Panamericana-Tour 2002
vom 9. bis 15. August

Dritte Fahrtwoche

Freitag, 9. August 2002
Um halb Neun weckte mich Gabi. Wir hatten an einer Ausgrabung geschlafen. Diesen Verdacht hatte ich schon, als ich am Abend das Schild sah, ich wußte nur nicht, daß es sich hier nicht nur um einige Trümmer handelte, die hier überall im Land verstreut liegen, sondern tatsächlich um eine Anlage von beachtlicher Größe. Wir räumten unser Zeug zusammen, tranken einen Kaba und stiefelten dann durch die Ausgrabungen, für die man seltsamerweise keinen Eintritt zahlen mußte.

Vor Saqsaywaman, Von wo aus man einen guten Blick auf Cuzco hat.

Von Ferne sah ich, als ich durch die Ausgrabungen hüpfte einen Weißroten Mercedeslaster mit seinem, wie ich ihn nenne, Overlander-Aufbau. Das war einer der britischen LKW, die wir im Dezember letzten Jahres auf dem Campingplatz beim Fitz Roy gesehen hatten. Nach einer dreiviertel Stunde zogen wir dann los. Wir hatten einiges vor. Nur eines war halbwegs klar: Wir würden nach Machu-Pichu fahren. Nur wie und wann, darüber wußte keiner bescheid. Das mußte abgesprochen werden. Mit dem Auto kam man nicht hin, doch klar war auch, daß wir so nah ranfahren sollten, wie es nur ging. Ich warf den Diesel an. Er tat sich etwas schwer beim Anspringen in dieser Höhe und sofort war alles um uns her in einer Dieselwolke verschwunden. Es gibt einfach keinen schöneren Duft als den der großen weiten Welt. Ich ließ ihn eine Weile laufen, bis er warm war. "Muß das jetzt sein?" Ja, es mußte sein. Früher, als ich bei kurzen oder auch längeren Halts den Motor nicht ausmachte, meinte immer sie, das übernehmen zu müssen und anschließend, wenn ich mich darüber natürlich nicht sehr erfreut zeigte, den Umweltapostel spielen zu müssen. Und sie kannte mich damals schon gut genug, um zu wissen, daß man bei mir mit Druck genau das Gegenteil bewirkt. "Also, Gabi, ab jetzt, wenn Du mir den Motor ausschaltest, fahre ich jedes mal ein paar Extrarunden durch die Wellenburger Allee." Die Sache stand eigentlich klar: Schalte ich seinen Motor ab, wird viel Abgas produziert, lasse ich ihn laufen, wird wenig Abgas produziert. Doch Gabi besaß so etwas wie eine Lernkurve noch nie. Auf dieser Fahrt wurde sich das hoffentlich noch ändern.

Auch die morderne Technik kann Endorphine freisetzen, und zwar ganz ohne illegale Suchtmittel...

Wir parkten das Auto neben dem Hotel, bei dem wir Catarina ausgesetzt hatten. Wir ließen ihm auch einen Zettel dran, daß wir nämlich im Internet-Café saßen und uns dann an der Plaza de Armas treffen wollten zu jeder vollen Stunde. Statt Catarinas zeigte sich ein bescheuerter Köter, der sofort aggressiv zu kläffen anfing. Warum hatte der Wolf in der Evolutionsgeschichte bald eingesehen, daß der Mensch für ihn keine Beute ist, sondern tunlichst zu meiden?beides sind Rudeltiere, der Wolf hat die schärferen Zähne, doch der Mensch kann Gegenstände greifen und sie schleudern. Das hält den Vierbeiner auf Distanz, so daß seine Hauptwaffe sich nicht entfalten kann. Hier konnte man noch kurz einen dieser steinzeitlichen Kämpfe mitansehen. Gabi erhob natürlich sofort Protest. Wie gehabt.
Ich ging mit ihr los zum Internet-Café, lud die Bilder erst auf Disketten und dann sicherheitshalber auf den Server. Ich trau diesen Disketten nicht mehr. Meine ersten Erfahrungen mit Disketten machte ich 1988, als noch Bildschirm, Prozessoreinheit und Tastatur oftmals ein Stück waren, Monochromanzeige und, wenn es ein moderner Computer war, dann hatte er sogar ein 3,5-Zoll-Laufwerk. Ganze Programme paßten auf eine dieser Disketten und man brauchte nicht zwei 5,25-Zoller mit sich herumtragen. Die Disketten, die ich damals kaufte, funktionieren heute noch bestens. Keine Fehler. Hingegen das Zeug, was man heute bekommt, muß man immer dreifach absichern, denn schon nach kurzer Zeit gehen sie in den Eimer hinein. "Bloß weil die Alte zu blöd ist, einfach das zu tun, was man ausmacht..."

Wir waren eine Weile im Internet-Café, danach gingen wir etwas durch die Stadt und warteten auf der Plaza auf Catarina, der natürlich nicht kam. Dann suchten wir was zum Essen, denn wartend ist schon mal ein Deutscher verhungert. Bei einer dicken Mamma fanden wir dann was Passendes und ließen uns vor ihrem kleinen Laden nieder, halb in einer Passage. Die war nett, immer witzig und man konnte ihr zuschauen, wie sie das Essen machte. Auch frischen Obstsaft hatte sie. Das alles für praktisch kein Geld. "Wo bleibt denn der?" Nun, es geht nun mal nicht so genau. Wir warteten wieder, wieder geschah nichts, außer, daß uns einige Schuhputzer belästigten. Jedes mal kam ein neuer her, nach dem zwanzigsten hat man halt dann doch keinen Bock mehr. "Nein", sagt man, aber er versucht es weiter, während man sich zu unterhalten versucht. "Weißt Du, was 'nein' heißt?" Dann fing er an in irgendeiner Andensprache zu fluchen, woraufhin ich mich der der nördlichen Alpen bediente und das gleiche tat. Saudepp...

Bei verschiedenen Café und Freßpausen, während auf Catarina gewartet wurde.

Wir gingen dann, als uns die Warterei zu blöd wurde, erst zu einigen Reisebüros, um irgendetwas herauszufinden über Machu-Pichu, danach in ein anderes Café und bestellten einen Coca-Mate. Mittlerweile war es schon wieder Spätnachmittag. Und wir machten schon mal einen Schubladenplan, den ich dann Catarina vortragen wollte, wenn er denn irgendwann auftauchen sollte. Als wir dann wieder auf die Straße gingen, hörte ich hinter mit Catarinas Stimme mich einen Penner nennen. "Was machst denn Du da?" Der Typ stand unmittelbar hinter mir. "Ich lauf schon eine ganze Weile hinter Euch her, war gespannt, wann ihr mich seht." Da hatte ich in dieser Touristenstadt wohl den alten Grundsatz "Watch your Six" vernachlässigt.

Wir zogen noch ein wenig in der Gegend umher, Catarina kaufte sich eine warme Weste und einen Sepplhut, dann gingen wir wieder zurück ins Café und oderten nach dem Kuchen erneut Coca-Tee. "Passiert da was, wenn man das trinkt?" Fragte mich Catarina. "Ja. Wenn Du ihn ganz austrinkst ist hinterher die Tasse leer... Das ist aber auch schon alles. Und Dein Kopfweh geht weg. Und jetzt halt Gosch und hör mal mir zu: Wir haben beschlossen, daß wir nach Machu-Pichu gehen. So nah an den Zug ran, wie es geht. Wenn der Bus da hinkann, dann können wir das auch. Der Ort heißt Ollantaytamba. Von dort aus geht der Zug nach Machu-Pichu. Morgen früh. Bis Ollantaytamba sind es 89 Kilometer, das können wir heute noch fahren, ich denke, das ist zu schaffen, auch wenn es eine Piste sein sollte." Catarina hörte sich alles an und meinte, daß das so gut sei. "Jetzt sollten wir uns aber auch übrelegen, wie es mit ihm weitergeht", warf Gabi ein. "Wie?", kapiert' ich nicht. "Wir fahren jetzt nach Machu-Pichu, von hier von Cuzco aus kann er mit dem Bus nach Brasilien fahren, was ihn sicher eine Woche kostet, weil wir fahren dann doch weiter nach Equador und müssen uns dann um die Fähre kümmern."
"Ende August? Wir haben doch erst Anfang August."
"Mitte, weil heut der 10. ist, morgen sind wir den ganzen Tag in Machu-Pichu, fahren folglich erst übermorgen los. Dann brauchen wir zwei Tage und sind in Nazca und einen weiteren bis Lima. Schon wieder eine Woche rum. Dann muß er sich da oben überlegen, wie er zurückkommt, aber von dort fährt sicher kein Bus."
Das waren eigentlich alles Sachen, die nicht ineressieren, aber Catarina wußte, daß es um ihn ging, daher übersetzte ich das: "Du mußt Ende August in Brasilien zurück sein. Von hier aus geht ein Bus, hast Du dir diese Möglichkeit schon überlegt?"
"Was soll denn das jetzt? Das sehen wir dann schon, ich fahr so lange mit wie es geht und dann schau ich, ob ich einen Flug bekomme. Bis dahin ist es noch eine Weile." Es ist ohnehin müßig, so weit im Voraus zu Planen. Es ist das gleiche, als würde man eine ellenlange Rechnung machen, die aus einer Zahl und zig Variablen besteht. Das ist Stoff der sechsten Klasse und gehörte nicht hierher. Fahren und schauen. Deshalb waren wir unterwegs...

Plaza de Armas in Cuzco.

Wir schlenderten zum Auto, stiegen ein und fuhren dann langsam los in Richtung Ollantaytambo. Es war Neun Uhr. Wir fuhren anderthalb Stunden, am Schluß über eine ziemlich holperige Piste. Wir schaukelten durch die kleine Ortschaft und sie lag da wie tot. Nichts sah nach Bahnhof aus. Einmal hielten wir wn und fragten. Man wies uns die Richtung, wir folgten und standen an einem Platz, der vermutlich auch wieder Plaza de Armas hieß. Wie überall, so war hier ein quadratischer Park, eine Insel, also, sozusagen und drumherum Gebäude. Ein Bahnhof konnte hier nicht sein. Wir fuhren mehreren Straßen, die vom Platz weggingen, nach, doch landeten immer wieder am Waffenplatz. Bei einer jedoch kamen wir auf eine kleine, schmale Piste, die dann endlich am Bahnhof endete. Wir waren da. Allerdings kosteten die Tickets nicht 20, sondern 30 Dollar. Und das löste eine Diskussion aus, ob wir denn überhaupt nach Machu-Pichu fahren sollten. Ich tat es wie in alten Zeiten: Hände heben, einen Schritt zurück und "Ich bin nur der Fahrer, macht es untereinander aus". Doch damals war das einfach, da die gemeinsame Sprache zwischen den Parteien vorhanden war. Die fehlte jetzt. Ich mußte übersetzen. Gabi begann ihren Vortrag: Sie war verärgert über die Tatsache, daß uns fälschlicherweise ein niedrigerer Betrag genannt wurde. Klar, es geht nur um 10 Dollar, aber wer garantiert uns, daß es oben dann nicht auch heißt, daß der Eintritt nicht 20 sondern auch wieder 30 Dollar kostet oder noch mehr? Die Fahrt hierher war es auch wert, wenn wir nicht nach Machu-Pichu gingen. Außerdem kenne sie den geschichtlichen Hintergrund nicht und einfach nur planlos zwischen Ruinen herumzuspringen könne es wohl nicht sein. Während vorgetragen wurde, wälzte sich unsere Runde langsam in Richutung Auto, das wir am Ende des Parkplatzes abgestellt hatten und wir begannen, Tee zu kochen. Während wir da so quatschten, stellte Gabi plötzlich hastig ihre Tasse ab, stieg ins Auto und schlug die Tür zu. Catarina sah ihr nach, dann drehte er sich langsam um und sah mich mit einem Ausdruck des Erstaunens an und sagt ganz langsam und theatralisch: "Mein Gott im Himmel, als hätte sie einen Geist erblickt... Was ist denn los?" Ich hatte keine Ahnung, "wenn ich mich jedesmal fragen würde, warum sich Weiber so bescheuert benehmen, dann hätte ich keine Zeit für etwas anderes." Wir sahen uns um und da kam auch schon der Grund herangewatschelt.

