Alaska 2003
Heilige Drei Könige 2004

Als Almut in der Früh vom Laufen zurückkam, weckte sie mich. Ich bekam einen Anruf von Chris aus Berlin. Er hatte mir die Kennzeichen vor der Abfahrt zugeschickt, wollte wissen, was hier so geht. Wir unterhielten uns eine Weile. Danach ging ich hinunter um das Auto zu starten um warmlaufen zu lassen. Es war immer noch war, allerdings wehte ein starker Wind. Ich drehte den Schlüssel um und nichts. Alle Leuchten gehen aus. "Pisse!" Haube auf, an den Kontakten wackeln. Das Massekabel war lose. Wieder ein Versuch. Ein Paar Umdrehungen des Anlassers, dann wieder Stille. Ich wackelte an der Batterie: "Du Drecksweib, verdammtes, willst Du wohl aufwachen, ich kick Dich bis nach Venezuela!", schnauzte ich sie an, während ich sie wachrüttelte. Ich setzte mich erneut hinein, glühte vor, drehte auf Kontakt und die Kiste lief. Der Leerlauf ließ sich nur sehr hart hochschrauben. Ich drehte ein paar mal hoch, bis der Diesel stabil lief, zog dann den Schlüssel ab und ging wieder hinauf aufs Zimmer bis der Mensch von der Rezeption anrief und uns hinauswarf.

"Wenn kaum der Morgen dämmert, steh'n wir in Reih und Glied..."

Wir fuhren ein paar Stunden später los und kamen zufällig bei Mercedes vorbei. Ich mußte einmal um das Gebäude schlittern, erstens, weil es nicht geräumt war, zweitens, weil ich den Eingang nicht gleich fand. Ich stellte das Auto dann auf dem Hof ab und ging hinein. Als ich reinkam, war die ganze Mannschaft versammelt und einer fragte mich, wo ich denn hergefahren kam. "Naja, eigentlich, wenn man es genau nimmt aus Deutschland." "Hier herüber verschifft?" "Ja." "Wohin, welcher Hafen?" "Santos, Brasilien." "Und von dort?" "Kolumbien, dort wieder verschifft nach Panama und dann nach Kalifornien. Jetzt bin ich hier. Da geht 'ne Straße hoch." "Was kostet so eine Verschiffung von Deutschland nach Brasilien?" "Weiß ich nicht, ich hab von der Elfenbeinküste nach Brasilien verschifft." "Elfenbeinküste? Und wie bist Du dort hingekommen?" "Hingefahren, da geht auch eine Straße hin. Fast durchgehend." "Du bist verrückt..." "Nein, es schaut nur so aus." "Was führt Dich hierher?" "Nun ja, ich hab mein Lüfterrad geliefert und brauche Ersatz." Er begleitete mich zu den Ersatzteilen und da kamen wir dann ins Stocken. Mit meiner Fahrgestellnummer konnten sie nichts anfangen und ich wußte auch die Teilenummer nicht. Der Katalog fing bei Gruppe 24 an und das Läufterrad ist unter Gruppe 20 zu finden. Blöd. Und da ich wußte, daß es tausend verschiedene gab, kam ich auch nicht weiter. Ich ließ ihm meine Nummer da, er wollte sich bei Mercedes schlaumachen.

Wir fuhren derweil zum Ölwechseln. Ich fragte, ob sie mir auch den Kraftstoffilter wechseln könnten. "Ja, kostet aber 40 Dollar." Sonst noch was? Frechheit. "Nein, danke, wechseln Sie nur das Öl..." Almut und ich gingen in die Mall nebenan. Dort sah ich ein Plakat und fühlte mich angesprochen. Onkel Sam will mich für die U.S. Army. "Bei den Flaschen wäre ich gut aufgehoben", dacht ich mir und sagte zu Almut: "Ich probier's nochmal", und ging hinein ins Recruiting Office. "Grüß Gott, ich möchte gerne zur Army, bin aber kein Amerikaner. Geht da trotzdem was?" Sie fragten midch, ob ich Resident sei. "Nein, ich bin Tourist." Kopfschütteln. "Das geht nicht, Sie müssen Resident sein." "Wenn ich erst mal Resident bin, dann entfällt ja der Grund, zur Army zu gehen." Sie lachten beide. "Ich hab's in Kalifornien probiert, dachte vielleicht, in Alaska wäre es leichter." "Nein, leider nicht, gleiche Regeln, gelten bundesweit." Naja, einen Versuch war es wert... "Un' wieder war es nüscht mit der Aufenthaltsjenehmijung..."

