Persien 2006
Sonntag, 27. August

Unser Zimmer war im dritten Stock. Abladen, duschen, essen. Ich ging zur Rezeption und fragte nach, wo ich denn ein Cola herbekäme, um die Uhrzeit. Er meinte, es hätte alles zu, aber ich solle einfach wieder auf das Zimmer gehen. Die Cola käme nach. Und tatsächlich, kaum waren zehn Minuten vergangen, stand der Page mit zwei Cola-Flaschen vor der Tür, gab sie mir und wünschte eine geruhsame Nacht. Die würden wir haben, schließlich war morgen einiges zu erledigen. Nun waren wir zwar im Iran, aber wir mußten die Spielregeln ändern. Das Transitvisum galt nur zehn Tage, die Fahrzeugpapiere nur sieben. Wir brauchten mehr Zeit. Die Frage war: Sollen wir es gut sein lassen und die sieben Tage nutzen, oder sollen wir einige Tage opfern, um eine Verlängerung zu bekommen. Wenn es nicht hinhaut, versitzen wir in Teheran kostbare Zeit und haben hinterher nur noch vier Tage, um uns das Land anzusehen. Transitvisa, so hieß es, würden wenn überhaupt, dann nur in Teheran verlängert. Und seit dem 11. September 2001 seien Verlängerungen nur in sehr seltenen Fällen vorgenommen. Viel zu überlegen gab es. Wir waren überraschenderweise mit Auto für kleines Geld ins Land gekommen. Sollte man das zum Anlaß nehmen, es weiter auszureizen oder sollte man eher das Glück nicht auf die Probe stellen. Es wird uns mindestens einen Tag kosten. Mindestens. Einmal mußten die Pässe verlängert werden, und dann die Fahrzeugpapiere. Das sind zwei Behördengänge, einmal Polizei, einmal Zoll. Und beide mußte man erst mal finden. Ich beschloß, es zu versuchen. Story ausgedacht - die ist immer wichtig, die muß man haben, sonst klappt in diesen Ländern nichts. Das Gute war, daß wenn wir die Verlängerung für das Visum nicht bekommen sollten, wir uns auch nicht zum Zoll bemühen müßen. Was bringt es, wenn das Auto eine Verlängerung bekommt und die Insassen nicht? Und überhaupt, mußte erst mal Almut entsorgt werden.

Ich tippte noch eine Weile und ging dann ins Bett. Michl schlief schon längst, was am Lärm deutlich erkennbar war. Almut war völlig durcheinander, schon den ganzen Tag, nur merkt man davon nicht viel, auch wenn man sie schon länger kennt. Aber sie lag im Bett und schlief nicht. Das war das erste mal, daß ich bei ihr soetwas erlebte. Normalerweise liegt sie keine paar Minuten, schon schläft sie tief und fest. "Was'n mit Dir heut los?", fragte ich nach. Nach einer Weile kam so eine Art Antwort: "Ja... es ist schon so, daß ich natürlich lieber mit Euch weiterfahren möchte..." Und ich daraufhin, in gewohnt galanter Art: "Bist doch selber schuld. Wer lernt auch freiwillig Persisch? Ist eh höchste Zeit, daß die Leute hier mal diese Affensprache Englisch lernen. Spätestens wenn USrael anfängt, hier mit Marschflugkörpern reinzurotzen, werden sie es lernen müssen. Wie wollen sie sie sonst beschimpfen?" Was sollte ich dazu auch anderes sagen? "Kann Dich eigentlich nie was erschüttern?", fragte sie dann nach einer Weile völlig unvermittelt. "Was soll denn das jetzt? Natürlich geht das. Brauchst bloß mal Deinen Ersatzschlüssel nehmen und mit dem Auto abhauen. Wieso?" "Nur so. Kanns mir grad nicht vorstellen." "Du warst ja in Brasilien nicht mehr da, als das Auto im Hafen gefangen war und kein Mensch wub es da je wieder rauskommt. Da hättest es live miterleben können. Jetzt mach Du erst mal Deinen studierten Kurs, da. Wir kommen spätestens auf dem Weg nach Ulan-Bator wieder hier vorbei." Und zwar mit dem Braunen, mit anständiger Ausrüstung und Klimaanlage. Dann weiß ich auch, was sich anzuschauen lohnt und was nicht. So, wie Libyen 98. Da war sie auch nur ein paar Tage dabei und im Jahr drauf hat sich das Spähtruppunternehmen ausbezahlt gemacht.

