Panamericana-Tour 2002
vom 2. bis 8. August

Zweite Fahrtwoche

Freitag, 2. August 2002
Die Nacht war ziemlich kalt gewesen, wir brachen schon relativ früh auf, nämlich um zehn nach acht (740.942 km). Generalkurs war Nord, Richtung Antofagasta, die Berüchtigte. Das mußten wir heute erreichen. Wir hatten noch drei Tage übrig, am Abend des 5. mußten wir in Lima sein. Es galt, keine Zeit zu verlieren, denn es waren immerhin noch einige tausend Kilometer. Um 10:10 Uhr (741.086 km) wurde eine viertelstündige Tankpause eingelegt. Danach ging es weiter durch die Wüste immer in Richtung Norden, nur keinen Aufenthalt. Das ist das Schöne an der Wüste, daß man sie sich in aller Ruhe ansehen kann, auch wenn die Maschine Große Fahrt macht. Man kann nicht wirklich etwas verpassen, im Gegenteil, das zeigt erst richtig, wie klein man selber ist und, daß der größte Teil unseres Planeten unbewohnbar ist. Ob Sand-, Stein-, Eis- oder Wasserwüste, es ist ganz egal, leben kann man dort nicht wirklich.

Am späten Nachmittag (17:30 Uhr, 741.586 km) hielten wir wieder an der Mano del Desierto, der Hand der Wüste. Ich hatte immer noch das Problem, daß die Digitalkamera voll war. Insofern ersparte ich es mir, Bilder zu machen, ich hatte das ja schon im Jahr davor erledigt. Die Hand liegt etwa 70 km vor Antofagasta, das wir dieses Jahr weit schneller erreichten als im Jahr zuvor. Etwa eine Stunde später waren wir in Antofagasta. Catarina war sehr überrascht, daß plötzlich, mitten in diesem Nichts, eine so fette Stadt auftauchen konnte. Wir fuhren als erstes an eine Tankstelle. Es war bereits dunkel geworden, als wir in Antofagasta ankamen und es galt zu überlegen, wie es weitergehen sollte. Das tut man am besten an einer Tankstelle. Dort gab es Duschen, allerdings nur mit kaltem Wasser. Ich schnappte mir mein Duschzeug und machte davon und von dem kalten Wasser Gebrauch. Catarina, der wie alle Brasilianer einen Hygienefimmel hat und am meisten nach einer Dusche schrie, hatte es sich anders überlegt. Da entsponn sich wieder einer der typischen Dialoge, bei denen viel geredet und nichts gesagt wird. Die fanden natürlich alle auf Portugiesisch statt, um sie im Deutschen treffend wiederzugeben bedürfte es erst einer Einführung in die südbrasilianische Umgangssprache, was ich mir hier allerdings spare.
"Wieso haben die kein warmes Wasser?" Ich glaubte erst, nicht recht zu hören.
"Ach, Du Schwuchtel, heul halt rum! Wie wenn es nicht schon schwul genug wäre, überhaupt duschen zu wollen... War doch Deine Idee. Aber nein, Madame will auch noch warmes Wasser, womöglich noch ein Schaumbad mit Rosenblättern und eine französische Creme für empfindliche Haut. Schau mal in Deiner Seitentasche, da muß noch ein rosaroter Nagellack liegen, den meine Mutter hier vergessen hat..." Er ließ sich nicht beeindrucken, keine Dusche für ihn. Naja, was soll's...

Nach der Dusche kümmerte ich mich um das Wohlergehen des Autos. Ölstand prüfen, was nicht leicht war, denn dieser verfluchte Ölpeilstab gibt mir seit neuestem immer verschiedene Werte. Auf der einen Seite über Max, auf der anderen unter Min. Ich steckte ihn wieder zurück, schrie ihm "Drecksweib, verdammtes" hinterher und wollte gerade die Haube schließen, als ein Polizeiauto vorbeifuhr. Es hielt kurz an und der Beifahrer sah zu uns herüber. Ich sah ihn an und wartete ab, was nun geschehen sollte. Er hielt sich ein Auge zu. "Was soll das jetzt?", fragte mich Catarina. "Der will mir mitteilen, daß unser linkes Licht kaputt ist. Stimmt, Mensch, das war es, was ich noch wechseln wollte. Jetzt fällt's mir wieder ein." Ich gab dem Polizisten durch Nicken ein Zeichen, daß ich es schon wüßte und es auswechseln würde und sie fuhren weiter. Ich ging in die Tanke hinein und fragte nach Birnen. Die hatten an Birnen alles Mögliche und Unmögliche da, nur nicht die, die ich brauchte. Es half nichts: Kofferraum auf, die Mun-Kiste ausgraben, aufmachen und darinnen nach der passenden Birne graben. Ich hatte sie gerade in dem Augenblick herausgekruschtelt, als die Herrn Polizei erneut vorbeifuhren um nachzusehen, ob ich sie schon gewechselt hätte. Ich hielt ihnen stolz die ausgegrabene Birne entgegen und grinste sie so breit an, daß mir die Oberlippe aufsprang. Sie nickten zufrieden und fuhren weg. "Wenn ich grün-weiß gestreifte Polizeiautos sehe, dann kommt mir schon wieder die Kotze hoch, verdammt nochmal. Ab nach Peru, da sind sie wenigstens Silber." Weiß gar nicht, warum die Chilenen auch in grün-weiß unterwegs sein müssen, wohl noch ein Überbleibsel aus der Pinochet-Ära.
Auf der Straße von Nichts nach Gar Nichts.

"Frag mal bei dem Lasterfahrer nach, wo die LKW-Fahrer hier Rast machen", sagte mir Catarina. "Hast Du eigentlich in Deiner Kindheit länger Balettunterricht genommen? Warum fragst Du nicht selber? Ich hab schon geduscht. Da steht ein LKW, da kannst gleich mal üben", unterrichtete ich ihn. "Ich kann diese Dreckssprache nicht", sagte Cat nun zum x-ten mal. "Was soll denn das? Du schwuler Depp, das ist exakt die gleiche Sprache, Du mußt alles nur so sprechen, wie Du es schreibst, dann versteht Dich auch jeder..." Es stimmt tatsächlich, die kleinen Unterschiede machen nichts aus, man kann sich trotzdem verständigen. Es gibt einige Wörter, die sind zwar wirklich anders oder bedeuten etwas anderes, z.B. "tirar". Auf Portugiesisch heißt es "nehmen, wegnehmen", auf Spanisch "werfen, wegwerfen". Aber der gesamte Kontext läßt dann meistens ohne weiteres auf das schließen, was man rüberbringen will. Das Problem dabei ist nur, daß die Hispanophonen (oder wie man die kastilischsprechenden Südamerikaner auch immer nennt) wirklich "tirar" sagen, während die Brasilianer aber nur "tschirah" zusammenkauderwelschen können, und damit fängt das Problem an, das versteht wirklich keiner der beiden Parteien. Würde er es schreiben und den Zettel hinhalten, wäre wieder alles in Ordnung. Der spanischsprechende Mensch würde es lesen und begreifen. Portugiesisch ist nur entartetes Spanisch, es wurde nach Südamerika gebracht, wo es durch europäische, indigene und negroide Einflüsse dann in seine jetzige Form gebracht wurde. Und das führt dazu, daß ich portugiesisches Portugiesisch beispielsweise, oft überhaupt nicht als portugiesisch identifizieren, geschweige denn verstehen kann.
Im Spanischen sieht die Sache ein wenig anders aus: Das kastilisch hört sich auch ganz anders an als das spanische Spanisch. Vor einigen Jahrhunderten, als Südamerika schon von Portugiesen und Spaniern kolonisiert war, tauchte in Spanien ein König auf, der nicht nur schwul und behindert war, sondern auch noch zu blöd um zu sprechen. Als sabbernder Idiot auf hohem Throne gab er das Recht, mit der Zunge an den Zähnen anzustoßen automatisch an seine Untertanen weiter und also ward lispeln erst hof- und anschließend salonfähig. In jener Zeit hatten es allerdings solcherlei Stilblüten schwer, über den Atlantik zu schwappen, daher blieb Amerika von dieser Krankheit verschont. In Südamerika wird also nirgendwo gelispelt, es blieb als eine klare, soldatische Sprache erhalten und erfuhr trotz der einzelnen nationalen und regionalen Veränderungen keine Idiotisierung, wie es im spanischen Mutterland eben leider der Fall war. Eine ganze Nation mit Sprachfehler, das ist faszinierend. Ich erinnere mich da an eine gewisse Catalina Navarro-K. Wir nannten sie immer "die Flugboot", nicht nur, weil sie sich mit dem amerikanischen Flugboot die Bezeichnung Catalina teilte, sondern vor allem auch des Aussehens wegen. Der Mund ging Übergangslos direkt in Hals über. Das Kinn hatte man weggelassen, oder es war so vielfach vorhanden, daß man es nicht als einzelnes Gebilde sehen konnte. Eben wie das Vorschiff eines Flugbootes, das gleichmäßig und nahtlos von Flugzeugnase zu Schiffskiel übergeht. Und eben diese Flugboot hatte auch das Problem, daß sie beim Reden immer die Zunge zwischen den Zähnen hatte und nie einen vernünftigen Laut zustandebrachte. Obwohl sie Spanisch erst in der Schule gelernt hatte, bestand sie immer darauf, Spanierin zu sein. Jedenfalls war das Lispeln schon ein guter Anfang...
Die Atacama, angeblich die heißeste aller Wüsten. Ganz im Hintergrund dennoch die verschneiten Gipfel der Anden, die überhaupt nicht hierherpassen wollen.

Cat ging zum Lasterfahrer und kam nach einer Weile zurück. "Der hat nicht gecheckt, was ich will, jetzt geht Du halt mal hin und frag nach." War mir ja auch klar, daß er das nicht hinkriegt. "Du Tunte! Und wohin soll ich überhaupt gehen? Außer uns war niemand mehr an der Tankstelle, der Laster ist längst weg. Mein Gott... soll ich Dir auch noch ein paar Windeln kaufen und Deine Mamma in Tijucas anrufen?" Ich ging, von irgendwelchen gekonnten und gut plazierten Beschimpfungen Catarinas begleitet, zum Schalter und fragte nach: "Entschuldigen Sie, der Herr. Ich hab da einen schwulen Reisecompagnion und der möchte wissen, wo die LKW-Fahrer hier absteigen und einkehren. Wissen Sie da was?" Er beschrieb mir den Weg zu einem kleinen Haus in der Parallelstraße. Dort könne man duschen und essen und fernsehen. Ich ging zurück zum Auto, machte Meldung, und wir fuhren dort hin. Sah irgendwie komisch aus. Das Haus war außen wirklich winzig, aber innen relativ groß. Catarina orderte eine Mahlzeit und ging in die Dusche. "Verdammt nochmal! Ein einziges Scheißhaus hier. Dann noch so 'ne Badenutte an Bord..." Der Spruch (auch von Buchheim oder Petersen) bleibt wohl im Bordinventar. Ich sah mir derweil die brasilianische Telenovela auf Spanisch an. Das war nett, allerdings ungefähr so, als würde man sich "Das Boot" auf Englisch oder "Full Metal Jacket" auf Deutsch ansehen. Es fehlt einfach was, was man nicht übersetzen kann. Nach etwa einer Stunde kam Catarina wieder aus der Dusche.
"Du hast Dich beim Schminken verschmiert!", begrüßte ich ihn.
"Halt die Fresse! Wo ist mein Essen?"
"Schon lange kalt auf dem Tisch", meinte ich darauf, "vielleicht solltest Du sie bitten, es wieder warm zu machen. Nicht, daß Du krank wirst, weil Du immer so kalte Sachen so schnell runterißt. Oder erst duschen, dann bestellen, statt umgekehrt..."
"Schnauze."
"Alter, schau Dir mal die Novela an. Du kennst sie auf portugiesisch, müßtest eigentlich alles verstehen."
"Hau doch ab mit Deiner Telenovela - Du bist derjenige, der hier schwul ist. Natürlich versteh ich's. Das Problem ist, daß die mich nicht verstehen."
"Ja, und das liegt, wie gesagt daran, daß Du einfach ein Analphabet bist und nicht die Buchstaben so sagen kannst, wie sie dastehen." Er winkte ab zum Themawechsel. "Wie sieht die Abendplanung aus? Ich brauch Internet und Du auch."
"Werden schon was finden..."
Stern voran! Drauf und dran!
Stellt ihn niemals ab, den Dieselhahn...

Nach dem Essen fuhren wir noch in Antofagasta durch die Gegend auf der Suche nach einem Internet-Café und nach einigem Suchen fanden wir sogar eines, das noch offen hatte. Ich besorgte mir ein paar Disketten und begann, die Bilder erst auf den Server und anschließend auf die Disketten zu laden. Als das nach einer Stunde erledigt war, gingen wir auf Nachtplatzsuche. Wenigstens war die Kamera wieder einsatzklar. Und solches Theater könnten wir uns in Zukunft sparen, wenn meine dämliche Schwester es doch noch irgendwie schaffen sollte, den Computer rechtzeitig an den Start zu bringen. Was ich allerdings nicht glaubte, denn dazu braucht man mindestens einen zweistelligen IQ. Ich fuhr lästernd durch Antofagasta und fanden eine Copec-Tankstelle mit angeschlossener Halle und so blieben wir dort übernacht (741.672 km).

Samstag, 3. August 2002
Für tankstellige Verhältnisse weckte man uns relativ spät, erst um halb acht. Fand ich nett. Wir machten uns startklar, waren um zwanzig vor acht schon auf Achse und rollten auf Arica zu. Das war die Grenzstadt, die wir allerdings heut wohl nicht erreichen würden. Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, rechtzeitig in Lima zu sein. Das war Utopisch, wir hatten noch über 2300 km und das Flugzeug kam übermorgen an. "Vergiß es", sagte ich zu mir - nicht aber zu Catarina. Wir fuhren wieder die zehn oder zwanzig Kilometer zurück auf die PanAm und es ging weiter in Richtung Norden. Kurz nach Antofagasta passiert man den Wendekreis. Wir waren nun auf der geographischen Höhe von Campinas, von Windhoek. Warum ist auf dieser geographischen Höhe hier wunderschönste Wüste, ebenso wie in Afrika und Australien und warum hat ausgerechnet Campinas so ein schwüles Drecksklima? Die Antwort liegt auf der Hand: Das hier ist Chile, das andere ist Brasilien und Brasilien ist einfach Dreck. Müssen sich wohl wieder wichtigmachen und anders sein als die anderen. Könnten sich wenigstens ein bißchen bemühen, einmal im positiven Sinne anders zu sein, sprich besser, und zwar nicht nur im Fußball.

Am südlichen Wendekreis.

Wir passierten nicht nur den Wendekreis, sondern auch die Gedenkstätte, an der meine Tachowelle ruhte, die letztes Jahr hier gerissen war. Und sie lag wie erwartet immer noch dort, Quer über dem Faß, unangetastet, so, wie ich sie hingelegt hatte. Irgendwann sahen wir LKW-Fahrer an einem Rastplatz (oder auch nur an einer Stelle in der Wüste, wie an jeder anderen auch) eine Pause machen. Es waren drei LKW. Wir stellten uns dazu und stellten eine Reihe blöder Fragen. Wie lang bis wohin, warum ausgerechnet hier Pause, an einer Stelle wie jeder anderen Blabla. Jedenfalls schwätzten wir uns über eine Stunde fest. "Auweh! Nach Peru fahrt ihr also, müßt aufpassen, Peruaner sind alle Verbrecher", sagte einer der LKW-Fahrer, lachte und fügte hinzu "glaubt es mir, ich weiß wovon ich spreche, bin selber einer", und lacht weiter. Dann wollten sie wissen, wo wir mit dem Auto herkommen. "Aus der Nähe von San Pablo, Brazil.", meinte Catarina. "Ooooh, das war aber ein weiter Weg! Seid ihr über den südlichen Paß gefahren oder über den nördlichen?" Das wußten wir nicht genau, wir dachten es gibt mehr als zwei, aber von den zwei uns bekannten nahmen wir den südlichen. "Das ist aber ein weiter, weiter weg, von São Paulo bis hierher. Sind das brasilianische Kennzeichen, da?" "Nein, Schmarrn, das sind deutsche. In Brasilien gibt es außer dem VW-Käfer keine guten Autos, und ist ja klar, daß man nicht ein brasilianisches Auto nehmen kann, wenn man von São Paulo bis hierherfahren will - und noch weiter, denn eigentlich geht die Fahrt ja nach Mexiko." Der Fahrer, der zu dem Mercedes-Laster gehörte, fragte, ob es denn in Brasilien keine Autos gab? "Naja, mei, weißt ja selber, gell. Also, die Brasilianer meinen schon, daß sie Autos haben, aber die wenigsten von ihnen haben je ein richtiges Auto gesehen. Mehr als einmal wurde ich gefragt, ob das da ein Alfa sei. Sind halt so, wollen so sein wie die Großen und die Großen, also VW, Ford, Chevy, Fiat usw. geben ihnen halt ein paar Spielzeugautos... können sie rumkariolen, damit."
"Ja, wieso habt ihr denn keine Autos in Brasilien?" Ich zeigte auf Cat. "Frag ihn. Mein brasilianischer Freund hier sieht zum ersten mal in seinem Leben eine Straße ohne Schlaglöcher", ich zeigte auf die PanAmericana und klopfte Catarina auf die Schulter. "Was sagst?" "Ich hab gesagt, daß Du Dich darüber freust, daß wir, seit wir Brasilien verlassen haben kein Schlagloch mehr gesehen haben." Er nickte zustimmend, "Jaja, Brasiu alles Schlagloch", erklärte er dann. "Jaja", übersetzte ich dann, "Brasiu alles Scheiße... wollte er damit sagen." Allgemeines Gelächter, dankeschön, meine Herrn.

Pause irgendwo im Nirgendwo. Die LKW-Fahrer waren lustige Gesellen, wir haben uns nett unterhalten.

