Die Rückfahrt
Freitag, 19. März 2004


Ich wachte auf, weil die Sonne unerträglich wurde. Es war nicht wirklich heiß, aber eingemummelt in dem schweren Schlafsack, da ist in praller Wüstensonne nicht gut schlafen. Die Jungs in der Werkstatt hatten schon zu arbeiten angefangen, aber an meinem Auto war noch nichts gemacht worden. Ich ging davon aus, daß es daran lag, daß das Radlager nicht eingetroffen war. Ich ging hinüber zum Teilehändler und fragte ihn, ob das Radlager da sei. "Jaja, ist schon drüben, das Auto sollte eigentlich mittlerweile fertig sein." Das klappte ja schon mal. Ganz anders als Destroit - ganz anders. Hier heißt "Morgen" auch wieder Morgen und nicht "irgendwann mal, wenn ein Wunder geschieht". Wie angenehm. Ich ging also zum Auto, holte mein Duschzeug und ging mal vorsichtshalber in die Dusche. Als ich wieder herauskam, fiel mir auf, daß das Auto ja gar nicht auf dem Wagenheber stand, sondern auf dem Boden. Ich ging zum Werkstattmeister und fragte, ob die das innerhalb der kurzen Zeit gerichtet hätten, in der ich gerade weg war. "Nein, das haben wir gleich in der Früh gemacht, haben Sie das gar nicht gemerkt?" "Nein, nicht wirklich. Heißt das, das Auto war schon fertig, seit ich aufgestanden bin?" "Nun, zumindest haben Sie noch laut geschnarcht, als ich das Auto wieder auf den Boden ließ..." "Hm... Nunja... Was macht denn die Rechnung?" Es handelte sich um weniger als die Hälfte dessen, was ich eigentlich gerechnet hätte. Ich zahlte und fuhr los. Kaum war ich auf der Autobahn, kochte der Kühler. Es war also doch kein Wunder geschehen über Nacht, sondern es war wieder alles ganz normal. Es klappte, wie es soll. Keine Ausreden, keine Unplanmäßigkeiten, alles ganz normal. Amerika, wie ich es kennen und lieben lernte. In diesem Green-River-Kaff gab es auch wieder Mexikaner. Sehr gut, das klare, verständliche Spanisch wieder zu hören, statt den Kauderwelsch, den einem die in Destroit vorbellen. Mexikaner scheinen ein guter Indikator zu sein. Wo sie sind, da läuft der Laden, da klappt es und da, wo die nicht hingehen, da bleibt man besser auch weg, da ist nichts zu holen. Einzige Ausnahme: Alaska.

Auch die Landschaft signalisierte, daß es nun bis nach Hause nicht mehr weit sein konnte. Und kein Schaden ohne Nutzen: Wenigstens passierte ich das alles nicht Nachts, sondern bei Sonnenschein. Zur von Natur aus schon großartigen Wüste gesellten sich hier immer mehr und mehr der berühmten Canyons. Zwar sah ich nicht diese filmreifen, bilderbuchfüllenden Canyons, aber die "kleinen", die links und rechts der Straße lagen, die genügten nun vollkommen. Es war vielleicht sogar besser so, da kam ich nicht in Versuchung, dort hinfahren zu wollen. Ich mußte schließlich heim.
Was die Sahara einfach zur Nummer eins macht ist die Tatsache, daß in jeder anderen Wüste, die ich bisher befuhr, sei es in Argentinien, Chile oder in den USA, links und rechts der Straße Stacheldrahtzäune sind. Drahthindernis, um dem Wort den adäquaten Beigeschmack zu verleihen. Man kann nur mit großem Umstand die Straße verlassen, das nimmt der Wüste viel von ihrer Magie.
Für den Kühler war es nicht das Beste, tagsüber zu fahren, aber der fliegt sowieso raus bei der nächstbesten Gelegenheit.

