Reparatour Marokko 2004
Sonntag, 15. August

Wir fuhren durch die Nacht. Schade fand ich, daß ich nun den letzten Rest sehenswerter Landschaft bei Nacht passieren mußte. Von nun an würde immer alles grüner werden, alles klebriger, alles lagweiliger und unfreundlicher. Aber dem konnte nicht abgeholfen werden. Zähne zusammenbeißen und hineinstoßen in den hektischen Norden des Landes. Tausende von Viechern, die wie rattenförmige Eichhörnchen aussahen, trieben sich auf der Straße herum. Lebend, tot oder halbtot. Es waren wirklich tausende, ich bemühte mich immer, möglichst keines davon zu erwischen. Die sahen nett aus. Ich erwischte auch nur eines mit dem Hinterrad. Das ärgerte mich. Schließlich waren das nette kleine Tierchen und keine Drecksköter, die man einfach so zusammenfährt, ohne weiter nachzudenken.

Unser Nachtplatz. Anscheinend wieder einen Acker erwischt.

Doch einmal muß der Mensch auch schlafen, und es empfiehlt sich, das noch hier zu tun, wo die Gegend noch Nachtplatzfreundlich ist. Es wurde immer zivilisierter und ür einen Moment dachte ich an ein Hotel. Warum nicht? Wenn ich genügend Kohle habe, stundenlang mit L.A. zu telephonieren, habe ich auch genügend Kohle, ein Hotel zu bezahlen. Aber das war nicht unsere Art. Almut und Ines würden alle Kosten durch vier teilen. Von Anfang an sind wir so gereist. Ohne Geld, ohne Luxus. Wenn das jetzt anfing, riskierte ich, in Zukunft alleine zu fahren. Almut sagte mir schon an der Elfenbeinküste, daß ich mir dann einen anderen Beifahrer suchen könnte, wenn ich vorhätte, eines Tages zu reisen wie die Spießer. Wir blieben in der Wüste - falls man das hier überhaupt noch als solche bezeichnen konnte.

Schon hier mußte wohl vom richtigen Marokko Abschied genommen werden. Zu diesem Anlaß gab es auch einen Wein. Irgendwie amüsierte ich mich über diesen Gaggerl-Gepäckträger. Wenn man mit sowas über Wellblech fahren müßte, dann wäre man bald sein Gepäck los. Aber das Auto stand schön da. Wir beschlossen, daß dieses Auto, egal ob es TÜV bekommt oder nicht, woran ich allerdings nie gezweifelt hatte, unser Expeditionsauto für Europa bleiben würde, solang bis der braune eines Tages wieder käme.

Die Nacht blieb ruhig, es regnete nicht, entgegen meinen Befürchtungen. Wir waren hier auf einem Acker, verdammt. Auf Äckern regnet es nun mal immer. Oder es ist kurz davor. Aber diesmal war es uns erspart geblieben, mitten in der Nacht einen Stellungswechsel vorzunehmen. Am nächsten morgen, statt wolkenbehangenen Himmels hatten wir strahlenden Sonnenschein, der Almut wach vorfand, mich jedoch zum aufstehen nötigte. Ich hätte schon noch einige Stunden weiterschlafen können - wie immer.

Und weiter ging es, zurück auf die Straße in Richtung Norden.

Wir stückten im Schatten des Autos, der immer spärlicher wurde, früh. Wir hatten vom Vortag noch Vorräte im Kofferraum. Ich bretterte über die Zubringerpiste - in Deutschland würde man es wohl Feldweg nennen. Eine Gaudi, wie das so staubt. Ich liebe das, wenn hinter dem Auto eine Kilometerhohe Staubwand in der Landschaft steht. Als ich wieder auf der Straße war, und mir eine Cigarette anstecken wollte, fiel mir siedend heiß ein, daß ich die Kippen doch kurz vor der Abfahrt noch auf dem Dach plaziert hatte. Klar hatte ich vergessen, sie in das Auto hineinzulegen, bevor es losging. Als nochmal zurück über die Piste, in dem Staubschleier versuchen, die chachtel zu erkennen, und sie dabei nicht zu überfahren. Ich fand sie auch unüberfahren bei der vorletzten Bodenwelle. Jetzt konnten wir alle beruhigt weiterfahren.