Dafür, daß wir eigentlich nur ein paar Fragen stellen wollten, hatten wir uns schon wieder viel zu lange aufgehalten. Gebraucht der Zeit, sie rinnt so schnell von hinnen. Aber bereut hat das keiner. Wozu reist man sonst? Das kann man sich alles auch auf Bildern anschauen. Ist billiger.
Irgendwann mußte aber dennoch weitergefahren werden und wir verabschiedeten uns. Ich drängelte, denn wir hatten wirklich keine Zeit zu verlieren. Und ich ging mir mit meiner Dränglerei schon längst selbst auf die Nerven. So was Idiotisches. So reist man nicht, sondern so hetzt man nur von einem Ort zum nächsten und kriegt von Nichts etwas mit. Dennoch hielt ich einmal an an einem Steinfeld. "Was soll das? Warum hältst Du hier an?", wollte Catarina wissen. "Das hier sind Felsmalereien, Lithoglyphen, heißen die glaub ich in der Fachsprache." "Lythowas? Was redest Du da?" "Ja, mei, so Zeug, was irgendwelche Halbaffen, wie Du einer bist, in die Steine geritzt haben, vor langer Zeit. Da, schau, da hat einer irgendeinen Verwandten von Dir in den Stein gemeißelt..." Nun checkte er, worum es ging und sprang von einem Felsen zum anderen, um Bilder zu machen. Dann fuhren wir weiter.

Es entsponn sich in Anbetracht der gerade für Cat gewaltigen Veränderungen, die sich Täglich dem Auge bieten eine Grundsatzdiskussion, die ich hier wiedergebe, zum einen als Resümee der Zeit in Brasilien, die nun zu Ende war und zum anderen, weil es eins der typischen Gespräche ist, die sich entspinnen, wenn man stundenlang durch die Gegend fährt, weitab von alldem was einem Vertraut ist. Der nächste Absatz kann genausogut übersprungen werden. "Stimmt wirklich", sagte er dann irgendwann einmal, "Schlaglöcher hab ich keine mehr gesehen. Aber das liegt sicher auch daran, daß es hier nicht regnet und daß hier viel weniger Autos fahren." Auch das ist wieder typisch Brasilianisch, nie um eine Ausrede verlegen. "Papperlapapp. Ja und? Der Tag ist heiß, die Nacht sehr kalt, auch das schafft eine Straße. In Argentinien, wo wir waren, dort regnet es sehr wohl, es schneit sogar, und der ganze Schwerlastverkehr rollt auf der einen Straße. Hast Du dort Schlaglöcher gesehen? Wenn es irgendwo regnet, dann muß man eben regenfeste Straßen bauen und nicht wie Ihr Euch das so vorstellt, daß man die Rechnung ausstellt für erstklassigen Belag, das Geld kassiert und einen fünftklassigen Belag klauft und den auch noch mit Hundescheiße streckt. 20% für den Straßenbau, 80% ins eigene Säckel. Und was macht der Herr Politiker mit den abgezweigten Milliönchen? Er kauft sich einen Ferrari und stellt ihn in Brasilien in die Garage, damit er von sich sagen kann, daß er einen Ferrari besitzt, denn fahren kann er damit nicht - wo denn auch? Das ist einfach eine Proletennation und die, die die Zeche letztendlich bezahlen und den Verbrechern die Porsches finanzieren, also Leute wie Du, mein Freund, sind auch noch genau die Leute, die vor Nationalstolz kaum mehr aufrecht gehen können. Brasilien! Einen dicken Haufen sollen Elephanten drauf setzen und Du solltest das auch tun, denn frag mal nach, ob ein Color oder ein Nicolau dos Santos Neto besonders Stolz auf Brasilien sind. Die haben alle ihre Apartements in Miami ihre Ferienwohnungen in Europa und die schönen Autos in der Garage mit denen sie dort auch fahren können. Wollen von Brasilien nichts wissen, außer vielleicht, wie sie noch ein paar Milliönchen auf die Seite schaffen können und lachen sich, wenn sie cool sind, noch über Euch kaputt. Ich weiß gar nicht, was ihr alle wie so stolze Gockel auf das Kackland einbildet. Was kannst Du von Brasilien erwarten, wenn Du einmal nicht mehr für Dich sorgen kannst? Was gibt es Dir? Falls Du wegrationalisiert wirst, Arbeit verlierst oder einen Unfall erleidest, nicht mehr arbeiten kannst, was dann?

Ein Bergungsversuch, nur Augenblicke bevor die Kette mit lautem Knallen und Klirren riß.

Entweder Du sorgst vor, oder Du hast Pech gehabt. Das heißt neben den 30 Prozent Deines Gehaltes, daß Du dem Staat gibst, der Dir davon selbstredend nicht einen Pfennig an Gegenwert liefert, kannst Du nochmal 30 Prozent dafür aufwenden, sicherzugehen, daß für Dich gesorgt ist, wenn Du das selbst nicht mehr tun kannst und von den 40 Prozent die übrig bleiben kannst Du Deine Miete, Deinen Fraß und Deine Raten abzahlen für alles mögliche, weil alles nur auf Pump lebt. Das nennt man von der Hand in den Mund leben und das ist die einzige Sicherheit, die Dir Brasilien bietet. Und selbst wenn Du ein bißchen was auf die Seite schaffen kannst, dann kannst Du gleichzeitig davon ausgehen, daß es Dir einer wegnimmt - entweder der Staat oder einer mit der Knarre. Und Du bist dann froh, noch am Leben zu sein. Schön, tolles Land, da kann man wirklich stolz sein, immerhin hat es die beste Konzerthalle der Welt... und natürlich eine tolle Fußballmannschaft - die sind übrigens vor der Kamera auch sehr stolz auf Brasilien aber sie leben doch drüben in Europa und wenn sie in Brasilien leben, dann sicher nicht in dem Brasilien, das wir kennen. Und sie fahren natürlich mindestens ein deutsches Auto, ist ja klar. Schau Dir das Land hier mal an. hast Du irgendwo gelesen, Chile sei die Nummer eins? Wenn es so ist, braucht man es nicht betonen, und wenn nicht, dann wird es dadurch nicht besser, daß man noch so stolz drauf ist - im Gegenteil."
Er unterbrach mich nicht bei meinem Sermon und stimmte mir weitgehend zu, aber es sei sein Land. "Gut, das wird es auch bleiben, der Mensch ist von Natur aus mit der Scholle verbunden und liebt seine Heimat, in der er großgeworden ist. Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. In unserer Familie ist es nicht anders, obwohl wir Kinder weniger verwurzelt waren, uns während der Kindheit und frühen Jugend nie in einem der beiden Länder in denen wir lebten verwurzeln konnten. Aber wenn etwas Scheiße ist, dann ist es das, egal ob es mein Land ist, oder Deines oder das vom Papst, das tut nichts zur Sache. Mit Samba und Fußball allein kann man nun mal nichts besser machen." Ob ich denn glaube, Deutschland sei besser als Brasilien. "Das hat doch damit nichts zu tun. Es gibt viele Sachen, die in Deutschland besser sind, bestimmt genausoviele, die in Brasilien besser sind. Ich kann mir das heraussuchen, was für mich besser ist. Vielleicht komme ich zu dem Schluß, daß Equador unterm Strich für mich das beste sei, wer weiß. Es geht nicht darum, welches Land an sich besser ist, sondern es geht um die persönlichen Vorteile. Wenn ich der Ansicht wäre, daß Deutschland das Nonplusultra sei, dann hätte ich es wohl kaum verlassen. Am einfachsten wäre es für mich natürlich gewesen, einfach dort zu bleiben, aber ich hatte die Gelegenheit, mir ein paar andere Länder anzusehen und ich hab diese Gelegenheit wahrgenommen, obwohl man auch das in vielerlei Hinsicht besser hätte machen können, als ich es tat und tue. Und meiner Ansicht nach ist es genau falsch, durch die Gegend zu fahren und zu erwarten, daß alles so läuft wie daheim." Das hörte sich wohl an, wie ein Vorwurf, denn er betonte vehement, daß er das gar nicht täte. "Nein, tust Du auch nicht, hab ich nicht gesagt. Ich habe das früher getan, habe ich erst lernen müssen, daß man im Senegal oder in Brasilien eben fünf Stunden aufwenden muß für Sachen, die daheim in einer Minute gehen. Dafür gibt es andere Sachen, die funktionieren dort irgendwie, oft mehr schlecht als recht, doch daheim funktionieren sie überhaupt nicht.
Man muß sich einfach von der nationalen Betrachtungsweise lösen. Das kommt über kurz oder lang von selbst. Je länger man von daheim wegbleibt, desto mehr und mehr verdrängt und vergißt man, wie es dort war und lernt mit den neuen Gegebenheiten klarzukommen oder man scheitert eben und geht freiwillig zurück - oft genug, nur um herauszufinden, daß auch dort nicht mehr alles so ist, wie es einmal war. Man kann nur an sich selbst arbeiten, man kann seine Umwelt nicht oder nur schwer verändern. Aber brauchst nicht traurig sein. Die Schlaglöcher kommen früh genug zurück. In Hülle und Fülle."

Wir ziehen unsere Straßen mit ruhigem Dieseltakt...

Ich war immer wieder überrascht, daß er von der Landschft so überwältigt war. In den Anden, da wäre er beinahe an einem Herzinfarkt gestorben, wozu sicher auch die 3.500 Höhenmeter einiges beigetragen haben. Aber auch in der Wüste kam er selten aus dem Staunen. Immerhin hat er gemerkt, daß Brasilien nicht der Mittelpunkt der Welt ist und ich konnte im klarmachen, daß Brasilien trotz seiner Größe ein Land ist, das auch vom landschaftlichen Standpunkt her gesehen relativ wenig Vielfalt bietet. Im Prinzip kann man sagen, daß es einfach grün ist. Im Nordwesten sehr grün, im Nordosten sehr wenig grün und im Süden normalgrün. Das war's. Hält man das viel kleinere Argentinien dagegen, dann bekommt man eine Ahnung davon, was Vielfält in Bezug auf Landschaft bedeutet.

Catarina kramte irgendwas Namens Pica aus dem Reiseführer. Ob wir denn da hinfahren könnten. Nachdem es eh schon egal war willigte ich ein. Wir kamen um 15:25 Uhr an eine Kreuzung. Links ging es nach Iquique, rechts nach Pica. Auf einer schmalen aber asphaltierten Straße fuhren wir dahin. Wir fuhren nach Pica, nur um festzustellen, daß es dort nichts Besonderes zu sehen gab. Es war sowas, wie eine kleine Oase, ein grüner Fleck mitten in der Wüste. Mag sein, daß ich viel zu sehr auf die Maschine fixiert bin, aber ich fand daran nichts Besonderes, aber für Catarina wieder ein Grund auszuflippen. "Do Caralho!!!", schrie er immer und immer wieder, stieg aus, hüpfte durch den Sand und freute sich wie ein Schneekönig. "Wart nur, bis wir in Iquique sind."

Pica voraus
Pica voraus. Ein grüner Fleck mitten in der Wüste.

Wir fuhren in das Dorf hinein und ich parkte vor dem Rathaus, Catarina sprang in dem Dorf umher, ich wartete im Auto. Dann ging es die ganze Strecke wieder zurück. Mehr oder weniger sinnloser Ausflug, allerdings muß es einfach sein. Man will ja nicht rasen, sondern eigentlich reisen. Aber das Flugzeug wird nicht ein paar Tage Verspätung haben, wenn, dann nur ein paar Stunden. Mich regte diese Geschichte mit dem Computer auf und ich fluchte die ganze Fahrt wie ein Landsknecht auf meine Schwester. Wie kann man nur so blöd sein?
"Verdammt nochmal! Die schönsten Geräte in den Rohren. Stück für Zweihundert Dollar. Aber keinen Computer. Alles, was wir brauchen ist für fünfzig Cent ein alter Computer."
"Was hast Du da gerade gebellt? Alter, die Sparche hört sich so aggressiv an, ich frage mich, wie das werden soll, wenn hier im Auto noch so eine Kreatur hockt, die am Rauchen und am Deutschreden ist... Kann ich mir sowieso nicht vorstellen, daß bei Euch in Deutschland die Frauen auch Deutsch reden. Wenn ich mir da so eine Blondine vorstelle, perfekte Figur und sie macht den Mund auf und redet so wie Du gerade, dann muß doch jeder normale Mensch das Weite suchen."
"Ach, was. Weißt Du, wie wir in Deutschland hübsche Frauen nennen?"
"Wie denn?"
"Touristen..."
"Aber mal ohne Witz, ich kann mir nichts unerotischeres vorstellen, als eine Frau, die Deutsch spricht." Ist was wahres dran. Das knorrige Soldatendeutsch, es hat einfach was. Wenn man sich andererseits diese Bleisoldaten in Brasilien ansieht, wie sie sich da auf portugiesisch Kommandos zuzuzuzeln versuchen, das würde jedem anständigen Deutschen die Schamesröte ins Gesicht treiben, klingt eher erheiternd. Es gibt nun mal maskuline und feminine Sprachen. Deutsch, Spanisch, Russisch, beispielsweise, zählen zu den ersteren, Portugiesisch, Französisch, Schwedisch oder Norwegisch zu letzteren. Ich denke, es dürfte wohl an den Rachenlauten liegen. Englisch ist in jeder Beziehung ein Bastard, vom charakter her eher weiblich, weil glitschig wie ein kalter Fisch.
"Siehste? Und ich kann mir nichts schwuleres vorstellen, als ein Mann, der Portugiesisch redet... Das ist die ausgleichende Gerechtigkeit. Deswegen hat wahrscheinlich mein Vater eine Brasilianerin geheiratet..."
"Von wegen schwul... Depp."
"Ja, schwul. Schwuchtel. Schau lieber nach, wo es lang geht, sonst verfahren wir uns."
"Du... also... Du erzählst mir was von schwul, Du Tunte. Hast Du, seit wir die PanAm verlassen haben eine einzige Kreuzung gesehen? Also, wenn die Straße fehlt sind wir verkehrt und wenn Du es schaffst, einfach nur auf der Straße zu bleiben, dann kann nichts schief gehen... Bei der nächsten Kreuzung einfach gradeaus drüber und dann sind wir bald in Iquique."
Wir fuhren durch ein kleines Dorf. Nur ein paar Häuser links und rechts der Straße. Keine Seitenstraßen, keine Läden, keine Tankstelle. Es lag da, wie ausgestorben, nur an einem Schild saß ein Mensch und spielte auf einer roten E-Gitarre. Natürlich ohne Strom, denn der nächste Strom war in Iquique zu finden. "Dreh um", sagte Cat.
"Was?"
"Dreh um, Du Affe, ich muß von dem Typen ein Bild machen."
"Kennst Du den?"
"Halt's Maul jetzt und dreh um, woher soll ich den kennen? Aber ich brauch ein Bild, der Typ ist noch bescheuerter als Du. Hockt da in der prallen Sonne und spielt auf einer nicht angeschlossenen E-Gitarre."

Show must go on...

Wir stiegen aus und Catarina versuchte, ihn auf Portugiesisch zu fragen, ob er denn ein Bild machen dürfe. Foto hat er verstanden und meinte "Natürlich". Ich fragte ihn dann, ob das alle Einwohner des Dorfes so machen, oder ob es einen bestimmten Grund gibt, warum er um die Uhrzeit an der Straße hockt, an der sicher außer uns niemand vorbeikommen würde in den nächsten Tagen. "Doch, da gibt es einen Bus und auf den warte ich." "Einen Bus? Hier?" Interessant. Es gibt also noch mehr Verrückte hier draußen.
"Leider können wir Dich nicht mitnehmen, weil die Rückbank voller Mist ist."
"Paßt schon, der Bus muß ja irgendwann kommen."
"Wie meinst Du irgendwann?"
"Der kommt schon irgendwann heute noch vorbei, je nachdem, ob früher oder später." Logisch, eigentlich, hätte ich mir ja selbst denken können. Wenn er nicht früher kommt, dann kommt er eben später und natürlich gilt das auch für den umgekehrten Fall. Ihn schien das überhaupt nicht im geringsten zu stören. Er saß da und klimperte seine fröhliche Melodie, deren Töne nur er selbst hören konnte. Als wir weiterfuhren winkte er uns noch fröhlich zu. Schön, einen Leut zu treffen, der mal keine Sorgen hat. Selten, heutzutage. Wir fuhren wieder. Nach einer Weile merkte ich, daß wir in die verkehrte Richtung fuhren, sagte aber nichts. Ich sah hinüber zu Catarina. Er ärgerte sich, daß er keine DigitalCamera in Paraguay gekauft hatte. Ich antwortete mal nicht, sah ihn nur an. Er sah mich an und mein Blick schien ihn irgendwie zu irritieren. "Was ist, was schaust so blöd?" Er stand auf der Leitung. Ich sah ihn an, dann wieder auf die Straße, dann wieder ihn. Dann bremste ich und machte eine 180°-Wendung. Er langt sich an den Kopf. "Mein Gott, wir sind doch aber auch beide Vollidioten..." Wieder passierten wir den Gitarrenspieler. Saß immer noch da.
Wir fuhren wieder durch die Wüste den ganzen Weg zurück und kamen dann um halb Sieben (742.302 km) in Iquique an. Catarina konnte sich nicht einkriegen. "Wo kommt jetzt das Lichtermeer her? Den ganzen Tag fährt man durch Sand und Steine und dann sowas. Faszinierend..." Ich wendete ein: "Was sollen wir überhaupt da? Wir müssen weiter..." Irgendwie mußte ein Gleichgewicht sein, und dafür war gesorgt. Er war bemüht, die Geschwindigkeit herabzusetzen, ich wollte sie möglichst hoch halten. Er wußte, daß wir beide gute Gründe hatten für unsere Standpunkte. Auch er wollte möglichst mit über den Darién. Das würde der schwierigste Teil der Reise werden. Er hatte nur begrenzt Zeit, so mußten wir uns auch in seinem Interesse sputen. Andererseits wollten wir beide reisen, was eben möglichst langsam vor sich gehen sollte. Er widersprach natürlich, um die Tradition aufrechzuerhalten, nach der wir beide uns ständig widersprechen mußten. "Ach, stell Dich nicht so an, wo ist denn das Problem, wenn die eine oder zwei Nächte im Hotel bleiben muß?" Dennoch hatte ich nie das Gefühl, etwas widerwillen zu tun. Das gehört so, unter Männern. Getrennt marschieren, vereint schlagen. Vor dem Supermarkt setzten wir dann die Diskussion fort. Immer noch war unklar, ob es heute abend noch weitergehensollte oder nicht. "Alter... Das geht schief. Wir können noch 200 km schaffen. Schau mal auf die Karte, Lima ist noch ewig weit weg, es sind noch 1700 km und wir haben effektiv noch drei Tage - und einen Grenzübergang, nicht zu vergessen."
Vor dem Supermarkt in Iquique"Schau mal, es ist Nacht, wir schaffen Tagsüber mehr Kilometer als bei der Nacht. Was wir heute vielleicht schaffen, das zahlen wir morgen mit Zinsen zurück, weil Du mußt dann länger schlafen und es geht Tageslicht verloren. Abgesehen davon leidet auch der Schlaf darunter, denn jetzt ist es noch kühl, aber morgen in der Früh ist es heiß und Du setzt Dich unausgeschlafen ans Steuer..."
"Aber dann fahren wir morgen früh los, nicht erst Mittags", schärfte ich ihm ein.
"Ja, klar!", erklärte er im Brustton der Überzeugung.
"Jaja... kenn ich schon. Dann wird's doch wieder neune..."
"Und an wem liegt das?", regte er sich wieder auf, "Du Schwuchtel? Ich penn vielleicht bis Mittags, aber auf diesem Sitz hier, dabei fährt das Auto, wenn Du Schlafmütze pennst, dann kommen wir nicht vom Fleck... Ich darf ja diesen Dreck hier ja nicht fahren. Klar, sowas wie heute darf natürlich nicht mehr passieren in den nächsten zwei Tagen, aber wir haben heute auch gewaltig getrödelt, erst waren wir bei den LKW-Fahrern und haben stundenlang geschwätzt, dann der Ausflug nach Pica."
"Alles Deine Schnapsideen..."
"Ja, aber war es schlecht?" Er hatte Recht. "Nein", gestand ich ein, "war geil".
"Eben, denn genau das ist es, was das Reisen ausmacht, und nicht von Punkt A zu Punkt B hetzen, denn wenn Du am Ende den Strich ziehst, dann ist das Schönste am Reisen das Unterwegssein. Und außerdem ist in der Wüste draußen kein Casino." Aus dieser Ecke wehte also der Wind...