Als wir wieder zum Ölwechsel gingen und ich zahlen wollte, fragte mich der Chef, ob es einen bestimmten Grund gibt, warum der Motor gleich nach dem Einschalten auf 8000 rpm schnalzt. "Das sollte er nicht und als ich ihn hier ablieferte tat er das auch nicht..." Mein Gott, wieso muß man den Leuten immer und überall auf die Finger schauen, damit sie keinen Mist bauen? Wieso kann nicht einmal einer normal einfach das Öl wechseln? "Ist der Batz heraußen?" "Nicht ganz." "Natürlich nicht, das wußte ich schon vorher, hab ich's nicht gesagt?" Seit zwei Jahren darf ich nach Gefühl Öl nachfüllen, weil der Meßstab sich benimmt wie ein Weib und gleichzeitig zwei verschiedene Angaben über den Ölstand abgibt, die sich auf krasseste Art widersprechen, je nachdem, welche Seite des Stabes man eben betrachtet. Keine Ahnung, wie das geht, aber ich denke, es liegt an zuviel Ölschlamm in der Wanne. Ich warf den Motor an und tatsächlich, er ging sofort auf Vollast, ohne, daß das Gaspedal angerürht ward. "Wer diesen Motor antastet, Volksgenossen, der muß gnadenlos zusammengeschlagen werden..." Wenn man Gas gab, drehte er noch höher. "Was soll der Scheiß jetzt?" "Wir haben nur das Öl gewechselt." Kann schon sein, jedenfalls gehört das nicht so. Ich stellte den Motor wieder ab und sah unter die Haube. Alles normal. Keinen Plan, woran es liegen kann. Ich warf ihn wieder an und plötzlich lief er wieder ganz normal. Der Öltandler-Chef freute sich und ich mich noch mehr. Das Werkzeug für den Dieselfilterwechsel stellte er mir auch noch zur Verfügung. Bald war alles "zur Abfahrt fertig", wie es bei der Feuerwehr so schön heißt.

Wir waren noch nicht auf der Straße, da schellte das Handy und Herr Mercedes-Benz of Anchorage war dran. Er habe nichts gefunden, was passen würde. Aber ich fuhr trotzdem hin, denn es hatte geheißen, daß auf dem Hof ein Auto stünde und da könne ich mir das Lüfterrad ausbauen. Ich verlangte einen gewissen Rich zu sprechen. Er sagte mir, wo das Auto stand: "Da ganz hinten, unter dem Schneehaufen." Wieviel er dafür haben wollte. "Egal, was immer Du für fair erachtest."Aber bau es erst mal aus..." Ich fuhr hin und Almut und ich machten uns daran, das Auto auszugraben.

Es fehlten genau zwei Sachen: Der Zylinderkopf und das Lüfterrad.

Es war ein alter Strichacht, der meiner Meinung nach schnellstmöglich nach Kalifornien gebracht werden sollte. Hier hat er nicht mehr lang zu leben, und wenn die Karosserie noch so gut aussieht. Ich hatte seit wir Kalifornien verlassen hatten keine alten Mercedesse mehr gesehen. Das macht das Salz im Winter...

Es war nicht besonders kalt, höchstens zehn Grad Minus, aber es wehte ein starker Wind, der machte die Sache wieder sehr unangenehm. Ich verabschiedete mich vom Strichacht, wünschte ihm viel Glück und wir fuhren dann zum Flughafen. Ohne Lüfterrad. Momentan kann ich gern darauf verzichten, so ist es nicht, aber weiter im Süden werd ich eines brauchen. Da muß mir wohl wieder Dennis zur Hand gehen müssen...
Am Flughafen angekommen, Sicherheitscheck. Sind immer noch auf irgendeiner bunten Alarmstufe, hier. Ob wir leicht entzündliche Flüssigkeiten dabeihätten. "Nein, eigentlich nicht." "Was ist in den Kanistern?" "Diesel." "Nur Diesel?" "Ja." Es wurde das Zeichen zum passieren gegeben. Es hat noch nie irgendjemanden interessiert, daß sich da oben auch noch 35 Liter Alkohol mit 118 Oktan befinden. Auch ich bemühe mich immer, das schnell zu vergessen und erkläre offiziell es für Wasser.