Die Fahrt ging in Richtung Casablanca. Die Strecke war nur dann interessant, wenn gerade ein 123er vorbeifuhr. Ansonsten zog sich die Fahrt recht zäh dahin. Ines und Joe schliefen, Almut paukte sich sinnlose Arabischvokabeln ein. Völliger Schwachfug. Die Wörter braucht man im Deutschen nicht einmal dann, wenn man Maschinenbau studiert...

Nach zweieinviertel Stunden waren wir in Casablanca. Es war hier relativ schwül. Und es war wieder an der Zeit, Diesel nachzufüllen. An einer uns passend erscheinenden Shell-Tankstelle tankten wir voll, ergänzten den Getränkevorrat und sahen nach dem Öl und nach der Luft. Alles in Ordnung. Nun kamen Almut und Ines an mit der Idee, ans Meer zu fahren. Die hatten das zwar schon vorher erwähnt, aber ich dachte, sie vergessen das vielleicht. Wobei es auch nicht besonders schlimm war. Bestimmt gab es dort Duschen und Schatten.

Joachim beim Kontrollieren des Reifendrucks.

Bis wir an der richtigen Stelle waren, vergingen allerdings noch eindreiviertel Stunden. Und das bei der Hitze. Es war ein relativ kleines Kaff zwischen Casablanca und Rabat. Wie es hieß weiß keiner mehr. Es muß Skhirat Plage gewesen sein, aber garantieren kann ich es nicht. Das ist genau der Nachteil, wenn man einen LapTop dabeihat: Man spart sich die Aufzeichnungen und hinterher weiß man nicht, wo man war. Man mein, man kann es sich bis zum Ende des Tages merken, aber wenn man nicht dazukommt, abends einen Bericht zu tippen, dann hat man das selbe Problem und zusätzlich noch das gleiche am Abend danach. Und man verliert schnell die Übersicht.

Jedenfalls waren wir um halb vier am Strand. Als erstes wurde nacheinander geduscht. Die Duschen waren relativ komisch. Es war mehr ein ummauerter Hof, in dem man duschen konnte. Wunderte mich etwas, schließlich waren wir in Marokko. Aber sei's drum. Als wir alle fertig waren, begab ich mich zu dem Tisch, an dem auch die anderen saßen. "Für mich eine Cola", stellte ich fest und erschlug dabei eine Fliege auf dem Tisch, "Drecksau!". Die Cola kam auch bald und ich wollte Klarheit darüber, wohin mit der Fähre gefahren werden soll. Wir redeten hin und her und kamen nur zu dem Schluß daß man nichts genaues nicht wüßte, solange man nicht die Preise kannte.

Dann fing Almut wieder mit ihrer Mathematik an. Das nenne ich so, wenn sie es genau wissen will. Nun fragte sie Ines ein Loch in den Bauch über Umgangsfloskeln. Für sowas habe ich nun gar kein verständnis. "Was sagt man zum Frühstück, was zum Abendessen, usw." - was für eine Zeitverschwendung. Derweil könnte sie im Meer planschen gehen, da hätte sie mehr davon, als regionale Höflichkeitsfloskeln einzustudieren, die sie in absehbarer Zeit nicht anbringen kann und wieder vergessen hat, wenn sie wieder mal nach Marokko kommen sollte.
In Argentinien spricht man Spanisch, wie in Mexiko. Und doch gibt es große und kleine Unterschiede, wie überall. Aber keiner wird erschossen, wenn er in Mexiko "Como le vá?" sagt, statt "Que onda?". Der Ton macht immer noch die Musik. Es kommt immer drauf an, wie man etwas sagt, nicht darauf, was man sagt. Sie hätte Mathematik studieren sollen.