Goethe drückte seine Worte einst so aus: "Man reist nicht, um anzukommen, sondern um unterwegs zu sein." Und den hatte er unwissentlich mehr oder weniger zitiert. Wie ich es von Peter Kohle gelernt hatte, braucht man in Situationen, in denen entschieden werden muß, eine Fragestellung, die die Entscheidungfindung erleichtert. Er fragte sich damals, als er vor der Entscheidung stand, ob das Auto die Sahara auf dem Zugwagon oder auf den eigenen vier Rädern durchkreuzen sollte: "Wem vertrauen wir mehr? Mercedes-Benz oder der mauretanischen Eisenbahn? Die antwort lautete: Selber fahren." Und ich fragte mich in dieser Situation folgendes: Goethe war ein Mann von säkularer Größe. Ich bin ein dummer Schreiner. Wer hat Recht? Ergebnis: Wir blieben in Iquique. So einfach geht das.

"Was sind wir heute gefahren?", fragte er mich, "so zwei, dreihundert Kilometer?" Ich sah auf den Tacho, machte die Rechnung und sagte dann: "651 Kilometer..." Er sah mich erschrocken an. "Sechseinhalbhundert Kilometer. Und das, obwohl wir nur getrödelt haben. Du Vierbeiner, und da schreist Du jetzt schon, wir schaffen es nicht... Dich soll doch wirklich ein LKW überfahren, Du bist ein Pferd. 1700 km, das sind 850 am Tag. Wieso sollen wir das nicht schaffen?"
"OK. Machen wir es so: Schaffen wir es nicht, dann zahlst Du die Unkosten in Peru bis nach Lima." "Gut", sagt er, "aber was, wenn wir es schaffen?" "Dann teilen wir sie durch zwei, wie gewohnt. Ich will schließlich weiterfahren, aber Du läßt mich nicht."
"Alles Unfug, wirst sehen, ich geh heut abend ins Casino, gewinn ein paar Millionen und dann brauchst Du die Alte nicht mehr, dann kündige ich und wir fahren bis Alaska. Sieht sie wenigstens gut aus? Ich meine... sie ist doch Touristin." Ich lachte. "Ja. deutsche Touristin, aber nicht Touristin in Deutschland. Das wird eh noch ein Spaß, wenn die da ist, Du mit Deiner Planlosigkeit und sie mit ihrem deutschen Zeitplan. Da werd ich was zu tun haben. Außerdem ist sie nicht besonders umgänglich." Chancen rechnete ich mir allerdings dadurch aus, daß sie kein Wort Portugiesisch und er kein Wort Deutsch konnte. So dachte ich, etwaige Konflikte elegant im Nirwana verschwinden lassen zu können.

Wir gingen noch in ein Internetafé, um die Bilder auf Diskette zu laden. Das dauerte heute nicht sehr lange, denn es waren nicht viele Bilder auf der Kamera.
Kurz vor Mitternacht tankten wir dann noch in Iquique voll, um das nicht am nächsten Tag machen zu müssen. (53,95 l / 742.319 km) Dann suchten wir uns dort einen guten Nachtplatz am Meer, allerdings nicht zu weit außerhalb der Stadt. Catarina wollte schließlich ins Casino. Wir fanden neben einem geschlossenen Lokal genau am Strand ein Plätzchen, an dem wir unter freiem Himmel das Auto abparkten. Und während ich es mir auf den Blechen bequem machte und im Rauschen der Brandung einschlief, stapfte Cat los, um wahrscheinlich wieder zig Dollar zu verlieren.

Sonntag, 4. August 2002
Mitten in der Nacht kommt er, weckt mich aus und meint (wörtlich übersetzt): "Nutte, Mensch... Verloren", schaut hinaus aufs dunkle, weite Meer und schüttelt den Kopf. "Dazu hättest mich nicht wecken müssen, das wußte ich schon, bevor Du losgegangen bist." Er richtete sich zum Schlafen her auf dem Beifahrersitz. Als er fertig war, klopfte ich mit dem rechten Arm an mein Fahrerfenster, spürte, wie er sich mühsam rüberwälst und aufkurbelt. "Was gibt's?", fragte er. "Ich hab noch vergessen, zu sagen, daß Du ein Volldepp bist." "Ah, OK. Sonst noch was?" "Nein, das war's..." Er kurbelt das Fenster zu, murmelt irgendwas von wegen "Besoffen, oder was?", was durch seinen Tijucas-Dialekt besonders entsetzt erklinget, und wälzt sich wieder zurück auf seinen zurückgekurbelten Sitz.

Als kaum der Morgen dämmerte, da lief der Diesel schon warm und ich packte mein Zeug zusammen, machte meine Notizen, warf das GPS an. "Auf geht's, Franzos', Faulpelz, aufsteh'n. Und räum die Salatkisten von meinem Steuerstand", fegte ich ihn an, wobei schon von vornherein klar war, daß er nicht weiß, worum es geht.
"Halt's Maul, Du Psychopath, es ist mitten in der Nacht. Und welche Salatkisten, überhaupt, Du Narr?"
"Na, los, keine Müdigkeit vorschützen, auf geht's. Es ist schon halb Sieben. Hopphopp. Das Zeug da weg, aber schnell!", und zeigte auf sein Koppelzeug, das er auf dem Fahrersitz abgelegt hatte. Los ging es. "Lots' mich hier raus, ich hab keine Ahnung, wo wir sind, auf der PanAm kannst weiterpennen..." Er hieß mich links fahren. Ich folgte seinen Anweisungen, aber irgendwie kamen wir von der Küste nicht wirklich weg. Wenn wir immer auf die Berge zuhielten, dann mußten wir irgendwann auf die Zubringerstraße kommen, die von der PanAm wegführt und in Iquique mündet. Es handelt sich um eine Stichstraße, also gibt es nur eine. Kann doch wohl nicht so schwer sein. Nach einer Weile wurde es mir aber zu blöd. "Dreckskaff, wieso könen die Trottel ihren Misthaufen nicht beschildern? Jetzt reichts." Es war noch früh und es gab keinen Verkehr. Ich fuhr einfach nach dem GPS, genau auf der Linie, auf der wir hergekommen waren. "He, Du Teufelskreatur, das ist eine Einbahnstraße..." "Doch mir egal, ich will hier raus und wenn es die einem schwer machen, dann muß ich es eben einfach halten. Außerdem ist außer uns kein Mensch auf der Straße am Sonntagmorgen. Alles tot." Wir kamen auf den Zubringer und schon ging es den Berg hinan. "Was ist den da vorne los?", fragte Catarina und zeigte auf ein grell blinkendes, rotes Lichtermeer, das von einer ziemlich schräg aussehenden Fahrzeugansammlung stammte.

Was da genau los war, wußten wohl nur die Beteiligten und der Teufel. Wahrscheinlich ist einer die Klippen runtergestürzt wie ein Propeller. Falls das so war, hat's ihn 500 oder 700 Meter weiter unten förmlich "derbatzt" .

Die Eintragung im FTB lautete: 07.07 Heraußen aus fucking Iquique (742.350). Ich muß wohl etwas in Rage gewesen sein. Kommt vor. Ziemlich oft, sogar. Ich kann mich noch erinnern, als ich einmal in Nürnberg, als ich noch jung und voller Energie war, mich wegen mangelhafter Beschilderung stundenlang verirrt hatte, weil die Sozis natürlich an einer T-Kreuzung, zur der sie einen von der Autobahn in die Stadt lotsen, nur Weißenburg anschreiben, nicht aber Augsburg. Ich wählte die rechte Richtung und stand nach Stunden, immer den Schildern nach Augsburg folgend wieder am selben Schild. Da packte mich die blanke Raserei, holte die Brechstange aus dem Kofferraum und verwandelte einen dieser schwarz-weißen Markierungsposten in einen Haufen Plastikspäne. Das Schild hing zu hoch, ansonsten hätte das dran glauben müssen.
Hier waren keine Markierungspfosten und erstrecht keine Schilder, also ließ ich die Brechstange stecken. Fast eine Stunde dauerte es, nämlich bis um 7:55 Uhr, bis wir wieder an der Kreuzung und damit wieder an der Panamericana waren (742.395 km). 45 Kilometer in anderthalb Stunden. "Und Du Depp wolltest gestern noch zwei Stunden fahren. Wir wären bis hierher gekommen, vielleicht ein bißchen weiter...", lachte mich Cat aus. "Schnauze, Du Depp! Schlaf."

Aber als wir auf der PanAm waren ging es zügig weiter. Ich konnte gleich anknüpfen: "In Arica haben wir uns letztes Jahr um 30 Kilometer verfahren, auch nur, weil die Chilesen zu blöd sind, Schilder aufzustellen. Wir kommen an einen Kreisverkehr und da müssen wir bei 270 raus. Kannst Du Dir das merken, oder soll ich Dir ein Bild malen?"
"Wenn Du's weißt, dann mach's halt einfach, was erzählst denn für Geschichten?" Hm. Stimmt, da hatte er recht, irgendwie. Aber Hauptsache ist, die Luft scheppert.

Um 11:30 Uhr kamen wir in Arica an (742.656 km), das ging relativ zügig. Wir kamen an besagtem Kreisverkehr an. Alle möglichen Schilder, auf denen alles stand, nur nicht, wo es zur Grenze geht. Einen Kilometer vor dem Kreisverkehr steht groß auf einem Schild, das quer über der ganzen Straße hängt: "Estacion Fronteriza", dann kommt man an einen Kreisverkehr, der in drei verschiedene Richtungen geht. Der Grundsatz "So lange nichts dasteht immer geradeausfahren"greift hier nicht, denn geradeaus geht es nach Bolivien, rechts auch. Man muß hier links. Ich drehte extra nochmal eine Ehrenrunde, nur um sicherzugehen, daß da kein Schild ist. Es war eines da, und zwar an der denkbar idiotischsten Stelle, nämlich genau nachdem man fast eine ganze Drehung vollzogen hat, an der Abfahrt zu der Straße, auf der man in den Kreischverkehr hineinfuhr. Und auf dem Schild steht ein Pfeil, der nach links, genau in den Kreisverkehr hineinzeigt. Großartig. Hat man das Schild passiert, dann darf man drei mal raten, was mit dem Schild gemeint sein könnte. Vollkommen bescheuert. Doch wir fanden diesmal den Weg an die Grenze ohne uns zu verfahren. Wenn man es einmal gemacht hat, dann regt man sich so sehr drüber auf, daß es einem an der gleichen Stelle nicht mehr passiert.

Es ging über 17 Kilometer steil Bergab. Ich konnte nicht widerstehen und mußte ein paar Steinsbrocken hinunterrollen lassen ins Tal. Die lösten teilweise richtige Steinlawinen aus.

Um zehn vor Zwölf standen wir an der Grenze (742.674 km). Auf chilesischer Seite lief eigentlich alles glatt, bis ein Wächter mich fragte, ob ich denn einen dieser Zettel beim Taxifahrer gekauft hätte. Ich sah Catarina an und meinte "Ach, Gott, der Dreck schon wieder?", dann zum Zöllner: "Entschuldigung?" Er erklärte: "Den Zettel, den Sie für die Einreise in Peru brauchen, den müssen Sie beim Taxifahrer kaufen." Ich hatte keinen Bock auf Spiränzchen, klappte das Visier hoch und sagte zu ihm, scharf und bestimmt: "Sie, Herr, ich bin hier, um aus Chile auszureisen, ich habe keinen Zettel und ich werde auch sicher keinen kaufen, und schon gar nicht beim Taxifahrer. Was ist denn das hier für ein Land, in dem man von Beamten aufgefordert wird, irgendwelche angeblich notwendigen Zettel bei Taxifahrern zu kaufen? Geben Sie mir meinen Ausreisestempel, denn das ist ihr Job, und wenn ich ein Papier ausfüllen muß, dann geben Sie mir das Papier umsonst und nicht irgendein Taxifahrer, der dafür noch Geld will. Verstanden?"
"Was hast Du dem jetzt alles gesagt?", wollte Catarina wissen. "Ach, die glauben, ich geh jetzt zum Taxifahrer und kauf einen Zettel, den wir ausfüllen müssen." Er nickte und sagte "Ich dachte, ich hätte mich verhört, als er das gesagt hatte. Aber ich hab's doch richtig verstanden. Dieser Kontinent ist doch so im Arsch..." Nach ein paar Minuten kam der Grenzer wieder mit zwei Zettel für jeden zurück, die wir ausfüllen mußten. Jeweils einer blieb da, den anderen nahmen wir mit über die Grenze nach Peru.

Die chilenische Grenzanlage.

An dieser Grenze standen wir auch schon im letzten Jahr, allerdings nachts. Ich ging zum ersten Schlater und erldigte die Immigration. Die wollten Kopien haben und ich hatte diesmal meine eigenen Kopien dabei. Das einzige, was fehlte, war die Kopie des Einreisestempels, aber ich legte ihnen einfach die Kopie des letztjährigen Stempels vor. Keiner hat es je angeschaut, es ist nur so eine Masche, damit die Tante im sogenannten Copy-Shop, ein Bretterverschlag, in dem ein altersschwacher Kopierer steht, ein paar Münzen verdient.
An mir hatte sie jedenfalls noch keinen Pfennig erwirtschaftet, im letzten Jahr sogar noch Verlust gemacht. Sie schrieben den Aufkleber für das Auto und klebten ihn anstelle des peruanischen Zollaufklebers des letzten Jahres. Dann sollte ich noch in eine andere Abteilung mit irgendwelchen Papieren, irgendwas Sinnloses erledigen. Ich sagte zum Beamten "Ja" und zu Catarina "Ach, komm, lassen wir den Dreck, fällt eh keinem auf", wir stiegen ein und fuhren los. Doch wir kamen nicht weit, denn am Ausgang mußten wir den Zettel vorzeigen und darauf fehlte ein Stempel eines dritten Gebäudes. "Verdammt nochmal... Es ist doch alles erledigt, Zoll, Immigration, was denn noch?" Der dritte Stempel fehlte. Ich fuhr wieder zurück und als ich ausstieg merkte ich, daß sie den Aufkleber falsch beschriftet hatten. Eigentlich ist mir das ja wurscht, aber damit ist Ärger vorprogrammiert. Wenn auf dem Aufkleber A-AA 679 steht, auf dem Kennzeichen und den Papieren aber A-AA 697, dann haben sie gleich wieder einen Grund, sich wichtigzumachen und Geld einzufordern. Ich nahm ihn ab und ging damit wieder hinein. Da fiel mir ein, daß ich im Jahr zuvor den Aufkleber von der Scheibe wieder abnahm, weil sie ihn mir in mein Sichtfeld geklebt hatten und Gabi sofort lautstark Protest erhob. "Jetzt laß den Aufkleber da dran, die werden schon ihre Gründe gehabt haben, warum sie ihn da hinmachen und nicht woanders." Ich sagte damals nichts, dachte mir nur: "Der Grund liegt wohl darin, daß sie gerade ihre Schablone für 123er Mercedesse nicht finden können..." Naja, noch war es nicht soweit. Ich ging mit dem Aufkleber hinein und bat um einen neuen, weil der alte falsch geschrieben sei. Der Zuständige war in der Mittagspause. "OK, dann erledige ich derweil den anderen Papierkram..." Ich ging hinüber an das andere Gebäude. Es lungerten Geldwechsler umher. Einer kam zu mir, fragte mich, ob ich wechseln wollte. Als die anderen das sahen, kamen sie auch heran. Ich fragte nach dem Kurs. Der war bei allen gleich. Dann ging ich weiter, fragte einen anderen, wie bei ihm der Kurs sei. Er war ein wenig besser. "OK, ich mach mein Papier und komm danach vorbei. Lauf nicht weg."

Chile zwischen Iquique und Arica
Über den Wolken, muß die Freiheit wohl grenzenlos sein.

Ich ging in die Schalterhalle und füllte einen dummen Bogen aus, gab ihn zurück und bat darum, meinen Taxifahrerzettel abzustempeln. Das taten sie. Als ich gerade meine Scheine und Münzen zählte, um sie zu wechseln und den Wechsler heranpfiff, kam eine Rotzgöre und fragte nach Geld. "Hab keines." Sie griff nach meiner Hand, in der ich die Münzen hielt, ich zog die Hand zurück, da schlug sie nach meiner Hand. Ich hielt sie natürlich genau so hin, daß sie auf meine spitzen Knöchel traf. Dann holte sie mit der anderen Hand aus, aber in dem Augenblick hatte ich sie schon am Gesicht gepackt und zur Seite geschubst. Eine fette Schalterbeamtin sah mich böse an. "Was ist?", fuhr ich sich an, "Gibt es hier in Peru keine Schulen? Ich dachte, ich bin an einer Grenzstation, wußte nicht, daß das hier ein Kindergarten ist." Der Geldwechsler kam an und zischte dem lästigen Kind zu, es solle verschwinden, was es dann auch unverzüglich tat. Ich bin da immer noch zu sanftmütig. Ich wechselte das Geld, ging dann wieder zum anderen Schalter, um den Aufkleber abzuholen. Ausfüllen durfte ich ihn selber, so ist wenigstens sichergestellt, daß keine Fehler eingebaut werden.

