Die Rückfahrt 2004
Donnerstag, 18. März

Immer so langsam, daß das Schlagen erträglich blieb. Aber nun ging es in ein Knirschen über. "Was zum Geier soll das?" Aber ich dachte mir, das Teil müsse sich doch irgendwann abschleifen und dann paßt alles wieder. Ich trat auf die Bremse und die ging leer durch. Am Sattel war nichts zu sehen. die Hälfte des Wassers, das eigentlich für den Kühler bestimmt war, ging auf die Felge, die nur so zischte. Na, toll. Ich wackelte am Rad. rührte sich keinen Milimeter. Weiter. Nun gesellte sich zu dem Knirschen ein Schlagen hinzu. Wie Trommelwirbel. Egal, weiter. Als es dann anfing, das ganze Auto in eine Richtung zu ziehen und ein beißender Karbonisierungsgeruch in die Kanzel drang, fuhr ich dann doch wieder rechts ran. Ich nahm einen Schluck vom Kühlerwasser aus dem Kanister, legte mich unter das Auto und leuchtete den Sattel mit der Diode an. Im Spucken war ich schon immer gut. Ich traf den Sattel, doch die erwartete Dampfwolke blieb aus. Das war nicht gut. "Nein! Bitte nicht!" Ich ging zum linken Vorderrad und hielt meine Handfläche an den Boller, der in der Mitte des Rades hervorragt, die sogenannte Radnaabe. Dahinter ist das Radlager. Kalt. Dann ging ich zum rechten und tat dasselbe. "Aaaau! Fuck!" und dann, entsetzt, zu mir selbst, mich auf den Asphalt legend und die Sterne ansehend: "Ach, nein, nein, nein, nein... Das hätt's wirklich nicht gebraucht..."

It's a long way to Tipperary
It's a log way to go...

Der Diesel knatterte leis vor sich hin, ich erhob mich nach einer Weile, machte das Licht aus und sah mich um. Wunderschöner Sternenhimmel und ansonsten dunkle Nacht. Nirgendwo ein Licht. Prima. Verdammt. In so einem Falle gibt es nur eines: Raus in die Wüste, ins Auto setzen, alle Tätigkeiten einstellen, außer Atmen und zu den Klängen von Bachs "Komm, süßer Tod", einfach darauf warten, daß sich alle Sorgen von selbst erledigen. Nur... wer richtet dann das Auto? Weiter geht's. Nur jetzt nicht schlappgemacht. Das wurden die längsten 27 Meilen meines Lebens. Ich versuchte, das Auto zu überlisten. Im Schrittempo ging es einigermaßen, ich beschleunigte also kaum merklich in der Hoffnung, das Auto würde es nicht merken, wenn ich das täte. Aber ich kam nie auf 25 km/h. Sobald sich der Zeiger bwegte, setzte das knirschen und Poltern ein, mittlerweile begleitet von eigenwilligen Richtungsänderungen. Nach fast 36 Stunden hinterm Steuer konnte ich auch noch darauf aufpassen, nicht einzuschlafen dabei, was mir nicht immer gelang. Einmal erwachte ich, weil ich quer durch die Wüste rumpelte und das andere Mal, erwachte ich auf dem Mittelstreifen der Autobahn und hörte einen LKW hupend vorbeirauschen. Als ich neulich sagte, daß ich vorhätte, in diesem Auto zu sterben, war das nicht so gemeint, sondern ganz, ganz anders. Es dauerte zwei Stunden, bis ich im nächsten Kaff ankam. Ich stellte das Auto hinter einem Super 8 Motel ab, legte die Decken auf die Bleche, den Schlafsack auf die Decken, mich in den Schlafsack und wachte erst wieder auf, als die Sonne schon hoch am Himmel stand.

Klingt die Musik der Motoren...

Ich sprang ins Auto und fuhr los, aber schon nach wenigen Metern kam die Bestätigung: Es war kein Traum, das Radlager war zerstört. Und ich war mitten in der Wüste in einem Dreiseelenkaff und am Dienstag ging mein Flug.
Das darf alles nicht wahr sein, sowas gibt es nicht, ich glaub das nicht, ich will das nicht. Sowas war völlig abwegig. Vielleicht hätte ich doch einmal die Lager wechseln sollen - irgendwann in den letzten 10 Jahren. Ein kalter Schauer überkam mich bei dem Gedanken, daß das auch in der Serir al Gatusah oder in der letzten Neujahrsnacht in Kanada hätte passieren können. Aber da hatte ich immer Almut dabei und die weiß immer was Schlaues. Ich fragte an einer Tankstelle nach Mechanikern. Es war nicht schwer, sie zu finden. Das Dorf - irgendwas mit River - hatte zwei Hotels, eine Tankstelle, zwei Autoteilehändler und drei Mechaniker. Ich ging hinein. Ein freundlicher Verkäufer saß in dem Riesigen Laden hinter dem Tresen. "Hallo. Guten Morgen, was kann ich für Sie tun?" "Nun, ich bin in eine ziemlich klebrige Situation geraten..." "Ich auch", sagte er, "stell Dir vor, ich sitz hier und muß arbeiten. Den ganzen Tag." "Sie wissen gar nichts von ihrem Glück. Ich wünschte, ich könnte das von mir sagen. Wenigstens ist es Ihnen erlaubt, zu arbeiten. Glauben Sie mir, sie werden kein Land finden, in dem es besser wäre in so eine schreckliche Situation zu geraten, wie arbeiten zu müssen. Aber, was ich eigentlich fragen wollte: haben Sie vielleicht durch einen glücklichen Zufall Radlager für einen alten Mercedes?" "Mal sehen", sagte er, "Baujahr?" "76 - 85, egal, das Auto ist 82. Diesel" "240 oder 300?" "Sagen wir 240..." "Sagen? Wie? Was ist es denn für einer?" "Nun, eigentlich ein 200er" Er sah mich an. "200?" "Ja, europäisches Modell, taucht hier nirgendwo auf..." "Achso, dann nehmen wir den hier. Welches Radlager denn? Vorne oder hinten?" Vorne. "Innen oder außen?" Hm. Keinen Plan, einfach beide... "Kannst Du das selber einbauen? Wenn nicht, dann rechne ich das über den Mechaniker ab." "Nein, kann ich nicht selber machen, kein Werkzeug..." "Gut, nebenan ist ein Mechaniker. Der soll sich das mal anschauen und dann mach ich das über den, dem kann ich nämlich einen Rabatt geben." Man merkte, daß man sich schon Kalifornien nähert. Ich ging hinüber, schilderte mein Problem.

