doch gleich angehalten."
"Nein, das können die nicht, denn die haben nur ein Radar und kein Auto."
"Ja-hamm... die setzen sich also mit einem Radargerät mitten in die Pampa? So, so. Und wie schnell bin ich denn gefahren, wenn ich fragen darf?"
"Das ist vollkommen egal, weil es sowieso nur eine Strafe gibt für Geschwindigkeitsübertretung."
"Aber woher wollen Sie denn wissen, daß ich zu schnell war, wenn Sie mir nicht mal sagen können, wie schnell ich war?"
"Na, gut", meinte er, "wenn Sie nicht zahlen wollen, dann müssen Sie eben hier warten bis die Kollegen kommen. Die werden ihnen dann sagen, wie schnell sie waren."
"Ach. Die haben jetzt also doch ein Auto?"
"Nein. Die werden um sechs Uhr abgeholt. Solange mußt Du hier warten."
"Ach, kein Problem. Ich muß ja nicht arbeiten. Hab alle Zeit der Welt. Aber wieviel ist es denn?", wollte ich wissen.
"500 Peso", also umgerechnet ungefähr 150 Dollar.
"Nehmen Sie Kreditkarten?"
"Nein, da müssen Sie zur Bank fahren, Geld abheben und wieder kommen."
Ich könnte ja jetzt zurückfahren und zwei Stunden oder vier oder sechs irgendwo warten, dann wieder vorbeifahren, als wäre nichts passiert, aber das war mir doch zu blöd. Hätten wir Gabi schon aufgenommen, hätte ich das vielleicht in Betracht gezogen und die Zeit für ein anständiges Mahl genutzt. Aber das mußte auch anders zu regeln sein, und zwar ohne Geld.
"Die nächste Bank ist in Corrientes, da bin ich zwei Stunden unterwegs."
"Dann müssen Sie eben auf die Kollegen warten."
"Gut, ich wart im Auto..." Ich ging zurück zum Auto und Catarina war am ausflippen. "Klar, das hier ist Nordargentinien, da ist das normal. Im Süden hingegen hab ich nie sowas erlebt. Der Süden ist da zivilisierter, was meine Theorie zu bestätigen scheint, daß alles schlechter wird, je mehr man sich dem Äquator nähert. Alles wird schlechter. Die Straßen, die Menschen, das Klima, die Landschaft einfach alles."
"Probier doch den Trick mit der Botschaft", schlug Cat vor. Gute Idee, der wäre mir glatt entfallen. Ich ging wieder hinein, stellte mich ein zweites Mal vor, diesmal als Markus Bernhard Besold, Bürger der Bundesrepublik Deutschland, einer der größeren Investoren hier in diesem Land (das kann man immer sagen, weil es meistens auch noch stimmt). Ich bat höflichst darum, meine Botschaft in Buenos Aires oder das Konsulat in Córdoba anrufen zu dürfen. Daraufhin sagten sie mir ebenso höflich, daß sich alles als ein Irrtum herausgestellt hätte und daß ich weiterfahren dürfte. Na, bitte, warum nicht gleich? Sowas hätte in Afrika niemals funktioniert, aber hier wissen sie noch nichts davon, daß sie gewonnen hätten, wenn sie es drauf angelegt hätten.
Weiter ging es in Richtung Santa Fé, wo wir auch kurz vor ein Uhr Nacht ankamen (km 738.823).

Montag, 29. Juli 2002
Wir fanden sogar noch ein offenes Pizzalokal, fraßen uns voll, denn Argentinien ist seit der Krise ein wirklich preiswertes Land geworden und anschließend legten wir uns in dem Hinterhof einer Tanke schlafen. Um halb Zehn fuhren wir weiter in Richtung Córdoba. Auf dem Weg suchte ich noch nach Batterien für die Kamera. Sie ging trotzdem nicht.Verdammt. 160 Dollar in den Sand gesetzt. Wieviel Diesel ich dafür wohl bekommen hätte? Bleibt nur noch die Hoffnung, daß sie mir jemand abkauft, der dazu in der Lage ist, sie zu reparieren. Wenn man bedenkt, daß solche Geräte hier nicht unter 300 Dollar zu haben sind, kann es schon sein, daß man sie für 150 loswird.
Als wir um viertel nach drei in Córdoba ankamen (km 739.160) und an einer Tankstelle zum Diesel bunkern anhielten sprachen uns zwei Argentinier an. Woher wir seien und wohin wir wollten. Wir erzählten ein wenig und nach dem Gespräch stand fest, daß wir nach Süden in Richtung Mendoza fahren mußten. Es war Winter und über die Anden führte nur ein einziger geräumter Paß, alle anderen seien zu. Das bedeutet einen riesigen Umweg, erst weit nach Süden und dann wieder hoch in den Norden, das sind zwei Tage, die uns dadurch verloren gehen. Mindestens... und die Zeit, sie rinnt. Weiter, also, bloß keinen unnötigen Aufenthalt.
Mich nervte das, daß die Kamera nicht funktionierte, dabei habe ich sie beim Kauf eigens getestet und ein Bild gemacht. Ich hätte stutzig werden sollen, als die Verkäuferin mir nicht gleich die Kamera gab, sondern mich kurz warten hieß. Aber sie ging. Das Probebild im Laden hatte ich nicht gelöscht.

Die Sonne versank langsam und ich spielte während der Fahrt an der Kamera herum. Catarina ließ mich mindestens fünf mal anhalten, um den Sonnenuntergang zu photographieren. Jedes mal, kam er zurück ins Auto und meinte, daß sei bestimmt eine grandiose Aufnahme geworden, aber ein paar Kilometer weiter hatte sich die Farbenpracht wieder geändert und wieder wurde angehalten. "Kruzefix! Ich will auch Bilder machen, warum geht das scheiß Teil nicht?" Ich schlug die Kamera gegen das Lenkrad, versuchte es wieder und - siehe da - sie ging plötzlich. Brasilianische Probleme erfordern brasilianische Reparaturmethoden.
An irgendeiner Stelle an einem See auf dem Weg nach San Luís.