Als ich erneut versuchte, auszubrechen, erklärte er mir, daß immer noch ein Stempel fehlte, nämlich der von der Lebensmittelinspektion. "Du fette Drecksau!", regte ich mich auf, "kannst Du mir das nicht vorher sagen?", natürlich in meiner Muttersprache, sonst gibt's Ärger, und immer mit freundlichem Gesicht, was ziemlich anstrengend war. Ich fuhr wieder zurück und forderte einen Fitosanitário an. Es kam einer der Beamten auf das Auto zu und fragte mich, ob der Gepäckträger bereits durchsucht worden sei. Überhaupt nicht sein Problem, der soll nach Lebensmitteln suchen. "Ich denke schon, viel zu durchsuchen gibt es ja nicht, liegt ja alles offen drauf..." Er sah sich alles noch mal an, fragte, was in den Kanistern wäre. "Leer", sagte ich, es würde eh keiner auf das Auto klettern und nachsehen, das tat noch nie einer. Und wenn, dann kann ich immer noch sagen, ich hätte es vergessen. "Die Kanister sind in Ordnung, aber die Bleche... naja, die lasse ich durchgehen. Nur die Reifen, die sind verboten." Der hat mir gerade noch gefehlt. "So? Verboten? Was soll ich jetzt machen?" Blöde Frage, zahlen, natürlich. "Die müssen sie getrennt einführen und verzollen", erklärte er mir. "Ist kein Problem, ich will sie gar nicht einführen. Schenk ich ihnen. Wo soll ich sie hinlegen?" "Nein, sie können die Reifen nicht hierlassen, sie müssen Zoll dafür zahlen." Bloß keine afrikanischen Diskussionen mehr. Ist zwar immer witzig, aber wir mußten weiter. Aber um einen dieser sinnlosen Dialoge kam ich trotzdem nicht.
"Also: Spielregel Nummer eins: Ich zahle grundsätzlich nicht, so lange ich nichts falsch mache. Wie kommt das, daß das letztes Jahr nicht verboten war? Ich bin genau so hier eingereist. Hat keinen gestört. Wieso geht es jetzt nicht mehr?"
"Nun, das Gesetz hat sich geändert."
"So. Können Sie mir das Gesetz zeigen?"
"Das hab ich doch nicht da. Wie soll ich es ihnen denn zeigen? Überlegen Sie doch mal..."
"Nun, wenn Sie es nicht da haben, woher wissen Sie überhaupt, daß es sich geändert hat? Kommt hier ein Regierungsbeamter vorbei und sagt, daß ab jetzt alle Reifen auf Gepäckträgern von Mercedessen versteuert werden müssen? Es muß doch irgendwo geschrieben stehen. Überlegen Sie doch mal! Ich hab in keinem anderen Land so viel Papier ausfüllen müssen, wie in Peru, und sie wollen mir erzählen, daß so ein Gesetz nicht schriftlich irgendwo zu lesen steht? Wenn sie das Papier nicht dahaben, dann kann es ja genauso gut sein, daß Sie das Gesetz gerade eben erfunden haben. Das ist ihr Privatvergnügen, hat mit mir nichts zu tun, mit meinen Reifen schon gar nicht." Ich sah hinter ihm seinen Vorgesetzten vorbeilaufen und schrie zu ihm herüber: "Sie, entschuldigung, ihrem Kollegen paßt mein Gepäckträger nicht. Ich habe hier im letzten Jahr diese Grenze passiert, wie sie am alten Aufkleber für die Scheibe sehen können. Damals haben die Reifen niemanden gestört, jetzt sind sie verboten. Sie selbst haben mich letztes Jahr abgefertigt. Erinnern Sie sich vielleicht? Es war um die selbe Jahreszeit und zwar bei der Nacht." Er konnte sich nicht erinnern. Ich konnte mich an ihn natürlich auch nicht an ihn erinnern, aber das weiß er ja nicht. Die beiden unterhielten sich und waren sich einig, daß die Reifen verboten seien. "Gut, kein Problem, ich hab das Affentheater hier in Peru sowieso jetzt schon satt bevor ich überhaupt im Land war. Meine Papiere, sofort!, ich fahr zurück nach Chile, da brauch ich abgefahrene Reifen nicht zu verzollen... und vor allem brauch ich dort nicht fünfhundert sinnlose Stempel." Er gab nach meinte, ich solle mich beruhigen, machte einen Stempel in den Zettel und meinte, ich könne gehen. Er hatte wohl auch keinen Bock auf Affentheater. Schnell mal ein bißchen Trinkgeld abnehmen war OK, aber wenn man dafür ewig palavern muß, dann vergeht ihnen die Lust. "Einfach den Zettel vorzeigen dort vorne." Die Früchte hinter dem Sitz konnte er natürlich gar nicht finden, denn er hat ins Auto gar nicht hineingeschaut - natürlich nicht, denn das wäre ja seine Arbeit gewesen.
Ich fuhr wieder hin, hielt der fetten Sau den Zettel hin. Der meinte, da würde der Stempel von der Polizei fehlen. Ich stieg aus, riß ihm den Zettel aus der Hand und schrie ihn an: "Und was fehlt sonst noch?", ich stapfte zurück und fragte, wo die verdammte Polizei sei. "Ihr geht mir langsam auf die Nerven mit Eurer Mierda hier." Sie zeigte mir den Weg zur Polizei, ich ging hin und bat sie, einen Stempel hineinzumachen, was sie auch taten. Völlig planlos. Die hatten nichts durchsucht, nichts gefragt, sammelt dieser Idiot da vorne Stempel oder was? Warum soll ich zur Polizei, nur und ausschließlich um einen Zettel abstempeln zu lassen, den die fettgezogene Nachgeburt da vorn am Ausgang hinterher in den Mülleimer haut, wie es seine Mutter auch mit dem eigentlichen Kind gemacht hat. Ich ging zurück, gab ihm im vorbeigehen den Zettel, allerdings nicht in die mit eitrigen Wurstfingern bestückte Hand, sondern vor die Füße, stieg ins Auto und fuhr los. Ich war schon wieder auf 180 und Catarina, der die ganze Zeit in der Prallen Wüstensonne stand, auch. Die FTB-Eintragung lautete im Originalton: "12.40 Ende der Grenzprocedur - Scheiß Peruaner!"

Weg hier. Die übertreffen ja glatt die erste Einreise in Brasilien. Schon nach einigen Kilometern war die Wut wieder verflogen. Bei mir, aber nicht bei Cat. Was soll's. Wir waren drin und hatten erstmal Ruhe bis zur nächsten Grenze. Der Diesel dröhnt, Musik erklingt, die Welt ist wieder in Ordnung, die Grenze schon wieder halb vergessen. Noch ein wenig im Gespräch die Sache nachbearbeiten und alles ist wieder in Ordnung. Überhaupt regte mich nicht so sehr die Grenze auf, sondern eher der Zeitdruck unter den ich mich selbst brachte. Das war es, was mich leicht zum ausrasten brachte, was natürlich nicht gut ist. Solange man ruhig bleiben kann und einem alles egal ist, sollen sie noch zehn Stempel haben wollen, ohne, daß es Theater gibt. Almut würde auf dieser Fahrt einfach fehlen. Die kann das nicht haben, wenn man die Fassung verliert und strahlt meistens selbst Ruhe für ein ganzes Regiment aus.

Wir fuhren durch Täler und Hügel,
Wo nie eine Blüte noch stand.
Es hämmert' und rasselt' der Diesel
Und zwingt das verödete Land.

"Du", sagte Catarina, "und dieser Mist in Chile, das mit dem Taxizettel, mein ich. Das war nicht auf chilenischem, sondern auf peruanischem Mist gewachsen." Stimmte genau. Ich hasse Grenzen, die sind nur dazu da, um Ärger zu machen, zu sonst nichts. "Tja, bisher waren wir in den zivilisierten Ländern. Ab jetzt sind wir im richtigen Südamerika. Mach auch Du Dich als eingeborener Viertweltler auf einiges gefaßt..." Die Grenze nach Equador wird bestimmt ähnlich, jetzt wird die Sache wieder wie gewohnt, man muß sich ab und zu aufregen, auf den Tisch schlagen und ansonsten seinen Weg durch das System mit all seinen Lücken und Tücken, und Schikanen finden. Catarina war in dieser Beziehung ein völliger Neuling, das war das erste mal, daß er Brasilien überhaupt verließ. Und Gabi, die wir nun in den nächsten Tagen aufnehmen sollten, war bei weitem keine Almut. Hilfe war von ihrer Seite bei solchen Situationen nicht zu erwarten, im Gegenteil. Catarina hatte für solche Situationen schon ein Händchen, lebt ja in dieser Welt, klar, manchmal würde er sich etwas ungeschickt verhalten, aber er stört nicht. Das ist wichtig. Klar, eine Almut ist perfekt, die ist immer locker und gelassen und immer bemüht, mir den Weg so frei wie möglich zu machen, all die tausend Kleinigekeiten zu erledigen, die Pässe vorzubereiten, das Auto nach der Durchsuchung wieder startklar zu machen, alles möglichst so zu legen, daß ich nur die Papiere mache, und mich um sonst nichts kümmern muß. Wir sind mittlerweile so gut eingespielt, daß ich im entscheidenden Moment gar nicht zu befehlen brauche, sondern davon ausgehen kann, daß alles schon stimmt und zwar hundertprozentig stimmt. Ich kann das auch alles alleine bewältigen. Aber umso ärgerlicher ist es, wenn das Zusammenspiel zwischen Fahrer und Beifahrer nicht funktioniert. Doch es funktionierte, denn Catarina war in Ordnung, er hatte eine saubere Buchführung und war sehr am Grenzprozedere interessiert. Leider muß auch immer einer beim Auto bleiben.

Kurzer Halt in Tacna. Catarina mußte Geld holen.

Anderthalb Stunden, nachdem wir die Grenze passiert hatten, wurden wir durch Hütchen von der Straße heruntergeleitet. Der Grund dafür war eine Zollinspektion. Ich dachte erst, das Generve geht weiter, wie es aufgehört hatte, aber die wollten gar nichts wissen, überprüften nur die Fahrgestellnummer und das war's auch schon wieder. Wir blieben sogar noch eine Weile und unterhielten uns mit dem Zöllner. Das Kaff bei dem wir uns befanden hieß Tomasiri, wir waren seit der Grenze genau 74 Kilometer gefahren. Als es weiterging sagte ich noch zu Cat: "Das schaffen wir niemals, schau mal, es ist schon viertel Drei und wir haben noch keine hundert Kilometer zurückgelegt seit der Grenze". "Hör doch endlich mal auf zu jammern und gib stattdessen Gas. Ich versteh gar nicht, was das soll. Fällt sie sofort tot um, wenn wir nicht pünktlich da sind, oder was passiert dann? Wie lang bleibt die überhaupt?" Bis mitte Oktober. "Die hat also 10 Wochen Zeit, Du bist eh ein Gammler und hast hundert Jahre Zeit, wenn es hier jemand eilig haben sollte, dann bin das doch ich, oder seh ich das falsch?" Nein, eigentlich sah er es richtig. Aber ein Mann ein Wort, ich habe gesagt, ich würde da sein, um sie vom Flughafen abzuholen.

Obgleich wir uns in der Wüste befanden, wechselte die Landschaft ständig. Mal war sie flach wie ein Bügelbrett, dann ging es wieder auf und ab, durch Hügel und Berge, mal quälte sich der Daimler hinauf mit 60 km/h, dann sausten wir wieder mit hundert Sachen hinab. Ich wollte es nicht auf die Spitze treiben, denn die Gelenwelle war nur provisorisch instandgesetzt. Ich hatte bedenken, ob der Reifenschlauch die Umdrehungen bei 120 mitmachen würde. Wenn der wegplatzt, dann können wir unseren Terminplan gleich mit den Resten des Schlauches im hohen Bogen in die Wüste werfen.

Irgendwo in fremdem Land
Ziehen wir durch Stein und Sand
Fern von zuhaus' und vogelfrei
60 PS und ich bin dabei.

Auch das Wetter gestaltete sich abwechslungsreich. Regnen tat es zwar nicht, doch mal war es sonnig, dann wieder neblig, dann brach die Sonne erneut durch. Das einzige, was immer gleich blieb war der Wind. In der Ebene schaukelte der Daimler immer in den Bergen nur ab und zu, wenn eine Bö durchbrach. Aber wir kamen gut voran. So ging es vorwärts, den ganzen restlichen Tag und die halbe Nacht. Gegen Nacht wurde es dringend mit dem Diesel. Man findet weit und breit keine Tankstelle, und wenn doch, dann kommt es gerade bei der Nacht vor, daß sie geschlossen haben. Manche sehen so aus, als wären sie schon seit Jahren außer Betrieb. Aber wissen tut man es nicht, daher immer anfahren und versuchen, den Zapfhahn zu bedienen. Funktionierte natürlich nie. An einer dieser Tankstellen, die sehr schlecht beleuchtet war beobachtete ich einen LKW, der gerade Kraftstoff aufnahm. Wir fuhren sie an. Ein etwas dubios aussehender Tankwart kam und fragte was wir wollten. "Nun, so Zeug für den Tank, halt, oder? Diesel am besten." Er tankte voll, auch machten wir einige Kanister voll. Wir würden sie brauchen.

Seltsamer Tankwart
Irgendwas stimmte mit dem Typen nicht. Allerdings hatten wir weder die Zeit noch die Lust, das herauszufinden.

Montag, 5. August 2002
Da Gabi heute ankommen sollte und voraussichtlich bis zum Ende der Reise an Bord bleibt, wäre vielleicht eine kleine Personenbeschreibung nicht verkehrt. Gabi kenn ich seit Jahren. Sie besuchte die Mädchenschule nebenan, die selbe, auf der auch meine Schwester war. Sie war damals die Freundin eines der Rädelsführer des roten Ameisenhaufens, Monsieur Futterknecht. Was hatten wir damals für einen Spaß daran, diesen uns zahlenmäßig weit überlegenen Haufen in helle Aufruhr zu versetzen mit nichts weiter als den buchtäblich rechten Parolen zur rechten Zeit. Diese Sprüche verhalten sich wie der Fuchs im Hühnerstall, wenn sie in einer 30-Mann-Klasse losgelassen werden. Geht natürlich auf kosten der Beliebtheit, aber man macht sich einen Namen. Herrschte allerdings unter Männern immer ein gewisser Sportsgeist, so sah das bei Frauen anders aus. Da war nichts sportlich, ich legte auch nie wert darauf, bei Frauen beliebt zu sein, wenn überhaupt, dann nur bei den hübschen unter ihnen. Das war Ende der Achziger, Anfang der Neunziger. Dann flog ich von der Schule und hatte weitgehend nur noch mit der alten Garde zu tun. Was auch immer geschieht, Freunde bleiben. Ich gehörte nie zu den Leuten, die alles als Freund bezeichnen, weil man jemanden zweimal irgendwo getroffen hat. Ein Freund ist etwas für's Leben. Qualität, statt Quantität. "It takes a long time to grow old friends". Zu diesem harten Kern, meinem bescheidenen Freundeskreis, zählten neben dreien der Klassenkameraden auch meine kleine Nachbarin, trotz der Tatsache, daß es richtige Freundschaft nur unter Männern geben kann.
Zu Gabi Z. L. kam ich mehr wie die Jungfrau zum Kind. Es war eine normale Abendabschlußfahrt im Frühherbst 1994. Die Mädchen saßen im Auto und unter ihnen befand sich seltsamerweise "die Z. L.". Ich wußte nicht recht, was ich damit anfangen sollte, aber Rane wird schon wissen, was sie tut. Und plötzlich saßen wir alle im Wohnzimmer von Gabi an einem Tisch. "Gell, Besold, das hättest auch nicht gedacht, daß Du mal freiwillig in meinem Wohnzimmer sitzst?" Nein, wahrlich nicht. Ebensowenig hätte sie gedacht, daß sie einst freiwillig in mein Auto steigt. So kann es laufen, über zig Ecken. Gabi gehörte zu Futterknecht, der zum selben roten Verein wie Julian, dessen Bruder zu Nina, die in derselben Klasse wie Ranes war, die wiederum meine Nachbarin war. Schon ergeben sich die unmöglichsten Bekanntschaften in einem Nest wie Ausgburg. Die Zeit verging, es war wie in einer Seifenoper. Nina wurde von Gabi abgesägt, übrig blieben Gabi, Rane und ich.
Gabi war der Alpha, sie sagte an, wo es lang ging. Auf der anderen Seite ist sie keine Führerpersönlichkeit. Im September 1995 wollten Attila, Unger, Gabi und Rane nach Ungarn fahren. Sie teilten sich zu viert ein Wohnmobil, jeder zahlt ein Viertel. Rane konnte nicht gleich mitfahren, denn sie mußte vorher nach Wien zu ihren Verwandten. Lösung war klar: Ich und ihr damaliger Freund kommen nach Wien und bringen sie zu den anderen nach Budapest. Wir wollten uns am Bahnhof treffen. Kein Thema, gesagt, getan. Wir holten sie in Wien ab und fuhren nach Budapest, wo sich Rane als außerordentlich gute Navigatöse hervortat. Es hatte natürlich keiner daran gedacht, daß Budapest drei Bahnhöfe hat. Wir fanden sie alle drei, nur das Wohnmobil der anderen, das fanden wir nicht, trotz gründlicher Suche. Wieder zurück. Keinen Urlaub für Rane. Schade. Doch dann doch wieder nicht, denn in das Wohnmobil wurde eingebrochen und es gab riesiges Theater bei der Ausreise, denn Gabis Ausweis war auch gestohlen. Gut, daß meine kleine Nachbarin nicht mitten in diesem Schlamassel steckte. Nach der Rückkehr behielt Gabi Ranes Viertel für das Wohnmobil ein mit der Begründung, ihr sei so viel gestohlen worden.
Im Winter 95 hatte sich der Bogen überspannt, eine Lösung mußte her. Die Art und Weise, wie die Beziehung zwischen den beiden war, paßte mir nicht. Das war mehr ein Verhältnis Herrchen und Hund, wobei der Hund meine Nachbarin zu sein schien, auch wenn man dem Aussehen nach urteilend genau auf gegenteiliges Ergebnis kommen mußte. Ich ging hinüber, in Nachbars Haus, als Rane einmal alleine war. "Komm, Ranchen, wir fahren eine Rauchen." Wir stiegen in den Benz und hielten Lagebesprechung. Es mußte ein Lösung her. Und die einzige Lösung, die uns einfiel war: "Gabi muß weg." Gesagt, getan, einige Wochen ging es hin und her, dann war Ruhe. Gabi war kein Thema mehr. Abgesägt.
Doch die Jahre zogen ins Land, mit Gabi hatte ich nur sporadisch Kontakt. Ich verließ Deutschland, irgendwann meldete sich Gabi zu Besuch. Wir fuhren durch Südamerika, es war alles recht gemütlich. Sie schien ihre g'schaftlhuberische Art mittlerweile recht gut im Griff zu haben. Noch nicht perfekt, aber sie hatte daran gearbeitet, das merkte man.