"Hülfää, alle sterben!!!" Eine Kuh kam friedlich und ohne uns überhaupt die geringste Beachtung zu schenken entlanggetrottelt und sah in sich ruhend und mit sich selbst zufrieden aus...

Catarinas Ansicht war, wir seien extra tagelang hierhergefahren, wenn wir jetzt umdrehen, seien wir wie der Portugiese, der von Portugal nach Brasilien schwamm und als die Küste sich schon zeigte, wegen akuter Müdigkeit umkehrte und nach Hause zurückschwamm. Das sei Quatsch. Natürlich wisse er auch, daß zumindest für ihn, die Höhepunkte dieser Fahrt die Anden, die Wüste, sogar die beschissene peruanische Grenze seien, und nicht dieser Steinehaufen da oben. Aber wir sind hergefehren, weil man es gesehen haben muß und ob das nun 10 oder 20 oder 50 Dollar mehr kostet, das sei nicht wichtig, denn wer weiß, ob und wann man wieder so nahe an dieses weltberühmte Stück menschlicher Kultur käme, auch wenn wir alle dafür zu banausig seien, das tue nichts zur Sache.
Ich übersetzte nun beide Versionen, es ging ein wenig hin und her, ich wollte einen Stellplatz für das Auto, andernfalls mußte einer am Auto bleiben. Gabi kam dafür nicht in Frage, Catarina auch nicht, denn er wollte ja nach Machu-Pichu. Mir war es egal, und wenn ich bleibe, bleibt Gabi auch.

Samstag, 10.August 2002
Wir bauten unser Nachtlager aus. Eigentlich nur Catarinas', denn bei uns gab es nicht viel zu bauen. Er hatte wieder seine Hängematte, die wurde am Gepächträger befestigt und am Baum, dann verpackte er sich darinnen. In der Nacht wurde es kalt.

Am nächsten morgen war um das Auto ein Rummel, daß man meinen könnte, man wäre in Bagdad mitten auf dem Bazaar. Der noch vor einigen Stunden absolut tote Parkplatz war überhaupt nicht mehr zu sehen, stattdessen ein Gewimmel von Menschen, Eseln, Kleinbussen, Großbussen, PKW, Einheimische mit allerlei Gepäck, Verkaufsbuden, Touristen, Geschrei, Getöse, Gewimmel, alles bunt und durcheinander. Mittendrin standen wir und sahen uns das Chaos einigermaßen erstaunt an, wie schnell dieser Parkplatz, auf dem wir vor einigen Stunden noch allein auf weiter Flur standen, viel zu klein geworden war. Wir waren mitten in einem Stau, es ging weder vorwärts noch rückwärts und auf den abschließbaren Parkplatz zu kommen, der nur einige Meter auf der anderen Seite der Straße lag, war eine Angelegenheit von einer halben Stunde. Ich ging zu einer der Buden und fragte nach, wer für den Parkplatz nebenan zuständig wäre. "Da mußt Du klopfen bis einer kommt. Aber laut, sonst hört Dich keiner..."

Alles kaputt. Hinter die steinerne Mauer mußten wir, zu Fuß eine Angelegenheit von weniger als 10 Sekunden, nur ging lange Zeit in motorisiertem Zustand überhaupt nichts. "Na, los, Leute, hopp. Motoren sorgen für Bewegung!"

Ich kämpfte mich durch den Stau, und klopfte an das Tor und hupte und trappte dagegen. "Hola...!", und immer munter dagegentrappen, da, wo es am lautesten ist, und das Tor möglichst laut scheppert. Ich hörte erst auf, als ich durch die Ritzen sah, daß jemand ankam. Es war eine uralte Frau, die das Tor öffnete und sie fragte grantig nach, wer hier so einen Lärm macht. "Die haben gesagt, ich solle laut klopfen..." "Ja, schon, aber nicht das Tor einschlagen. Welcher Trottel hat das überhaupt gesagt?" "Der Typ dort vom Verkaufsstand." "Ach, der schon wieder. Wenn ich 30 Jahre jünger wär, dann würd ich ihm eine Batschen, aber so hat das alles keinen Wert. Du kannst das Auto da vorne hinstellen, keine Angst, es passiert ihm nichts. Versuch dabei, möglichst nicht gegen das Tor zu fahren, das fällt eh schon halb auseinander, weil jeder meint, er muß dagegendreschen wie ein Irrer. Die Leute haben wohl in ihrem Leben nichts zu tun, ich bin 90, ich kann nun mal nicht aus dem ersten Stock herunterspringen. Mein Sohn wollte schon lang mal ein Schild da vorne hinhängen, aber das ist auch so einer. und wenn das Tor mal weg ist? Was dann..?" Ich fand sie witzig, wie sie da den riesigen Garten entlangwatschelte und or sich hingrantelte, ohne aber irgendwie richtig böse zu sein. Ich stellte das Auto ab, nahm heraus, was ich brauchte und zahlte. "Wenn Du zuückkommst, dann denk dran, daß ich das Tor noch länger behalten möchte, OK? Viel Spaß wünsch ich Euch." Der Parkplatz kostete etwa 5 Mark oder Dollar, jedenfalls seht günstig. Dann machten uns an den Schalter um Tickets zu kaufen, wobei überhaupt nicht sicher war, ob die überhaupt noch welche hatten. Wir waren so ziemlich die letzten, der Stau hatte sich schon wieder fast aufgelöst. Wir kauften die Tickets und gingen an das Gleis. Lange gewartet wurde nicht, denn schon bald kam ein Bummelzug angedampft. Wir nahmen Platz und schon bald ging es durch eine sehr heimische Gegend hinauf nach Machu-Pichu. Die Fahrt dauerte etwa eine Stunde.

Heimat, Deine Berge,
Sie strahlen mir auch an fernem Ort...

"Du Depp wolltest das hier alles laufen?" Ideen haben die Leute manchmal, da fragt man sich, ob sie als Kind vielleicht mal vom Wickeltisch gefallen sein mochten. Was mir auffiel war, daß uns immer eine Piste begleitete von Anfang an und bis zur Endstation. Man hätte also auch fahren können, da wir aber keine Autos sahen, gehe ich davon aus, daß das mit Absicht so gehalten wird, damit man als Tourist den teuren Zug nehmen muß. Teuer ist er eigentlich an und für sich nicht, denn die Einheimischen Pendler zahlen ein paar Pfennige. Aber Bei den Touris schlagen sie natürlich zu, was einerseits logisch ist, andererseits den Reiz steigert, eine Methode zu finden, ohne zu zahlen durchzukommen. Das geht sicher auch, denn Wachposten oder sowas gab es auf dem Weg nicht. Nur braucht man dazu erstens Zeit und zweitens den richtigen Trupp, wobei ich mir sicher war, daß Catarina dafür nicht ungeeignet ist. Da wäre ich sogar auch dabei, dem Reiz, irgendwo durchzubrechen oder einzudringen, kann ich auch heute noch nur schlecht widerstehen. Da gibt es nämlich immer eine gewisse Chance: Sie rechnen nicht mit uns... Aber diesmal zahlten und fuhren wir, wie alle anderen auch. Wir hatten keine Zeit...

Wir kamen an der Endstation an und folgten einfach den Touristen zum Bus. Die werden schon wissen,wo sie hingehen. Die Preise hier waren nur als unverschämt zu bezeichnen, der Bus mußte extra bazahlt werden. Wir warteten eine Weile, stiegen ein, fuhren die Serpentinen hoch und standen am Haupteingang. Dort gingen wir in ein Hotel, wechselten Geld und blechten für den Eintritt. Das ist die einfachste Methode. Natürlich ist das ganze Gelände nicht abgesperrt und man kann auch anders her, aber wie gesagt, dafür braucht man Zeit. Wir trannten uns. Gabi ging woanders hin und ich ging mit Cat zur Inkabrücke. Es war ein schmaler Pfad, stellenweise konnte man auf Nimmerwiedersehen abstürzen. Wir rätselten, wie viele hier wohl schon runtergesegelt waren. Am Ende des Pfades ging es hunderte von Metern steil abwärts.

Sehr romantisch...

Wir trafen ein ausländisches Touristenpärchen, das dort recht unmotiviert herumsaß.
"Hi."
"Hi..."
"Ist das die Inkabrücke?"
"Das ist sie wohl..."
"Und? Wo seid ihr her?"
"Aus Kanada. Und ihr?"
"Brasilien, Deutschland..."
"Wo in Deutschland?"
"München..."
"Wo in Kanada?"
"Nun, ja. Eigentlich sind wir aus den USA. Aber wir sagen immer, wir seien aus Kanada, weil die meisten Leute Amerikaner nicht mögen." Komisch. Woher das nur kommen mag? Das ist die ausgleichende Gerechtigkeit. Die einen gewinnen de Krieg, die anderen können dafür frei in der Welt umherreisen... So ist es nun mal.
"Meine Mutter ist aus Deutschland", sagte sie, "ich versuche, irgendwie an den deutschen Paß zu kommen. Damit reist es sich leichter, habe ich gehört. Stimmt das?"
"Ich kann nichts gegenteiliges behaupten und möchte den deutschen Paß gegen keinen anderen tauschen. Ich denke, unter dem Strich fährt man damit wohl am besten. Kein Problem in arabischen Ländern, kein Problem in westlichen Ländern oder in Asien."

Wir gingen gemeinsam wieder zurück und trafen Gabi wieder, sahen uns den Rest von Machu-Pichu an und trennten uns dann wiederum, denn Cat wollte auf den Mond-Buckel steigen. Ich glaube, er heißt so, der Berg auf dem Bild. Ich gab ihm allerhand kluge Ratschläge. "Unterschätz den Berg nicht, ras nicht los, wie ein Idiot, geh lieber gleichmäßig langsam und nimm ein gescheites Jopperl mit, denn die Temperaturen können sich innerhalb weniger Stunden extrem ändern. Bleib auf dem Pfad und nimm nicht irgendwelche idiotischen Abkürzungen, denn die kürzen manches mal die Lebenserwartung." Wir treffen uns um 16:00 Uhr auf dem Hof bei dem Baum. "Falls was danebengeht, dann treffen wir uns am Auto". Was ich ihm allerdings, ohne es zu merken nicht mitgab, war die 1,5 Liter Wasserflasche, die ich im Rucksack hatte und sowieso nicht anrühren würde. Das merkte ich ungefähr eine Stunde später. Wir sahen uns nch weiter um, wie Neanderthaler in einem Opernhaus. Wir mußten uns dann langsam vom Acker machen, denn der letzte Zug ging um fünf. Als der Tag auf seine 16. Stunde zuging, ging ich zu unserem ausgemachten Treffpunkt. Kein Cat, weit und breit.