Weiter brummelte der Diesel durch die Nacht. Wir durchfuhren wieder die Ortschaft Mercedes. Leider blieb keine Zeit für ein Bild, ich machte Druck und Catarina regte sich auf, daß es auf die Minute dann auch nicht ankäme. Wo sei denn das Problem, wenn Gabi eine oder zwei Nächte in Lima in einem Hotel übernachten müßte? Eigentlich hatte er ja Recht, aber erstens kannte er Gabi nicht, zweitens fühlte ich mich irgendwie verpflichtet, immerhin war es meine Schuld, daß wir in Brasilien erst so spät losgefahren waren. Es ist immer das selbe, wenn es an den großen Aufbruch geht: Erst brennt man darauf, endlich wegzufahren, loszukommen und dann genießt man doch noch den süßen Abschiedsschmerz in vollen Zügen. Die Namensgebung der Ortschaften war recht einfallslos, wir fuhren durch "Erster Fluß", "Zweiter Fluß", "Dritter Fluß". Als wir durch Rio Quarto fuhren (= "Vierter Fluß") sah man schon von weitem, daß ein Unfall mit Toten passiert war. Wenn Autos auf der Straße stehen, Menschen daneben, etwas am Boden liegt und keine Aufregung herrscht und auch keine Sanitätskraftwagen zur Stelle sind, dann weiß man: Da liegt ein Toter. Und so war es dann auch. Er lag mitten auf der Straße, auf der Mittellinie in einer dunkelroten Lache aus Blut. Wir fuhren daran vorbei, bald darauf an dem uralten Lastwagen, der ihn wohl erwischt haben muß. Es war ein junger Mann gewesen, schätzungsweise um die Mitte Zwanzig. So schnell kann es gehen. Ich fuhr vorbei an einigen Autos, die gestoppt hatten und weiter ging's. Catarina war etwas entsetzt, als hätte er noch nie eine Leiche gesehen. "He, Alter, was los?", fragte ich ihn.
"Der war tot! Hast Du Idiot das nicht gesehen?"
"Natürlich hab ich das gesehen, oder meinst Du, ich denke, der macht da seine Siesta."
"Da kann man doch nicht einfach vorbeifahren, als wäre es ein Tier."
"Ja, was soll ich denn machen? Gedenkminute einlegen? Dem kann keiner mehr helfen. Das passiert täglich tausendfach und gerade Du, in Brasilien aufgewachsen, solltest eigentlich Dich längst schon an den Anblick von Toten gewöhnt haben. Flacken ja bei Euch überall auf der Straße rum. Brauchst nur nach Rio fahren, um sechs Uhr morgens durch den Complexo do Alemão."
"Das ist ja was anderes. Das ist Verbrechen. Aber das hier war ein Unfall."
"Tot ist tot. Das geht oft schneller als man denkt, dann uns in einer Minute auch passieren. Ein LKW fährt uns platt und zurück bleibt ein Haufen verbogenes Blech und ein paar Blutflecken und Knochensplitter. In Deinem Fall ein riesiger Fettfleck mit Deiner Wampe da. Warst Du nicht dabei, als es den einen derbazt hat vorm Laden vom Tulio? Wie hieß er gleich wieder? Cobra? Serpente? Irgend sowas."
"Nein. Warst Du da?"
"Ja klar. Der Thoma und ich hatten uns dort zum ersten mal getroffen und unterhielten uns. Der besagte Depp hat sich mit seiner Alten gezofft, ist auf seine Maschine gestiegen und losgebrettert wie ein Idiot. Brasilianische Straßen, brasilianisches Temperament, japanische Maschine - das kann nicht gutgehen. Da hat man erst noch die Maschine gehört, die in jedem Gang hochgejault hat und dann ein Scheppern und dann Stille. Kurz darauf große Aufregung, alle waren weg. Nur der Thoma und ich saßen noch da und er hat den anderen noch hinterhergebrüllt: 'Da braucht's ned hinfahren. Der ist hin...' Und das war er auch."
"Thoma? War das der Deutsche, den die Ingrid getroffen hat?"
"Ja, genau der."
"Das zählt nicht, der war auch Deutscher und die sind bekannt dafür, daß sie keine Empfindungen haben." Er starrte weiter vor sich auf das Armaturenbrett. Ich fuhr ihn an. "Du Schwuchtel, sag mir lieber, wo wir langfahren müssen." Er schüttelte nur den Kopf. Daß ihm das so naheging verstand ich nicht. Wenn ich meines Cousins Geschichten hörte, als er für die Zeitung arbeitete und durch den "Complexo do Alemão" (Komplex des Deutschen, einer Favelasiedlung in Rio) fuhr, und jeden Morgen ein neuer Toter zur Abschreckung auf der Straße plaziert war, da meint man doch, Brasilianer seien das gewohnt. Aber wahrscheinlich ist es eine andere Situation. Was etwas befremdlich war, war die Tatsache, daß uns dieser Tote in dem zivilisiertesten Land dieses Kontinents vorkam. Ähnlich wie damals an der Elfenbeinküste. In Mali oder Burkina hat es mich nie gewundert, aber die Elfenbeinküste war ein anderer Schlag und dort war es auch ein Verkehrsopfer. Die Technik fordert anscheinend ihre Opfer, das hat sie schon immer getan und sie wird es weiterhin tun. Und es muß so sein, denn ohne die Technik würden die, die über die Opfer klagen, die sie auf ihrem Fortgang fordert, noch viel mehr zu Klagen haben. Das nur mal so, nebenbei, und nicht auf wörtlich auf diesen Einzelfall bezogen.

Wir fuhren schweigend weiter. Die Straßen waren gut. Catarina war, wie schon erwähnt, zum ersten Mal in seinem Leben außerhalb Brasiliens, von einem kleinen Abstecher nach Venezuela abgesehen, der etwa eine oder zwei Stunden dauerte. Er war sehr überrascht, wie groß doch der Unterschied ist, wenn man plötzlich Brasilien verläßt und nach Argentinien hineinfährt, obwohl Argentinien ein Land ist, das in einer sehr schweren Wirtschaftskrise steckt. Man spürt einfach, daß alles aus einem anderen Holz geschnitzt ist. Hier muß man bei Nacht nicht Angst haben, in einem Schlagloch auf Nimerwiedersehen zu verschwinden, davon kann man in Brasilien nur träumen und die meisten Leute in Brasilien glauben, daß das überall auf der Welt so sei wie es bei ihnen daheim ist. "Aber das hier ist Argentinien", sagt er, "das ist dritte Welt. Wie muß es da erst in Europa oder in den USA sein?" Wir hatten noch einen weiten Weg vor uns. An der Pazifikküste ganz Südamerika hoch, durch die letzten Länder dieser Erde und - hat man das geschafft, dann kommt erst die große Herausforderung, der Engpaß, unser Gibraltar, sozusagen. Jetzt wird mancher fragen "Wieso?" und da kann man vernünftigerweise nur mit Wolfgang Petersen kontern: "Wieso!? Darién Gap!!! Kannst Dir wohl am Arsch abfingern, was das heißt. Das ist eng wie 'ne Jungfrau. Wenn wir da durch wollen können wir unseren Karren mit Vaseline einschmieren..."

Aber daran wollte ich noch gar nicht denken. Es kommt immer, wie es kommt und wir hatten es auch in Afrika geschafft. Zwar hatte ich damals eine Almut dabei, die mir eine unschätzbare Hilfe war, diesmal nur Gabi mit Nullerfahrung und Catarina, Reiseerfahren, aber keine Auslandserfahrung, und letzteren auch nur für begrenzte Zeit. Ob der es zeitlich bis dort oben schaffen würde war fraglich, denn er hatte nur einen knappen Monat Zeit. Und wer weiß, ob wir es in einem Monat überhaupt schaffen würden. Eher unwahrscheinlich.

Kurz vor Mitternacht erreichten wir dann San Luís (km 739.620). Wir übernachteten in der Halle einer Tankstelle. Es wurde merklich kühler je weiter man nach Süden kam. Wir entfernten uns immer mehr von unserem ersten Wegpunkt, von Lima. Und uns stand die erste Andenüberquerung auf der Fahrt bevor. Ich habe natürlich den Ölwechsel immer wieder aufs neue verschoben und wieder verschoben. Vor den Anden mußte ein Ölwechsel gemacht werden, unbedingt. Nur nicht wieder so ein Fiasko wie letztes Jahr.

Dienstag, 30. Juli 2002
Um 07:45 Uhr ging es schon weiter nach Mendoza. Ich kippte vor Fahrtbeginn eine Dose Ölschlammspülung in den Motor und zwang mich dadurch, den Ölwechsel bald zu machen. Ich hatte gar nicht mehr in Erinnerung, daß es in Argentinien doch so viele Mautsationen gab. Als wir nach Süden gefahren waren haben wir ein- oder zweimal etwas Geld an Mautstationen abgedrückt. Aber vergleicht man es mit Brasilien kann man sich nicht wirklich beschweren, immerhin hat man hier als Gegenleistung eine richtige Straße unter den Rädern und das ist viel wert, wenn man nicht zusätzlich zur Maut auch noch einen neuen Satz Stoßdämper und eine Spureinstellung braucht.

Wir fuhren den ganzen Vormittag und legten dann an einer schönen Tankstelle an der Landstraße eine Pause ein. Ölwechsel, Filterwechsel, auch die Diesel Vor- und Hauptfilter wurden ersetzt. Der Tankwart hatte uns zwar extra gebeten, keine Sauerei zu machen, aber er war auch damit einverstanden, als ich ihm erklärte, daß ich keinen Ölwechsel machen könne, ohne um mich herum alles vollzusauen. Ich würde es aber hinterher wieder aufwischen, sogut es ging.