Polizeipatrouille mitten im Nichts. Einige Minuten später hielten sie uns an. Keine besonderen Vorkommnisse, nur eine Routinekontrolle.

Wir näherten uns Lima. Es könnte glatt hinhauen. Gegen ein Uhr kamen wir durch ein Kaff und gleich am Eingang war sowas wie ein Hotel. "Halt mal kurz an", sagte Cat. "Willst Du im Hotel pennen?" "Erst mal fragen, was es kostet..." Er ging hinein und fragte, kam wieder hinaus und erklärte: "Also, das billigste, was ich bekommen kann sind umgerechnet 18 Real." Und ich erklärte ihm, wie man das sagt: "Komm mir nicht mit Deinen MickyMaus, hier an Bord wird mit Dollar gerechnet, oder willst Du mir sagen, daß Du weißt, wiviel der Real mittlerweile wert ist?"
"Weißt Du Schlaumeier etwa, wieviel der Dollar wert ist?"
"Jawohl weiß ich das, Madame. Der Dollar ist einen Dollar wert und er wird ewig einen Dollar wert bleiben. Also 6 Dollar pro Person, richtig?"
"Falsch. 3 pro Kopf, ergibt 6 insgesamt."
"OK, das ist in Ordnung, wenn die eine Garage haben. Wenn nicht, bleib ich im Auto." Der Besitzer kam auch schon heraus und ich fragte ihn nach einer Garage. "Ja, klar, hinterm Haus, abschließbar, sogar." Fein. So hieß ich Catarina unser Zeug herausnehmen und parkte das Auto, vergewisserte mich, daß die Garage auch abgesperrt war. "Ist das der einzige Schlüssel?", fragte ich den Typen. "Ja, warum?" ich grinste ihn an. "Nur so, ist schon OK. Ich wollte mich nur vergewissern, wen ich erschießen muß, wenn morgen irgendwas aus dem Auto fehlt." Er lachte und meinte "Keine Angst, passiert schon nichts. Im Hotel wird Dir eher was geklaut als aus der Garage." Eigentlich bin ich kein großer Freund von Hotels. Wenn Hotels, dann die obere Preisklasse. Aber auf diesen verwanzten und verlausten Matratzen zu pennen. Besser ist es in jedem Falle auf den Blechen. Aber das war mir jetzt wurscht. Der Tacho stand bei 743.390 km, wir hatten 1.071 km zurückgelegt, also 220 über dem Tagessoll. Wir sollten es schaffen. Aber noch waren wir nicht in Lima.

Wir schliefen bis etwa neun Uhr und machten uns dann bereit. Das Hotel war ein Drecksloch, wir hatten einen Raum im Keller und mich wundert, daß wir keine Ratte gehört hatten. Duschen gab es in unserem Raum natürlich keine. Da gab es überhaupt nichts, außer Betten, davon allerdings gleich drei. Aber es gab auch keine Duschen auf dem Gang. Ein Grund mehr, weiterzufahren und zwar möglichst schnell. Dem Auto fehlte nichts, wie erwartet, ich fuhr vor das Hotel Catarina lud ein und wir fuhren los. Den größten Teil der Strecke wollten wir möglichst bald hinter uns bringen, damit wir am Abend noch Raum hatten. Wir fuhren durch Ica bis Pizco durch.

Ica
So sieht es in Pizco aus.

"Halt mal an der Tanke da vorn", kam es vom Beifahrersitz. Ich hielt an und tankte erst mal. Während der Tank vollief, fragte Cat nach Duschen. Ich schlug mich derweil mit Kilometerarithmetik herum. Es war zwei Uhr Nachmittags, wir hatten mit 328 km noch nicht ganz die Hälfte zurückgelegt, aber wir hatten noch gut Zeit. Auf Stunden kam es wirklich nicht an und daran, daß wir vor Mitternacht am Flughafen sein würden, gab es keine Zweifel. "Duscherlaubnis..." Er verschwand in der Dusche, während ich beim Auto blieb und nach dem Öl sah und verschiedenes umstapelte um Platz zu machen für Gabi und Gepäck. Ich hatte ihr eigens gesagt, diesmal keinen Schalenkoffer mitzunehmen, falls doch, sollte er auf jeden Fall wasserdicht sein, denn er würde er auf dem Gepäckträger landen. Als Catarina nach Einer Stunde wieder aus der Dusche kam, ging ich hinein. Badenutte. Als ich wieder herauskam, unterhielt sich Catarina mit jemandem. Ich stieß hinzu und er stellte sich vor, als der Besitzer der Tankstelle. Sehr Allahgläubig, denn er erzählte dauernd etwas vom Allah, seinem Sohn und was er nicht alles auf Erden für Wunder vollbracht hat und hörte sich mehr an, wie ein Bibelforscher als ein Tankstellenbesitzer. Man sagt natürlich zu allem Ja und vor allem Amen, ohne ihn nach dem Lohnniveau seiner Tankwarte zu fragen. Um halb vier waren wir dann wieder ready for the road (743.718 km).

Wir fuhren weiter durch die Wüste. Es war alles flach, ab und zu tauchten Berge auf, wurden größer, manches mal fuhr die Straße drumherum, manches mal mitten durch. Irgendwann zeigten sich mitten in der Wüste nämlich Masten. "Was, Teufel, ist denn das da vorne?", fragte Catarina. "Keinen Plan. Aber wir werden's erleben, scheint sich nicht zu bewegen..." Nach einigen Minuten nahmen die Umrisse Gestalt an. "Irgendwie sowas wie eine Plattform. Was soll denn das jetzt? Damit man den Sand besser sehen kann, oder was?", fragte ich. "Da vorne sind wir an einem Schild vorbeigefahren, stand irgendwas wichtig aussehendes drauf." Wir waren ran und stellten uns auf einen abgesteckten und der Wüste abgewonnenen Parkplatz. Davor stand ein riesiges Schild, das einem erklärte, daß hier die Nazca-Linien seien. "Hm." Wir sahen uns ratlos an. "Da gibt's wohl was zum sehen... Ich frag mal, was das soll." Ich ging hin und las einige Schilder über Nazca-Linien. "Aha, aus derer Eck'n waht der Wind... Das sind diese Nazca-Linien..." "Was ist das?" "Das sind Linien, die irgendwelche sogenannten Nazcas in den Boden geritzt haben." Der Eintritt kostete praktisch nichts. Einen Dollar oder einen Real oder noch weniger. Wir gingen die Niedergänge hoch und stellten uns auf die Plattform.

Also, von den Nazca-Linien sah man leider nicht sehr viel. Etwa 50 m achteraus, etwa zwischen 150 und 170 Grad sieht man etwa sechs Finger, die zu einer Gestalt gehören, die man aber nicht sieht. Doch der Benz ist gut zu sehen und das ist die Hauptsache. Weit entfernt, kaum zu sehen, erheben sich im Hintergrund die Anden.

In der linken unteren Ecke des Bildes sieht man einen Pluto. Der gehört zu einem Gespann. "Was ist denn das für ein Verrückter, der mit dem Käse durch die Wüste fährt." Der Typ kam auch auf die Plattform und wir quatschten ihn gleich an. "Was wird denn das für eine Aktion?" Er erzählte, daß er aus Equador sei und unterwegs nach Chile. Ab und zu hält er an und kutschiert Kinder durch die Gegend und verdient sich so das Geld für seine Reisekasse. Was man unterwegs nicht alles für kranke Typen trifft. Wir machten noch ein paar Bilder von der Plattform aus. Man hat von hier oben schon einen besseren Blick auf das, was wir da so edankenlos und selbstverständlich durchqueren. Das ist gar nicht so schlecht, sich das ab und zu mal anzusehen, sonst verliert man am Ende noch den Respekt vor der Wüste. Gerade in diesem Teil der Atacama, wo das richtige Wüstenfeeling nicht aufkommt, weil einach zuviel Verkehr ist. Leider schafften wir es auch diesmal nicht in eines der vielen Salares zu fahren. Einmal weg von den Straßen, hinein in die Wüste, "wo keines Mutter sich nach uns umsieht, kein Weib unseren Weg kreuzt, wo nur die Wirklichkeit herrscht, grausam und groß..." Und so weiter.

Blick von Oben auf die endlose Wüste.

Wir fuhren dann weiter. Mittlerweile weniger eilig und mehr auf die Landschaft achtend. Wir hatten es nicht wirklich eilig, denn wir würden es schaffen, keine Frage mehr. Es war nicht mehr weit. Wir hielten wieder mal auf Berge zu, hatten sie bald erreicht, fuhren die Serpentinen hinauf und sahen irgendwann einen etwas verschobenen Bus am Straßenrand stehen. Es waren ziemlich harte Serpentinen, so daß es aussah, als wäre der Bus den Hang heruntergekullert. Was hier tatsächlich geschehen war, konnte man nicht eindeutig festlegen. Es war auch keiner da, den man fragen konnte. Aber es sah spannend aus. Ich hielt an. Vor dem Bus natürlich und nicht dahinter. "Alter, das schaut mir spannend aus... Schauen wir mal rein, oder? Vielleicht finden wir was interessantes. Geld oder Gold...", sagte ich zu Cat. "...oder eine Leiche." "Vielleicht hat sie ja Goldzähne", sagte ich im Aussteigen. "Willst Du in den Bus rein?" "Natürlich will ich in den Bus rein, um ihn von außen anzusehen, brauch ich nicht auszusteigen, Du Depp." "Ich geh da nicht rein." "Dann bleibst halt draußen..." Wir inspizierten den Bus erst mal von außen. Die klassische Birnenjagd.

Die Busleiche von außen. Sah ziemlich ramponiert aus.

Aber nicht eine der noch vorhandenen Birnen war brauchbar. Die waren wohl noch aus dem vorigen Jahrhundert. Riesige Teile. Die hätten in einen Derby Baujahr 79 gepaßt, aber der 123er war zu modern. Außen war sonst nichts zu gebrauchen. Aber es interessierte mich brennend, was für ein Schicksal diesen Bus ereilt hatte. Und was wohl aus den Insassen geworden ist? Danach kletterte ich auf das Dach. Schöne Aussicht, aber auch auf dem Dach war kein Gepäck. "Wie komm ich jetzt hier wieder runter?" "Gar nicht, hoffentlich. Aber Du könntest runterfallen und Dir das Genick brechen, wenn Du mir einen Gefallen tun möchtest." "Hier oben ist auch nichts." "Gar nichts?" "Überhaupt nichts..." Catarina ging derweil auf den Hügel jenseits der Straße. "Gibt's da drüben was interessantes?", schrie ich hinüber. "Auch nicht..."

Blick von oben. Blick von innen.

Ich kletterte wieder hinunter. Es kam mir entgegen, daß der Bus so verzogen war, so konnte ich auf der Backbordseite bequem in den Bus hineinklettern. Aber auch der Inneraum hatte nichts zu erzählen. Cat war mittlerweile wieder am Bus. "Und? Gibt's 'ne Leiche?" "Nein, keine Leiche. Außer die vom Bus. Alter, alles durcheinander, hier drin..." Ich ging zum Fahrersitz und ließ mich darauf nieder, nachdem ich mir noch schnell beim entfernen der Scherben den Finger aufgeschnitten hatte. "Aua! Schmerzen! Scheißteil!", schrie ich. "Hab ich's nicht gesagt?", meldete sich Cat. "Was?" "Daß Du behindert bist." Als ich auf dem Beifahrersitz saß und um mich sah, tropfte mir von oben eine Flüssigkeit auf die Schulter. "Was das denn für ein Dreck? Da tropft was." "Blut?" Ich inspizierte es. "Ja. Und zwar 15W30 schätze ich... Schmeckt zumindest genauso. Kannst Du mir erklären, warum hier Motoröl von der Decke tropft?"
"Von der Decke?"
"Ja, von der Decke. Also mir scheint das nicht logisch... Aber wir sind ja in Peru."
"Logisch. Ist es logisch, wenn ein erwachsener Mensch sich in einem Bus rumtreibt, aus dem sie erst die leichen geschafft haben?"
"Was hat er denn dauernd mit seinen Leichen? Hier ist weit und breit keine einzige Leiche zu sehen."
"Andere Frage: Glaubst Du, daß das Öl erst jetzt zu tropfen angefangen hat?" Erst verstand ich die Frage nicht. "Achso... jetzt check ich's", sagte ich verlegen, als ich merkte, daß ich in einer Öllache gesessen hatte. Naja, ist jetzt auch schon egal. Ohne das mysterium gelüftet zu haben, und ohne irgendetwas brauchbares in den Händen, dafür mit einem blutenden Finger und einem riesigen Ölfleck an der Hose kletterte ich wieder aus dem Bus und wir fuhren weiter. Wieso hat den keiner von der Straße geholt? Verdammt noch mal, so viele Stunden.
Langsam wurde die Gegend sandiger. Teilweise erinnerte es stark an Libyen, wenn sich hinten weit am Horizont jungfräuliche Sanddünen erhoben. Riesengroß. Davor grüne Äcker, was recht außergewöhnlich war, denn wir hatten schon lange keinen Ackerbau mehr gesehen.

Um exakt 18.52 Uhr passierten wir ein Schild das die Stadtgrenze von Lima anzeigte. Der Flug kam um 21 Uhr an. Wir konnten praktisch behaupten, wir hätten es geschafft. Der Tacho stand bei 743.948 km. Die Fahrt von Campinas bis Lima betrug also exakt 6.469 kilometer. Elf Tage hatten wir benötigt, die Tagesleistung betrug somit: 589 Kilometer. Also waren wir insgesamt gesehen gar nicht wirklich gerast. 600 Kilometer am Tag bedeuten ungefähr 8 Stunden Fahrt täglich, das ist normal, auch über einen längeren Zeitraum betrachtet, man kann es durchaus halten.

Auf dem Weg zum Internationalen Flughafen von Lima.

Wir arbeiteten uns durch den Stau in Lima und Umgebung bis ans andere Ende der Stadt, fragten uns zum Flughafen durch und waren eine halbe Stunde vor Ankunft auf dem Parkplatz. Jetzt mußte umgeräumt werden, Platz geschaffen für eine Person plus Gepäck für 10 Wochen. Catarina hatte viel zuviel Zeug dabei. "Die Schminke hättest ruhig daheimlassen können, bei Deiner Fresse ist's eh schon egal..." "Hau das Zeug nicht so rum, Du Depp, das ist zerbrechlich." "Hast das Prcellan auch noch mitgenommen?" Das groteskste war allerdings seine sogenannte Luftmatratze. Ich hatte ihm meine gezeigt und gemeint, er solle sich auch sowas zulegen. Aber anscheinend ist das in Brasilien nicht so leicht, alles was er auftreiben konnte war ein Luftbett, das zusammengefaltet fast die Größe einer prallen Sporttasche hatte. "Was hast denn damit vor? Das ist ja ein Ehebett. Blas den Dreck bloß nicht auf, sonst haben wir ein Problem. Wieder Zusammenfalten auf diese Größe ist unmöglich, da braucht man eine Stanze. Aber gut, daß wir das dabeihaben, so ist wenigstens gut Gewicht im Kofferraum, da können wir wenigstens nicht ins Schleudern geraten..." Er druckte mir zwei Sporttaschen ind die Hand und meinte: "Geh zu, red' nicht so viel, schlicht lieber das Zeug zusammen, daß wir die Alte abholen können. Bin gespannt, wie die aussieht." Da mußte ich ihn auslachen, "Mach Dich auf was gefaßt... Die ist mindestens so häßlich wie Du." Er glaubte es mir nicht. Schließlich sage ich über alle Frauen, sie seien dumm und häßlich, grundsätzlich, mit sehr wenigen Ausnahmen. Warum auch nicht? Im Prinzip lieg ich ja nicht falsch. Mit dem melancholischen Reiterlied aus uralter Zeit ausgedrückt:

Ach wie bald, ach, wie bald
Schwinden Schönheit und Gestalt
Prahlst Du gleich mit Deinen Wangen,
Die wie Milch und Purpur prangen
Ach, die Rosen welken all.

Manche haben das Problem früher, manche später und manche eben überhaupt nicht. Zu letzteren zählen Männer - die sind immer häßlich, da es nicht ihre Aufgabe ist, hübsch zu sein - und Frauen, die von Natur aus häßlich sind. Doch dazu später. KTB-Eintrag: 20.29 Ankunft Flughafen Lima (744.026)
Nachdem wir also dann fertiggepackt hatten gingen wir in den Flughafen. Ich hoffte immer noch auf ein Wunder oder ähnliches, also, daß Gabi doch mitsamt dem LapTop ankäme. "Jetzt find mal einer den richtigen Pott heraus..." "Hör auf, mit mir Deutsch zu reden, Penner." "Sorry, aber auf Portugiesisch macht's keinen Sinn... Im Prinzip könnte man es auch so ausdrücken: Geh Du hoch und schau, ob sie oben rauskommt und ich sicher derweil den Hauptausgang." "Ich weiß doch nicht, wie das Teil aussieht, und sie weiß nicht, wie ich ausseh." "Also, sie erkennt Dich ganz sicher, aber egal, dann suchen wir sie halt zusammen."