Gegen halb fünf brachen wir auf in Richtung Norden. Immer schön am Meer entlang. Es herrschte relativ viel Verkehr. Almut und Ines wollten noch Töpfereiprodukte kaufen und ich sollte die Augen offen halten, falls sich am Straßenrand entsprechende Buden zeigen. Stunden später, ich floß gerade so im Verkehr mit, flirtete in Gedanken mit dem gelben 123er vor mir, als Ines schrie: "Da! Da vorne! Da! Da ist eine Bude!" Ich faßte das als Anweisung auf, sofort anzuhalten, riß das Lenkrad nach rechts, fuhr hinunter von der Straße und leitete das Bremsmanöver ein. Die Bude kam immer näher und ich sah mich schon mit unbeholfenem Blick mitten in den Scherben der Bude stehen. Ich drückte das Bremspedal durch, spürte, wie das Auto tiefer sank und langsamer wurde. Lenkrad festhalten und auf die Bude zuhalten. Etwa anderthalb Meter von den ersten Schüsseln kam das Auto zum stehen. Alles verschwand in einer Staubwand, man sah nicht mehr viel. Sofort erhob sich Protest von der Steuerbordseite und von achtern. "Spinnst Du?" Ich mußte lachen. Einige verstörte Marokkaner gestikulierten mich an, als wollten sie sich Almut und Ines beim protestieren helfen. Ich stieg schnell aus, lächelte freundlich und stellte laut fest: "Ma fisch muschkila!", was zumindest in Libyen soviel heißt wie "kein Problem". Und vielleicht glaubten mir die Leute hier ja auch, daß es kein Problem war.

Gegen acht Uhr beim Erwerb von Töpferwaren nach glimpflich verlaufenem Bremsmanöver...

Es schien zu klappen, jedenfalls beruhigte man sich recht bald, schließlich war klar, daß wir nun einkaufen würden. Nach der Aktion konnten wir ja nicht einfach weiterfahren. Nur Joe grinste vor sich hin und fand alles recht amüsant. "Geh hin und entschuldige Dich wenigstens..." Ich ging zum ältesten hin, grinste recht blöd, hielt ihm die Hand hin und sagte: "Alter, sorry, war keine Absicht. Ich hab alles im Griff..." Bei letzterem Satz bekommt jeder, der mich schon länger kennt, Schweißausbrüche. Aber er kannte mich nicht und lachte nur, weil er nichts verstand. Ich sage doch: Der Ton macht die Musik. In so einem Fall kann man irgendeinen beliebigen Satz konstruieren und er wird wie eine Entschuldig verstanden werden. Kommt eben nur drauf an, wie er vorgetragen. Ines und Almut kauften ein. Und nicht nur einen Fingerhut oder einen Aschenbecher, sondern gescheit. Gehandelt wurde natürlich auch. Am Schluß, also eine dreiviertel Stunde später, waren alle zufrieden und wir konnten weiter. Wir entschieden uns, diesmal die Grenze nicht per Land, sondern im Hafen zu überschreiten. Zurück nach Europa konnte es so kompliziert wohl nicht sein und selbst wenn - wir hatten Zeit. Tagesziel war die Gegend um Gibraltar.

Wieder einige Stunden später waren wir in Tanger angekommen. Erst gingen wir zum Pizza-Hut, um mal wieder etwas Anständiges zu Essen. Das war mal das Wichtigste. Almut und Ines aßen natürlich nichts, aber das war nichts Ungewöhnliches, schließlich hatten sie gestern bereits ihre Ration Trockenbrot erhalten. Das reicht für zwei Tage. Ich hatte klar was zu tun: Das billigste Fährticket finden. Alle Helfer, die ankamen schickte ich entweder zu den Vater-Mutter-Kind-Touristen, oder ich wendete die in Afrika bewährte Art der Konversation an und beachtete sie einfach nicht. Ich ging von einem Schalter zum andern und stellte fest, daß alle mehr oder weniger gleich viel kosteten. Also entschied ich mich für die Gesellschaft, die Visa akzeptierte. Man muß ja dem Fortschritt Vorschub leisten. Dafür bin ich auch bereit, etwas mehr zu zahlen, wenn es sein muß. Mußte es aber nicht - es kostete keinen Aufschlag. Die Visa hatte auch noch einen Vorteil. Wenn man sie den Pennern, die einem zeigen, wo man den Namen eintragen muß, entgegenhielt, dann fragten sie nicht weiter. Die Zukunft spricht tatsächlich Visa. In dem Fall sagt sie: "Ich hab kein Geld."


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