Wir blieben auch nicht lange am Flughafen, denn United Airlines hat sehr eigenartige Geschäftszeiten, nämlich von 18 bis 2 Uhr. In Alaska hatten wir die Uhren teilweise um eine Stunde zurückgestellt, das verwirrte mich ab und zu. Als wir den Flughafen verließen, war es schon wieder dabei, dunkel zu werden.

Von der Flughafenrampe aus aufgenommen.

Wir fuhren zurück in die Stadt und suchten eine Tankstelle. Erst die Dritte hatte Diesel im Angebot und auch da funktionierte erst die dritte Zapfsäule. Als auch das erledigt war, fuhren wir langsam zu Captain Cook. Diesmal parkten wir nicht auf der Straße und diesmal stellte ich den Motor wieder mal ab. "Das macht kein Krawall und spart Brennstoff..."

Drum trinken wir heut den letzten Wein...Wir gingen hinein und fuhren hinauf ins Restaurant. Die Jacken wurden abgenommen, dann wurden wir zu unserem Tisch gebracht, so, wie wir ihn bestellt hatten, nämlich mit Blick auf die Stadt. "Bitte nehmen Sie Platz, Ihr Kellner kommt in einem Augenblick." Wir waren die einzigen Gäste. Almut sah zivilisiert aus, aber ich kam mir etwas deplaziert vor in meinen Feldklamotten und dem Gammelpulli. Als ich gerade den Daimler von oben photographieren wollte, fragte hinter mir eine Stimme: "Ihr seid also die Guys, die vom warmen Teil des Landes hierhergefahren seid, um hier zu essen?" "Ja, gewissermaßen", antwortete Almut. "Es wird mir eine Ehre sein, Sie bewirten zu dürfen", fuhr er fort, "möchten sie gerne die Weinkarte besehen?" "Danke, ich muß fahren, aber sie trinkt einen Wein", beschloß ich und zeigte auf Almut. Die Speisekarte verstand ich natürlich nicht, aber der Kellner, Jay war sein Name, ging sie mit uns gemeinsam durch. Almut bestellte dann nach einer Weile und Jay ließ eine Bemerkung fallen, daß normalerweise nicht die Dame die Bestellung abgeben würde. "Wieso? War doch ihre Idee", und normalerweise bestellt der, der die Zeche bezahlt, insofern stimmte es ja wieder. Er zog los, um das Essen zu ordern. "He... Almut. Wir sitzen, glaub ich, tatsächlich im Captain Cook..." "Ja. Scheint mir auch so..." Wir stießen drauf an. Sie mit französischem Wein, ich mit einem alkoholfreien Margerita, der vorzüglich schmeckte. "Darf ich mal probieren?", fragte sie. "Klar doch..." "Hm. Da ist Kokosnuß drin", stellte sie fest. "So ein Schmarrn, das ist Mongo, koi Kokosnuß..." "Wetten?" "Klar." Blieb die Frage nach dem Wettgegenstand. "Ein essen im teuersten Restaurant, natürlich. Bloß wo?", fragte sie. "Moskau?" "Nein, Moskau hat keinen Stil..." "Leningrad?" "Nein, auch nicht, außerdem gibt es das nicht mehr." Ha! Stalingrad!!! Nein? Hm. "Wie wäre es mit Ulan Bator?" "Ulan Bator ist gut. Also haben wir's: Ein Essen im teuersten Restaurant in Ulan Bator." Die Wette galt. Zwei Minuten später offenbarte mir Jay, daß ich verloren hatte. Und wir hatten wieder ein Projekt und es hatte wieder genau so bescheuert begonnen wie das, welches wir gerade dabei waren, erfolgreich zum Anbschluß zu bringen. Es war auch einst nur eine dämliche Idee, nun saßen wir hier, genossen die Aussicht, ließen uns bewirten und wunderten uns selbst am meisten darüber, daß es irgendwie geklappt hatte. Irgend ein Projekt, as in weiter Ferne liegt braucht der Mensch schließlich, wann wir dort sein werden, steht im Stern, aber wenn es von ihm abhängt, dann kommen wir irgendwann an. Kein Zweifel. Es muß nur das nötige Kleingeld dafür her. I take care of the rest...