Das klassische Postkartenphoto...

Gabi ging voraus, denn sie wollte hinuntergehen statt fahren. Ich wartete auf Catarina. Wenn man zum Berg hinaufwill, muß man seinen Namen angeben und ihn wieder streichenlassen, wenn man zurück ist. Ich ging als zu dem Häuschen hin und fragte nach, ob Catarina schon wieder unten sei. "Nein, der muß wohl noch oben sein." Ich wartete weiter und zwar so lange, bis ich einsah, daß ich den Zug wohl versäumen würde, wenn ich mich nicht jetzt auf die Socken machte. Ich meldete den Sicherheitskräften, daß ein Dalton Silva vermißt ist, er sei auf den Berg geklettert und bis zur Stunde nicht zurück. Man solle ihn wissen lassen, daß wir am Auto warten. Ich ging zum Bus. Doch der nächste Bus würde erst um 17 Uhr losfahren. "Das ist zu spät, verdammt..." Es blieb mit nut noch, in alter ettaler Manier, den Berg hinunterzurennen. Wenn das mal gutging. Als ich das zuletzt tat, in Argentinien am Cerro Negro, konnte ich tagelang nicht laufen und nur schwer kuppeln. Nur damals waren Ines und Almut dabei, eine Mannschaft, auf die sich jeder einzelne 100%ig verlassen konnte. Diesmal fehlte diese Sicherheit, ich hatte hier nicht das Gefühl, mit jemandem gemeinsam zu reisen, sondern mehr jenes, Reiseleiter zu sein.
Das macht es nicht leichter, denn man weiß nie, was auf dem Weg passiert, deswegen sollte man sowohl Gerät als auch der Besatzung blind vertrauen können und wissen, daß zu jeder Stunde jeder seinen Teil dazu beiträgt, damit alles glattläuft und zwar bis zum Ende. Diese Sicherheit fehlte mir hier. Ich wußte zum Beispielnicht, was Gabi wirklich machen würde, wenn der letzte Zug abfährt und ich nicht da bin. Bei Almut wäre alles anders gelaufen. Wir wären zu dritt auf den Berg gegangen. Wer weiß, was aus Catarina geworden ist. Vielleicht ist er nur zu spät, vielleicht ist er aber auch abgestürzt. Wer weiß das schon?

Ich ging den Fußpfad hinunter, nicht die Straße entlang, sondern den kürzesten Weg. immer schön Federn, damit die Knie möglichst nichts davon merkten. Es ging ganz gut, teilweise über die alten Stufen, teilweise durch den Busch. Ab und zu hörte ich Kötergekläff. "Drecksviecher, sogar hier..?" Ich hob zwei faustgroße Steine vom Boden, einen in jeder Hand eilte ich weiter. Als der Trampelpfad einmal wieder die Staße nahe bei einer Wende kreuzte und ich es vorzog, den etwas längeren Weg über den Schotter zu nehmen anstatt den unwesentlich kürzeren durch das Gebüsch, machte ich in etwa 50 Meterrn einen Köter aus, der, als er mich rennen sah, sofort auf mich zuzulaufen begann. Ich drehte um, lief auf ihn zu, woraufhin er abbremste. Ich lief weiter auf ihn zu und machte keine Anstalten zu bremsen. Er begann dann, von mir wegzugehen, rannte aber nicht. Erst als ich ausholte, rannte er los. Der Stein flog los und schlug neben dem Köter ein. "Verdammt!" Das Viech verschwand im Gebüsch und ich drehte um und rannte weiter in Richtung Tal. Ich hasse diese Viecher.

Beim Warten auf Catarina.

Schon bald holte ich Gabi ein. "Wo is' der ander'?" "Keine Ahnung, wahrscheinlich abgestürzt..." "Ja, jetzt lachen wir noch..." Wir kamen zum Zug und es war alles voller Amis. Laut und Kaugummidialekt. So ging es zurück. Als wir ankamen meldeten wir erneut, daß einer fehlt. Mehr konnte ich nicht tun.
Wir holten das Auto ab, neben uns stand ein Touri-Bus von Tucan-Travel mit deutschem Zollkennzeichen aus ROW. Wir stellten uns diesmal etwas weiter weg vom Parkplatz. Keine Ahnung, warum, denn später, nachdem wir dann zu Abend gegessen hatten stellten wir uns wieder an unseren alten Platz vom Vortag.

Sonntag, 11. August 2002
Auch in der Nacht kam kein Catarina angegrattelt. Aber man konnte überhaupt nichts sagen, außer makabere Witze machen. Man darf schließlich alles im Leben verlieren, nur nicht den Humor. Wir legten uns schlafen. Endlich passiert hier mal was Spannendes. Wir schliefen in aller Seelenruhe ein.

Am nächsten Tag ging das bunte Treiben in aller Hergottsfrühe wieder los. Der nicht abreißen wollende Strom der schwerbepackten einheimischen wälzte sich links und rechts am Daimler vorbei und verschwand in den sogenannten Kleinbussen, deren Fassungsvermögen um vieles höher lag, als man es bei reiner Betrachtung auch nur ansatzweise vermuten konnte.

Eingeparkt und mitten im Gedränge, der alte Daimler

Mitten unter den Tausenden, die der Zug ausspie, befand sich auch Catarina. "He, cool. Ich dachte schon, Du Arsch hast Dich da oben in aller Seelenruh' erschlagen und ich kann hier Wochenlang auf Dich warten. Find' ich sozial, daß Du doch nicht krepiert bist." Er fuchtelte mit der Hand winkend vor dem Gesicht eines Peruaners herum. "Spinnst jetzt Du? Laß den Typ doch in Ruh'" "Wollt nur Tschüß sagen, bei dem hab ich heut übernachtet." Natürlich waren wir alle auf die Geschichte gespannt.

Als wir uns am Checkpoint trennten, stiefelte er also los um auf den Berggipfel zu kommen. Anfangs ging es ganz gut, doch dann wurde es immer steiler und er hatte keine Vorräte, keinen Zucker und vor allem kein Wasser dabei. Doch er bildete sich ein, der Gipfel konnte nicht mehr weit sein und anstatt umzukehren, ging er weiter. Die Kräfte schwanden ihm und irgendwann setzte er sich hin. Als er merkte, daß er nicht weiterkam, und ein paar Tourisen in der Ferne vorbeilaufen sah, rief er um "Chäouppy", was wohl soviel wie "Help" heißen sollte. Die Touris aber meinten wohl, er wollte sie veralbern und liefen weiter. Resigniert legte er sich also auf den Boden und schlief ein. Da er aber auch keine Uhr hatte, wußte er nicht, wie lange er da gelegen hatte und wäre es nicht kälter geworden, hätte er wohl weitergeschlafen. Aber er raffte sich auf, und kehrte um, da langsam die Dunkelheit sich schon breitmachte. Als er unten ankam war nur noch der Wächter da und der erklärte ihm grinsend, daß weder Bus noch Zug mehr fuhren. Er ging in das Dorf, das sich um die endstation gebildet hatte, ging ins Internet und quatschte wohl irgendeinen Peruaner an, aktiv oder passiv und der stellte ihm eine Ecke in seinem Haus zur Verfügung, in der er sich zur Ruhe bettete. Das war die Geschichte in Kurzfassung, auf die Lange Fassung warte ich noch.

"Nun, nicht lange Reden geschwungen, aufgepackt und aufgesessen, wir müssen weiter." Während wir zusammenpackten wollte ich schon mal den Motro anwerfen, damit er schön warm war. "Auweh... das geht schief", sagte ich, als ich beim Vorglühen schon merkte, daß die Lichter immer schwächer wurden. Als ich am Schlüssel drehte, tat sich nichts. "Haha, dös wor jo mir auch glaarr... Nä?" "Was?" "Springt nicht an... brauchen Starthilfe..." Ich zog los, nachdem ich die Starhilfekabel aus den unendlichen Tiefen des Kofferraums ausgegraben hatte, und fragte einen nach dem anderen. Ein Taxler hatte es eilig, der andere war zu teuer, aber der der Dritte fragte, ob ich ein Kabel hätte. Er fuhr vor, die Kabel hatte ich schon in Stellung gebracht. "Rot ist positiv, schwarz ist negativ", schrie ich Cat zu, der gerade die haube öffnete und setzte mich ins Auto. Er schloß sie an, ich glühte vor,. er hieß den Typen gasgeben und schon lief der Daimler. Er nahm die Kabel ab, schloß die Haube, bedankte sich und brachte mir die Kabel, nach einer Vierteldrehung lief der Daimler und sang sein altes Lied.

Ein Lied geht um die Welt
Ein Lied, das uns gefällt
Die Melodie erreicht die Sterne
Jeder von uns hört sie so gerne.
Von Eisen singt das Lied,
Von Treue singt das Lied.
Die Melodie wird nie verklingen
Er wird es ewig singen,
Fließt auch die Zeit,
Das Lied bleibt in Ewigkeit...

Das klappte ja, wie aus dem FF. "Leinen los!" Wir fuhren an. Der Stau hatte sich mittlerweile wieder aufgelöst, wir standen erst am Dorfplatz, aber nicht wegen Stau, sondern weil Cat Photos schießen mußte.

Nun waren wir auf dem Rückweg. Drei Tage mindestens, rechneten wir bis Lima. Dort wollten wir ins Netz, Wäsche waschen, diebeiden wollten in irgendein Nationalmuseum und dann konnte es auch schon weitergehen. Cat wollte nach Möglichkeit bis Zentralamerika mitfahren. Nun galt es, zu prüfen, was an dem Gerücht war, daß von Equador nach Panamá eine Fähre ging, wie uns der Schweizer damals auf dem Camping in Ushuaia erzählt hatte. Er sei mit seinem Land Cruiser für 700 Dollar von Panamá-Stadt nach Manta / Equador gefahren. Daher war unser Ziel Manta., da aber Guayakil, die eigentliche Hauptstadt Equadors auf dem Weg lag, würden wir natürlich erst dahinfahren. "Wie schaut es mit Kolumbien aus?", fragte Cat, "das würde mich schon interessieren." Gabi legte sofort Protest ein, als das Wort "Colômbia" fiel. Abertausende von Kilometern von der Grenze. Noch waren wir noch nicht mal in Lima und von Lima aus war es noch ewig weit bis Equador.

