Detroit und kein Ende
Sonntag, 14. März 2004

Der Tag verstrich ereignislos und mit ihm begann meine letzte Woche in den USA. So ein Reinfall, so ein Schlamassel. Selbst wenn ich jetzt losfahren würde, es würde nichts ändern, es ist und bleibt Dreck. Mein gesamtes Dreimonatsvisum hab ich in den Sand gesetzt und zwar mit einer Gekonntheit, die selbst dem größten Idioten die Neidesgrüne ins Gesicht treiben müßte. Und wieder typisch: Genau in dem Moment, in dem eigentlich ein deutlicher Aufwärtsschwung eingeleitet war. Ich hatte so gute Arbeitsangebote wie nie zuvor und sogar jemanden gefunden, der mit einen Shop mieten würde, was eine der Voraussetzungen für das Visum wäre. Problem: Ich mußte raus, das Visum erneuern, Alaska spüren. Und dann kam es, wie es kam. Einen Aussetzer, ein Augenblick gistiger Umnachtung, das Auto in den Graben gesetzt, dann den Lüfter geliefert. Da nahm das Verhängnis seinen Lauf, und ich ahnte nicht das Geringste.

Und mich kotzt Detroit mittlerweile an, wie selten etwas. Es ist nicht nur das Grau in Grau, es sind nicht die Gammler, die allerorten herumliegen und herumbetteln, es ist auch nicht der Müll, der sich in jeder Seitenstraße stapelt vor zugenagelten und seit Jahren verlassenen Bruchbunden. Es kommt alles zusammen und was mich wahnsinnig macht, ist, daß nicht ein einziges Mal irgendetwas reibungslos funktionieren kann. Nicht ein Mal. Bei den geringsten kleinsten Kleinigkeiten muß man von den absurdesten Möglichkkeiten von Fehl- und Nichtleistungen ausgehen, es übertrifft einfach alles, was ich bisher selbst in den schlimmsten Ländern erlebt habe. Man kann nicht einfach den Ölstand an der Tankstelle prüfen, weil kein Papier in der dafür vorgesehenen Halterung ist. Wenn man dann eines gefunden hat, hat man einen halben Tagesmarsch zum nächsten Mülleimer, der aller Wahrscheinlichkeit nach am Überlaufen ist. Man greift zu einem Scheibenreinigermopped, doch anstatt Wasser mit Frostschutz sieht man in dem Topf eine braune Brühe in der Nudeln (!) herumschwimmen. Oder es ist Wasser drin, aber es fehlt der Mop oder das Antifreeze, so daß man einen Eisblock mit Stiel in der Hand hat. Geht man in einen Supermarkt muß man erst Stundenland nach einem Einkaufswagen suchen, dem dann am Ende ein Rad fehlt oder so verbogen ist, daß man ihn überall hinschieben kann, nur nicht dorthin, wo man hinwill. Wenn das Waschbecken verstopft ist, muß man dem Typen unten an der Rezeption erklären, was er zu tun hat, wo seine eigenen Formulare liegen, weil er völlig überfordert ist. Wenn Die Tür in der Wohnung nicht schließt, weil der Tür-Boy nun mal falsch eingestellt ist, dann kriegt man als Antwort, daß man da nichts machen kann. "Oh, neinein, natürlich, wenn die Tür nicht schließt, muß man sofort eine neue kaufen..."
Und ich vermiß die Mexikaner. Die tauchen hier ab und zu auf in Erzählungen von irgendwelchen Trotteln, die sich über illegale Einwanderer aufregen. Ich hab hier keinen Mexikaner gesehen, denen graut es wahrscheinlich hiervor, weil eben nichts funktioniert. Illegal hin oder her, die Mexikaner im Allgemeinen sind durchaus bereit, Hand anzulegen und etwas zu tun. Auch in L.A. stehen die meisten von den Illegalen nicht etwa bettelnd vor dem Liquor-Store, sondern vor dem Home-Depot und warten darauf, sich ihr Geld zu verdienen. Das ist schon einmal ein wesentlicher Unterschied zu dem, was man hier vorfindet. Hier hab ich mir auch das eine oder andere Home-Depot angesehen. Regale voll, kaum Kunden, und wenn man jemanden zum Bretterschleppen sucht, dann kann man lange warten.

Wohin man geht, man ist nur von Vollidioten umgeben, ob im McDonnnal'd, wo man als einziger Kunde erst mal den Kassierer fragen muß, ob man ihm was bringen darf, oder ob sie schon geschlossen haben, ob im Supermarkt, wenn die Kassiererin ihre Fingernägel interessanter findet als ihre Arbeit (was ich sogar verstehen kann, aber nicht, wenn ich gerade zahlen möchte) und man ihr sagen muß, daß doch Maniküre werden hätte sollen. Ob man in einen Liquor-Store geht und dem Idioten klarmachen muß, daß es vollkommen egal sei, ob mein Führerschein ein Loch hätte, wichtig sei nur mein Alter und das könne man noch lesen, wenn man denn überhaupt lesen kann. Und wenn man rauskommt, dann steht der nächste Bimbo dran und erklärt einem etwas von wegen er braucht Geld für den Bus. Zwei Dollar und er hätte aber nur 25 Cent. "Da, jetzt hast 50..." "Ich brauche aber zwei Dollar." Das darf alles nicht wahr sein. Es klappt einfach nichts so, wie es soll. Immer erst nachfragen, nachhacken, nachhelfen, dann haut es vielleicht hin. Nicht, wie man es gewohnt ist: Geld gegen Ware und keine späteren Reklamationen nötig. Nein, hier ist alles, was man anfaßt einfach nur scheiße. Das Wort trifft es einfach am besten, obwohl ich es in schriftlicher Form nicht gerne verwende. Geschrieben sieht es irgendwie scheiße aus... Kurzum, es funktioniert einfach nichts. Und wenn einmal etwas funktioniert, dann fällt es einem gleich auf. Aber die Chancen, im Lotto zu gewinnen, stehen besser - das ist der Grund, warum ich hier Lotto spiele. Man könnte meinen, ganz Detroit sei auf einer Halde für atomaren Müll errichtet.

Und ich danke Gott jeden Morgen, daß Matthias nicht hier war, als ich zum ersten Mal in dieses Land fuhr. Ich hätte ansonsten ihn kurz besucht, meine schlimmsten Vorurteile meisterhaft bestätigt gesehen und wäre wohl nie wiedergekommen - hätte wahrscheinlich von Kanada aus nach einer Verschiffung zurück nach Südamerika geschaut. Doch zum Glück warf mir das Schicksal einen Frank Scherer in den Weg, so kam ich nach L.A. Und nun weiß ich erst recht, was das für ein Paradies ist.


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