Wir fuhren den Benz über die Grube und machten uns ans Werk (km 739.819). Der Abstand zwischen dem Ölauslaß und dem kleinen Eimer betrug über zwei Meter, daher ging natürlich, wie immer, der erste Strahl daneben und im Nu war die an sich gelbe Grube schwarz. "Du bist doch so eine Sau! Kannst nicht den Eimer unter das Scheißding halten und ihn erst auf den Boden stellen, wenn das Öl schon fließt?" Gute Idee eigentlich - nur draufkommen muß man. Ich stellte fest, daß die obere Schraube am Klimakompressor schon wieder locker war und regte mich furchtbar über diese verfluchte Schraube auf. Die lockert sich immer, der Kompressor hängt dann schief und jedesmal bricht eine der Aufhängungen dadurch ab. Catarina machte sich an die Arbeit. Nachdem die ganze Sauerei erst angerichtet und danach wieder aufgewischt war, waren drei Stunden vergangen. Die Grube war wieder sauber, aber dafür sahen wir hinterher so aus, wie die Grube zuvor. Duschen waren aber immerhin vorhanden und wir machten davon reichlichen Gebrauch. Einer bewacht das Auto, der andere benutzt die Dusche.

Nun kam es noch mal drauf an. Die Dieselfilter waren leer, es mußte erst Kraftstoff angesaugt werden, ich hatte aber keine Lust, mit der Hand zu pumpen und ließ einfach den Motor die Arbeit machen. Leider war auf der uralten Batterie nicht mehr genug Saft und sie war leer, bevor die Filter voll waren. Das stand ich dann und sah recht betreten in die Gegend. Ich hab's befürchtet, doch die Faulheit hat nun mal obsiegt. Nach einer Stunde kam dann Catarina aus der Dusche. "Verdammt nochmal! Ein einziges Scheißhaus hier. Dann noch so 'ne Badenutte an Bord!", brüllte ich ihm auf Deustch entgegen - das läßt sich so schlecht auf Portugiesisch übersetzen - aber die Botschaft hat er verstanden und meinte, daß ich selber schuld sei, weil ich alles voller Öl gemacht hätte. "Laß doch das Öl dran. Erstens ist das männlich und zweitens rostet man dann nicht so leicht. Das ist mir nämlich passiert. Resultat: Wir haben ein anderes kleines Problem: Ich hab die Batterie leergeorgelt."
"Hast Du Volldepp nicht vorhin mit Deiner tollen Handpumpe angegeben, die den Kraftstoff wieder in den Filter tut, extra dafür, daß man eben nicht orgeln muß?"
"Ja, aber die muß man halt auch benutzen, ich dachte, das geht schon..."
"Du bist so ein Vierbeiner, es ist einfach unglaublich, Deine Faulheit bringt uns noch mal ins Grab. Und jetzt? Jetzt müssen wir warten, bis hier einer kommt, der uns Starthilfe gibt." Oder anschieben. Wir versuchten es ein paar mal, aber erfolglos, es fehlte viel zu viel. Ich ging derweil duschen. Als ich wieder aus der Dusche kam meinte Catarina: "He, Tier, geh mal da hin und frag den Typen, ob er uns Starthilfe gibt. Ich hab's versucht, aber der versteht mich nicht." Ich ging hin und fragte und er kam und gab uns Starthilfe. "Versuch's mal mit Spanisch, du Trottel. Lern das, dann kannst auch Du 'ne vollwertige Sprache, nicht nur diesen Indianerdialekt, den Ihr Portugiesisch nennt." Während ich das Auto zum Laufen brachte, stand der Mensch, der uns Starthilfe bot, daneben und fragte, ob ich aus Deutschland sei. "Ja, woher weißt Du das? Ich seh nicht besonders deutsch aus, laß mich raten, das Kennzeichen, stimmt's?" "Nein, Dein Akzent, aber Du lebst schon seit vielen Jahren in Argentinien, oder?" "Nein, eigentlich nicht, ein Jahr insgesamt, doch nun bin ich nur auf Durchreise." "Ja, viel Glück. Ihr Deutschen seid das beste Volk der Welt."
"Was heißt hier ihr Deutschen?" Ich zeigte auf Cat und fuhr fort: "Dieser Höhlenmensch da, zum Beispiel ist Brasilianer."
"Das Auto ist auch aus Deutschland, nicht wahr?" Ich nickte bejahend. Er sah es sich an. "Schon gut rumgekommen. Das sieht man. Nur Deutsche können solche Autos hervorbringen." "Mitllerweile auch nicht mehr", winkte ich ab, "alles nur noch Plastik. Selbst Mercedes produziert nur noch teuren Schrott." Er glaubte mir keinen Fetzen. "Ist wahr. Das hier ist die letzte Meisterleistung, die die auf die Straßen brachten. Danach ging's bergab."
Nach erfolgter Starthilfe brüllte der Diesel wieder mit altvertrautem ehernen Klang. Dröhnt die Musik der Motoren, geben wir nichts verloren...

Das kommt in Argentinien sehr oft vor, diese Bewunderung für die Deutschen im allgemeinen und besonders für Adolf Hitler, wie auch in diesem Fall. In anderen Ländern kann man das durch die koloniale Vorgeschichte erklären, in Afrika zum Beispiel, denn dort waren die meisten Länder durch Franzosen oder Briten kolonisiert und die gingen mit den Einheimischen nicht besonders nett um und die Deutschen haben also in ihren Augen gegen ihre Unterdrücker gekämpft und ihnen sauber eingeheizt - zwar aus anderen Gründen, aber das interessiert sie nicht. Was die Deutschen von einem Sieg stets abhielt, war Amerika und auf Amerika, den Unterdrücker Südamerikas, schiebt man hier in allen Schichten einen Haß. Überall in Südamerika eigentlich, mal latent, mal offen - ist einfach so. Aber hier in Argentinien ist das nicht mit der kolonialen Vorgeschichte zu erklären, denn hier waren keine Franzosen und auch Engländer nur kurz. Denn General San Martin (glaub ich) hat die Tommis zwar mit hämmernden Schlägen zum Lande hinausgeschlagen, allerdings hört man oft, daß man besser dranwäre, wenn er die Engländer hiergelassen hätte. Fragt man, warum, dann erhält man meist als Antwort: "Schau Dir Australien an und dan schau Dir Argentinien an." Kaum Haß auf die Engländer, wenn dann wegen der Malvinas (Falklands), keinen Haß auf die Franzosen, außer der normalen Abneigung, die jeder normale Mensch gegen dieses arrogante Völkchen hegt, aber dann doch so eine Bewunderung für die Deutschen. Das ergibt auf den ersten Blick keinen Sinn. Auch nicht, wenn man das Malvinas-Debakel (Falkland) berücksichtigt. Auf jeder Straße sieht man die Schilder mahnen: "Las Malvinas son argentinas", "Die Falkland sind argentinisch." Aber die Deutschen spielen dabei ja keine Rolle und in der Zeit, auf die man sich hier bezieht schon gar nicht. Aber lassen wir das Thema. Soll jeder selber herausfinden.

Wir fuhren weiter. Der Ölwechsel war längst überfällig, man spürte förmlich, wie das Auto wie von einer Riesenlast erleichtert sanft dahinglitt und man merkte sogar eine Reaktion wenn man das Gaspedal betätigte. Um 17:00 Uhr kamen wir in Mendoza an (km 739.882). Nettes Städchen, im Sommer sicher eine feine Sache. An diesem Tag war es etwas kalt. Und das Städchen war ziemlich verschlafen, alles hatte noch zu. Aber wir fanden ein sehr feines Restaurant, wirklich erstklassig. Zunächst erfuhren wir von seiner Existenz, weil wir überall man einem schicken Lokal fragten. Argentinien war so verdammt billig geworden, daß man sich wirklich ein sattes Mahl genehmigen konnte, ohne die Reisekasse zu sehr zu strapazieren. Catarina ist da als Brasilianer eh verwöhnt und es werden essenstechnisch harte Zeiten auf ihn zukommen, je weiter es nach Norden geht. Mir war das Terrain da oben nicht ganz unbekannt und ich hatte ihn bereits vorgewarnt. Aber vorerst ging es noch nach Süden, wir entfernten uns immer mehr von Lima, dieweil der Stichtag 5. August immer näherrückte.