Das Auto auf dem Hotelparkplatz.

Am nächsten Morgen gingen wir zum frühstücken. Almut hatte ihren Kursleiter erreicht. Der Kurs fiel für sie nicht aus, wie es schien. Sie sollte einfach vorbeikommen. Um Elf fuhren wir los. Wir drängelten uns in einer Stunde vom Hotel, das an der Amir Kabir Street liegt zum Haus, in dem der Sprachkurs stattfindet, das in der Zagross Street Nummer 8 liegt. Das sind immerhin fast 20 km. Da muß man schon eine Stunde rechnen. Wir wurden bereits erwartet. Der Kursleiter war noch ziemlich jung, konnte Englisch und sogar ein wenig Spanisch. Und plötzlich ging alles ganz schnell. Almuts Gepäck war schon weg, kaum daß wir es auf den Boden neben das Auto gestellt hatten. "Mensch, Dein Kopftuch hängt schon wieder auf halb Acht", zog ich ihr Kopftuch bis vor über die Augen. "Nicht doch! Im Iran dürfen Frauen das Kopftuch so tragen. So streng ist es dann auch wieder nicht", erklärte mir der Kursleiter. Er gab mir seine Karte, schrieb mir auch noch eine Nummer drauf, unter der ich über ihn Almut erreichen konnte. "Yassir", las ich vor. "Arafat?", hängte ich noch an. "Nein, muß sich wohl leider um einen Irrtum handeln. Bist Du Comandante Marcos?" "Nein, schaut nur so aus." "So then. Hasta la vista..." Er gab uns noch einen Stadtplan von Teheran mit und wünschte uns viel Spaß im Iran. Almut war nun entsorgt (12:30 Uhr / 272.855)

Als ich wieder im Auto saß und stadtwärss fuhr, stellte ich fest, daß irgendwas fehlte. Der Stadtplan war nur in Persisch (Arabisch), die Schilder hatten zwar englische (lateinihsche) Untertitel, aber es entstand erst mal ein kleines durcheinander. Ich konnte zwar ein wenig arabisch lesen, war aber mit fahren beschäftigt. Und Michl konnte nur die Zahlen, mußte aber bei Geschriebenem immer schauen, wie es aussiah und vergleichen. Wir beschlossen, auf Taxis umzusteigen. Das erspart uns die ewige Sucherei nach Straßen und anschließend die Sucherei nach einem Parkplatz. Das Auto hatte nun frei und konnte sich einen schönen Tag auf dem Hotelparkplatz machen. Wir wechselten vom Dreierzimmer 312 auf das Zweierzimmer 105. Das war billiger, jetzt, da wir nur noch zu zweit waren. Und ich übernahm die Reisekasse. Ich hasse das, ich habe es schon immer gehaßt. Aber Michl kann nur navigieren, für alles andere braucht er einen Babysitter. Und der war nun im Sprachkurs. Die Erledigungsliste konnte sich sehen lassen. Es war fraglich, ob wir das alles heute hinkriegen. Eigentlich war es nicht fraglich, sondern ausgeschlossen. Es war schon fast zwei Uhr und wir wußten nicht mal, wohin.