"Wie schaut denn das jetzt nun mit dieser Tanja aus? Mach mal was, daß die herkommt, was ist denn das überhaupt für eine?" Gabi erzählte die Geschichte. Erzählen kann sie, wie kaum jemand, den ich kenne. Tanja ist eine Krankenschwester. Deutsch, Mittelschule, das ganze Jahr wird gearbeitet und im Urlaub wird an den Gardasee gefahren. "Mal Zeit, daß die Dame mal ein wenig rauskommt." Natürlich brauchte ich nicht noch einen Touristen, aber um einen LapTop an Bord zu kriegen, würde ich sogar mit dem Teufel persönlich zur Hölle fahren. Es mußte alles vorzüglich hinhauen, damit Gabi genügend Propaganda macht und Tanja sich überzeugen läßt, daß eine Fahrt durch Zentralamerika nicht sofortiges Sterben zur Folge hat. Möglichst alles so, wie daheim, friedlich, unkompliziert und einfach mal einen Monat nur ausspannen. Zurücklehnen, die Landschaft genießen, ich kümmere mich um die komplizierten Stellen. Natürlich hatte ich selbst nicht sehr viel übrig für Sommer, Sonne, Strand und Palmen. Das ist Urlaub. Wir tun hier Reisen und da gehört es dazu, sich mit Idioten an der Grenze herumzuschlagen, in irgendeiner Dreckecke zu pennen und zu versuchen, auf unbekanntem Terrain möglichst das zu bekommen, was man benötigt. Und dazu gehört es auch, Ärger in Kauf zu nehmen, wenn es unbedingt sein muß und Systeme zu knacken. Aber auch das gemütliche Gondeln durch fremdes Land. Catarina sah das ganz genau so.
Er hatte Bilder von Seiner Fahrt nach Nordbrasilien, hatte es irgendwie geschafft, daß er auf der Transportfähre mitfahren durfte, von Mücken zersochen in der schwülen Hitze mit Fieber in Manaus ankam. Er hätte auch einfach fliegen können und für das Geld, was er für das Schmieren benötigte, zwei Tage im Hotel auf sein Dreirad warten können. Aber das ist es nicht. "Das muß man einfach mal gemacht haben", mit den Fährmännern, die nichteinmal die schlechteste staatliche Schule besucht hatten auf dem Amazonas zu fahren. Das ist schon etwas anderes, als sich einfach nur ein Flugticket zu kaufen, denn dann würden wir uns sagen, ist es noch einfacher und billiger, einfach daheimzubleiben und sich Manausbilder im Internet anzusehen.

Also, ich wäre noch ein Stück weiter von der Straße weggefahren, auch wenn hier kaum Verkehr ist.

Darüberhinaus kamen wir dann auf etwas anderes zu sprechen, nämlich über Urlaub an sich. Ich könnte mir wohl vorstellen, einen All-Inclusive-Urlaub für Billig zu buchen, auf irgendeine Touri-Insel wie Mallorca, Teneriffa, DomRep, woauchimmer zu fahren und zwei Wochen im Ressort abzuhängen. Habe ich kein Problem damit, denn der Zweck der Reise wäre, einfach abzuflacken und sich bedienen zu lassen. Wenn ich soetwas machen, dann fliege ich in Urlaub.
Gabi wiederum meint, sie könnte das nie machen, denn da würde man vom Land nichts sehen. Natürlich nicht, aber was interessiert mich das Land? ich fliege in Urlaub. Das ist wohl der goldene Mittelweg, im Urlaub ein wenig zu reisen. Nur vertragen sich diese beiden Sachen miner Überzeugung nach nicht. Überhaupt nicht, es ist ein Unterschied, wie Öl und Wasser, sieht von weitem ähnlich aus, doch haben miteinander nicht nur nichts zu tun, sondern man kann beide auch nicht vermengen. Die Definition von Urlaub lautet: "Urlaub ist die Zeit, die der Arbeitnehmer von seinem Arbeitsplatz mit der Genehmigung des Arbeitgebers fernbleiben darf." Urlaub ist zeitlich stark begrenzt, enthält nur berechenbare Unbekannte. Menschen, deren primäres Ziel es ist, sich eine schulmäßige Existenz aufzubauen, sprich: Schule, Ausbildung / Studium, Beruf, Familie, Rente, Sterben, bleibt meist nur der Urlaub, um sich für einige Tage im Jahr, um Kräfte zu sammeln, um die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen, oder um in ein Leben zu flüchten, von dem man nur träumt.
Die Reise ist schon per Definition etwas ganz anderes: "Der Begriff Reise (v. althochdeutsch: risan: aufstehen, sich erheben) bedeutet eine Ortsveränderung, z.B. eine Fahrt zu einem entfernteren Ort. In der Reise liegt die Möglichkeit besondere Erfahrungen zu machen. Sich Abzusetzen von der 'Realität' einerseits, andererseits die Erlangung und Gestaltung neuer Räume und Welten." Sie wird nicht direkt von jemandem genehmigt, sondern unternommen, meistens Freiwillig. Leute, die durch welche Umstände auch immer sich keine klassische Existenz aufbauen könnnen oder wollen, die nicht einem Arbeitgeber verpflichtet sind, machen sich aus den verschiedensten Gründen auf den Weg: Wurzellose Zigeuner, Streuner, Glücksritter, Suchende, nach einem besseren Leben, oder nach der Sagenhaften blauen Blume oder einfach Leute, die aus irgendeinem Grunde, sei es durch Erbschaft, Diebstahl, Glück, es sich einfach leisten können, durch die Lande zu ziehen, denen der Weg das Ziel ist.
Ich möchte nicht das eine über das andere stellen oder beide Sachen gegeneinander aufwiegen. Ich bekomme viele Zuschriften, in denen mein Mut bewundert wird und ich schreibe jedesmal zurück, daß es nicht der Mut ist, der einen forttreibt, bei weitem nicht und nur derjenige, der sich einmal selbst auf den Weg macht, und sei es auch nur, um nach Südmarokko zu fahren, der wird feststellen, daß er seinen ganzen Mut umsonst mitgenommen hat. Was man braucht ist nur die Fähigkeit, sich von der Welt in die man sich hineingelebt hat, trennen zu können. In meinem speziellen Falle mag es daran liegen, daß wir von klein auf nie die Chance hatten, uns irgendwo richtig zu verwurzeln. Kaum waren wir irgendwo "daheim", schon wurde der Alte Herr wieder versetzt. Von Osterrad nach Schifferstadt nach Brasilien, wieder zurück und so weiter. Und ich tat das meine, kaum zwei Jahre an einer Schule, hielten es die Lehrer nicht mehr aus und ich stand da und meine alten durften mir eine neue Schule suchen, aus der ich nach wenigen Jahren auch wieder hinausflog. Der ständige Wechsel meiner Umwelt wurde mir zur Ersatzheimat, daher fiel der Aufbruch nicht schwer. Umso mehr aber lernt man genau die Dinge zu schätzen, die einem beständig erscheinen, von denen man jetzt schon weiß, daß sie auch in Jahren noch da sein werden, und wenn wieder eine Welt vor die Hunde ging oder im Meer der Erinnerung versank. Richtigen Bestand hat nichts, denn alles fließt, daher schreibe ich auch ausdrücklich "beständig scheinen". Dazu gehört die Familie, die wenigen Freunde, die man hat, welche aber auch im nietzscheschen Sinne zu verstehen sind, der Daimler, natürlich und damit hat man es denn auch schon wieder fast alles umfaßt.

Wieder eine Pause an der höchsten Stelle der Strecke.

Daher war es für mich nicht besonders schwer, damals loszufahren, im Gegenteil. In Deutschland zu bleiben wäre in meiner Situation wesentlich schwieriger gewesen und ich habe mir schon immer den Weg des leichteren Widerstandes geliebt. Und trotz allem hat man die Sicherheit: Kommt es wirklich hart auf hart, dann kommt man auch heim. Die Zeiten, in denen man verloren war, sind vorbei. von jedem Punkt der Welt kann man innert einer Woche wieder daheim sein. Viel schwieriger ist es, sich selbst die Frage zu beantworten, ob man das denn auch selbst will - wenn man eine Weile weg ist. Das hatte mit Erwin Thoma erzählt, der damals seit 22 Monaten unterwegs war. Nun hatte ich ihn eingeholt, und ich selbst könnte die Frage nicht mit letzter Sicherheit beantworten, wenn ich der betroffene wäre. Fest steht, daß das ziel-, sinn- und planlose Umherirren Spaß macht ohne Ende. Es sei jedem empfohlen und besser, als die Zeit im Büro, in der Uni oder am Bahnhof zu versitzen ist es bestimmt - zumindest für den Augenblick. Und man muß noch eines feststellen: Wenn man glaubt, man wisse bescheid, wenn man viel gereist ist, so ist meine Erfahrung genau gegenteilig: Je mehr man reist, desto besser erkennt man, daß man eben nichts weiß. Wenn mir Leute schreiben und mich um Tipps bitten, kann ich nicht viel mehr tun, als über meine Erfahrungen zu berichten, immer mit dem Hinweis, daß das meine Erfahrungen seien, und daß die Erfahrungen des Fragenden durchaus genau Gegenteilig sein können. Das Reisen ist und bleibt immer etwas Subjektives, wäre es das nicht, dann könnte man es eben in Sachbüchern nachlesen und hätte keinen richtigen Grund, selbst loszufahren.

Doch zurück auf die Panamericana. Wir fuhren wieder denselben Weg zurück. Nazca lag ungefähr auf halbem Weg zwischen Cuzco und Lima, allein lagen zwischen Cuzco und Nazca die Anden, was für diese Hälte mehr als die doppelte Zeit in Anspruch nahm Der Daimler hatte einiges zu schaffen, er war der einzige, dem wirklich einiges abverlangt wurde, nämlich in dieser Höhe uns möglichst schnell voranzubringen. Man merkte zum Beispiel, wenn man nach einer bergabstrecke wieder auf das Gas ging, daß ein starkes Ruckeln durch das Auto ging. Ich mußte es jedes Mal mit der Kupplung ausgleichen. Wenn er anfing, ging ich mit der Kupplung bis kurz hinter den Druckpunkt, gas Vollgas und kuppelte langsam wieder ein. Eine pechschwarze Dieselwolke blieb in der Luft hängen. Und schwarz soll sie sein. Wir hielten in einem Kaff, dessen Name wohl Oro Verde gewesen sein muß, um etwas zu Essen. Vorher wechselten wir noch Geld. Natürlich stand wieder das übliche zur Auswahl, nachdem alle Pizzerias noch zu hatten. Catarina wurde die sucherei irgendwann zu blöd und er sagte: "Macht's was ihr wollt, ich geh jetzt da hinein..." Und er ging. Gabi und ich gingen in ein anderes Restaurant und ließen uns das Tagesmenü bringen. Suppe, Gockel, Pommes.

Hinterher kauften wir uns noch Wegzehrung in Form von frischgepreßtem Nußgebäck und machten uns weiter auf den Weg, so weit wie möglich in den Westen, auf Nazca zu, vorzustoßen. Cat und Gabi schliefen, der Daimler und ich kämpften uns über die Piste. Ich legte die Abba-Kassette ein. "The Winner takes it all..." Das zählt für mich immer noch zu den schönsten Stunden einer Reise, das könnte ewig so gehen und würde mich nicht stören. Wir kamen bis Abancay, dann machten wir eine Sense. Allerdings nicht an der selben Tankstelle, an der wir auf dem Herweg blieben, sondern an einer, die am Ortseingang, dem damaligen Orteingang lag. Dort stellte ich das Auto mit dem Bug im 30°-Winkel an die Wand und genau da blieben wir.

Montag, 12. August 2002
In der früh erwachte ich ausnahmsweise als erster. Catarina lag im Schatten, daher störte ihn die Sonne nicht beim Schlafen und ich ließ ihn auch flacken, bis er von selber wach wurde.In der Zeit brachte ich neues Brauchwasser an den Start, wusch mir die Haare, die voller Staub von den Pisten waren, putzte mir die Zähne und brachte das KTB auf aktuellen Stand.