Im Las TinajasDas Restaurant hieß Las Tinajas und es war wirklich erstklassig. Es hatte nur leider noch nicht offen und so überbrückten wir die Zeit in einem Internet-Café. Catarina wunderte sich, warum es hier so viele davon gibt, während man in Brasilien vergebens suchen kann und wenn man fündig wird, auch noch Unsummen hinblättern muß. "Willkommen in der Zivilisation". Er ist im Gegensatz zu den meisten Brasilianern kein Patriot. Ich glaube, es beim Bericht einer früheren Fahrt erwähnt zu haben: Als sein Bruder einmal sein Motorrad mit einer brasilianischen Fahne zieren wollte, hat er sie zerrissen mit der Bemerkung: "Leiste selbst was, dann brauchst Du nicht stolz auf dieses Drecksland zu sein." Damit hatte er vollkommen recht. Dieser Nationalstolz der Brasilianer ging mir schon als Kind auf die Mütze.

Wir erkundigten uns nach der Schneelage, aber hinterher waren wir so schlau wie zuvor. Als Antwort gab es alles. Von "alles freigeräumt" bis "alles zugeschneit". Ich schickte Gabi ein eMail damit sie sich darauf einstellt, irgendwo in Lima sich ein Hotel zu nehmen. Ich glaubte nicht wirklich daran, daß wir es schaffen würden. Wie sollten wir? Lima war noch ewig weit weg und wir hatten keine Woche mehr übrig. Es lag keine Meldung meiner Schwester vor über den Stand der Dinge, die den LapTop betreffen. Normalerweise sage ich immer: "Keine Meldungen sind gute Meldungen", doch bestätigen Ausnahmen die Regel. Ich erinnere mich da noch genau an die Gelenkwellengeschichte, als ich den Aufenthalt überziehen mußte. Jemand, den ich nie gesehen hatte in meinem Leben stiftet eine Gelenkwelle, ein anderer, den ich ebenfalls nur unter "Phillip S." aus dem Internet kannte, fährt durch die halbe Republik und liefert sie daheim ab, aber die eigene Schwester schafft es nicht, sie zur Post zu bringen. Da muß erst ein ehemaliger Klassenkamerad aus München anfahren, um sie zur 300 m entfernten Post bringen. Warum ich sie überhaupt damit beauftragt hatte, sich um den Rechner zu kümmern, lag daran, daß mein Vater sich gerade in Südamerika befand und das nicht erledigen konnte. Ich schickte ihr ein eMail: "Wie schaut's aus? Geld überwiesen? Ist der Rechner schon da? Den muß einer zur Gabi bringen."

Aber nun erst mal Essen. Im Las Tinajas durften wir uns fast eine Stunde anstellen, aber es lohnt sich. Es kostete sieben Peso, also umgerechnet nicht einmal drei Dollar pro Person. Unvorstellbar, daß genau das selbe Mahl noch vor einigen Monaten nicht auch nur entfernt in Betracht gezogen werden konnte. Ebenso unvorstellbar wie der Gedanke, daß dieser brutale Unterschied von den Einheimischen kaum bemerkt wurde, denn für sie änderte sich nichts, sieben Peso sind sieben Peso, schon immer gewesen. Diejenigen, die harte Dollar verdienten waren fein raus. Ich versuchte, so viel in mich hineinzustopfen, daß ich auf der ganzen Reise nichts mehr zu Essen brauchte. Klappte natürlich nicht. Der menschliche Körper ist dafür zu unwirtschaftlich angelegt, er denkt nicht mit. Aber beide fraßen wir nach der Devise: "Wer weiß, wann wir wieder so was Feines kriegen." Morgen sollte es über die Anden gehen. Clärenore Stinnes brauchte dafür Monate. Wir rechneten mit zwei Tagen, oben lag auch noch ein Grenzübertritt an.
Als wir das Restaurant verließen, gab Catarina noch sein Kleingeld an Straßenkinder. "He, Du Depp, denk mal mit und laß den Käs' in Zukunft. Die werden davon nicht weniger, im Gegenteil." So ein Depp. Bald pfeifen es die Vögel von den Dächern, daß da zwei spendierfreudige Gringos unterwegs sind, die nur zur Tarnung wie Obdachlose aussähen.

Mittwoch, 31. Juli 2002
Natürlich verloren wir uns um ein Uhr noch im Casino. Casinos fand Catarina faszinierend, denn in Brasilien gibt es ja keine. Verboten. Daß die Brasilianer sich überhaupt trauen irgendetwas anderes als sich selbst zu verbieten ist an sich schon erstaunlich, um nicht zu sagen dreist. Aber deswegen sieht es in dem Lad wahrscheinlich auch so aus, wie es aussieht. Ich weigerte mich konsequent, auch nur einen Cent im Casino zu lassen. Genug ist genug. Ich hatte bereits bei meinem ersten Casino-Besuch zuviel verloren. Aber Catarina schien das nicht zu stören, denn er verspielte ein Monatsgehalt nach dem anderen und fand es hinterher auch noch witzig. Erst als der Morgen zu grauen begonnte - es war bereits halb Funf - fanden wir eine YPF-Tankstelle, wo wir uns dann zur Nacht niederließen. Wieder war man so freundlich, uns in die Halle hineinazulassen, denn immerhin regnete es. Wir hatten es zuvor bei der Feuerwehr versucht, aber die meinten, daß das nicht ginge, warum, das blieb uns schleierhaft. Aber wir verbrachten eine sehr angenehme Nacht. Kuschlig warm war es im Schlafsack und das Auto durften wir auch auf die Hebebühne ins Trockene stellen. Das ist ein Leben.
Übernachtungsplatz Mendoza (km 739.893)
"Auch nicht mit Fürsten und Grafen tauschen wir Jungens, Ahoi!!!"

Wir durften auch relativ lange ausschlafen. Am Morgen hatte es aufgehört zu regnen. Um Viertel nach Neun ging es weiter mit Ziel Santiago de Chile. Der Himmel war wolkenbehangen. Hochnebel. Man konnte die Anden kaum sehen, aber wir wußten, sie lagen unmittelbar vor uns, gleich mußte der Anstieg losgehen. Gewaltige Bergmassive lagen vor uns, darunter auch der Aconcagua, der höchste Berg außerhalb Asiens. Nur sehen konnt man davon nichts. Noch nicht. Irgendwann demnächst würden wir die Wolkendecke durchbrechen und da oben scheint die Sonne. Dieses Massiv trennt Chile von Argentinien und es zieht sich hinauf, am Pazifik entlang bis nach Alaska, wenn man so will. Es würde uns also eine Weile begleiten. Das hier war der zivilisierte Teil der Anden, könnte auch in Europa sein. Weiter im Norden, in Peru geht dann die Wildnis los. Aber soweit waren wir noch lange nicht.

Die Straße geht hier immerhin auf 3.500 Meter hoch, wir befanden uns auf etwa 400 Höhenmetern und Catarina fiel das schwer zu glauben, denn man sah noch gar nichts davon und er dachte, wir müßten eine riesige Felswand vor uns sehen, drei Kilometer hoch und mächtig, höher als alle Wolken. Aber dem war nicht so. Wir fuhren durchs Flachland. Und bis zur Stunde wußten wir nicht, ob der Paß frei war oder nicht.
Vor uns, irgendwo im Nebel, der mächtige Andenkordon.