Irgendwann kam sie dann an. "Servus." Sie war sichtlich froh, daß wir es rechtzeitig geschafft haben. "Servus... Ähm... LapTop?"
Schulterzucken. "Sorry."
"Ach", platzte ich, "dieses fette Walroß..."
"Reg Dich ab, Du kennst sie schon Dein Lebenlang."
"Genau. Deswegen frag ich meine Eltern schon seit Jahrzehnten, warum sie die nicht gleich nach der Geburt weggeschmissen haben. Das hat mein Vater jetzt von seiner Experimentierei mit Gentechnik. Kommt nur Müll dabei raus. Fuck... Toll. Und jetzt? Jetzt kann ich mich mit Disketten rumschlagen. Ach, das ist doch schon wieder alles Scheiße. Laß uns fahren."
"Was war das jetzt alles?", fragt Catarina, "Hört sich an, wie Gebell!" Ich wiederholte daraufhin alles nochmal auf Portugiesisch.
"Wohin fahren wir denn jetzt?", fragten beide, mehr oder weniger gleichzeitig. "Essen, natürlich."
"Und wo?"
"In der Stadt, oder?"

Besatzung vollzählig angetreten, Boot ist klar zum Auslaufen...

Die Kamera war schon wieder fast voll. Jetzt waren wir darauf angewiesen, fremde Rechner benutzen zu dürfen. Danke, liebste Schwester. Aber Gabi hatte wenigstens ein Ladegerät mitgebracht, so konnten mit Hilfe des Spannungswandlers wenigstens die Akkus geladen werden. Ich hätte einfach sie mit dem Computer beauftragen sollen, dann hätte es geklappt. Wir fuhren in die Stadt, aber ins Zentrum. Ab und zu kann man sich schon ein anständiges Mahl erlauben. Nach einiger Suche stellten wir allerdings fest, daß die Auswahl ziemlich beschränkt blieb. Im Grunde lief es auf zwei Gerichte raus: Gockel mit Pommes oder fritierte Erdäpfelstäbchen mit Hühnchen. Ich parkte das Auto vor einem etwas gehobener aussehenden Lokal und wir gingen hinein. Catarina, als Brasilianer von Haus aus sehr verwöhnt, was gutes Essen angeht, war mit dem Angebotenen nicht zufrieden. Er wollte zusätzlich noch Bohnen oder Reis, am besten beides. "Kannst Du mal fragen ob die das haben?" "Bin ich Dein Babysitter, oder was? Frag halt selber, inzwischen wirst Du das wohl fertigkriegen. Ich geh mal nach dem Ölstand schauen..." Ich ging hinaus, prüfte den Ölstand, konnte allerdings nicht sagen, ob er paßte oder nicht, denn er zeigt immer noch auf der einen Seite übervoll an, und auf der anderen endet das Schwarz kurz über der Minimum-Marke. Nunja. Als ich dann von den Resträumen zurückkam und auf den Tisch zusteuerte, sah ich Catarina wie wild gestikulieren und vor ihm stand ein hilfloser, achselzuckender Kellner. Ich kam hinzu und fragte, ob ich was helfen kann. "Ich will grad fragen, ob diese Dämonen Reis haben, aber der versteht mich nicht", zum Kellner, dann "Arroz!", während er irgendwelche Handbewegungen machte, aus denen ich bei bestem Willen, höchstens "Hunger auf dem schwarzen Kontinent" gedeutet hätte. Ich sagte dann das Wort Reis auf spanisch zum Kellner: "Arroz..." "Ja klar, selbstverständlich, bitte vielmals um Entschuldigung." Catarina sah mich entsetzt an und meinte: "Wie kann das sein? Seit Du rausgegangen bist, versuche ich dieser Kreatur klarzumachen, daß ich Reis will. Du sagst ein Wort und der stiefelt los. Was heißt denn Reis auf Spanisch?"
"Ja Du Transvestit, was heißt es denn auf Portugiesisch?"
"Ja, Arroz, halt."
"Exakt das selbe auf Spanisch, es wird sogar exakt so geschrieben: Arroz."
"Warum versteht er mich dann nicht?"
Lima: Smogtest nicht bestanden"Weil Du Penner nicht 'Arroz' sagst, sondern 'Achoisch'. Das versteht der natürlich nicht. Sprich es so aus, wie man es schreibt, dann versteht Dich jeder, wenn er nicht ganz blöd ist. Schau mal: Beim A war noch alles OK, aber schon beim doppelten R steigt der aus. Ein Doppel-R spricht man wie zwei Rs und nicht wie ein H und zwischen dem O und dem Z kommt kein I. Und das Z ist ein Z und kein SCH. So einfach ist das. Gilt für alles andere auch. Ein L ist ein L und kein U, ein O ist ein O und kein U, ein E ist ein E und kein I. Wenn Du nicht Analphabet wärest, könntest Du es immer aufschreiben und ihm zeigen, dann würde er es verstehen."
"Ach, tomá nu cú, muß ich mich auch noch mit dieser verdammten Sprache rumschlagen..."
"Lern sie einfach, dann kannst auch Du mal eine Sprache und mußt nicht als Neanderthaler durch die Welt laufen. Das was in Brasilien gesprochen wird ist ein portugiesischer Dialekt, welches wiederum ein Spanischer Dialekt ist."
"Macht doch nichts. Es sprechen mehr leute Brasilianisch als Portugiesisch."
"Sprechen ist ein wenig übertrieben. Lallen, hätte ich jetzt gesagt... Aber was soll's. Anderes Geschwätz: Ich brauch Internet."
"Wo pennen wir heute?", fragte Gabi. "Wo pennen wir heute?", leitete ich die Frage an Cat. Weiter. "An irgendeiner Tankstelle. Wieso?", ich gab es gleich weiter. "Tankstelle? Mitten in Lima?" Das war mir nun zu anstrengend. Gabi hat Angst vor Großstädten und ich hatte keinen Bock, ewig zu fahren, bis wir aus der Stadt waren. Und wieso nicht? Sie hat in der Pampa auch nicht weniger Angst. "Sehen wir dann schon. Jetzt wird erst mal gegessen."
Die Dialoge wurden ab jetzt überhaupt anstrengend. Gabi konnte Englisch und Deutsch, aber trotz jahrelangem Unterricht kein Spanisch - zumindest angeblich. Catarina konnte nur Portugiesisch. Ich Deutsch und Portugiesisch sprechen und mich auf Spanisch und Englisch verständigen. Es gab keine gemeinsame Sprache zwischen Gabi und Cat. Ab und zu versuchte Catarina einen englischen Satz zu bilden. "Alter, in der Zeit mach ich 'ner toten Frau ein Kind. Das hast jetzt von Deiner Baumschule." Was heißt dies, was heißt jenes? Aus den Antworten war Gabi schon klar, was er zu fragen vorhatte. Da konnte er gleich normal reden und ich übersetze. Aber er unternahm wenigstens den Versuch. Es kann niemand so blöd sein, zwei Jahre Spanischunterricht am Gymnasuim zu haben und hinterher nicht ein Wort herauszubringen. Und wenn man nach Südamerika fährt, empfiehlt es sich halt doch, nochmal die alten Bücher anzusehen. Wir hatten nun keine gemeinsame Bordsprache und mußten uns der deutschen Sprache und des portugiesischen bedienen. Das hieß, der Fahrer darf alles zweimal sagen. Auf der anderen Seite hat man eben die Möglichkeit, jeden Satz vor der weitergabe zu prüfen. Mal sehen...
Als wir fertig waren, nahm Cat meine Pommes mit und gab sie einem der vielen Straßenkinder, die draußen herumstanden und -lagen. "Fang bloß nicht den Scheiß an, sonst haben wir eine ganze Meute am Hals", mahnte ich ihn. Hört sich natürlich wieder äußerst kolonial an, ich weiß. Aber erstens war es das, was ich ihm sagte, zweitens war nichts unwahres dran und drittens: Wieso gibt er diesem was und dem da vorne nicht?
Wir fuhren los um eine passende Tanke zu finden. Erstes Suchkriterium: Dach mit Parkmöglichkeit darunter. Da taten wir uns schwer. Wir fanden nach langer Suche eine ohne Dach und da blieben wir dann auch. Gabi paßte auf die Rückbank, Catarina auf den Boden und ich auf die Bleche. Nun mußte allerdings umgeschlichtet werden, denn die Sachen von der Rückbank mußten nach vorne verteilt werden. Als jeder seinen Platz so gemütlich wie möglich hergerichtet hatte, schliefen wir ein.

Dienstag, 6. August 2002
Morgens wurden wir geweckt und nahmen einen Stellungswechsel vor. Andere Tankstelle. Weiterschlafen. Ich wachte in der Früh auf. Es war grau in Grau und ein leichter Nieselregen ging hernieder. Als Plan hatten wir zunächst in der Reihenfolge: Wäscherei, Internet-Café, Einsatzbesprechung. Als erstes suchten wir eine Wäscherei auf. Wir fanden eine, nicht weit entfernt und während die sich um die Wäsche kümmerten, suchten wir ein Internet-Café. Die Bilder mußten von der Kamera auf Disketten überspült werden. Tausend Verwünschungen fanden dabei den Weg von Lima nach Augsburg.
Es kam das Gerücht auf, daß Tanja vielleicht als Ablösung für Catarina ankommen könnte. Die könnte den LapTop mitbringen. Nun hing meine Hoffnung auf eine funktionierende Berichterstattung von dieser Tanja ab, an die ich mich gar nicht erinnern konnte. "Natürlich, die hast Du öfter mal heimgefahren." Das sagte mir nun wirklich gar nichts. Ich war ja ein Taxi, nur bezahlte man mich mit Kilometern. "Danke für's Fahren." "Oh, neinein, ganz meinerseits, danke für die Kilometer..."
Darnach gingen wir zum Essen. Es war ein Chinese, gleich neben dem Internet-Café. "Also, Leute, wie sieht der Plan aus?" "Machu-Pichu..." Diesmal mußten wir einfachn hin, denn diesmal war kein Nächstes Mal eingeplant. Wir waren auf dem Weg, den Kontinent zu verlassen. Obwohl Süd- und Zentralamerika zusammenhängen, ist es Reisetechnisch von Zentralamerika so weit entfernt, wie Europa. Das bedeutet, daß man nicht ihne weiteres zurückkommt, wenn man einmal übergesetzt hat.

Bei der Besprechung. In Peru wird Coca-Tee und Inca-Cola getrunken... Doch für den Coca-Tee waren wir noch nicht in der richtigen Gegend.

Wir einigten uns darauf, daß es also nach Machu-Pichu gehen sollte. Zwar waren wir allesamt Kulturbanausen, aber das muß man gesehen haben. Zuvor natürlich Proviantergänzung in Lima, denn das bietet sich an. Als wir die Wäsche abholten, wunderten wir uns etwas darüber, warum die Socken zusammengetackert waren und über verschiedene sinnlose Etiketten an Wäschestücken, durch deren Besfestigungsmethode die Struktur des Stoffes arg leiden mußte. "Was soll das denn?" "Willkommen in der dritten Welt..." Wir fuhren zum Supermarkt, rasten durch und kauften Dies und Jenes. Ich Packte das Auto so gut es eben noch ging und wir dieselten dann los. Gleich fanden wir den Weg natürlich nicht. Es dauerte eine Weile und wir hielten einmal an, um nachzufragen. "Wo zum Teufel kommt ihr denn her? Aus dem Krieg?" Er erklärte uns den Weg. Als ich losfuhr sah ich im Rückspiegel, wie einer mit etwas Ovalem spielte und es ratlos ansah, als wüßte er nicht, wie es in seiner Hand gelandet war. Es war mein D-Schild. Ich legte den Rückwärtsgang ein, fuhr sachte wieder zurück und gab ihm mit der linken Hand ein Zeichen, daß das Teil an diesen Kofferraum hingehört. Er tat es wieder zurück. Er klopfte auf den Kofferraum, ich hob den Daumen und fuhr los. Es war bereits Nachmittag geworden. Um punkt 15 Uhr (744.119 km) wurde zum Aufbruch geblasen.

Als wir die PanAm wiederfanden, bogen wir nach Süden ab. Um nach Machu-Pichu zu gelangen, mußten wir wieder in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Und das war ein gutes Stück. Eine Woche konnten wir rechnen. "Aber egal, nun haben wir es nicht mehr eilig", sagte Catarina. Ich sagte nichts darauf. Ich glaubte nicht wirklich daran, daß wir ihne Zeitdruck fahren konnten. Nicht, wenn Gabi an Bord ist. Dabei hatten wir noch 10 Wochen Zeit, aber im Moment war das nicht wichtig. "Do muß was passiert sein", sagte ich, als ich in einem der Vororte von Lima einen etwas seltsam aussehenden und ebenso seltsam geparkten LKW voraus ausmachte. Ich lud die Kamera durch. Die Olympud D-100 hat die Eigenschaft, daß sie den Blitz durchlädt, bevor sie den Belichtungstest durchführt. Sie trägt zwar eine riesengroße Aufschrift: Ultra-fast point and shoot, aber das bedeutet, wenn man zwischen den Zeilen liest: Ultra slow arming. Daher braucht man immer ein wenig Vorhaltezeit. Als wir näher kamen erkannte man, worum es ging. Ein Mercedes-Benz Hauber was in eines der kleinen Häuser gesauscht. Von dem Haus sah man nicht mehr sehr viel, wohingegen der Laster noch relativ gut aussah.

Und im Sturm, drauf und durch, überrannt.

Das war aber auch schon das einzig Interessante, das wir auf dem Weg sahen. Weiter ging es auf Nazca zu. Die Linien passierten wir erst nach Einbruch der Dunkelheit, auch die Plattform sahen wir erst, als wir sie bereits passiert hatten, daher sparten wir uns diesmal den Aufenthalt. Wir fuhren bis zum frühen Abend und blieben an einer Tankstelle, an der wir getankt hatten, auch gleich über Nacht. Es sah nicht nach Regen aus. Ich machte es mir auf der Ladefläche eines Sattelschleppers gemütlich. Es hing keine Zugmaschine dran, so, daß ich davon ausgehen konnte, nicht irgendwo mitten in Peru aufzuwachen.
KTB-Eintrag: 20.30 Ankunft Tankstelle vor Nasca (744.535).

Mittwoch, 7. August 2002
Als die Sonne begann, mir ins Gesicht zu scheinen, erwachte auch ich. Die anderen waren schon tätig. Offiziell war die Bordküche eigentlich am Bug, auf der Motorhaube auf der Backbordseite. Gespült und gewaschen wurde auf der Steuerbordseite, denn dort befand sich normalerweise der lecke Wasserkanister mit Hahn. Gespülte Tassen oder Gläser kann man dann auf den dafür vorgesehen Rost legen, der eigenlich dem Auto als Luftzufuhr für die Lüftung dient und von denen sich jeweils einer vor jedem Wischerblatt befindet. Gabi machte aber heute hinter dem Auto im Schatten Frühstück und Catarina tat irgendwas Planloses in der Küche, sortierte Obst oder Gemüse.

Vorbei die Nacht, der Morgen graut, nun wollen wir Marschieren
Motor, spring an! Der laute Ruf des Diesels soll uns führen.

"Was machst Du da Mädchenhaftes?", fragte ich Catarina. Er hob die Augenbrauen, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen und sagte mit wichtiger Miene: "Das Gemüse sortieren. Schau Dir das an. Das Zeug ist zum Essen..."
"Natürlich ist es zum Essen, oder glaubst Du, damit wird der Gepäckträger getarnt oder was?", gab ich ihm zur Antwort, weil es ein Zitat ist und wiederum nur auf Deutsch Sinn ergibt. "Magst Du Zwiebel?", fragte er mich daraufhin. "Ich hasse Zwiebel." "Gut", sagt er, "red mich noch einmal auf Deutsch an und ich laß Dich alle Zwiebel am Stück und auf einmal fressen." Ich ging weiter. "Morgen Gabi."
"Servus. Geile Tankstelle, übrigens..."
"Wieso?"
"Weil sich die Tür zur einzigen Toilette nicht absperren läßt."
"Ja und? Achso..." Naja, mei, was soll ich dazu sagen..? Es gab Sandwiches mit Schinken, Käse, Tomaten und sie waren beileibe nicht die Schlechtesten, die ich gegessen hatte. Das ist ein Leben. Nach einer Stunde waren wir dann mit dem Frühstück durch, pckten zusammen und
Um dreiviertel Zehn ging es weiter. Wir fuhren zunächst weiter und nach Nazca hinein, wo wir schon nach einer viertelstündigen Fahrt eingetroffen waren (744.540 km). Einmal um uns das anzusehen und dann, um uns Erkundigungen über Machu-Pichu einzuziehen. Wir fuhren durch und suchten etwas wie ein Touristenbüro, eine Touristeninfo oder ein Tourismusamt, was auch immer mit 'Tourist' anfing. "Da! Links!" Ich drehte um und da hier nicht so viele Touristen waren, kamen wir gleich dran. Wir mußten nicht einmal austeigen, denn das Fräulein kam zu uns.

Bei der Touriinfo.

"Du redest. Komm, wir üben das jetzt. Einfach so sprechen, wie man schreibt", sagte ich zu Cat. Er legte los und hielt sich eigentlich nicht schlecht. Sie verstanden einander. Zumindest, bis Cat sie mit todernster Miene nach irgedeinem "Musehl" fragte und ich in schallendem Gelächter ausbrechen mußte. "Was ist jetzt?" Natürlich bekam er keine Antwort, wie sollte ich denn, wenn ich gerade fast ersticke? "Du Vollidiot! Das U am Ende von Museu bleibt natürlich ein U und wird kein L", erklärte ich ihm, als ich wieder halbwegs normal reden konnte.
Zwischen den Ausläufern dieses Lachanfalls bekam ich mit, daß die Straße nach Machu-Pichu bis Abancay asphaltiert sei. Immerhin. Und angeblich sei die Piste von Arequipa nach Juliaca mittlerweile auch durchasphaltiert. Ich war froh, daß wir sie im Jahr zuvor noch im Rohzustand gefahren waren.
Wir fuhren noch weiter in die Stadt hinein. Catarina brauchte Filme für seine Kamera und wir besorgten noch frisches Brot. Wir ist natürlich schon wieder Schmarrn, denn ich blieb natürlich am Auto, was sollte ich da auch mitlaufen? Um Einzukaufen braucht man nicht wirklich einen Übersetzer. Aber ich weiß nun, wie sich Almut gefühlt haben muß, als wir in Afrika waren. Stattdessen schoß ich ein paar Bilder vom Dachgepäckträger aus. Man hat eine schöne Aussicht von dort oben. Auch, wenn es in der Stadt nicht viel zu sehen gab. Im Gegenteil, in diesem Falle ist es sogar besser, keine Übersicht über das Chaos zu haben: Halverrottene LKW, Handkarren, Rikschas, Köter, Autos und Fußgänger, alles durcheinander und man selbst ist irgendwie mittendrin und bekommt es gar nicht so mit, wenn man es sich nicht bewußt reinzieht. Das macht man am besten, wenn man kurz wirklich versucht, sich in die Heimat zurückzuversetzen, wo das Chaos geordnet ist - was nicht heißen soll, daß es dort besser ist. Doch dann mußten wir langsam los. Kurz hinter der Ortschaft standen wir an einer Gabelung an.