An einer Tankstelle in Abancay.

Nachdem wir noch frisches Brot aufgestellt haben, ging es gleich weiter, ohne größeren Aufenthalt. Gabi hatte schon einen Plan parat. Gegen Drei Uhr sollten wir in Nazca sein. Dort könnten wir Mittagessen, das Museum anschauen und dann noch rechtzeitig losfahren, um die Nazcalinien anzusehen, welche sie noch nicht gesehen hatte. "Was hat sie gesagt?", fragte Cat, der wahrscheinlich Museum und Nazca und Linien herausgehört hatte. Ich übersetzte. "Wieso bleiben wir nicht einfach in Nazca und fahren morgen weiter, schauen dann die Linien an und gehen ins Museum? Sie will doch sowieso nicht in Lima an einer Tankstelle übernachten." "Laß mal", sagte ich, "der Plan geht sowieso schief..." Pläne kann man machen, wenn man daheim ist. Wenn man mit der TUI reist, braucht man sie nicht machen, weil sie schon fertig sind, wenn man mit mir reist, braucht man sie auch nicht machen, weil sie eh danebengehen.

Wir kämpften uns noch durch das Pistenstück zwischen Abancay und Calhuanca, dann war die Bahn frei. Kaum bekamen es mit, als wir uns wieder auf dem Abstieg befanden, auf Nazca zu. Außer einem liegengebliebenen LKW sahen wir keine Autos. Der Daimler gewann wieder an Abzug, die Abgaswolke wurde kleiner und wir fuhren munter weiter.

Beim Abstieg nach Nazca. Genau auf Zwölf sieht man die mit an die 5000 m angeblich höchste Sanddüne der Welt. Ich halte es für ein Gerücht, denn sie liegt sicher auf einem Felsplateau. Wenn es so wäre, könnte man eine Schaufel Sand auf den Aconcaqua schippen und dann behaupten, diese Düne sei noch höher.

Auf einem dieser Stücke, die aussehen, wie auf dem Bild, kam uns ein saharafarbener Hauber entgegen. Er sah nicht aus, wie ein einheimischer Laster. Als er näherkam, sah ich sein deutsches Kennzeichen, GP, was wohl für Göppingen steht. Wir hupten uns an und fuhren erst aneinander vorbei. "Der kommt mir bekannt vor", sagte ich noch. Als ich im Rückspiegel seine Bremslichter sah, hielt ich an, wendete und fuhr zu ihm, während er gerade auf seiner Gegenfahrbahn auf einer Art Rastplatz parkte. "Klar, die haben wir in Ushuaia getroffen..." Ich stieg aus und mir entgegen kamen Rudi und Jeane. "Hallo, der Augsburger... wer hätte gedacht, daß wir uns so schnell wiedersehen?" Erstmal großes Hallo. Die beiden hatten ihre Rente nicht dazu genutzt, ihren Schrebergarten täglich neu vom Unkraut zu befreien, sondern hatten sich einen Hauber gekauft, ihn ausgebaut und waren seit Jahren unterwegs. Sie waren in der Zwischenzeit in Deutschland gewesen, denn sie hatten in Chile einen Stellplatz für das Auto. Nach Ushuaia waren sie eine Weile in Chile gewesen, dann nach Deutschland, zurück nach Chile und weiter nach Peru hinein. In Cuzco war ihnen ins Auto eingebrochen worden. Warum sie nun wieder dort hinfuhren? Wohl um über Bolivien nach Brasilien zu kommen, wo sie natürlich auch schon gewesen waren. Wir teilten uns weitgehend die Ansichten über Brasilien. Wir unterhielten uns ungefähr eine Stunde oder noch mehr. Die Bilder, die sie in Ushuaia gemacht hatten, waren mittlerweile entwickelt und hingen in ihrem überdimensionierten Gästebuch. Nun schrieb ich einen neuen Eintrag darzu und es wurden neue Bilder gemacht.

Wiedersehen mit Rudi und Jeane mitten in der Pampa.

"Wieso sind auf Euren Kennzeichen keine Stempel drauf?" "Ach, die... das sind die zum stehlen, interessiert niemanden. Die originalen sind innen." Sie hatten auch eine Versicherung für das Auto in Deutschland abgeschlossen. Sie gilt amerikaweit mit Ausnahme von Kolumbien und Mexiko. International Underwriters hießen die. Da ich schon seit Jahren ohne Versicherung durch die Gegend kutschiere, schrieb ich mir mal die Adresse auf. Und noch eine Adresse hatten sie parat: "Erinnerst Du Dich noch an den Karsten und die Susanne (Namen möglicherweise falsch, da ich mich nicht mehr an die tatsächlichen erinnere)? Die Schweizer, die auch in Ushuaia waren?" Ich konnte mich vage daran erinern. "Die haben ein Stück Land in Costa Rica, Lagarto-Lodge, da könnt ihr mal vorbeischauen." Wir schrieben uns alles auf. Costa Rica war zwar noch unendlich weit weg, aber die Notiz frißt weder Heu noch wiegt sie etwas. Auch für Nazca gaben sie uns einige Tips mit auf den Weg. Wir verabschiedeten uns dann und fuhren weiter.

"Tja", sagte Cat, der über diesen Zufall gerade etwas verwirt war, "der Plan ist jetzt schon im Eimer. Es konnte keiner wissen, daß wir sie treffen, denn selbst wenn wir ein Treffen ausgemacht hätten, hätte es wahrscheinlich nie stattgefunden. Aber war es schlecht? Ist es schlimm?" Nein, überhaupt nicht. Störte niemanden. In Nazca angekommen ließen wir auch die Sache mit dem Museum sein, denn was konnte dieses Museum schon an Mumien bieten, was das Nationalmuseum in Lima nicht bieten konnte? Wir fuhren durch Nazca durch und hielten bei den Linien. Gabi stieg aus und wir fuhren ein Stück zurück, bogen ab von der Straße auf eine kleinen Piste und parkten vor einem Hügel, von wo aus man angeblich die echten Linien sehen konnte. Wir parkten das Auto und stiegen auf den gerölligen Hügel. Tatsächlich sah man von hier aus Linien. Schnurgerade und ziemlich deutlich und sie führten direkt auf die Anden zu.

Und die Diesel stampfen, die See geht schwer
So klein ist das Boot und so groß ist das Meer...

Wir blieben eine Weile auf dem Hügel sitzen und sahen uns diese Rätselhaften Linien an. Wie mit einem Riesenlineal gezogen und scheinbar doch völlig planlos. Nach einer Weile erhoben wir uns dann langsam um Gabi wieder aufzunehmen, die noch am Aussichtsturm sich befand. Ich hatte ihr aufgetragen, ein Bild des Autos zu machen von der Plattform. Das tat sie. Allerdings ist es, wie alle Bilder, die nicht von mir oder Almut gemacht wurden, schwer zu bekommen.

Wir nahmen sie auf und fuhren weiter in Richtung Lima, doch keine Chance, heute noch dort hinzugelangen. Abgesehen davon, daß darauf wirklich keiner richtig Bock hatte. Als wir nach Ica hineinfuhren war es schon längst dunkel. Wir hielten auch nur, um zu Mittag zu essen. Wir sahen eine Markthalle, vor der ich hielt, denn die anderen wollten Vorräte ergänzen. Ich blieb am Auto, Cat und Gabi gingen hinein. Als ich da so eine Weile stand kam ein Polizist an. Dieser erklärte mir, daß ich leider im Halteverbot stünde. "Hm. Das könnte jetzt glatt ein Problem werden, wissen sie?", erklärte ich ihm, möglichst umständlich, und deutete auf die Halle, "Meine Kumpels sind nämlich da drin und wenn ich jetzt wegfahre, dann finden sie mich nie mehr wieder un die haben das ganze Geld bei sich. Sie wissen schon... Ich meine, ich bin ja am Auto, wenn was ist, kann ich zu Seite fahren, aber wenn wir alle sterben müssen, dann ist das auch nicht gut, es kommt schließlich in die Zeitung und alles. Das will doch keine wirklich." In dem Moment kam Cat hinzu, begrüßte den Polizisten freundlich und meinte dann zu mir: "So. Fertig. Ich hab alle Leute da drin Hurensöhne geschimpft, hab nichts gekauft und die können mich alle mal." Was war denn da schon wieder passiert? "Gut. Nun setz Dich brav in's Auto, den Rest mach ich schon." Ich erklärte dem Polizisten, daß ich da jetzt reinmußte, daß aber der Typ da hierbleiben würde, für den Fall, daß etwas wäre. Er meinte nur, es sei schon in Ordnung, es sähe nicht wirklich so aus, als würden wir länger hier verweilen wollen. Ich ging in die Halle und fragte Gabi, was da los sei. "Keine Ahnung, der hat sich plötzlich aufgeregt und ist gegangen. Ich glaub, die hat sich nur verrechnet." Keine Ahnung, was da los war, interessierte mich auch nicht besonders. Solcherlei Ärger gibt es immer. Generell gilt: Zahlt man weniger, hat sie sich verrechnet, zahlt man mehr, stimmt was nicht. In diesem Falle stimmte was nicht.

Die Markthalle, vom Parkplatz aus gesehen.

Nach dem Einkauftheater am Markt suchten wir uns einen dieser Hamburgerwagen. Die befinden sich meistens an den Seitenstraßen, wo weniger Autos, dafür mehr Fußgänger umherwuseln. Catarina ging los, Gabi ging los und ich blieb im Auto. Irgendeiner wird schon etwas brauchbares mitbringen. Gabi kam dann an mit drei Burgern, die wir gleich an Ort und Stelle vernichteten. Als ich gerade anfahren wollte, quatschte mir Catarina ins Starten und meinte, er hätte noch eine Pizza geordert, die allerdings noch nicht fertig sei.

Dann stieg er aus und kam einige minuten später mit einem Pizzakarton an. "Schaffst Du das Trum nach dem fetten Burger überhaupt noch?" "Nein, natürlich nicht, das ist für das Abendessen oder für's Frühstück morgen..." Das kurze Stück bis Pizco ging schon noch. Beim Ortsausgang schrie Cat: "Paß auf, da vorne, Du Ochse!!!" Ich bemerkte dann erst, daß unsere Fahrbahn aufhörte und es auf der Gegenfahrbahn weiterging. Keine Hinweisschilder, nichts. Daran konnte ich mich nun wirklich überhaupt nicht erinnern. "Bleiben wir wieder an der Tanke..." Ich fuhr an die Tankstelle. Unser Freund Bibelforscher war auch noch da und begrüßte uns. Wir fragten, ob es OK sei, wenn wir hier an der Tankstelle übernachteten. "Ja, ihr könnt Euch da zwischen Tankstelle und Restaurant stellen", sagte er, "keine Sorge, der Wächter bleibt die ganze Nacht da." Wächter sah ich keinen., aber dafür eine Steckdose in einem der Kassenhäuschen, die ich zum Laden meiner Akkus brauchen konnte, zumal diese auch noch zufälligerweise 220V war.