Gegebenenfalls mußte eine Übernachtung dort oben in Kauf genommen werden, aber das ist sicher etwas, was man mal gemacht haben muß. Das störte keinen von uns beiden. Gabi hatte sich letztes Jahr strikt geweigert, dort oben zu übernachten - habe gar nicht gefragt, warum, denn auf eine vernünftige Begründung hätte ich da soweiso vergebens gewartet. Wir hielten direkt auf die Anden zu, folgten der Straße und warteten auf den Anstieg. Wir bretterten mit etwa 100 km/h über die leere Straße.
Ab und zu hielt ich an, damit Cat Bilder schießen konnte. "Alter, mach doch die Tür zu, wenn Du aussteigst, hier geht es kalt rein", fegte ich ihn ein paar mal an. Einmal, auf einer Brücke, fuhr ich mit offener Tür einfach los, hielt an und ließ ihn ein paar hundert Meter laufen. "Was war das jetzt?", wollte er wissen. "Ich hab Dir jetzt mindestens fünfzig mal gesagt, Du sollst die Tür zumachen. Gerade auf der Brücke. Was, wenn ich plötzlich rechts ran fahren muß, oder sonstwas ist?" Da kam er mir mit der bescheuerten Ausrede, er hätte diesmal nicht die Türe zugemacht, um die Scharniere nicht zu verschleißen. "Sagst Du das in der Arbeit auch?: Ich habe den Bericht nicht getippt, weil ich die Tastatur nicht verschleißen wollte? So ein Schwachsinn. Wenn das Scharnier kaputtgeht, kommt eben ein neues hin, aber mach die verdammte Tür zu, Affe!"

Als das Auto langsamer wurde gab ich die Ansage durch "Anstieg beginnt".

Kaum hatte der Anstieg begonnen, wir waren gerade eine Stunde und fünf Minuten unterwegs und laut GPS erst auf 1400 m, sahen wir auch schon den ersten Schnee. Ich den ersten seit Januar, Catarina den ersten in seinem Leben. Klar mußte ich da anhalten und Catarina spielte mit dem dreckigen, halbgefrorenen Matsch herum, wie ein kleines Kind. "Das ist Schnee? Geil! Ich hab mir den viel weißer vorgestellt." "Dort oben ist er weiß, der hier ist schon ein paar Wochen alt, besteht hauptsächlich aus Dreck, wie Du sicher merkst. Das ist jedenfalls kein richtiger Schnee mehr. Komm, hopp, weiter geht's". Wir fuhren weiter. Er hätte wirklich ein paar Kröten in Paraguay für eine Digitalkamera ausgeben sollen, denn bereits hier hatte er fast einen ganzen Film verknipst. Das wird teuer...

Es war auch nur eine Frage der Zeit, bis wir Verkehr vor uns hatten. Die LKW können nicht so schnell, und wir konnten sie nicht überholen da die Wischwaschanlage schon seit Monaten nicht mehr ging Das wirkt sich das sehr negativ auf die Sichtverhältnise aus. So krochen wir also hinter den LKW her bis wir eine Tankstelle fanden, um die Frontscheibe wieder klarzumachen. Die 740.000 gingen durch. Aber es gab keinen Halt. Scheibe saubermachen, kurz Tanken und weiter. Wenigstens war der Generalkurs nicht mehr Südwesten, sondern Westen. Luftlinie war es nicht mehr weit bis Santiago, aber die Anden und die bevorstehende Grenze ließen es noch ewig weit weg erscheinen. Ich spare es mir hier, alles Bildmaterial zu präsentieren.
Etwas abseits von der gut asphaltierten Straße...

Es ging höher und höher hinauf, doch es gab keine einzige wirklich kritische Stelle, nie mußte man in den ersten Gang schalten. Für Catarina war nicht nur die Aussicht atemberaubend, sondern auch die Höhe. Ohne, daß man sich dessen richtig bewußt wird, fährt man plötzlich in über dreitausend Höhenmetern spazieren. Die Luft ist ziemlich dünn, das merkte ich weniger an mir selbst, denn solange man nur da sitzt und sich kaum bewegt, geht es eigentlich, aber das Auto arbeitet und an dessen Verhalten merkte man deutlich einige Änderungen. Der Motor klingt ungewöhnlich leise, wie von fern oder durch eine Schallschutzmauer. Auf das Gas sprach es fast überhaupt nicht mehr an und hinten haut es nur so den schwarzen Ruß in die hellgraue Landschaft. Aber romantisch ist es doch, wenn man denn dafür einen Sinn hat. Catarina wurde ziemlich ruhig, wie ein Reptil in der Kälte. Nur noch die allernötigsten Bewegungen verrichten und ansonsten unbeweglich sitzen und alles an sich vorbeirauschen lassen, sogut wie möglich, aber es war eben doch alles zu neu.
Von so einer Landschaft hat natürlich der durchschnittliche Brasilianer überhaupt keine Ahnung, sowas gibt es dort nicht, und wenn einem noch so oft eingetrichtert wird, Brasilien sei eines der vielfältigsten Länder dieser Erde - was nicht stimmt, aber das erzählt man sich dort. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Brasilien ist ein tropisches Land mit allen seinen tropischen Abstufungen. Das war's. Aber übersieht man eben dort gerne, daß es außer dem tropischen auch noch andere Klimata gibt. Bräuchten sich bloß mal ins verhaßte Argentinien bequemen. Hier waren wir schon durch drei verschiedene Klimazonen gefahren, tropisch war es im Norden, dann wurde es steppenartig und nun alpin. Im Süden geht es noch weiter, aber dahin ging es nicht mehr. Nicht auf dieser Reise. Eines Tages, vielleicht. Man soll bekanntlich niemals "nie" sagen.
"Es ist kein Weg uns zu steil und zu weit
Und keine Schlucht uns zu tief und zu breit
Wir Kameraden der Berge sind gegen alles gefeit."

Wir durchfuhren Skiorte, die genausogut irgendwo in der Schweiz oder in Österreich stehen könnten. Die Lifte fuhren, was fehlte waren die nicht enden wollenden Schlangen. Ich wünschte mir meine Skier her, die Wolken haben wir längst unter uns gelassen, es herrschte strahlendes Skifahrwetter, guter Schnee, keine überfüllten Lifte wie man sie kennt: Fünf Minuten Abfahrt, fünfzig Minuten anstehen. Hier war es umgekehrt. Es wäre einfach herrlich - hätte man Skier dabei. Seit Jahren war ich nicht mehr auf den Brettern gestanden. Wieder wanderten die Gedanken Jahre zurück. Wo ist nur die Zeit geblieben? Andererseits wird man in Jahren auch mit Wehmut der jetzigen Fahrenszeit gedenken. Und man kann nichts festhalten. Panta rei. Nur nicht trübsinnig werden dabei. Wir hielten und nicht lange auf. Als ich festgestellt hatte, daß sich durch Gedanken alleine keine Skier materialisieren, ließ ich wieder aufsitzen und es ging weiter in Richtung Chile. Den Schnee sah ich mir ganz genau an, das war vermutlich für lange Zeit der letzte, den wir zu Gesicht bekommen sollten. Wir zogen unsere Straßen, die wieder alle Gerüchte zu bestätigen und zu widerlegen verstand. Sie war nicht geräumt, sondern trocken, hier hatte seit Tagen kein Schnee gelegen, was wahrscheinlich der Grund dafür war, daß man sie nicht geräumt hatte.
Ein Skiort bei Puente del Inca.