 

Diese Fahrt erinnerte mich sehr an die Fahrt nach Libyen, 1998. Das war keine richtige Fahrt, sondern mehr so ein Spähtruppunternehmen, um zu sehen, was es dort so gab. Die Fahrt folgte im Jahr darauf. So war es auch hier. Das alles hier schreit danach, unter die Räder genommen zu werden. Natürlich nicht auf dem Hochweg - das ist äußerst unsportlich - sondern man nimmt dazu Landstraßen oder Pisten, welche es hier in Amerika auch gibt. Und beim nächsten Mal werden Lagrader mitgenommen. Auch das hat mich der unangenehme Zwischenfall von gestern Nacht gelehrt. Ich stelle es mir sehr ärgerlich vor, in der Wüste sterben zu müssen, weil man nicht an ein blödes Radlager gedacht hat. Aber ebenso wichtig ist das Werkzeug, denn es ist noch ärgerlicher, wenn irgendwann ein Gerippe gefunden wird mit einem nagelneuan Radlager in der Hand und nebendran einen Ratschenkasten, in dem ausgerechnet die 17 Nuß fehlt. Auch, wenn in einem solchen Falle die Identifizierung des Opfers keine Schwierigkeiten machen würde...

Aufenthalte gab es natürlich Kühlerbedingt jede Menge. Ich hielt an jeder Tankstelle, füllte die Wasserkanister und fuhr dann immer weiter, mit einem halb geöffneten Kühlerverschluß. Zwei Brandblasen trug ich davon, die auf typisch heldenhafte Art und Weise zustandekamen: Ich hatte extra meine Schweißerhandschuhe nach vorne getan, war aber jedes mal zu faul, beide anzuziehen, also nahm ich den rechten, zog den an. Ich mahcte die Haube auf, griff mit der Rechten den Wasserkanister vom Dach, und mit der Linken völlig unbedacht den Kühler, weil die Rechte ja den Kanister halten mußte. Es zischt und sprudelt und dazwischen springt ein Idiot umher, der sich Daumen und Zeigefinger verbrüht hat. Aber alles nicht weiter tragisch. Es ging schließlich heim. Auch eine sehr außergewöhnliche Sache, war mir früher eigentlich nie passiert, daß ich mich darauf freute, heimzukommen. Im Gegenteil, das war immer der schlimmste Teil der Reise. Aber nicht so hier. Und das, obwohl mich in Kalifornien nichts anderes erwartete, als noch mehr Streß - bedingt durch den langen Aufenthalt in Destroit, hatte ich in Kalifornien so ziemlich alles verhaut. Zwei Arbeitgeber, die ungeduldig auf mich warteten und denen konnte ich bald erklären, daß ich zwar da sei, aber sie sich noch ein paar Wochen gedulden müßten, weil ich nur zurückgefahren bin, um wegzufliegen.
Aber es waren nur noch zwei Stationen: Las Vegas und dann auch schon L.A. Voraussichtliche Ankunftszeit: Mitternacht. Aber das war auch nicht weiter tragisch. Es war nun einfach schon völlig egal, ob ich heute, morgen, oder übermorgen eintraf. Am Dienstag ging mein Flugzeug und damit war es auch schon vorbei mit der Herrlichkeit. Früher, in besseren Zeiten, da bekam man für Amerika an der Grenze einfach so sechs Monate. Die sollten das einfach wieder einführen, damit macht man vielen das Leben leichter.

Ein kleiner Teil von Las Vegas, vom Hochweg aus gesehen.