Als ich den Wächter erblickte, mußte ich ihn erst mal auf seine Pumpgun anquatschen. Winchester - behauptete er zumindest. Sah auch ganz nett aus, das Teil, nur der Riemen, den hätte er schon aus etwas besserem machen können. Sofort entstand eine Diskussion über das Waffenrecht. Ich halte das Waffenrecht in Deutschland für großen Blödsinn, es ist wieder das selbe wie mit den zwei Pässen. Der deutsche Staat macht es dem Normalbürger praktisch unmöglich, an eine Waffe zu kommen. Fakt ist aber, daß wer wirklich eine Waffe haben will, auch an eine Waffe kommt, es ist nicht schwer, nur ist die Waffe dann illegal, nicht registriert und folglich nicht verfolgbar. Geistig Schwerbehinderte hingegen, bekommen nicht nur grundsätzlich eine Waffe, sondern sie wird ihnen förmlich aufgedrängt. Man braucht sich bloß einmal die psychischen Wracks in ihren grünweißen Uniformen ansehen. Die kriegen Waffen und erschießen damit unschuldige Passanten, die Wände der Polizeistation an Silvester, und im besten Falle sich selbst oder ihre Kollegen. Ich kannn mich an einen dieser Möchtegern-Revolverhelden erinnern, der mitten auf der Straße stand und mich einmal anhielt. Ich bremste lange nicht ab, fuhr hinter sein Fahrzeug und legte eine Vollbremsung hin. Er kam auf das Auto zu: "Wenn'S das nächsrte mal nicht gleich stehen bleiben, dann zieh ich die Waffe, Herr Besold." Da konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen: "Tun Sie das nicht, Sie treffen am Ende nur einen Passanten..." 'nen dicken Strahl pissen, das ist alles, was die Fettwänste leisten.
Ich mußte ihr allerdings zustimmen, daß es wohl ein Blutbad gäbe, würde man das deutsche Waffenrecht nun über Nacht ändern.

Dienstag, 13. August 2002
Mich wunderte, warum es Gabi sichtlich nervös machte, daß der Typ mit seiner Winchester die ganze Nacht auf dem Gelände war. Dabei hat das Gesindel auch Flinten. Und was für lange, nur sieht man sie erst, wenn es zu spät ist. Man kann es zu fast 100% ausschließen, daß der Wächter mitten in der Nacht einen Anfall bekommt und alle um sich herum erschießt. Daß das zwar in Deutschland passieren könnte bestreite ich nicht, nur: Wir sind hier nicht in Deutschland - das ist das kleine Detail, das man meines Erachtens berücksichtigen sollte. Natürlich würde es mich auch nervös machen, wenn in der augsburger Fußgängerzone jemand mit Pumpgun aber ohne Uniform umherliefe. Ganz klar. Aber genau da schien der Hund begraben zu liegen.

Der Wächter mit Winchester und bösem Gesicht. Im Eck hinten liegt Cat im Schlafsack.

Als es lange schon hell war, wurde erst ausgiebig gekocht, dann geduscht, gepackt und erst dann konnte es losgehen. Ich hatte nicht vor, in das Museum zu gehen, daher konnte ich mich während die beiden dort waren, gemütlich nach einer Wäscherei umsehen. Der Tag war nicht mehr Sonnig. Das bringt die Küste wol mit sich. Die ganzen Wolken bleiben an den Bergen hängen, darüber und dahinter ist strahlender Sonnenschein. Nun würden wir aber ien Weile an der Küste bleiben und das Wetter ist, wie es ist, kann man nicht ändern. Alte Weisheit. Doch solange es nicht auch noch regnete, war ich sehr zufrieden, denn das ist nach wie vor bestes Autofahrwetter.

Peru geizte arg mit PanAm-Schildern. Auch in Argentinien hatte ich nur ein einziges gesehen und da es sich genau am Aufstieg zu den Anden, hinter einer unübersichtlichen Kurve befand, auf der Straße, über die der gesamte Tranandinische Schwerlastverkehr rollt, wollte ich es nicht darauf ankommen lassen. Aber zwischen Pizco und Lima war eines, wie ich bei der ersten Herfahrt sah und da hielt ich auch an, um ein Bild zu machen. Ziel war es, von möglichst allen Ländern ein PanAm-Schild zu machen.

Peru - Via PanAm. Nicht das schönste, but the only one I could find.

Bald darauf waren wir auch schon in Lima, wo sich nichts Besonderes tat. Das Museum fanden wir nach kurzer Suche, ich ließ die beiden aussteigen. Nun konnte ich ein wenig durch Lima fahren und schauen, was so passiert. Ich hatte natürlich das Museum abgespeichert. Nun fuhr ich los, bis ich eine Wäscherei fand, wo ich die Wäsche abgab. Dann fuhr ich weiter durch die Gegend und suchte als nächstes ein Internet-Café. Sehr wichtig, denn das würden wir nachher gebrauchen. Die Kamera war schon wieder fast voll.

Das war es dann auch schon wieder gewesen, mit meinen großen Erledigungen. Ich nahm wieder Kurs auf das Museum und als ich ankam waren beide schon vor der Tür und schienen sich zu unterhalten. Konnte natürlich nicht funktionieren. Als die beiden aufgesessen waren fuhren wir wiederum in die Stadt zum Supermarkt.
Wir kauften ein, mir war es wurscht, Catarina wollte dies, Gabi jenes, alles OK, mir wurscht. Was mich nervte war vielmehr die Tatsache, mich da nicht einfach raushalten zu können. Ist doch mir wurscht, ob Baguette oder anderes Brodt gekauft wird. Ich hatte allerdings auch keine Lust, mich mit Gabi herumzuschlagen und ging daher den Weg des geringeren Widerstandes, also zu Catarina und erklärte ihm, er soll einfach den Scheiß da jetzt liegen lassen. Verstand er natürlich nicht. "Alter, Haferflocken. Wichtig!" "Ja, laß mal, keinen Bock bei jedem Artikel zu erklären, warum er mitgenommen werden sollte und warum nicht, das ist mir zu anstrengend, laß sie einkaufen und wir gehen derweil etwas fressen."

Anschließend fuhr ich vor das Internet-Café, das ich gefunden hatte, während die beiden im Museum waren. Ich lud die Bilder von der Kamera auf Disketten, dann erledigte ich die Post, anschließend gingen Gabi und ich zum Kentucky, da Catarina noch nach Flügen schaute. Das dauerte noch eine oder zwei Stunden, während wir im Auto warteten. Als wir endlich loskamen war es schon wieder seit Stunden Kuhnacht. Für uns hieß das ein wenig aus Lima hinauszufahren und einen Platz zu suchen. Wir kamen an eine Mautstation, an der sich eine verlängerte Wartezeit ergab, weil wir das nötige Kleingeld nicht hatten, bzw. nicht haben wollten. An der PanAm, an einer Tankstelle an der einen ganzes LKW-Bataillon stand, hielten auch wir. Catarina legte sich auf die Bank der geräumigen Toilette zum schlafen nieder, ich machte es mir auf meinen Blechen gemütlich und wir beendeten damit den Tag.

Mittwoch, 14. August 2002
Der Morgen war wolkenbehangen, und als wir uns gerade Startklar machten, kamen zwei Autos mit argentinischem Kennzeichen angefahren. Sie stiegen aus und fragten uns nach dem woher und dem wohin und erzählten, was sie vorhätten. Die PanAm hinauf bis nach Venezuela, von dort aus wieder nach Argentinien zurück. Das ganze in anderthalb Monaten. "Ein bißchen wenig Zeit, findet ihr nicht?" Mit brauchbaren Tips konnten wir uns gegenseitig leider nicht versorgen, da wir beide in dieselbe Richtung fuhren und beide zum ersten mal. Und wir viel langsamer als sie. Wir packten unsere Sachen zusammen und fuhren weiter.

Unser Nachtplatz an der Tankstelle hinter Lima.

In einem kleinen Kaff, dessen Name mit längst schon wieder entfallen war, kurz nachdem wir sie verlassen hatten, hatten wir Sachen zu erledigen. Das Kaff lag allerdings nicht, wie erwartet an der Straße, sondern man mußte sie verlassen. Das war schon mal das erste, das erst auf den zweiten Anlauf klappte. Wir kauften frisches Brot und ich fragte mich durch, wo man Geld wechseln kann. Wir fanden eine Wechselstube. Ich pfiff den Typen heran und fragte nafch dem Kurs. Er sagte ihn mir. Hinter mir war die Polizei und ich blockierte gerade fragenderweise die Kreuzung. "Ich fahr um den Block", sagte ich ihm und fuhr los. Einmal um den Block, was sich eine Weile hinzog, denn ind er Stadt herrschte Gedränge. Als ich wieder ankam, war der Typ schon wieder drinnen. Ich nannte ihm den Betrag, den wir wechseln wollten, er richtete das Äquivalent in Peruanisch her. Schon wieder waren die Bullen hinter uns. Ich beobachtete ihn, damit er keine Tricks versucht, drängte ihn zur Eile, weil die Bullen sich gleich wieder aufführen und hielt die Dollars so lange fest, bis ich das Geld in der Hand hatte. Dann ließ ich los und reichte den Bündel an Cat weiter, ohne allerdings den Wechsler aus dem Auge zu lassen. "Zählen", sagte ich zu Cat. "Stimmt", kam die Bestätigung. Gas und weg. So müßte es immer klappen. Zackzack und weg. Leider war das hier eine Ausnahme. Normalerweise läuft es so ab, wie im Jahr zuvor, daß ein uniformierter Hotelpage meint, besonders schlau zu sein. Aber wirklich beschissen wurden wir beim Geldwechseln niemals. Wenn überhaupt, dann nur durch den offiziellen Kurs.

Das trostlose Kaff, in dem wir kurz zum Wechseln anhielten.

Ich fuhr in eine weitere Ortschaft hinein und sah, wie ein Polizist mich zu Halten pfiff. "Scheiße, was will jetzt der? Gabi, den Fake-Geldbeutel her, schnell..." Ich hatte natürlich einen etwas längeren Bremsweg und kam etwa 100 oder 150 Meter hinter dem Polizisten zum Stehen. Ich fuhr auf dem Schotter rüfckwärts und stieg aus. "Hallo, was gibt's?" Er fragte nach dem Woher und dem Wohin und natürlich lief es wie immer darauf hinaus, daß er Geld wollte. "Hier ist 70. Wie schnell bist Du gefahren?" Die einzig logische Antwort: "So schnell, wie alle anderen auch..." Nur waren in diesem exakten Moment leider keine anderen da. Er fragte nach dem Kofferrauminhalt. Leider war für ihn da nichts Interessantes drin. "Wieviel Geld hast Du denn da?" Ich tat möglichst unschuldig, suchte in meinem Geldbeutel, während ich von den großartigen Vorteilen einer Kreditkarte schwärmte, und gab ihm dann die Antwort: "Acht Dollar". Irgendwie hatte ich keine Lust, ihm zu erklären, daß ich keinen Bock hatte, für Nichts und Wiedernischts zu zahlen. Ich gab sie ihm einfach und wir konnten weiter. Klar hätte ich mir das sparen können. Andererseits bildete ich mir ein, daß der Druck von beiden Seiten kam: Der Bulle wenn ich nicht zahle, aber damit kann ich mittlerweile umgehen und es aussitzen, und Gabi, wenn es nicht schnell weitergeht, denn wir sind ja auf der Flucht. Acht Dollar kostete hier der Kompromiß. Das ist unüblich. Und ich gehe nicht einmal soweit zu sagen, daß es an Gabi lag, daß ich bezahlte. Ich sage nur: Mit Almut wäre mir das nicht passiert. Was aber weder an Almut liegt, noch an Gabi, sondern es liegt an mir: Almut ist die Ruhe in Person, Gabi ist eine Streßeule, beide Charaktere wirken sich selbstverständlich auf mein Verhalten aus und auch umgekehrt. Meine Schimpftiraden erzeugen bei Almut ein ganz anderes Verhalten als bei Gabi. Almut kriegt Angst, während Gabi drüber lacht. Das Zusammenleben an Bord wird natürlich von den verschiedenen Charakteren geprägt - von was sonst? Von den Äußeren Gegebenheiten, natürlich. Denn es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man an der spanischen Costa Braba oder an einer vom Ausbruch eines Bürgerkrieges bedrohten Elfenbeinküste unterwegs ist.