Diesmal vermieden wir es, bis an die Grenze zu fahren, um dann wieder umzukehren, sondern wir fuhren von der Straße herunter in die riesige Halle. Die Lernkurve war noch da. Wie konnte ich beim letzten mal nur diesen Schilderwald übersehen? Es war bitterkalt. Früher, als ich jung war, trug ich im Winter nie eine Jacke. Sommer wie Winter gab es eine Einheitskleidung und fertig, entweder war es zu kalt oder zu warm, aber immer lag es an der Temperatur, die Kleidung machte nichts falsch. Aber das war eben damals, in jungen Jahren. Nun hatte ich meine Bundeswehrjacke an und sprang in der Halle wie ein Geißbock von einem Fuß auf den anderen, die Hände tief in den Taschen vergraben und den Ohrenschutz der Gebirgsmütze bis zum Anschlag heruntergezogen. Das war ich einfach nicht mehr gewohnt. Und dabei merkte ich die Höhe. Irgendwie fühlt man sich ganz leicht, jedes Geräusch scheint eigenartig unterdrückt und man schnaubt wie ein Stier. "Friert's Dich etwa?", fragte mich der Grenzposten, als ich endlich dran war. "Klar. Ich bin kein Andino, sondern Alpino..." Er gab mir die Papiere zum Ausfüllen, ich fügte hinzu: "Das Auto übrigens auch..." Er sah zum Fenster seines Kabuffs zum Daimler hinüber. "Was ist das für ein Kennzeichen?" "Deutsch." Daraufhin kapierte er meine Anspielung von vorhin und gab mir die Papiere für den Wagen. Catarina bekam andere Papiere, denn er war Angehöriger eines Mercosur-Staates. "Fahren Sie das Auto hier her", befahl mir der Grenzer noch. Nichts lieber als das. Ich verschwand in der warmen Kanzel, fuhr das Auto neben das Kabäusle und füllte die Papiere in der wohligen Wärme des Innenraumes aus. Der Motor lief durch, das störte auch in der Halle keinen. Man bat mich nur, etwas weiter vorzufahren, da der Motor die Grenzer bei der Unterhaltung störte. Ich kam mit den Papieren zurück und man bemühte sich, jemanden zu finden, der das Fahrzeug durchsuchen sollte. Bei der Ausreise... so ein Unsinn. Endlich kam einer in das Postenhäuschen, aber der hatte keine Lust in die Kälte rauszugehen um unser Auto zu durchsuchen. "Sind doch Touristen, oder?", fragte er in die Runde, alle sahen sich das Auto an und meinten dann: "OK, fahren Sie weiter. Gute Fahrt." Wir bekamen unsere Stempelchen, saßen auf und fuhren weiter in Richtung Chile.

Um 15.34 Uhr (km 740.130) waren wir an der Grenze zu Chile angekkommen. Die Prozedur hatte sich nicht geändert. Erst die Immigration, dann der Zoll. Man mußte unterschreiben, daß man keine Milchprodukte und Früchte usw. dabeihatte, was hinterher auch kontrolliert wurde. Dann durften wir weiter. Geld wechselten wir keines, die Maut, so hieß es, könne man auch mit der Kreditkarte bezahlen. Ich hatte sowas nicht, aber Catarina. Doch er schien nicht ganz durchzublicken, wie so ein Teil funktionierte, denn er hob immer nur soviel ab, wie wir für die nächsten Tage brauchen würden. Daß er jedesmal dafür Gebühren zahlt und es daher besser sei, in jedem Land einmal eine größere Summe abzuheben, sagte ich ihm zwar, aber das änderte nichts. Er führte sehr detailliert Buch. Alle Beträge, die das Auto verließen wurden genauestens notiert, am Ende eines Landes wurde dann durch zwei geteilt und umgerechnet in Dollar. Die wollte er haben, denn der Real war in den letzten Tagen abgestürzt und wer weiß wieviel er jetzt noch wert war. Es ist mmer besser, Dollar zu haben, anstatt eine dieser südamerikanischen Fufu-Währungen, denn Dollar ist Dollar und bleibt Dollar. Alles andere ist Bullshit, inklusive der Euro. Spielgeld. Micky Maus, wie mein Alter Herr es immer nennet.
Nach der Einreiseprozedur fuhren wir weiter und bald schon lagen die Caracoles Chilenos vor uns, die "Chilenischen Schnecken". Das sind die Serpentinen, die von den Anden wieder hinunter ins Tal führten. Als erstes fiel auf, daß die Straßen schlechter wurden. Es waren hauptsächlich LKW unterwegs. Das schöne Argentinien lag hinter uns, es ging buchstäblich wieder bergab.
Hinab ins Tal.

Meiner Meinung nach ist die Andenüberquerung hier einfach zu kurz. Es hört sich mächtig an, ist aber im Prinzip nichts anderes, als wenn man von Oberammergau nach Bozen fährt. Die Strecke ist ist nur länger, der Paß höher und man hat an der Grenze Papierkrieg - das ist der ganze Unterschied. Und wie in Italien, so gibt es auch in Chile eine Maut. Hätten wir nur etwas mehr Zeit gehabt, dann wäre das nicht so schlimm gewesen. Ich erklärte, daß man uns an der Grenze gesagt hätte, man könne auch mit Kreditkarte zahlen. "Kreditkarte? Nein. Mautkarte, ja." Vielleicht sollte ich in Zukunft nicht einfach fragen, ob man mit Karte zahlen kann, sondern auch diese Karte näher definieren. So eine Mautkarte hatten wir natürlich nicht, man konnte sie hier auch nicht kaufen. Ich hatte noch ein paar alte 100-Peso-Scheine, aber die wollte irgendwie keiner Annehmen, denn die waren schon seit über zwanzig Jahren aus dem Verkehr gezogen. Mist! Dabei sahen sie nigelnagelneu aus. Bei der ersten Mautstation ließ man uns passieren, weil wir noch ein paar argentinische Peso hatten, aber bei der nächsten sah die Sache anders aus. Die argentinischen Peso reichten nicht mehr aus. Ich ging los mit meinen alten chilenischen Pesoscheinen und verkaufte zwei davon an Zöllner für jeweils 100 Peso. Kein wirkliches Geschäft für mich, aber die wollten einen haben, denn sie hatten noch nie so einen gesehen. Die waren noch gar nicht auf der Welt, als diese Scheine eingestapft worden waren. Es fehlte immer noch einiges. Wir fragten bei Autos mit argentinischem Kennzeichen, die in die Gegenrichtung fuhren nach, ob sie vielleicht unsere argentinischen Münzen gegen chilenische Scheine eintauschen würden. Bald hatten wir alle argentinischen Münzen weg. Keine Währung mehr zum Tauschen. Auch keine Real - wer hebt auch so einen Müll schon auf? Aber wir sahen einen brasiliansichen LKW und Cat schnorrte den Fahrer an. Der gab uns das, was noch fehlte und wünschte uns das Beste und viel Glück auf unserer Reise und Gottes Segen und was nicht noch alles.
"Gott ist größer", steht auf dem Spritzlappen. So zog er dann von Hinnen... Vielen Dank, auch.

Die Speicherkarte meiner Kamera war voll geworden in den Anden, ich mußte nun anfangen, Bilder zu löschen, um Platz für neue zu machen. Es muß einfach ein LapTop her, dann hat man ein Problem weniger. Hoffentlich klappte das. Catarina hatte eine normale Kamera mitgenommen, die aber in den Anden das Transportieren verweigerte, komische Geräusche machte und dann wieder normal funktionierte. Die spulte wieder auf Bild eins, obwohl er bereits neun Aufnahmen gemacht hatte. Ich erklärte ihm, daß er einfach die Linse zukleben sollte und vierzehn mal (deutsche fünffache Sicherheit) den Abzug drücken sollte, damit wäre der Film wieder in seiner ursprünglichen Stellung und er könnte weiterphotographieren. Aber das war ungefähr so effektiv, als wollte man einem Walroß erklären, wie ein Taschenrechner funktioniert. Die Kamera wurde eingemottet, um die neun Aufnahmen nicht zu verlieren. Dafür zog er eine Billigkamera heraus und machte damit bis zum Ende der Fahrt Aufnahmen von deutlich schlechterer Qualität.