An besagter Kreuzung. Im Hintergrund erheben sich drohend die Anden. Doch ich hatte keine Bedenken, daß der Daimler auch dieses Hindernis schaffen würde.

Bis Cuzso waren es 780 km, wenn ich das Schild richtig deute. Tagestour eigentlich. Aber wer weiß, ob das stimmt mit der asphaltierten Straße bis Abancay. Ich war da eher Skeptisch, denn mittlerweile kennt man ja die unverbindlichen, ahnungslos-optimistischen Straßenzustandsangaben der Südamerikaner. Aber es war auch nicht wichtig. Der Garant dafür, daß wir ankommen würden war unser Daimler. Wann wir ankommen würden, das stand allerdings in anderen Sternen. Alles nicht tragisch.
Kurz nach Nazca merkte man, daß es langsam bergauf ging. Ganz sachte. Erst daran, daß im dritten Gang kaum mehr Beschleunigung vorhanden war, dann daran, daß die Motortemperatur anstieg. Ein Blick auf das GPS zeigte, daß wir bereits auf über tausend Meter waren. "Das ging aber schnell..." Anscheinend ließen die Anden nicht lange auf sich warten. Wir würden auf über 4.000 m steigen, durfte man dem Reiseführer glauben. "Cat. Tief durchatmen, solange du noch kannst. Ziemlich dünne Luft da oben." Er lehnte sich in den Sitz zurück und signalisierte Bereitschaft, den kampf aufnehmen zu wollen. Vor uns zeichneten sich Sepentinen ab. "Jetzt geht's los..." Ich sah die Besatzung an. "Na, dann mal 'ran an die Bouletten..." Runterschalten, dritter Gang und ran an den Feind. Der Diesel heulte auf, wir kamen immer näher, immer steiler wurde der Pfad, immer kürzer das zu übersehende Stück Straße. Wir waren drin. Die Temperaturnadel stieg, der Daimler auch. Er wir uns versahen waren wir schon über den Wolken, die allerdings an diesem Tag nicht vorhanden waren. Verkehr kab es kaum. Ich kann mich nur an einen LKW erinnern, dem ich ausweichen mußte, als er gerade eine Serpentine heruntergerast kam. Ich nahm die Kurven möglichst großzügig. Dum einen, weil ich möglichst den Fuß nicht vom Gas nehmen wollte, zum anderen weil Catarina noch aufgebackt hatte. Das heißt, er hatte seine Tasse noch auf dem Tisch stehen, zu welchem das Armaturenbrett auf der Beifahrerseite umfunktioniert war. Wir hielte einmal an einer schönen Stelle auf Geheiß Catarinas. "Hier laß mich raus und fahr wieder zurück. Ich will ein Bild vom Auto machen von hier oben." Das Bild wollte ich haben.

Die Serpentinen, auf denen wir gekommen waren.

Ich fuhr wieder hinunter. Tat auch dem Motor sicher nicht Schlecht, wenn er mal von seinen hundert Grad wieder auf Normaltemperatur kam. Ich ließ Catarina heraus und drehte um. Außer dem Daimler spürte noch keiner was von der Höhe. Als wir Cat aus den Augen verloren, drehten wir wieder um und fuhren wieder bergauf. "Wo ist er denn?" Ich hielt an. Zu schade, daß das Fernglas mittlerweile wieder in Deutschland war. "Da!" Irgendwo auf dem Hang sahen wir dann Catarina in seinem ehemals meinem braunen Hemd den Berg herunterspasten. Ich wollte ein Bild machen, doch die Kamera war weg. "Scheiße. Der hat meine Kamera mitgenommen. Was, wenn er jetzt abstürzt?" Bestenfalls mußte ich dann hochklettern und die Kamera holen, schlimmstenfalls war auch die kaputt und mich läßt es auch noch den Hang herunter. Das unterschätzt man leicht, denn so unsteil war der Hang nicht. Etwa in der Mitte sah man, daß er Schwierigkeiten hatte, weiterzukommen, denn er nahm die typische Haltung an, die man eben annimmt, wenn man den besten Weg nach unten auszumachen versucht. Den schnellsten konnte ich ihm sagen, aber der ist auf jeden Fall zu vermeiden. Nach zehn Minuten war er dann unten angekommen. "Hast Du ein bild gemacht?" "Wie soll ich denn ein bild machen, Du Trottel, wenn Du meine Kamera mitnimmst?" Er sah mich verstört an und meinte, daß er sie nicht hätte. Ich ging nochmal ins Auto und sah in der Mittelkonsole nach. Nichts. "Wo ist denn die verdammte Kamera, Zefix?" Aber geklaut kann sie niemand haben, denn ich hatte viele Bilder gemacht, seit wir den letzten Menschen sahen. "Ah, da ist sie ja." Beim Gaspedal lag sie. War wohl in einer Kurve heruntergesegelt.

Als alle wieder eingerichtet waren, fuhren wir weiter. Die Serpentinen schwächten ab, die Straße wurde dann wieder relativ gerade, bis sie endlich schnurgerade und eben wurde. Sogar Vegetation war wieder da. Das Braun wurde von einem schwächlichen Grün abgelöst. Sowas wie Gras oder Ähnliches. Ginster, hätte ich gesagt. Sah aus wie Libyen, in jenem Streifen zwischen Küste und Wüste, wenn man das Jabal Nafusah hinter sich läßt.

Auf! Hoch die Berge, hoch mit auf die Wiesen
Wir haben jedes Hindernis geschafft.

Wir waren wohl im Altiplano peruano. Keine Berge mehr zu sehen, nur die einen oder anderen Kumulustürme am Horizont. Aus dem Kühler waren wohl einige Liter Wasser verdampft, es muße Ersatz her. Doch hier war weit und breit nichts, es mußte wohl aus den Kanistern genommen werden, wenn alles schiefging. Die Temperatur blieb hoch. Irgendwann, nach längerer Fahrt auf fast gerader Strecke kamen wir um zwei Uhr in einem kleinen Dorf an. Es war winzig, aber ich hoffte, sie würden wenigstens Wasser haben. Strom gab es immerhin hier noch. Eine der Hütten war ein Café. Wir stoppten davor und stellten die Maschine ab.
Tür auf, hinter, Kofferraum aufmachen, Ratschenkasten ausgraben und damit vorlaufen. Ich wollte erst den Luftfilter prüfen. Das Wasser floß in strömen aus dem Ratschenkasten heraus. "Verdammt!" Als ich den Kasten auf die Haube legte, merkte ich, daß ich am pumpen war, wie ein Stier. Komisch. "Was sagt denn das GPS?" 3.987 Meter über Normalnull. Nicht schlecht. Da hatten wir den Grund. Zeit für Coca-Tee.

Bei der Pause in Las Caleras (744.646 km)

Ich ging in das Café und fragte danach. Hatten sie nicht. Wasser? Aber die verschreckte und verschüchterte Besitzerin meinte, es gäbe kein Wasser. Ich ging wieder hinaus zu Cat. "Du, die Alte meint, es gibt kein Wasser. Ich glaub, die will mich verarschen, geh Du mal rein und mach Du das, Du kannst mit Weibern besser umgehen, mir schwillt schon wieder der Kamm." Er ging hinein. Ich erblickte einen Mann, der des Weges kam. Endlich mal ein vernünftiger Mensch in diesem gottverlassenen Dorf. Immerhin verhältnismäßig, denn man kann es nicht als vernünftig bezeichnen, hier zu leben. Also streichen wir das Vernünftig, aber wenigstens war es ein Mensch. Ich ging zu ihm und erklärte ihm, daß ich Wasser für den Kühler bräuchte. Er meinte, mit Wasser sähe es schlecht aus. "Aber hier leben doch Menschen. Wo kein Wasser ist, können keine Menschen sein, also muß es hier Wasser geben. Mineralwasser hatten sie schon, aber keines aus der Leitung. In der Schule, ein paar Hundert Meter weiter gäbe es Wasser. OK. Das ist zwar keine richtige Erklärung, aber war in Ordnung. Ich kann nur mit diesem verschüchterten, fast schon ängstlichen "Kein Wasser", halb in den nicht vorhandenen Bart hineingenuschelt, nichts anfangen und neige dazu, solche Leute als Spastis oder Bekloppte abzustempeln und sie ebenso zu behandeln. Das kann man einem auch normal sagen. Catarina war auch schon wieder draußen. "Wasser?" "Nein..." Also gut, dann mußte der Kühler eben von Bord versorgt werden. Ich nahm das Trinkwasser dazu her - natürlich wurde es vorher vom Rost befreit indem ich es durch den Filter jagte. Der Daimler soll ja nicht auch noch das, was ihn umbringt in den Kühler gekippt bekommen. Aber wenn es sein muß, natürlich auch das Trinkwasser. Wir kommen ohne Wasser aus, der Diesel nicht und wir kommen nicht ohne den Diesel weiter. Ist eh eine Perversität, Wasser zu Trinken. Zum Trinken gibt es Cola. Wasser ist zum Waschen und für den Kühler. Als das Auto versortgt war, genehmigte ich mir eine Pause. Es waren auch ein paar Kinder da, aber die waren wirklich lieb und nett und klein und nervten nicht. Überhaupt nervte hier rein gar nichts. Nichteinmal der Hund, der vorbeikam und am Auto schnupperte, ohne es anzupissen. Das lag wahrscheinlich daran, daß er nur ein halber Hund war. Die andere Hälfte entstammte wohl einem dieser seltsamen Schafe hier.

Wie der Schafshund und die beiden Mädchen hießen, das weiß ich natürlich nicht, haben wahrscheinlich keinen Namen. Aber der stramme Junge im Bild oben hieß Klinsmann.

Die Besitzerin rief den kleinen ein paar mal. Es klang irgendwie komisch. "Wie nennst Du ihn?" "Klinsmann." "Klinsmann? Ist das nicht ein deutscher Fußballspieler?" Sie nickte bejahend. "Heißt der wirklich so, oder ist das ein Spitzname?" "Nein, der heißt wirklich so. Von Anfang an." "Cool." "Halt!", sagte ich zu Klinsmann, "nicht bewegen. Ich muß Dich jetzt ablichten." Er blieb stehen, sah etwas betreten in die gegend und ließ sich photographieren. Das Bild mußte ich einfach haben. Wir machten uns noch Nudeln, weil es auch nicht zu Essen in dem Café gab. Gabi blieb im Auto und Cat und ich gingen hinein. Die Besitzerin hatte anscheinend gemerkt, daß wir nur häßlich waren, aber nicht vorhatten, ihnen etwas zu tun. Vielleicht waren auch vor uns ein paar Verrückte hier gewesen, wer weiß das schon? Aber sie taute ein wenig auf. Sie fragte und, was das sei, was wir da essen. "Das heißt Nudullen." Catarina ging zum Auto, holte ein paar frische Packungen und legte sie ihr auf den Tresen. "Einfach aufmachen, herausnehmen, in heißes Wasser tun, Soße drauf und essen." Sie freute sich darüber wie ein Pfannenkuchen. "Seid ihr sonst versorgt? Habt ihr zu Essen?", fragte ich sie. Ich war mir nicht sicher, ob ihre Muttersprache auch wirklich Spanisch war, es klang irgendwie abgehackt und sie ließ immer die Bindewörter und floskeln weg. "Ja, haben Essen." Irgendwie konnte sie mich nicht überzeugen. Aber gefüttert werden eben nur die Vögel, die den Schnabel auch aufreißen. "Wirklich?" Ich versuchte, ihr in die Augen zu schauen, aber sie wich meinen Blicken immer wieder aus. "Ach, Mann, jetzt ist die Alte wieder verstockt..." Ich sagte zu Cat, er solle noch was aus dem Auto holen. Er brachte noch ein paar Fressalien. "Jetzt haumer ab, sonst wir die Straße traurig." Als er wieder hinausging, legte ich ihr noch zwei oder drei Geldscheine auf den Tresen, grinste sie an und meinte, das sei für das Wasser. Dann hieß es wieder Aufsitzen, klarmachen zur Abfahrt.

Ich weiß auch nicht recht, was ich von sowas halten soll. Man muß es ja nicht gleich so machen wie die Senegalesen, aber das hier ist auch übertrieben. Andererseits weiß ich auch, daß sie nichts bekommen hätte, wenn sie uns angeschnorrt hätte. Was sie macht ist falsch. Das kann es wohl auch nicht sein. Doch es ist wirklich nicht leicht, da eine vernünftige Handlungsweise zu finden. Aber ist es überhaupt wichtig? Dabei geht es gar nicht so sehr um Gewissensberuhigung. In dieser Beziehung ist mein Gewissen noch nie besonders aufgeregt gewesen. Erstens ist man mit solchen Bildern mehr oder weniger aufgewachsen, zweitens treibt es Afrika einem gründlich aus. Gewissen ist Balast. Ob die Leute in der Dritten Welt verrecken, verhungern, das interessiert in den reichen Ländern die wenigsten. Die paar, die wirklich den Kampf gegen Windmühlen aufnehmen, fallen nicht ins Gewicht, dafür gibt es zuviel Elend auf der Welt. Und die paar Leute stellen ihr Leben in den Dienst dieser aussichtslosen Sache. Hut ab, ich könnte es nicht. Aber sie wären schließlich keine Menschen von Größe, wenn das jeder könnte. Die überwiegende Mehrheit weiß das zwar alles, daß der größte Teil der Menschheit in Armut lebt, aber es interessiert sie nicht. Auch mich interessiert es nicht wirklich, es ist nun mal so und es wird auch so bleiben. Nur lege ich keinen großen Wert darauf, Krokodilstränen zu vergießen. Man sieht gerne weg bei solchen Sachen, aber davon wird es eben auch nicht besser. Überhaupt ist das kein Fall für das Gewissen, sondern schlichtes, unerbittliches Naturgesetz. Vogel, friß oder stirb. Wäre der Mensch auf den Bäumen geblieben, hätte er dieses Problem nicht, und die zivilistorische Evolution fordert ihre Opfer. Eine geistige Evolution hat wohl kaum stattgefunden. Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom gleichen Schlag, schreibt Meister Goethe und so ist die Welt nun mal, wir haben sie und ihre Gesetzmäßigkeiten nicht geschaffen, und ich persönlich hatte nur das Glück in einer Industrienation geboren zu werden. So leid es mir tut, es ist unabänderlich. Zur richtigen handlungsweise kann ich nichts sagen, am besten handelt man so, wie es eben von einem Menschen erwartet wird: Menschlich. Und daß heißt, trotz aller schönen Worte und trotz des vermeintlich gütigen Klanges dieses Wortes 'menschlich' nichts anderes als: Jeder ist sich selbst der nächste. Das verstehe ich unter 'menschlich Handeln'. Und wenn man zusätzlich noch das Verhalten des Menschen sich betrachtet, dann klingt das alte Sprichwort 'Homo homini lupus' wie ein Hohn. Oder hat schon mal jemand gehört oder gesehen, daß ein Wolf den anderen Wolf gefoltert hätte, nur weil der andere Wolf eine Meinung hatte, die dem anderen nicht paßt? Wenn sich die Menschen wenigstens bemühen könnten, ihre sogenannte Vernunft abzulegen und dadurch ihr Verhalten dem von Wölfen angleichen würden, dann sähe es auf der Welt schon viel besser aus. Es gäbe weder Mord noch Krieg noch Hinterlist und Haß. Aber weit gefehlt. Noch ein Wort von Goethe zum Abschluß, der den Teufel zu Allah über den Menschen sagen läßt: "Ein bißchen besser würd er leben, hättst Du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben. Er nennt's Vernunft und braucht's allein, nur thierischer als jedes Thier zu sein."

Wir fuhren um Drei weiter in Richtung Puquio, das wir um eine Stunde fünfzig Minuten später passierten (744.712 km). Es war auch klar, daß wir es heute nicht mehr bis nach Cuzco schaffen würden. Nach einer weile in der Ebene kamen wir dann wieder in Serpentinen. Es ging immer höher hinauf. Die Luft wurden nun meklich dünner. Der Motor war kaum noch zu hören, den Abzug hatten wir schon lang verloren, nur die Dieselwolke hinter uns wurde immer dichter, die Temperaturanzeige pendelte je nach Steigung zwischen 100 und 110 Grad. Die Heizung lief mit AK, was aber nicht störte, denn besonders warm war es nicht.
Catarina saß, nein hing im Sitz und röchelte vor sich hin. "He!", stupfte ich ihn an, "geht's noch, oder bist Du grad am Krepieren?" Keine Reaktion, er starrte nur apathisch vorwärts. Wenn ihm die dummen Sprüche ausgehen, dann stimmt was nicht. "He, Du Drecksweib, stell Dich nicht so an. Das bisserl Höhe...", dann zu Gabi: "paßt da hinten alles?" War wohl alles bestens. Nur bei Catarina hatte der Körper wohl damit begonnen den Sauerstoff zu rationieren. Alle unwichtigen Organe wurden abgestellt, deswegen sprach das Hirn nicht mehr an.

Sonnenuntergang auf über 5.000 m Höhe (GPS-Angaben, die sicher nicht stimmen).