Und wieder ein Sonnenuntergang in der Wüste... wer weiß, wie lange sie uns noch umgibt.

Ich dachte, die Wüste endet hier irgendwo. Es wurde tatsächlich etwas grüner, allerdings hielt es sich nicht lange. Schon bald waren wir wieder mitten unter Sanddünen. Von mir aus könnte es ewig so bleiben. Catarina mochte es auch, doch Gabi hätte es gern etwas grüner. Grün bringe ich immer in Verbindung mit Lärm, Dreck, Regen, Mücken und Schlafplatzmangel, wohingegen Wüste grundsätzlich mit dem Gegenteil verbunden werden kann. Doch auch da war keine Einigkeit herbeizuführen. Gabi wollte in der Wüste übernachten, ich auch, doch Cat lieber in der Stadt. Komplizierte Angelegenheiten. Grundsätzlich sah ich Cat als den kompromißbereiteren an und so versuchte ich, die Sachen so zu legen, daß ihm immer etwas mehr aufgebürdet wurde als Gabi. Er ist nicht so laut und unter Männern kann man immer noch vernünftig reden, während ich mit Frauen schon immer Probleme hatten. Irrational bis zum Anschlag, kann man sagen, da kommt man mit Logik nicht weit, man muß die Gefühle ansprechen, statt den Verstand, und daher geht es immer daneben. Abgesehen davon, daß ich keine Lust hatte und habe, mich damit herumzuschlagen, mir zu überlegen, was ich schon wieder falsch gemacht haben könnte. Alles Zeug, womit man sich genug in Deutschland herumgeschlagen hat und unterwegs eigentlich nicht braucht.

An diesem Tag fuhren wir hauptsächlich durch das Nichts, ab und zu kreuzte eines der typisch peruanischen Käffer unseren Weg. Alles durcheinander, halbfertige Neubauten zwischen halbverfallenen Altbauten, alles hinter einer Drecksschicht, was sehr angenehm ist, weil der Benz da ziemlich gut hineinpaßt. Fahrräder, Rikschas, bei denen sich die Passagiere um die Richtungsanzeigen kümmern mußten, weil es den Fahrer herzlich wenig kümmert. Immer wieder sahen wir Passagiere, die die Hand herausstreckten, um den Rückwärteigen Auto-, LKW- und Busverkehr darauf aufmerksam zu machen, daß die Rikscha gleich quer über die Fahrbahn ziehen würde, um eine Abbiegung zu veranstalten. Auch brutal tiefe Schlaglöcher passierten wir mancherorts. "Und? Fühlst Dich schon wieder wie zu Hause, oder?", fragte ich Catarina. "Also, wenn das hier mein zu Hause wäre würde ich mich als erstes erschießen und dann erst weitersehen." "Naja, die Schlaglöcher hier erinnern mich schon sehr stark an die Gegend, aus der Du herkommst. Brasilien hat nur Glück gehabt, daß die ganzen ausländischen Firmen sich da niedergelassen haben, sonst ürde es dort noch schlimmer aussehen als hier - immerhin können die Peruaner funktionierende Fahrräder bauen."

In Peru ist das Mautsystem etwas Idiotisch. Fährt man auf der PanAm in Richtung Hauptstadt, zahlt man keine Maut, fährt man von der Hauptstadt weg, zahlt man. Und nicht wenig. "Und da regst Du Dich über Mautstationen in Brasilien auf?", fuhr mich Catarina einmal an, nach dem x-ten Mauthäuschen. "Weißt Du, was der kleine Unterschied ist? Hier hat man dafür eine Straße. Da zahlt es sich leichter. Aber Euch muß man erst den Unterschied zwischen Geschäft und Raub erklären."

Irgendwie war ich doch froh, Brasilien hinter mir gelassen zu haben. Hinein ins Ungewisse - es ist gewiß besser, als die Gewißheit, die man in Brasilien hat. Heute wollten wir in der Pampa übernachten. Wir stoppten in einem Kaff und füllten die Vorräte auf, auch Cigaretten durften nicht vergessen werden, dann ging es wieder hinaus in die Wüste. "Was machen wir hier draußen an diesem Weltenende?", wollte Catarina wissen. "Fressen, pennen, unsere Ruhe haben", erklärte ich ihm. "Gut, aber auch kein Wasser, also keine Dusche, kein Dach, nichts. "Heut regnet es nicht und Wasser ist genug da. Nicht zum Duschen, aber außer Dir ist hier kein Schwuchtel an Bord. Du bist eindeutig in der Minderheit und wenn Du Aufstand schiebst, dann nehm ich Dir Deine künstlichen Fingernägel weg Und jetzt raus hier, Beine vertreten und aufbacken. Hopp!" Gabi kochte Nudeln mit Erbsen oder Mais. Paßt schon.

Der Wind ging heftig, die Wolken zogen auf, wie in einem Horrofilm, verzogen sich aber genau so schnell wieder, ohne auch nur einen Tropfen zu vergessen. Wir saßen noch eine Weile im Auto. Gabi brach eine neue Cigarettenpackung an, ich machte gerade meine KTB-Notizen. "Hä? Was ist denn das für eine komische Kippe?", fragte sie überrascht. "Ja, das ist bestimmt ein peruanischer Scherz, die fliegt in die Luft, wenn man sie anzündet, kenn ich schon", sagte ich beiläufig, ohne mir anzusehen, worum es überhaupt ging. Mir war auf die Schnelle nichts dümmeres eingefallen und plötzlich lagen Cigarrettenschachtel und die geheimnisvolle Kippe auf meinem Schoß. "Mach Du das mal", sagt mir Gabi ängstlich. Nun, als jahrelange Raucherin sollte sie eigentlich mit Cigaretten zurechkommen, aber man will ja nicht so sein. "Na, dann wollen wir mal sehen. Was haben wir denn da?" Ein Plastikrohr, größe und Form einer Light-Cigarrette, aber durchsichtig und an beiden Enden ein filterähnlicher Pfropfen. Ich öffnete das ganze und hatte einen Dollar in der Hand. "Nett. Die Kippenschachtel kostet gerade mal einen Dollar..."

Die böse Zigarrette entpuppte sich als Dollarschein. Nichts verkehrtes, Geld ist immer willkommen.
Im Hintergrund das KTB.

Donnerstag, 15. August 2002
Der Morgen eröffnete uns, daß wir gar nicht so weit weg von der nächsten zivilisatorischen Einrichtung gewesen waren. Nicht weit entfernt, am Horizont zeigte sich ein Gebäudekomplex. Es erinnerte an die Schule in der Nähe von Tan-Tan, Marokko. Der Wind hatte nachgelassen, es wurde gefrühstückt. Es gab Sandwiches. Brot, Käse, Salat, alles da und das ganze natürlich in der Pfanne überbacken. Der Stern wurde zum Mülltütenhalter umfunktioniert - anschließend natürlich wieder auf Hochglanzpoliert. Weit war es nicht mehr bis zur Grenze. Spätestens morgen sollten wir dort sein. Catarina brauchte immer das Internet. Er hatte noch lange keinen Rückflug nach Brasilien. Vielleicht sollten wir es mit einem Cargoflug probieren. Rudolph hatte mal etwas erzählt, daß sie ab und zu Passagiere mitgenommen hätten. Vielleicht finden wir ja eine brasilianische Maschine, aber mal schauen. "Erstmal müssen wir nach Equador kommen und dann wäre ich natürlich sehr an der Verschiffung interessiert." Wenn möglich, wollte er mit übersetzen und von Panamá aus zurückfliegen.

Unser Nachtplatz - vemeintlich mitten im Nichts. Aber dem war nicht so.

Aber noch waren wir noch nicht so weit. Wir fuhren weiter und waren wieder den ganzen Tag auf Achse. Ab und zu fragte man sich, wie denn die Peruaner einen normalen Ackerbau betreiben wollten, wenn sie ständig ihre Felder abfackeln. Aber Koka scheint ja einträglich genug zu sein. Je mehr man sich von der Hauptstadt entfernte, desto schlimmer sahen die Käffer aus. Mittlerweile waren sogar alle Randsteine verschwunden. Die Straße erkannte man an den fast zusammenhängenden Asphaltresten, während das "Trotoir" aus zerfahrenem und zerstampften Lehm bestand. Wir fuhren einige Seitenstraßen, die aus Betonblöcken bestanden und folglich nocht zerfahren wurden, wie der Asphalt. Fahren ist vielleicht ein wenig übertrieben, wir kämpften uns eher durch, kann man sagen. Hier gibt es überhaupt keine Regeln und wir waren so ziemlich das einzige Auto. Alles fährt wirr durcheinander, die meisten Fahrzeuge sind diese Ritschkas oder wie sie heißen mögen, sowohl motorisiert als auch per Manpower betrieben. Die fahren die Straße auf und ab, sowohl in Längs, als auch in Querrichtung, und nie gerade, immer im Zickzack oder im Kreis. Das einzigen, was ich nicht beobachten konnte war ein Looping, aber ansonsten hatten die so ziemlich jedes Manöver drauf. Aber sie haben's im Griff, es ist eine Art wohltuendes Chaos.

So geht es eben auch.