Das zerbröselte Radlager...

Er nahm das Rad ab, schraubte den Bremssattel los, schraubte das äußere Radlager ab und dabei kam ihm schon die Bremsscheibe mit allem Drum und dran entgegengeflogen. Die Teile des Inneren Radlagers waren überall verteilt. Nicht schlecht. Ich ging gegenüber zur Tankstelle und rief daheim an, um die Situation zu schiildern. Meine Mutter war dran. "Hallo! Sohn! Wo bist Du, wie geht's Dir?" "Nun, ich bin hier irgendwo mitten im Nichts und mir ist ein Rad weggeflogen. Mein Visum ist im Arsch, meinen letzten Scheck hab ich dem Mechaniker gegeben, aber abgesehen davon: Prima!"

Als ich wieder zurückkam, sagte mir der Mechaniker: "Ich bin da in ein kleines Problem hineingerannt: Der hat nur das äußere Radlager, das eigentlich noch ganz gut war. Das hintere, das nur mehr in Bruchstücken vorhenden ist, das hat er nicht da. Aber er kann es bestellen, daß es morgen früh da ist. Was machen wir?" "Ja... bestellen, wenn es irgendwie geht, für gestern, ich muß weiter, muß spätestens am Samstag in L.A. sein. Heute ist Mittwoch!" "Äh... Donnerstag. Mittwoh war gestern..." "Nein, Sie haben recht. Ach, das ist doch schon wieder alles zuviel für mich. Können Sie sicherstellen, daß das Radlager morgen da ist? Nicht übermorgen oder am Wochenende, sondern morgen?" "Ja. Wenn Sie wollen, können Siee es ihm zu Sicherheit auch nochmal sagen, gleich das nächste Gebäude. Tut mir Leid, aber solche Autos kommen hier selten vorbei, da hat hier keiner Teile auf Lager." "Nein, sorry, kein Problem, da kann keiner was dafür, der Esel bin schon ich, weil ich grundsätzlich Teile immer nur wechsle, wenn sie auseinanderfallen. Aber jetzt entschuldigen Sie mich, ich hab da ein dringendes Geschäft zu erledigen. Da vorne stand ein Eimer und da muß ich eben mal hineinkotzen..."
Ich ging hinüber zum Teilehändler. Er entschuldigte sich gleich für seine Fehlangabe. "Kein Problem, es ist wirklich nicht damit zu rechnen, daß hier einer mit einem alten Benz einrollt und dringend ein Radlager braucht. Ein Problem wird es erst, wenn das Radlager morgen nicht da ist." Er versicherte mir, daß es dann das erste mal wäre, daß ein Teil nicht fristgerecht geliefert würde. "Gut. Danke. Ist wirklich wichtig. Ich muß nach L.A. Muß!" "Was machen?" "Versuchen, es irgendwie hinzukriegen, daß ich hier arbeiten darf... Hast Du nicht zufällig eine Tocher oder sowas? Zum Heiraten."

Den restlichen Tag verbrachte ich dann im Restaurant gegenüber. Berichte schreiben und CDs brennen, Internet gibt es hier leider keines. Ich fand ein kleines Büchlein am Tisch. Titel: "How to cope, if you are sourrounded by idiots?" Ich fragte mich, ob dieses Buch in Detroit nicht viel angebrachter wäre. Hier in Greenriver habe ich nur einen Idioten gesehen, und zwar war das, als ich Händewaschen war und in den Spiegel sah...
Das Restaurant hatte 24 Stunden offen, daher blieb ich bis in die Nacht hinein am Rechner sitzen. Cola ist umsonst, wenn man einmal eines bestellt hat und so brachte ich auch den Tag rum. Meine Bedenken galten dem Radlager. Ich kann nicht glauben, daß das morgen schon hier sein soll, das wäre viel zu einfach. Das ist doch schon wieder alles Mist, schon wieder alles drauf und dran, sauber danebenzugehen.


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