An der Rezeption bekam ich einen Zettel mit der Adresse des Ausländeramtes. Immerhin. Wir waren wohl nicht die ersten, die danach fragten. Damit zogen wir los. Wir gingen auf die große Straße, Amir Kabir und latschten westwärts in Richtung Khomeni-Platz. Ziel war die deutsche Botschaft. Zufällig sah ich in einem Schaufenster einen 123er-Blinker. Ich ging sofort hinein und fragte nach dem Preis. 70.000 Rial, das sind knapp sieben Euro. Made in Taiwan, keine Birne dabei, aber bei dem Preis kann man nicht meckern. Ich nahm ihn und trug ihn zum Auto. Das war schon mal erledigt.

Iranische Polizeifahrzeuge: Mercedes C-Klasse (W203). Mal sehen, wie lange die sich halten. Die alten Strichachter und 123er sind jedenfalls noch da. Nur Benziner, allerdings.

Zweiter Anlauf. Wir latschten ewig, ich fing an, grantig zu werden. "Wie weit ist es denn noch?" "Es ist wohl ein bißchen weiter als ich dachte", sagte Michl, "aber das bißchen Latschen wir Dich nicht umbringen..." "Es geht nicht um das Latschen, sondern um die Zeit, die dabei verloren geht. Es ist schon fast halb drei und wir haben noch nichts erledigt. Gar nichts." Als ich gerade ein Taxi anhielt und fragte nach der deutschen Botschaft, zeigte der Fahrer auf das Gebäude hinter mir. Ich drehte mich um und stellte fest, daß die schwarz-rot-goldene Flagge dort im Wind flatterte. "Oh. Schukran! Ma'Salam..." Erst wollten wir zum falschen Tor hinein. Man schickte uns weiter zum nächsten Tor. Hinter der Metalltüre saß ein Rezeptionist. Offensichtlich Perser. Er fragte, worum es ging, und ich erklärte ihm, daß wir einen Paß suchen, der irgendwo zwischen Berlin und Ankara verschütt gegangen war. Er ließ uns durch und schickte uns zu Frau sowieso. Der Metalldetektor schlug an. "Haben Sie Bombe dabei?", fragte er und grinste. "Nein, die flackt noch im Auto..." Wir wurden nicht durchsucht, sondern wurden einfach weitergewinkt, an den ganzen Asylbewerbern vorbei an den letzten Schalter und wir kamen gleich dran. Hinter dem Panzerglas saß eine "Deutsche mit Migrationshintergrund", oder, um genauer zu sein, eine Perserin ohne Kopftuch. Sie war sehr jung und sehr nettm hatte es aber irgendwie eilig. Nun, immerhin war Sonntag und es war überraschend, daß eine deutsche Institution offen hatte. Wir fragten nur schnell, wohin man sich wenden mußte, wenn man das Visum verlängern lassen will, und ob man vielleicht ein Empfehlungsschreiben bräuchte. Dann teilte sie uns noch mit, daß es im Iran wegen der politischen Situation eine sogenannte Deutschenliste gibt, in die man sich eintragen lassen kann, um auf dem Laufenden gehalten zu werden. Das sei kostenlos und diene dem Zweck, möglichst alle Deutschen im Falle einer Evakuation erreichen au können. Wir trugen uns ein. Warum auch nicht? Evakuieren konnten wir uns zwar selbst, im Zweifelsfalle, aber so ist man wenigstens reigistriert und man weiß daß wir im Lande sind. dann ist es einfacher, eine Verlustmeldung zu machen, falls wir in einer Gletscherspalte verschwinden sollten.