Trotz aller Hektik erfolgte kein einziger Einschlag, sie hileten sowohl voneinander als auch von uns einen respektvollen Abstand. Ich habe es in diesen Ländern nie erlebt, daß es jemand auf einen Unfall anlegen würde. Lieber bremsen, schimpfen, hupen, ausweichen, aber nicht warten bis es scheppert und dann recht schlau daherreden. Das macht man in Deutschland, aber hier kann man unter Umständen lange warten, bis eine Versicherung zahlt. Es bleibt dem gesunden Menschenverstand überlassen, Unfälle zu vermeiden. Das heißt nicht, daß hier keine Unfälle passieren, aber die passieren eben auch anderswo und in der Regel mit weitaus schlimmeren Folgen. Das würde in Deutschland nie hinhauen, denn wo der Deutsche mit seinem Schubladenhirn kein System entdecken kann, verzweifelt er und flippt aus. Dabei ist hier sehr wohl ein System dahinter und es beruht darauf, daß man - bewußt oder unbewußt - miteinander fährt statt gegeneinander. Und wo das Zwischenmenschliche klappt, braucht man weniger Regeln und schon gar keine selbsternannten Verkehrserzieher, die nichts bewirken, als Leute, die sowieso schon Schwierigkeiten haben, ein Kraftfahrzeug zu führen, auch noch in Wut zu versetzen. Hinterher zieht man heulend zu den Gerichten. Ich denke ein peruanischer Richter würde - wenn so eine Nichtigkeit wie ein Beinahe-Unfall überhaupt zu ihm vordringt - den Kläger einsperren und wenn dieser auch noch nach der Begründung fragen wollte, ihm wortlos eine schmieren. Deswegen macht das hier keiner. Sollte man in Deutschland auch einführen.
Eigentlich waren die Amerikaner nach dem Krieg nicht konsequent genug. Sie hatten den deutschen das Fliegen verboten - schon mal dumm, denn in der Luft hat der Mensch nicht allzuoft die Chance, Mist zu bauen. Doch ein Blitzkrieg ist ohne Panzer gar nicht denkbar, insofern hätten sie den Deutschen auch das Autofahren verbieten müssen. Das haben sie allerdings unterlassen, sei es aus Kurzsichtigkeit oder aus Angst vor der Logik. Denn dann hätten Sie sich sagen müssen, daß ohne die Infanterie, die Königin der Waffen, auch in der modernen Kriegführung nichts läuft und daher hätten sie den Deutschen auch ebenso das Gehen verbieten müssen. Dabei wäre es einzig Sinnvolle gewesen, ihnen die Fahrzeugherstellung anzuordnen, doch gleichzeitig, ihnen das Fahren zu verbieten, denn das können sie einfach nicht. Nicht auszudenken, wenn sich diese Seuche ausbreitet. Momentan hat man das Glück, daß Mitteleuropa doch durch die romanischen Stämme vom Rest der Welt getrennt ist. Und die paar, die es doch versuchen, ihre autofahrtechnischen Weisheiten zu exportieren, die enden so, wie der Depp, den ich mal in Rom beobachten konnte: Er kam nicht vom Fleck und ich bin mir ziemlich sicher, daß er heute im Urlaub mit Bus und Bahn unterwegs ist - wenn er nicht noch dortsteht, in seinem Auto, am rechten Rand der Fahrbahn und über die Italiener schimpft, die halt einfach fahren, statt groß zu philosophieren und nach Regeln und Ordnungsmächten rufen. Aber nun mal zurück nach Peru:

Und weiter durch Trümmer und Scherben,
Durch Krater und Moder und Schlamm.

Wir hielten an einem Internet-Café. Ich erledigte schnell meine eMails und setzte mich dann ins Auto. Gabi klopfte ans Beifahrerfenster und winkte mich hinein. Ein eMail von Tanja. Darin schrieb sie, daß sie dieses Jahr auf jeden Fall nachkommen wollte. Das ist schon mal eine gute Nachricht. Eine sehr gute, falls es klappen sollte. Ich ging dann wieder hinaus, unterhielt mich noch ein wenig mit dem Besitzer und setzte mich dann wieder ins Auto. Nach einer Weile kam dann auch Gabi und wieder eine Weile drauf kam Catarina heraus. Ohne Neuigkeiten, wie erwartet.

Wir ließen die Ortschaft hinter uns und befanden uns bald wieder in der Wüste. So enlos wie sie schien ist sie jedoch leider nicht. Bald würde sie in Steppe und allzubald in üppige Vegetation übergehen. Die einzige, die sich darauf freute war Gabi. Wenn es nach Cat und mir gegangen wäre, dann könnte die Atacama direkt in die mexikanische Wüste übergehen. In der Wüste ist es immer schön warm, man findet immer einen Nachtplatz, es gibt keine Insekten, folglich kein Sumpffieber, gewöhnlich Malaria genannt, und vor allem hat man seine Ruhe. Die Südamerikaner sind nicht nervig, wie die Afrikaner, aber je weniger Leute man um sein Lager hat, desto besser. Und auf diese schwüle Hitze dort oben legte außer Gabi auch niemand gesteigerten Wert. Wenigstens funktionierte diesmal die Klimaanlage. Allerdings waren solche Aktionen wie damals in Benghasi, als ich mich ins Auto legte und bei trockener Kühle selig einschlief, völlig ausgeschlossen. Völlig falsche Besatzung.

Auf dieser eben leider nicht endlosen, schnurgeraden Strecke fahren - anders als in der Sahara - ziemlich viele Autos. Es ist nicht so, daß man etwas Außergewöhnliches schon kilometerweit im Voraus sieht. Daher waren wir schon ziemlich nahe rangekommen, als wir feststellten, daß da vorne etwas passiert sein mußte. Ein kleiner Mercedeslaster lag auf der Seite und irgendeine übelriechende Flüssigkeit lief gemütlich die Straße entlang. Es war ein Fischlaster. Das muß man auch erst mal schaffen, einen Laster auf gerader Strecke dermaßen blöd auf die Seite zu legen.

Dazu bedarf es besonderen Talents.

Viel mehr passierte allerdings nicht. Resigniert konnte ich beobachten, daß die bisher spärliche Vegetation immer grüner, dichter und häufiger wurde. Wir haben damals in der Schule den Unterschied zwischen Desertation und Desertifikation gelernt - ich glaube, das waren die Bezeichnungen, aber Erdkunde war eines der Fächer, das meine Schullaufbahn beendete. Während das eine auf natürliche Weise geschieht, ist das andere vom Menschen gemacht. Der Endeffekt ist der selbe: Hinterher ist Wüste da. Der Nordosten Brasiliens soll angeblich ein gutes Beispiel für letzteres sein. Wie und wann es dazu kommt, das ist mir einerlei. Wichtig ist nur, daß viel mehr Wüste hermuß und die Peruaner beherrschen die Kunst der Desertifikation nur sehr mangelhaft, aber die Eqaudoriesen sollen noch viel schlimmer sein. Wie lange noch? Einen Tag, fünf Tage, ein paar Stunden? Wußten wir nicht. Aber wir wußten, daß das Ende immer näher rückte. Diese Erkenntnis stimmt nicht fröhlich, aber auf der anderen Seite sollte der erwachsene Mensch sich längst an sie gewöhnt haben, denn im Leben ist es nicht anders. Das Ende kommt unweigerlich... Carpe diem, quam minimum credula postero. In diesem Falle: "Genießt die Wüste, solange sie noch ist, denn die Tropen werden schrecklich sein..."

Je näher wir an Zentralamerika herankamen, desto mehr wünschte ich mir Almut her. Aber noch war alles halb so wild. Wenn es kritisch werden sollte, war immer noch Catarina an Bord. An einem Tümpel neben der Straße hielt ich an, um ein paar Sonnenuntergangsphotos zu schießen. Es war wirklich ein Tümpel, in dem eine Drecksbrühe traurig umherschwappte. Drumherum zwar noch nichts richtig tropisch, aber die relativ großen Pflanzen im Hintergrund ließen ahnen, daß sich die Wüste hier schon lange im Rückzug befindet.

Pause an einem Tümpel bei Sonnenuntergang.

Auch die ersten Mücken schwirrten umher. Das ist ihre liebste Tageszeit - kurz nach Sonnenuntergang. Da sind sie am aggressivsten. Drecksviecher. Catarina und ich waren in unseren Expeditionsklamotten relativ sicher, mußten nur Hände und Fresse schützen, was relativ einfach geht. Dennoch nervt es, allein, weil es ein weiterer Faktor ist, den man berücksichtigen muß. Schlimm wird es erst, wenn man schläft, denn dann funktioniert die Abwehr nicht. Ich haßte die Tropen jetzt schon. Deckt man sich zu, kann man nicht schlafen, weil man schmilzt, deckt man sich nicht zu, kann man nicht schlafen, weil einem diese Drecksviecher locker fünf Liter Blut abzapfen und - als ob das nicht ärgerlich genung wäre - so Manchem auch noch eine dieser häßlichen Tropenkrankheiten dalassen als Werbegeschenk.

Wir fuhren wieder auf die Straße und weiter durch die Nacht. Cat hatte sich in den Kopf gesetzt, daß er jetzt irgendwelche Viecher aus dem Meer fressen mußte. Ich fragte nach, ob Gabi damit einverstanden wäre. "Mir egal." Gut. Also suchten wir in der Ortschaft, in der wir gerade waren nach Mariscos. Leider hatte alles schon zu. Es war auch reichlich spät. Alles, was wir fanden, war ein Hot-Dog-Verkaufsstand. Auch gut. Es war wohl ein Familienbetrieb. Sie selbst waren ihre besten Kunden. Es sah so aus, als würde die ganze Familie den ganzen Tag hinter dem Hot-Dog-Stand sitzen, ab und zu den einen oder anderen verkaufen und ansonsten den großteil ihrer Ware selbst verzehren. Cat stieg aus und unterhielt sich mit den Herrschaften. Sehr einfache und sehr nette Menschen. Ich gesellte mich dazu. Es dauerte mal wieder länger. Aber es war witzig. Gabi blieb im Auto. "Laßt Euch ruhig Zeit, ich kann im Auto schlafen, egal, ob es steht oder fährt..."

Catarina zu später Stunde vor dem Hot-Dog-Stand in einem Küstendorf im nördlichen Peru.

So ließen wir uns Zeit, unterhielten uns weiter, aßen erst einen, dann noch einen Hot-Dog, dann doch nochmal einen, diesmal aber den letzten. Es zog sich hin. Ob wir denn nicht langsam mal ans Weiterfahren denken wollten. Eigentlich nicht die Spur. "Hat sie nicht gesagt, ihr wäre es egal?", fragte mich Cat. "Gesagt wird viel. Das war vorhin. Jetzt pressiert es anscheinend. Frag doch nicht mich..." Wir verabschiedeten uns nach einer Weile und fuhren weiter. Ein gutes Stück weiter verließen wir die Straße und fuhren auf eine Piste. Diese führte sacht einen Hügel hinauf und wir fanden einen seltsamen, aber scheinbar gemütlichen Acker, den wir sofort bezogen.

Als ich dalag in meinem Schlafsack und die letzte Cigarette rauchte, bemerkte ich, was auf dieser Fahrt bisher zu kurz gekommen war. Genau das, was solche Art Fahrten so genial macht. Neben dem Auto zu liegen und in den unendlichen Sternenhimmel zu schauen. Cat war mehr ein Stadtmensch, Gabi konnte ich nicht einordnen. In der Stadt hatte sie Angst, weil es dort so viele Verbrecher gibt, auf dem Land hatte sie Angst, weil die Verbrecher zwar nicht so zahlreich sind, dafür aber umso gefährlicher. Da kann man nicht viel dagegen machen. Fest steht jedenfalls, daß Verbrecher in der Wüste zumindest in Südamerika recht selten vorkommmen. Und schon wieder ein Argument gegen ihre geliebten Tropen... Aber was sind schon Argumente?

Am nächsten Tag stand eine Grenzüberquerung auf dem Plan. Auf Equador war ich gespannt. Noch nie dagewesen. Die Erwartungen waren recht niedrig, denn wie schon erwähnt: Mit der Wüste war es schon sogut wie aus und allein der Name Equador, der offensichtlich von Äquator kommt, ließ das Ende der Wüste zur Gewißheit werden. Schade, daß es auf der Nordhalbkugel nicht spiegelverkehrt abläuft, denn dann wären wir bald wieder in der Wüste. Langsam kamen wir wieder in die Tropen: Klebrig, schwül, heiß und ekelhaft ist es da... Allerdings immer noch paradiesisch, wenn man sich vorstellt, wie es oben an der Küste sein muß. Karibik... Ein Alptraum. Nur gut, daß ich wenigstens im Auto die Klimaanlage als Verbündeten hatte.


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