Gegen Sonnenuntergang befanden wir uns laut GPS auf über 5000 Metern. Der Sonnenuntergang war ein fantastisches Schauspiel, ich hielt an und stieg aus, um ein paar Bilder zu machen. Im Westen ging sie unter und im Osten ragten feuerrote Kumuli in den bereits nächtlichen Himmel. Wir waren trotz der Kälte schon nahe am Äquator. Nach wenigen Minuten war es Kuhnacht. Das ist diesen Breiten eigenthümlich und wird wohl noch lange so bleiben. Keine langen Dämmerungen mehr.
Wir fuhren durch die Nacht auf gut asphaltierter Straße und liefen um Neun in Calhuanca ein (744.895 km). Cat war nicht gut beieinander, dir Höhe machte ihm zu schaffen. Tea-Time war angesagt. Hier mußte es einen oca-Mate geben. Wir fuhren einige Seitenstraßen, bis wir einen Laden fanden, der Tee hatte. Im Auto hieß es dann "Hoch die Tassen". Wir schlürften unseren Coca-Tee gemütlich aus und fuhren weiter. In Calhuanca verwandelt sich die gute Straße in eine holperige Piste. Sie war nicht zu schlimm, denn sie war schon geplättet, um demnächst asphaltiert zu werden, sie war markiert und ab und zu waren auch Baustellenfahrzeuge zu sehen.
Es war kaum mehr jemand unterwegs. Wenn wir an Baustellenfahrzeugen vorbeikamen blitzte uns ab und zu eine Taschenlampe entgegen. Keine Chance, den Tank auf Staatskosten zu füllen. Das ist aber nur in Europa interessant und dient auch dort mehr der Wehrertüchtigung als dem Geldbeutel. Hier in Peru ist das Diesel billig und seltsamerweise mißt man hier in Gallonen. Alles andere ist normal. Immer wieder wurde die Piste durch jungfräuliche Asphaltstrecken abgelöst. Im groben und ganzen jedoch gerieten wir hier etwas ins Stocken. Es lief nicht mehr so flüssig wie zuvor.

Bei der Bachdurchquerung.

Mal waren es nur Wasserlöcher, die auf der Straße lagen, mal etwas breitere Bäche. Einige sahen tiefer aus, als sie waren, andere waren tiefer als sie aussahen. Und es lagen immer mehr Trümmer im Weg. Wahrscheinlich Überreste von Sprengungen oder Erdrutsche. Wir arbeiteten uns voran. Es wurde auch anstrengender als der Asphalt, man mußte immer den Lichtkegel abscannen, was die Geschwindigkeit weiter drosselte. Wenn da so ein Felsenhaufen plötzlich aus der Dunkelheit auftaucht, dann kommt man auf dem Kies nicht mehr rechtzeitig zum Stehen und rast hinein. Ende der Fahrt und das mitten in den Anden. Keinen Bock darauf. Dennoch versuchte ich, die Geschwindigkeit so hoch wie möglich zu halten. Sehen konnnte man sowieso nicht viel. Aber einen Platz, um die Piste zu verlassen und zu übernachten war schwer zu finden.

Donnerstag, 8. August 2002
Um zwei Uhr Nachts liefen wir in Abancay ein (745.020 km). Seit Calhuanca waren wir 125 km gefahren, hatten dafür viereinhalb Stunden gebraucht. Die Marschgeschwindigkeit kann man sich errechnen, sie lag unter 30 km/h. Cuzco rückte schlagartig in abartige Ferne. Abancay war eine größere Geschichte, es hatte Straßen, beampelte Kreuzungen und Verkehrsschilder. An einer Tankstelle am Ortsausgang hielten wir. Es war sinnlos, weiterzufahren.
Schon hatten wir die erste Konfliktsituation. Gabi wollte nicht in der Stadt bleiben wegen großer Gefahr. Catarina und ich sahen das nicht so. "Gefährlich? Gefährlich ist Campinas, was soll hier gefährlich sein?", meinte Catarina und ich war auch der meinung, daß es hier nicht viel gefährlicher sei als auf der Piste. Diskussionen fingen wir nicht an. Keinen Bock drauf, es wurde hiergeblieben. Gabi paßte es gar nicht. Solange wir zu zweit waren, war es einacher, ist man zu dritt, ist es billiger. Aber man muß Kompromisse eingehen können. Mir ist es wurscht, wo geschlafen wird. Catarina möchte die Nähe zur Zivilisation wegen der Versorgung, Gabi aber lieber möglichst wenig Menschen wie nur möglich um sich haben. Ich lag auf meinen Blechen, Gabi kam von den Toiletten zurückgestampft. Statt "Gute Nacht", hörte man ein wutentbranntes "Hast Du Dir mal die Toiletten angeschaut?" Die Tür flog zu, und drinnen brach das Donnerwetter los, daß das ganze Auto wackelte. Natürlich habe ich mir nicht die Toiletten angesehen, ich weiß doch wie sie aussehen. In der Wüste draußen wären die Toiletten sicher sauber gewesen. Frauenlogik. Ich ließ mich nicht stören. Catarina, der es sich in seiner Hängematte gemütlich gemacht hatte, verpackt wie eine Afghanistanesin, sah zu mir hinüber mit fragendem Blick. Er wußte natürlich nicht, worum es ging. Ich grinste ihm mit meinen nikotingelben Zähnen entgegen. "Gute Nacht, Gott segne Dich und mache Dich sehr glücklich." "Halt's Maul, Du Dämon", erwiederte er darauf, was soviel heißt wie 'Gute Nacht'. "Das wird noch heiter werden", murmelte ich zu mir selbst halblaut, als ich die Kippe wegschnippte und einschlief.

An der Übernachtungsstätte.

Wir standen nacheinander auf. Das Gewitter hatte sich verzogen, alles wieder wie neu. Catarina meinte, es sei in der Nacht kalt gewesen. Ich hatte davon nichts gemerkt. Am Höhenunterschied kann es nicht gelegen haben und auch nicht daran, daß er leichter friert, denn mein Blutdruck ergab bei der letzten Messung 89 zu 47 und ich friere ziemlich bald schon. Auch daran, daß ich es gewohnt war und er nicht konnte nicht sein, denn auch ich verbrachte die letzten Jahre in den Tropen. "Das liegt einfach daran, daß Du schwuchtel, verstehst?, Dich verpackst wie die Frau vom Sultan und die ganze Kälte der Wäsche mit in den Schlafsack nimmst. Probier's doch einfach. Flack Dich mit der normalen Tagesgarnitur ohne Jacke in den Schlafsack. Wenn's Dich friert kannst immer noch das Zeug anziehen..." Aber es war aussichtslos. Soll er eben weiterfrieren...
Es wurde gefrühstückt und um Elf machten wir uns auf den Weg. "Auf geht's" Doch eine Zweitagesreise. "Auf Asphalt hätten wir es hinbekommen." Cat schüttelte nur den Kopf. "Ô, Diabo, hast Du's immer noch eilig? Kommen wir halt heut an. Und? Stirbt irgendwer, wenn wir heute nicht ankommen?" Natürlich nicht. Aber ich kannte Gabi und ich wußte, daß sie sehr ungemütlich werden kann und zudem noch sehr deutsch war. Ohne Plan reisen geht nicht. Catarina war genau das Gegentheil, nämlich brasilianisch. Mit Plan reisen geht nicht. Dafür einen gemeinsamen Nenner zu finden ist fast unmöglich. Mir gehen beide Mentalitäten gleichermaßen auf den Zeiger, ob man vor Regeln auf den Knien rutscht oder ob man die Regeln als völlig für den Arsch ansieht, es ist beides gleich bescheuert. Das Gelbe vom Ei liegt irgendwo in der Mitte und von dieser Mitte waren wir alle meilenweit entfernt.
Drücken wir es einfach so aus: Säße eine Almut auf der Rückbank, dann würde sich dieses Problem nicht stellen.

Fremd und doch vertraut, auch wenn kein Enzian die steilen Höhen schmückt.

Die Straße wurde bald besser. Zwar gab es immer noch vereinzelte Pistenabschnitte aber es überwog der Asphalt. Soviel zu den Angaben des Reisebüros, die besagten, daß der Asphalt bis Abancay ginge. Mag stimmen - wenn man in Cuzco steht und nach dem Weg nach Nazca fragt. Aber auch die Landschaft änderte sich. Sie wurde grüner und in der Ferne ragten die verschneiten Gipfel der Sechstausender mächtig in die Höh', es erinnerte ein klein wenig an daheim. Nur, daß wir einige tausend Meter höher lagen. Man fühlt sich irgendwie leichter, bild't sich ein, die Luft biete weniger Widerstand. Wir überholten einen weißroten Käfer. Der begleitete uns den ganzen Tag, mal rauschte er an uns vorbei, mal überholten wir ihn, dann tauchte er wieder im Rückspiegel auf und überholte uns. Nach Stunden dann gleich nochmal, weil wir ihn passiert hatten, als er wohl irgendwo eine Pause einlegte. So ging es dahin.

Es ging wieder Bergab, der Asphalt verschwand wieder. Über tausend Meter ging es hinab und wir standen plötzlich in einer recht gepflegten Ortschaft. Zumindest sah sie von Weitem so aus. In dieser Ortschaft, von der wohl nicht mal die Einwohner wußten, wie sie hieß, sahen wir einen Markt und hielten an. Die verkauften alles Mögliche, unter anderem auch Kanister. Ich nahm den Verschluß in Augenschein. "Könnte klappen, könnte klappen", murmelte ich, ging zum Auto und holte den Deckel des mittlerweile verschlissenen und auf der Strecke gebliebenen Brauchwasserkanisters. Damit ging ich wieder zum Stand zurück. Paßte. "Gibt es hier Wasser?", fragte ich die Verkäuferin. "Ja, da hinten." Gabi blieb als Pfand während ich den Kanister auf Dichtheit prüfte. Er hielt das Wasser und ward gekauft.

Nachdem er dann aufgeschnallt war ging es weiter.

Wir fuhren weiter durch die Landschaft. Das Altiplano war das hier nicht mehr. Zumindest nicht, wenn man es wörtlich nimmt, was soviel wie Hochebene heißt. Hoch war es wieder, aber eben nicht eben. Die Straße schlängelte sich durch, mal mehr, mal weniger gewunden und es ging stetig auf und ab. Der Asphalt meldete sich wieder mal ab und es ging auf der Piste weiter. Hauptsache war, daß es weiterging, wenn auch langsamer. An einer Stelle, am Wendepunkt einer Serpentine, lief ein ziemlich breiter Fluß quer über die Piste ins Tal hinunter. Da, wo er auf die Straße traf und wo er sie verließ, tat er das in Form von kleinen Wasserfällen. Cat und Gabi stiegen aus, ich brachte den Benz durch den Fluß. Er war nur breit, aber überhaupt nicht tief. Dennoch wollte Cat ein Bild machen. Das tat er dann auch und in einigen Jahren werde ich es wohl in einem Nachtrag auf diesen Seiten ausstellen. Jedenfalls war es ein richtiger Fluß, breiter noch, als es die Straße war. Unten im Tal war er dann als ein breites blaues Band zu sehen, das sich seinen Weg durch die mächtigen Massive suchte und bahnte.

Cat mit der Kamera im Anschlag und der Benz bei der Flußdurchquerung.

Wir blieben noch ein Weilchen, sahen uns die Stelle an. "Wenigstens wissen wir, wo wir auf dem Rückweg eine Dusche finden..." Wir hatten, als wir uns Cuzco näherten, bestes Fahrwetter. Keine Sonne, nicht heiß. Kurz davor verzweigte sich die Straße seltsamerweise. Und an der Verzweigung war eine Tankstelle. Ich tankte das Auto und ließ auch etwas von dem Pflanzenöl in den Tank, das immer noch auf dem Dach war. Dabei floß das klebrige Zeug über die Heckscheibe, was zu einer größeren Putzaktion führte. "Ich brauch Lappen und Pützen!" Lappen hatten wir, aber die Pützen fehlten. Das war ein Theater, bis ich alles beisammenhatte und dann erst das Geschmier aus Pflanzenöl und Wasser. Ekelhaft. Und diese Gummiabziehteile hatten die hier an dieser Tanke nicht. Hatten das wohl noch nie gesehen, das nächste war in Nazca. Aber so kann man auch die Zeit totschlagen.

Catarina war mehr an Land und Leuten interessiert, ich am Auto und am Fahren an sich, Gabi mehr an den touristischen Attraktionen.

Nach der Tanke machten wir uns auf die letzten Meter, es ging schon bergab und auf Cuzco zu. Kaum Verkehr auf der Straße, ich konnte dicht an die Leitplanke der Gegenfahrbahn rangieren, um ein Bild von oben zu machen. Von weitem sah die Stadt typisch Peruanisch aus. Dicht bebaut und alles durcheinander. Wir kamen in Cuzco sogar noch bei Tag an. Das Zentrum von Cuzco war von der Nähe gesehen, ganz gut aufgeräumt, was eindeutig am Tourismus liegen mußte. Es sah mehr nach Spanien oder Italien aus als nach Peru. Hatte rein gar nichts mit alledem zu tun, was wir bisher gesehen hatten. Es waren hier sehr viele ausländische Touristen und viel Polizei. Wir parkten das Auto und latschten los zum zentralen Platz, der sicher Plaza de Armas hieß. Waffenplatz. So heißen alle zentralen Plätze in jedem peruanischen Dorf. Und auch wenn sie nicht so heißen, werden sie so genannt - zumindest von mir. Ringsumher waren lauter Geschäfte, die ganze Stadt lebt wohl vom Tourismus. Wir kamen an einem Polizist vorbei und ich fragte, ob der Parkplatz hinter dem Park sicher sei. Er sah mich mit bedauern an und sagte: "Nein..." Der Kriminalität in Cuzco ging es ziemlich gut. Sie wuchs heran, wie ein kerngesundes Kleinkind. Doch, was tun? Er fragte, wie lange wir bräuchten. Am Ende schlug er uns vor, daß wir das Auto einfach da hinstellen, wo er das Auto sehen konnte. Das fand ich aber nett. Er wollte auch kein Geld dafür und ob Parken dort erlaubt war, wo ich das Auto dann hinstellte, das war nicht eindeutig festzustellen.

Cuzco bei Tag.

Wir gingen zur Touriinfo und fragten, wie man denn nun nach Machu-Pichu käme. Mit dem Bus bis Ollairgendwas, dann mit dem Zug weiter bis zu Fuß vom Berg und von dort wieder mit dem Bus zum Berg. Catarina wollte eigentlich den Inca-Trampelpfad laufen, aber dazu brauchte man mehrere Tage. "Kannst Du schon machen, ich wart am Auto." "Du gehst mit, Du Ballerina" "Ich? Ich lauf nicht, kannst vergessen." Wir nahmen uns die Beschreibungen mit und gingen zum Auto zurück. Das stand noch immer unangerührt da. Sehr gut. Wir bedankten uns noch beim Polizisten und fragten, wo man hier billig essen konnte. Er beschrieb uns den Weg zu einem Restaurant nahe der Polizeiwache. Das war schon mal gut. Wir fuhren hin. "Wenn das jetzt noch ein Lokal für Einheimische ist, haben wir gute Chancen, billig wegzukommen..." Ich stellte den Benz möglichst so hin, daß ich ihn von drinnen sehen konnte. Die alte Kopfsteinpflasterstraße, welche bemerkenswert eben, war ruhig, und hauptsächlich der polizeiliche Wechsel von Wache und Freiwache sorgte für etwas Bewegung.
Das Restaurant hieß Tinkoy und die Preise waren faszinierend niedrig, das Essen hingegen gut. Wir bestellten jeder ein Tagesmenü. Den genauen Preis weiß ich nicht mehr, er lag bei 2,50. Aber ich weiß nicht, ob Dollar, Mark, Euro oder Real und auch weiß ich nicht mehr, ob das für alle oder pro Person war. Im teuersten Falle also 7,50 US$ für drei Vollwertige Mahlzeiten mit Getränk. Das war das billigste Essen, das wir auf der Reise hatten - und das, obwohl wir in Cuzco waren. Kein einziger Tourist war in dem Lokal, wir waren die einzigen.

KTB: 19.00 Essenfassen im Restaurant Tinkoy (745.214)

Nach dem Essen fragten wir uns alle, wo wir wohl schlafen würden. Wir fuhren ein stück die Straße entlang, an der sich das Restaurant befand in Richtung stadtauswärts. Bals waren wir an einem Hügel angelangt waren, sagte Cat: "Alter, ich penn heut nicht draußen, das kannst vergessen..." "Mein Gott... wie so'n Mädchen..." Ich sollte ihn hinfahren und ihn dann morgen wieder abholen, so gegen Eilf. "OK, Männer, aufsitzen, die Damen wollen ins Hotel..." Wir stiegen ein und fuhren los. Der durfte sich auf dem Weg was anhören:
"Du bist so eine Badenutte, hast auch alles dabei? Hast auch Deine Tampons nicht vergessen? Und die Feuchtigkeitscreme, alles da?"
"Halt endlich doch mal die Schnauze."
"Nichts da. Bis vor die Hoteltür hörst Du's Dir an. Ich hoffe, der harte Federkernsitz Ich weiß schon, warum ich immer mit Frauen reise, die benehmen sich nicht wie Waschlappen. 'Hilfe, Mamma, mir ist Kalt und der böse Wolf kommt und frißt mich', vielleicht solltest Du Dich mal als Ballerina bewerben. Wie sollen wir denn mit solchen krummen Hunden wie Dir den Krieg gewinnen?"
Wir fanden dann in der Straße hinter dem Marktplatz ein Hotel, wo wir ihn dann rauswarfen. "Soll ich Dich noch rinbegleiten, nicht, daß Dich ein böser Peruaner vergewaltigt. Morgen um Elf!"

Also, sowas, nein. Kommt er an mit Hotel, nur weil er keinen Schlafsack benutzen kann. Wir ließen uns vom GPS wieder an Ort und Stelle zurückführen und schlugen unser Lager auf. Ich testete die Nachtaufnahmentauglichkeit der Olympus D-100. Das mit diesen Digitalkameras hätte man schon in Afrika anfangen sollen. Den Alten überreden, sich eine Neue zu kaufen und seine alte mitnehmen. Allerdings, ohne LapTop eher sinnlos. Und mit sinnloser Schwester keinen LapTop, das Problem hatte ich nun. "Wie sieht das denn nun aus mit dieser Tanja?" Genaues konnte mir Gabi nicht sagen. Doch diesmal hätte Tanja gesagt, sie käme nach. Das soll sie mal machen. Ich zerbrach mir den kopf darüber, wie wir das anstellen könnten, daß das klappt.

KTB: 23.45 Ankunft Saqsaywaman (745.230)

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