In Las Vegas kam ich bei Sonnenuntergang an. Vielleicht war es ganz gut, daß ich nicht über viel Zeit verfügte, denn es wäre schon einen Versuch wert, hier und da einmal etwas zu gewinnen. Die Casinos sah ich nur von weitem, aber man muß ja nicht unbedingt in ein Casino gehen. Jede Tankstelle sieht aus, wie ein kleines Casino, jedenfalls bemüht sie sich darum. Überall stehen diese Slot-Maschinen und keine davon ist frei. Ich füllte den Kühler und den Getränkevorrat auf und schon ging es weiter. Das nächste Mal, vielleicht. Außerdem muß erst die Begleitung klargemacht werden. Ich muß nur einen schlauen Plan entwerfen, wie ich sie hier heiraten könnte, ohne, daß sie es merkt. Was man nicht alles für eine Greencard tut. Verrückt.
Ich hielt nicht an, freute mich, daß es nach Los Angeles nicht mehr weit war, vielleicht noch 6 oder 8 Stunden. Und besonders freute ich mich über Entfernungsangaben in Kilometern. Sehr feine Sache, das ist die erste Bresche im zivilen Teil der USA - die Army ist da bekanntlich schon viel weiter. "Wir kriegen Euch alle", eines Tages wird das metrische System hier seinen Siegeszug antreten. Und wenn noch heute jeder Trottel meint, in Inches messen zu müssen und jeder Einwanderer noch blöder ist und das auch noch betoniert, indem er es übernimmt oder erkläret, man dürfe sich nicht darüber aufregen, schließlich sei man hier nur Gast. Es wird der Tag kommen, da sie hinter dem metrischen System stehen einsehen werden: Wir haben wirklich nur das Beste gewollt. Alles, was man als vernünftiger Mensch tun kann, ist das Standard zu bekämpfen, wo man kann. Da gibt es viele Arten. "Zwei und dreizehn Sechzehntel... was? Achso, Inches... Klar. Wissen Sie, daß wir in Europa auch Inches benutzt haben?" "Wirklich? Ich dachte, nur in England..." "Yes, but you see, die Engländer laufen heute noch auf allen Vieren, alle anderen haben mit dem aufrechten Gang das metrische System übernommen." Hier sieht man schon die ersten Erfolge. Entfernungstafeln mit Kilometerangaben. Wunderbar.

Es erinnerte alles ein wenig an Chile. Erst fuhr man Stundenlag durch absolute Dunkelheit und dann plötzlich muß man die Sonnenbrille aufsetzen, weil man von den Lichtern geblendet ist und kaum noch etwas sieht. Übertrieben riesige Schilder, völlig überdimensioniert, plärren einem förmlich ins Auge, man solle sofort stoppen und sich in diesem oder jenem Hotel einquartieren. Ganze Menüs wurden angepriesen, von frischen Krabben bis Trathahn, alles da. Wie Krabben frisch sein sollen, wo die nächste Küste fast 1000 Kilometer entfernt ist, das weiß ich nicht, aber sie werden schon ihre unergründlichen Wege haben. Hier muß mal ein Wochenende gehen. Ich hab gehört, viele Hotels seien umsonst. Das ist zwar nur ein Gerücht, aber man sollte es einfach einmal auschecken.

Ich arbeitete in Gedanken an meinem Plan weiter, doch kam zu keinem Schluß. Gerade, aals es interessant wurde, war ich schon in L.A. Man fährt stundenlang auf einer Stadtautobahn, irgendwann kommen einem die Namen auf den Schildern bekannter und bekannter vor und bald schon ffährt man durch Hollywood. "Home sweet home." Es war kurz nach Mitternacht, ich fuhr durch Hollywood, doch das fruchtete nicht wirklich. Was sollte ich hier? Liegen alle in ihren Kojen und pennen. Ich fuhr nach Silverlake. Es war Freitagabend. Mein Parkplatz und der nebenan waren von einer Frau besetzt. Hätte sie jetzt auch noch ein Michigan-Kennzeichen gehabt, hätte ich ihr wahrscheinlich das Auto angezündet. Aber ich stellte mich schlicht so gut es eben ging auf den Parkplatz nebenan, legte mein Bett auf die Bleche und versuchte, einzuschlafen. Ein Fanziskaner hülfe dabei gut, nur was soll der Mensch am Freitag im Löwen? Ich schlief nach einer Weile und einigen Cigaretten auch ohne dies ein. Endlich! Wenn auch nur für ein paar Tage. Morgen und übermorgen waren Tage der Ruhe. Zumindest für mich. Erst mal ankommen. Alles andere war zunächst egal.


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