Danach hetzten wir weiter zum Ausländeramt. Schnell merkte ich, daß die Taxis die waren, die ganz rechts fuhren und hupten. Die Autos sind hier eh alle gleich. Entweder sind es weiße Paykans oder gelbe Samands - beide persischer Bauart. Lackfarbe gab es wohl nur eine pro Baureihe. Der Taxler hupte unentwegt und fuhr wie alle Teheraner: Blöd. Völlig sinnlose Maneuver, eines nach dem anderen. "Bravo. Jetzt stehen wir einen halben Meter weiter vorn. Dafür kommt keiner mehr durch und alles ist verstopft..." Sehen die das nicht selbst? Und das Auto, das vor seinen sinnlosen Spurwechseln vor uns war, stand bereits an der nächsten Kreuzung. Wie doof. Die Ampeln haben hier einen Countdown. Wenn er neun Sekunden anzeigt, sind alle Taxler bereits am Hupen. "Wir sind deswegen nicht neun Sekunden eher da, weil wir eh an der nächsten Ampel stehen." Und das auch nur, wenn sich der Trottel nicht noch zwanzig Autos nach hinten maneuvriert.

Er läßt uns, nachdem er sich ein paarmal durchgefragt hatte, bei einem Gebäude hinaus und zeigt darauf. Michl und ich gehen hinein. Sehen uns um. Ungewöhnlich ruhig für ein Ausländeramt. Aber da wir nicht in Deutschland waren, ließn wir uns dadurch nicht abschrecken. Wir gingen in das Büro. Darin saßen zwei Frauen und ein Mensch. Letzterer kam auf uns zu und fragte auf Englisch nach, ob er uns helfen könnte. Ich trug ihm unser Anliegen vor. Wir wollten unsere Visa verlängern und ich tischte ihm die ganze Story auf, die leutete wie folgt: Wir seien in den Iran eingereist, hätten aber von der Botschaft in Ankara irrtümlicherweise nur Transitvisa bekomen. Nun hätten wir das Problem, daß wir noch keine Visa für Pakistan hätten und diese auch in den nächsten zehn Tagen ausgestellt werden könnten. Daher bräuchten wir eine Verlängerung. Er hörte sich alles in aller Ruhe an, schickte jemanden los, der eine halbe Minute später mit einem Tablett zurückkehrte, auf dem Säfte standen. "Bitte, das ist für Sie. Haben Sie schon gegessen?" Das Glas war schon leer, als ich dankend ablehnte. Einen Durst bekommt man hier... Dann fuhr er fort. Dazu müßen wir auf das Ausländeramt gehen. Nun war ich etwas verwirrt. "Ich dachte, das hier sei das Ausländeramt", dabei hielt ich ihm den Zettel von der Rezeption entgegen. "Nein, das hier ist eine Schule", klärte er mich auf, "das Ausländeramt ist um die Ecke. Hier rechts, dann an der Vali-Asr wieder rechts. Nach der Tankstelle auf der rechten Seite. "Ah. OK. Danke, vielen Dank." "Keine Ursache. und Willkommen im Iran, ich hoffe sehr, es gefällt Euch hier. Und falls Sie noch fragen haben, Sie können jederzeit vorbeikommen." Das war aber nett...