Um halb acht abends kamen wir in Santiago an (740.200 km). Wir parkten das Auto in einem Parkhaus und suchten uns ein Internet-Café. Nach dem dritten Versuch wurden wir fündig. Es war zwar im Begriff zu schließen, aber wir konnten die Dame überreden, uns fünf Minuten ins Netz zu lassen. Ich rief meine eMails ab. Eine Antwort meiner Schwester: "Nein, ich hab das Geld nicht überwiesen, der linkt mich sonst ab. Der soll erst den Rechner schicken." An dieser Stelle bin ich geplatzt. "Die ist doch so blöd wie sie fett ist!!!", Catarina sah mich erschrocken an. "Was los, Typ? Spinnst Du jetzt? Was schreist denn so rum?" Ich konnte direkt fühlen, wie mein Schädel rot anlief und fast zu platzen drohte. Ich ging weg vom Computer, das nervte mich jetzt. "Die ist doch so bescheuert", fuhr ich mit meinem Vortrag fort, "die ist zu blöd, 300 Euro zu überweisen. Ich hab ihr gesagt, sie soll einfach das Geld überweisen, aber was macht sie? Sie versucht, zu denken. 'Der linkt mich ab', die ist längst abgelinkt worden, schon bei der Geburt. Und selbst wenn es so wäre, es ist nicht mal ihr Geld. Der Computer liegt jetzt in Berlin, es ist der 31., in vier Tagen fliegt die ander' los, eine Überweisung dauert mindestens drei Tage, dazwischen liegt das Wochenende, von der Deutschen Pest AG ganz zu schweigen, das kann nicht mehr klappen..." Wieso kann man sich seine Geschwister nicht aussuchen? Ich hätt längst andere. Ich bin dafür, daß der erstgeborene das Recht haben sollte, zu entscheiden, ob das neue Baby großgezogen werden soll oder nicht. Catarina hatte sich das alles angehört, mich dabei mit großen Augen angeschaut, als wäre ich nicht ganz dicht und er fragte dann: "Von wem redest Du überhaupt, von der die wir in Lima abholen?" "Quatsch, von meiner fetten Schwester, natürlich." Und noch mehr ärgere ich mich über mich selber, weil ich einfach zu blöd bin um zu checken, daß die überhaupt nichts kann. Das war schon bei der Gelenkwelle so, die ist einfach zu blöd und ich weiß das seit über zwanzig Jahren und fall immer wieder darauf rein. Wenn sie es wenigstens mit Absicht machen würde, dann hätte es wenigstens noch was, aber das ist pure Blödheit in ihrer klarsten und reinsten Form. Komm jetzt, mach hin mit Deinem Dreck, da. Ich muß jetzt was fressen, damit ich kotzen kann..." Um die Karte zu entladen hatte ich weder Zeit noch Nerven. "Blöde Vettel..."

Wir liefen durch die Gegend auf Umwegen zum Auto zurück, fragten immer ab und an, wo man billig was zu Essen bekäme. Am meisten bekamen wir die Antwort "Im Barrio Bellavista". Wir fuhren also dort hin, parkten das Auto vor dem Restaurant und aßen irgendwas. Irgend ein älterer Chilese vom Nebentisch hörte uns Portugiesisch sprechen und mußte seiner Bewunderung für Brasilien Ausdruck verleihen. "Riesenland, Immens, Kolossal..." Ich erklärte ihm, daß Rußland noch viel größer, Immenser, Kolossaler sei und zusätzlich auch noch eine Kulturnation. "Na, und? Größe ist doch nicht wichtig, Rußland liegt am Boden." Merksch was..? Er merkte es jedenfalls nicht. Es gibt nun mal verschiedene Nationen, die zu verschiedenen Teams gehören. Diejenigen, die sich auf das Gewinnen spezialisiert haben und diejenigen, die auf das Gegenteil spezialisiert wurden. Deutschland gehört zu ersteren und ist ein gutes Beispiel. Es wurde total vernichtet, aber trotz alledem nicht in die dritte Welt gebombt worden, das geht einfach nicht, es ist Europa. Hingegen kann ein Drittweltland nicht zu den großen zählen, das ist von der geschichtlichen Entwicklung her nicht vorgesehen. Das muß man natürlich, wie alles, mit dem richtigen Maßstab betrachten, versteht sich. Verstand er nicht.

Donnerstag, 1. August 2002
Nach dem Essen fuhren wir auf die Autobahn und blieben um 2:45 Uhr (740.291 km) nach der ersten Mautstation an einem seltsamen Gebäude stehen, das sich direkt neben dem Standstreifen befand. Ich parkte möglichst dicht daran. Cat meinte, mir dabei ins Lenkrad greifen zu müssen, weil ich zu weit vom Randstein parken wollte, wobei ich ihn anfauchte und ihn darauf aufmerksam machte, daß wir nicht hier wären, wenn ich nicht dazu in der Lage wäre, ein Kraftfahrzeug alleine zu maneuvrieren. Er ließ es auch künftig bleiben und mußte erkennen, daß er die Höhe des Randsteins unterschätzt hatte. Seine Türe wäre nämlich bei näherem Heranfahren mit ebendiesem Randstein in Konflikt geraten. Das stellte er allerdings erst nach dem Aussteigen fest. Wir legten uns neben das Auto.

In Argentinien in den Anden sah ich ein Schild, das darauf hinwies, daß wir uns auf der PanAmericana befanden. Keiner behelligte uns des Nachts, wir konnten ausschlafen. Catarinas Vorschlag, noch einmal nach Santiago zu fahren wurde abgelehnt mit dem Hinweis, daß wir nur noch vier Tage hatten, bevor das Flugzeug in Lima landete. Wir waren erst jetzt wieder auf Kurs, denn seit Tagen hatten wir uns von Lima entfernt, da wir erst nach Südwesten, dann nach Westen fuhren. Wir mußten durch die ganze Atacama-Wüste bis zur peruanischen Grenze, Bordercrossing und dann noch durch halb Peru, das alles in vier Tagen mit einem Auto, das keine 100 km/h fuhr - man will ja die geflickte Gelenkwelle nicht herausfordern. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Wir hatten wohl mit der Grenze eine Zeitzone passiert, die Uhren wurden um eine Stunde zurückgestellt, der Zeitunterschied zu Deutschland betrug nun fünf Stunden. Wir standen um zehn, nun also um neun Uhr auf und fuhren 23 Minuten später los in Richtung Arica und sofort, nach zwei Kilometern, hinein in die nächste Tankstelle. Dort richteten wir uns zurecht, füllten Wasser auf und befanden uns um 9:50 Uhr (740.293) wieder auf der Autobahn. Noch einmal sahen wir den Teil der Anden, den wir überquert hatten in voller Größe.
Die verschneiten Berggipfel schienen manchmal in der Luft zu schweben, der nicht verschneite Teil der Berge verschmolz fast mit dem Blau des leicht diesigen Himmels.

Die Panamericana führte von Santiago an die Küste in bestenfalls nordwestlicher Richtung und erst dort, in der Gegend von Viñas del Mar macht sie einen Knick nach Norden. Valparaiso und Viñas del Mar wurden passiert. Es sind nette Urlaubsorte nahe Santiago. Am Meer gelegen und bekannt für gute Meeresfrüchte. Gebadet wird hier im allgemeinen nicht so gern, denn der Pazifik ist recht kalt. Doch auch diesmal wurde hier nicht angehalten - wir hatten wieder mal keine Zeit. Es ist nicht das Geld, was die Reise kostet, das einem wehtut, sondern die Zeit, die man sich nicht nimmt, um die Reise zu genießen.
Catarina meinte, daß das Gehetz nicht sehr viel Sinn hätte, denn entweder schaffen wir es rechtzeitig, oder sie muß sich halt ein Hotel nehmen, das sei sicher nicht das Problem, er erklärte sich sogar bereit, für die Kosten aufzukommen. Stand nicht zur Debatte, und das, obwohl er vollkommen recht hatte. 5. August Lima, wie, das war egal, nur dort mußten wir sein. Ansonsten gibt's Geschrei.