Als ich ein wenig mit meiner Kamera herumspielte, entdeckte ich ganz neue Seiten an ihr. Nachtaufnahmen mit kurzer Belichtungszeit und ich kam mir vor, wie ein Kind an Weihnachten. und ich ärgerte mich darüber, daß ich da nicht schon ein paar Tage früher draufgekommen war, als wir in Haines Junction so schönes Polarlich sahen. Die Aufnahmen waren damals zu dunkel geworden, obwohl sie wirklich das Zeug zu einer Postkarte hätten haben können. Vielleicht hätte ich doch die Gebrauchsanweisun anschauen sollen.

Blick auf Anchorage bei Nacht.

Es kam eine kleine Dame in mittleren Jahren und stellte sich vor als die Managerin. Sie hätte gehört, wir wäre eigens aus Los Angeles hergefahren. "Naja, eigentlich aus Buenos Aires..." "Buenos Aires?", fragte Sie erstaunt. Ich tat unschuldig, zeigte auf Almut und meinte: "Es war ihre Idee." Die Managerin sagte "Kluges Mädchen.", während sich Almut verteidigte: "Er ist gefahren." Die Managerin meinte, sie wollte haben, daß wir gut behandelt würden und falls es beschwerden gäbe, sollen wir uns an sie wenden. Aber es gab keinen Anlaß zu Beschwerden, nicht den allergeringsten. Alles war perfekt, klappte bis ins letzte Detail und das Essen schmeckte vorzüglich.

Wir gingen nach dem Essen noch hinunter und verabschiedeten uns von Jon, dem Oberportier. Er hatte eine Freundin dabei, Verkehrsflugzeug-Copilotin, die der festen Überzeugung war, man könnte um diese Jahreszeit mit dem Auto gar nicht hierherfahren. Und es geht doch. Was wir heute noch vorhätten. "Wir müssen noch zum Flughafen, denn eigentlich geht mein Flug in Detroit übermorgen und da müssen wir was machen. Und wir müssen zusehen, bald loszukommen." "Wo geht denn der Flug?", wollte sie wissen. "Detroit." "So, dann war es das jetzt schon für Euch, huh?" "Mehr oder weniger." "Ja, aber ihr habt ja noch ein paar Tage", meinte Jon. "Nein", erklärte ihm die Copilotin, "sie fliegen nach Detroit". "Die fliegen nicht", sagte Jon, "die fahren." Sie sieht uns an. "Ihr fliegt doch, oder?" "Nein, wir fahren natürlich." Jetzt kapierte sie gar nichts mehr. "Und was ist mit dem Flughafen?" "Da müssen wir hin, um den Flug zu verschieben." "Ihr müsst fei durch fast ganz Kanada..." "Ja, deswegen doch. Wir schaffen es bis übermorgen nicht von hier bis Detroit zu fahren..."

Wir fuhren zum Flughafen und während Almut sich um ihre Fluggeschichten kümmerte, schrieb ich schön eine Postkarte nach der anderen voll. Sie kam zurück und nichts schien erledigt. Alles, was sie hatte war eine Reservierung und sie sollte bei der Kundenhotline anrufen, wo natürlich kein Durchkommen war. "Egal, laß uns fahren und schauen, was passiert. Ich muß nur morgen mal ins Internet und ein eMail an meine Studenten schreiben, daß der Unterricht nächste Woche ausfällt. Und eines an Ines, ob sie vielleicht für mich einspringen kann, aber die ist in Norwegen... Naja, wird schon irgendwie klappen." Sie ist einfach so herrlich unkompliziert. Und mir war es natürlich ganz recht, daß ich nicht alleine durch diese Eishölle mußte.
Wir fuhren wieder ins Samovar, ich verlangte einen Raum unten, was nach dem zweiten Anlauf klappte. Den Benz stellte ich davor, der Motor blieb wieder an - reiner Blödsinn, den abzustellen, zumal wir die einzigen Gäste in diesem Flügel waren und er uns nicht störte - im Gegenteil.

Ab sofort betrachteten wir uns als "auf dem Rückmarsch befindlich", es war alles erledigt, ich hatte mein Visum, die Panamericana war geschafft, de Alaska Higway nebenbei, wir waren im Captain Cook gewesen, und... "I've seen the morning in the mountains of Alaska..."


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