Eine rote Fußgängerampel in Teheran Kreuzung Ferdosi St. / Jomhuri Islami St.Wir gingen da hin, wo uns geheißen. "Wieso setzt uns der Trottel an einer Schule ab?" Das Amt fanden wir. Stand auch in ganz großen Lettern da: "Police Department of Aliens Affairs". Vor dem Amt stand ein Soldat mit einer Kalaschnikow. Der erklärte uns, daß as Amt zuhatte. Es war viertel nach Drei und wahrscheinlich haben Behörden auch hier nur bis Mittag auf. Wenigstens wußten wir nun, wo wir hinmußten. Wir nahmen ein Taxi zurück in die Innenstadt. Auf der Taxi-Uhr (Taxameter gibt es keine, man handelt den Preis vorher aus) war es 14:30 Uhr. "Was soll das denn? Kann man sich hier mal auf irgendeine Zeit einigen?", fragte ich auf deutsch und zeigte auf die Uhr. Er zeigte auf seine Uhr im Armaturenbrett und nickte bestätigend. Dann fragte er "German?" Nun nickte ich bestätigend. In gebrochenem Englisch fuhr er fort: "Deutsche Arier. Iraner Arier." "Ja", nickte ich wieder bestätigend, als wäre das ein Qualitätsmerkmal, "haben einiges gemeinsam: Sowohl die Deutschen, als auch die Perser sind zu blöd um ein Auto zu fahren. Das merkt man schon an Dir." Er verstand natürlich kein Wort englisch. Er wollte auch 20.000 Rial (=2 Euro) mehr, als der, der uns erst hinausgefahren hatte. Ich handelte ihn auf 30.000 Rial runter. Sei's drum. Wenigstens war die Karre klimatisiert. Es war halb vier, für heute war der Tag gelaufen. Erledigt hatten wir sogut wie nichts. Mir fiel auch noch ein, daß wir zwar an der Botschaft waren, aber vergessen hatten, nach Almuts Paß zu fragen. Also morgen wieder hin. Wir ließen es gut sein für heute.
Bei der Post stiegen wir aus und kauften erst mal zwanzig Briefmarken. Eine Postkarte nach Deutschland kostet 1.000 Rial. Das sind keine 10 Cent. Jetzt fehlen nur noch die Postkarten. Richtung Khomeni-Square. Da würde es schon welche geben - dachten wir. Doch so einfach war es nicht. Wir grattelten auf und ab, suchten einfach nur ganz normale Postkarten, fanden aber keine. dazwischen hielt ich an Handy-Läden an, um vielleicht eine SIM-Karte für mein Handy an den Start zu bringen. Keiner hatte sowas. Nur die Geräte, aber keine Karten. Wir fanden, nach dreistündiger Suche und viel Fragerei, nach hunderten von Läden, zu denen man uns geschickt hatte, die aber keine Postkarten hatten, einen Schreibwarenladen, in den ich eigentlich hineinging, um nach Postkarten zu fragen, in einem Regal hinter dem Tresen einige Postkarten. Die haben Seltenheitswert. Schon in Ankara hatte Michl es aufgegeben, nach Postkarten au suchen. Es gab keine. Ein ähnliches Erlebnis hatten wir damals in Tripolis. Und wenn man sich die Postkarten hier so ansah, dann wußte man, daß das nicht eine Spezialität der Iraner war. Auf der Rückseite waren drei oder vier Zeilen aufgemalt und ein Rechteck für die Briefmarke. Text war wohl keiner vorgesehen. Oder aber, sie waren komplett weiß, wie ein Photo. Nur sehr wenige waren so vorgedruckt, wie man es halt als Europäer kennt, nämlich zwei von fünfundzwanzig.

An der einen oder anderen Ampel bot sich ein sinnloses Bild: egal, ob grün oder rot, jeder fuhr und latschte, wie es ihm gerade paßte. Die Verkehrspolizisten in ihren weißen Uniformen standen herum, wenn sie nicht selbst ziellos auf der Straße umherirrten, wie man am letzten Bild schön erkennen kann. Sie verteilten weder Strafen noch regelten sie den Verkehr. Ihre Funktion, wenn sie überhaupt eine haben, bleibt dem Zuschauer verborgen. Sie standen nur da und schauten. Ab und zu erklärten sie einem Autofahrer oder Fußgänger den Weg. Zumindest sah es so aus. Oft waren vier davon an einer Kreuzung. Wir standen oft da und beobachteten das Treiben eine Weile.

Der Khomeni-Platz. Wie lange das Gebäude noch steht, bei der derzeitigen politischen Situation?