Nun war die Kamera ganz voll, immer mehr Bilder mußten dran glauben. Die einzige Möglichkeit, sie zu retten bestand darin, irgendwo Disketten zu besorgen und die Bilder darauf zu lagern. Oder aber auf CD. Die wenigsten öffentlichen Computer hatten einen Brenner, aber das war nicht das Problem, denn ich hatte ja einen in Paraguay gekauften externen Brenner im Auto liegen, den ich anschließen konnte. Es ist alles nur ein wenig komplizierter als wenn man einen eigenen Recher hat. Da kann man das dann gemütlich am Abend machen, wenn sowieso nicht gefahren wird.

Die nächste größere Stadt war La Serena, aber die schien noch Ewigkeiten entfernt zu sein. Es blieb nichts anderes übrig, als beständig nach Norden zu fahren und darauf zuzuhalten. Catarina nutzte die Zeit, um die Abrechnung für Argentinien fertigzumachen. Argentinien hatte jeden von uns, alles in Allem etwa 100 Dollar gekostet. Das ist gut. Auch wenn wir wußten, daß Chile teurer werden würde, allein schon weil die Strecke viel länger war, so hofften wir doch, zumindest den Tagessatz von 25 US$ pro Auto, Tag und Person noch senken zu können. Es stimmt zwar, daß man auf Reisen sehr viel weniger braucht, aber der Hauptposten ist und bleibt nach wie vor der Diesel. Der war zufrieden und verfressen... Solange man sich nicht oder nur wenig bewegt, kann man mit 25 Dollar am Tag leben wie ein König, in Brasilien kam ich damit bestens drei Wochen über die Runden. Wäre ich Nichtraucher, würde das Geld dort für zwei Monate ausreichen. Man mußte nur zusehen, möglichst wenig zu brauchen und das, was man benötigt, möglichst umsonst zu bekommen. Fensterputzen, ein Sandwich als Bezahlung, weiter geht's so in diesem Stil, das wäre perfekt, aber: Es setzt voraus, daß man sehr viel Zeit mitbringt, und die hatten wir jetzt nicht mehr. Wir hätten einfach eine oder zwei Wochen früher losfahren sollen...
Um 11:45 Uhr (710.430 km) zeigte sich uns erstmal der Pazifik.

Es ist eine schöne Strecke zu fahren. Man fährt die Küste entlang, mal auf Meereshöhe, mal hoch über den Wellen. Ich dachte immer, der Pazifik hätte seinen Namen daher, weil er groß, still und friedvoll daläge. Weit gefehlt. Zumindest nicht hier. Man konnte von der Straße aus sehen, wie die heranbrausenden Wogen an Klippen zerschellten, das salzige Naß spritzte haushoch. Im Osten begleiteten uns die weißen Gipfel der Anden in weiter Ferne. Der Daimler kroch die Berge hoch und sauste dann quietschvergnügt wieder Talwärts, nur um wieder mühsam in die Höhe emporzuklettern.

Das große Kreuz, das ich im Vorjahr mit Gabi beobachtet hatte steht definitiv in Coquimbo und nirgendwo anders. Nicht in Viñas del Mar, nicht in La Serena, sondern in Coquimbo. Diesmal stimmt es, denn ich habe eigens nachgesehen. Es kommt oft vor, daß man irgendetwas sieht und es hinterher einfach nicht mehr schafft, es zeitlich und oder örtlich einzuordnen. Dazu müßte man die Disziplin aufbringen, sich alles zu notieren (was, wann, wo). Aber Disziplin ist so eine Sache... Hätte ich sowas, dann wäre ich in München an der Universität und hätte weder Tobruk noch Narvik gesehen - was hätte ich da sollen?

In La Serena angekommen (17:00 Uhr, km 740.784) gingen wir in eine Shopping Mall um die Vorräte zu ergänzen. Als wir wieder herauskamen, hatte die Sonne ihr Bett schon hergerichtet, um sich schlafen zu legen. Wir waren davon noch weit entfernt. Die Treibstoffleuchte brannte zwar schon seit geraumer Zeit, allerdings war mir das irgendwie entfallen, ich war zu sehr damit beschäftigt, an Internet oder Disketten zu kommen. Die Kamera war voll und mich störte es gewaltig, keine Bilder mehr machen zu können. Wir fanden nichts und fuhren weiter. Nach dreißig Kilometern kam ich drauf, daß wir jederzeit mangels Kraftstoff liegen bleiben mußten. "Alter, ich hab das Tanken vergessen in La Serena..." Er langte sich an den Kopf, "Du bist doch aber auch ein Pferd. Bei der Mall war eine Tankstelle... Riesengroß." Ich lachte, "Und wo ist die Mall jetzt?" Weit hinter uns war sie geblieben. Super... Umdrehen, Zeit verlieren oder weiterfahren und hoffen, daß eine Tankstelle kommt. Die Gegend sah nicht danach aus. Wir waren zwar noch am Pazifik, aber das bedeutet gar nichts, das nächste Kaff kam laut Karte in 50 Kilometern, aber selbst wenn die Tankstelle dort offen wäre, würde sie uns nichts nützen, denn wir hatten keine fünf Liter mehr im Tank. Wir waren bereits in der Wüste. Ich leitete ein Wedemanöver ein. Es war fraglich, ob wir es überhaupt bis nach La Serena zurück schaffen würden. Doch Catarina meinte, daß auf unserem "Wendeplatz" Zapfsäulen wären. Eine nähere Inspektion ergab, daß sie seit Jahren außer Betrieb waren, allerdings war gleich nebenan ein Restaurant. Ich ging hinein und fragte nach Diesel. "Diesel? Haben wir nicht." Ich fragte nach der nächstmöglichen Tankgelegenheit.
Wo die blauen Gipfel ragen
Lockt so mancher steile Pfad.
Immer vorwärts ohne Zagen,
Bald sind wir dem Ziel genaht.
Schneefelder blinken,
Schimmern von Ferne her,
Lande versinken
Im Wolkenmeer

"La Serena". Nur reichte das Diesel nicht mehr. Das waren genau die Sachen, die einfach nicht vorkommen dürfen. Liegenbleiben mit fünf leeren Dieselkanistern auf dem Dach, das ist lachhaft. "Wem gehört denn der Laster da draußen?", fragte ich. Ein jüngerer Typ meldete sich. Ich ging zu seinem Tisch und fragte ihn, ob er bereit wäre, mir 20 Liter zu überlassen. "Das geht nicht, der Laster gehört nicht mir, sondern meiner Firma." Schmarrn... "Paß auf. Wo fährst Du hin? Nord oder Süd?" "Nach Süden", antwortete er. Ich fuhr fort: "Gut. Du gibst mir 20 Liter, ich zahle Dir etwas mehr, als es an der Tankstelle kostet. Du Tankst morgen in La Serena, Deine Firma weiß davon nichts, den Rest behältst Du. Ansonsten kann ich nämlich nicht weiterfahren und wein' Dir den restlichen Abend ins Ohr..." Er willigte ein. Wir gingen hinaus, ich nahm einen Kanister und einen Schlauch und begann das Diesel aus des LKWs Tank abzupumpen. Es war 19 Uhr (740.784) und somit dunkel. Wir gingen zu dritt hinaus. Ich steckte den Schlauch in den Tank des Lasters, sugte daran und ließ das Diesel in den leeren Kanister fließen. "Bist Du sicher, daß Du weißt, was Du da tust?", fragte mich Catarina. "Alter, ich hab schon Diesel aus Lastwagen geklaut, da hast Du noch in die Windeln gemacht, laß mal. In zwanzig Minuten haben wir 200 km mehr im Tank. Zahl Du schon mal... Und frag, wie das Kaff hier heißt!" Es hieß Caleta de Hornos. Kennt kein Mensch - steht auch nicht in der Karte...
Als wir wieder im Auto saßen war die Leuchte erloschen. Wir konnten weiter. Nach genau anderthalb Stunden waren wir in Vallenar (740.935 km) und erst dort fanden wir eine Tankstelle. Natürlich brannte die Leuchte längst wieder, aber nun wurde vollgetankt. Wir fuhren noch bis viertel zwölf und blieben dann an einer Tankstelle über Nacht. (740.942 km)


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