Mittlerweile hatte ich für 30.000 Rial eine Sonnenbrille erstanden, die man auch tragen konnte, ohne, daß seitlich die Sonne hineinschien. Nun hatten wir endlich Postkarten und suchten ein Café, in dem wir gemütlich essen und dabei Postkarten schreiben konnten. Wieder ging die stundenlange Suche los, bei der wir wieder am Hotel vorbeikamen und weiter. "Das darf doch nicht wahr sein...." Wir standen etwas ratlos herum, da kam ein Typ anfang zwanzig zu uns und sprach uns auf Englisch an, ob wir etwas suchten, ob er uns irgendwie weiterhelfen könnte. Ich schilderte ihm den Sachverhalt. Er ging mit uns zum Bus, erklärte dem Fahrer unser Anliegen und schob uns in den Bus. "Aleman?", fragte der Busfahrer. "Yes..." "Berlin? Frankfor? Estuggar? Munichh?" "Munichh!" "Bayern Munichh. Football Germany very good..." Und immer wieder der Name dieses iranischen Fußballers, den wir heute schon zum x-ten mal hörten. Und, natürlich, wie sollte es anders sein, "Chittler very good man...", kam vom Busbeifahrer. Ich denke, daß mir das so oft passiert dürfte daran liegen, daß ich unterwegs immer "Uniformähnlich gekleidet" bin, wenn dann noch zusätzlich die Nationalität bekannt wird, dann fühlen sich einige dazu aufgerufen, den Namen des Altkanzlers laut rauszubrüllen, was von mir meist mit einem Grinsen quittiert wird. Vielen deutschen Touristen ist sowas unangenehm, obwohl sich jeder denken können sollte, daß es nicht überall auf der Welt so ist, wie in Deutschland - gerade wenn man unterwegs ist, sollte einem das auffallen. Und, daß es tatsächlich Leute gibt, die anderer Ansicht sind - aus welchen Gründen auch immer, das kann man als echter Deutscher nicht akzeptieren - das alte Herrenmenschengehabe, von dem man sich gerne offiziell distanziert, das aber den Volksgenossen heutzutage immer noch im Blut steckt.
Besonders Bewältigungsspezialisten haben damit ein großes Problem und sind gleich beleidigt. Anstatt eine fruchtlose Diskussion zu starten und Leute bekehren zu wollen, die es eh nicht verstehen würden, beendet man das ganze am besten eben mit einem Nicken. Und der Iran ist kein Sonderfall. Ähnliches haben wir in der Türkei, in Westafrika, in Nordafrika und selbst in Südamerika erlebt. Man darf bei allem Geschrei ja nicht vergessen, daß das britische Empire dereinst ein Viertel des Erdballs bedeckte, während das 'Großdeutsche Reich' aus einer Wurstfabrik in Tanganika bestand. Das andere Viertel des Globus gehörte den Franzosen. Daß diese beiden Nationen auf der Beliebtheitsskala weit hinter Deutschland zurückbleiben, liegt zum einen daran, daß Deutschland kaum Kolonien hatte und gleichzeitig wiederholt gegen England und Frankreich Krieg geführt hatte. Einen Sieg der Deutschen verhinderten nur die Amerikaner und die mag ohnehin keiner. Auch der Iran war einmal ein englisches Protektorat.
Folgende Passage ist aus dem Reiseführer aus der Reihe Reise-Know-How entnommen. Überschrift: "Teheraner Taxifahrer":

Fußgängerüberweg in Teheran."Die meisten Teheraner Taxifahrer sind ausgesprochen nett, hilfsbereit und gesprächig. Besonders einem Ausländer , der aus einer 'befreundeten' Nation wie der deutschen stammt, öffnen sie bereitwillig ihr Herz. Manche schlichte Naturen unter ihnen lassen sich von ihrem Mitteilungsbedürfnis dazu verleiten, drastische historische und politische Meinungen zu äußern.
Das nach europäischem Verständnis krudeste Gebräu tritt zutage, wenn die Rede auf das 'Dritte Reich' kommt. 'Sie sind Deutscher? Hitler war ein guter Mann!' - Aber hat er nicht einen Krieg mit vielen Millionen Toten verursacht? 'Ja, sicher, aber die anderen (d.h. die Aliierten) haben ihn eben nicht machen lassen, was er vorhatte. Wenn er den Krieg gewonnen hätte! ... Wenn er nur seine Pläne verwirklicht hätte, dann würde heute alles ganz anders dargestellt ...'
Zur Ehrenrettung der Taxifahrer muß man sagen, daß sie in der Regel keine Ahnung von den Verbrechen Nazi-Deutschlands haben und unter der 'Verwiklichung von Hitlers Plänen' meist die diffuse Errichtung einer neuen und gerechten, vor allem gegen die (damaligen) Kolonialmächte Sowjetunion und Großbritannien gerichteten Weltordnung verstehen."

Als ich fragte, wieviel denn die Fahrt kostet, winkte er ab. "Schukran!", bedankte ich mich. "Schukran arabic. Iran no arabic. Iran arian." Wenn sie nur die arische Fahrweise gegen die arabische eintauschen würden... Wir stiegen aus und suchten nach einem Café. Keines hatte eine Klima. Auch schon wieder so eine deutsche Unart. Die Parallelen werden einfach unangenehm deutlich. Zu blöd zum fahren, zu blöd, Klimaanlagen zu installieren. Kein Zweifel, das hier müssen Arier sein, wobei Arier ja nur ein anderes Wort für Indo-Germane ist. Vom Wortteil Indo merkt man nur dann etwas, wenn man Zahlen irgendwo sieht. Semitische Schrift kombiniert mit arischem Fahrverhalten. Genau umgekehrt sollte es sein, damit es angenehm ist. Die Italiener und Griechen haben das kapiert. Das muß ich mal bei der zuständigen Stelle anbringen, falls sich die Gelegenheit ergibt.

"So. Jetzt ist es aber genug. Wir latschen jetzt zum Hotel zurück, holen auf dem Weg Cola und bestellen uns dort eine Pizza", beschloß ich. Cola fanden wir gleich. Ab und zu klappt auch mal was. Als wir zum x-ten mal am heutigen Tag an der Pizzeria "Tomato" vorbeikamen, blieben wir da. Mittlerweile war es soweit abgekühlt, daß es sich in Restaurants aushalten ließ. Der Wirt sprach auch Englisch. Wir durften unsere Kaltgetränke in den Kühlschrank stellen, damit sie nicht zu Warmgetränken mutieren und so ließen wir uns nieder, bestellten unsere Pizzas und blieben ein paar Stunden. Ich fragte auch gleich nach, wo ich denn SIM-Karten bekäme. Er erklärte es mir, ließ mich aber seine Karte einlegen, um festzustellen, ob das überhaupt mit meinem Gerät möglich war. Es funktionierte. Gut. Noch einen Punkt, den wir in die lange Liste von Erledigungen in Teheran aufnehmen sollten. Danach gingen wir zum Hotel zurück. Im Hintergrund lief der Fernseher. Der einzig verständliche Sender war BBC-World. So bekamen wir wenigstens mit, was nicht in der Welt so tat.

Und dennoch muß abschließend gesagt werden, daß Teheran eine nette Stadt ist. Die Perser sind wesentlich besser erzogen als ihre arabischen Glaubensbrüder. Auch wenn wir die einzigen Ausländer weit und breit waren, wurden wir kein einziges mal bebrüllt, keiner wollte uns in seinen Laden zerren. Wenn wir überhaupt angesprochen wurden, dann nur, wenn man uns Hilfe anbot, oder wissen wollte, woher wir seien. Das war aber auch alles. Es wird allgemein nicht gebrüllt, sondern zivilisiert geredet. Solange sie nicht im Auto sitzen, sind es die nettesten Zeitgenossen. Immer sehr höflich, extrem hilfsbereit und wohlerzogen. Zumindest war das mein Eindruck dieses ersten Tages in Teheran. Es sollte mindestens noch einer folgen. Einer half sogar Michl dabei, die Hosenfalle zuzumachen, weil er es selber nicht schafft. Seine Mutter war zu weit weg, als daß sie ihm morgens in die Kleider hilft.


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