Reparatour Marokko 2004
Freitag, 13. August

Wie immer wurde ich von der Sonne aus den Federn geworfen. Das Frühstück wartete schon und nachdem dieses hinuntergeschlungen war beschlossen wir, erst die Handbremse richten zu lassen und das ganze Gepäck vorerst hierzulassen. Erst wenn das Auto 100%ig Einsatzklar war, wollten wir es bestücken und dann endgültig losfahren. So zogen wir denn zu viert los. An der Werkstatt angekommen, ließ ich über Ines erklären, was zu tun sei. War ja nicht schwer: "Handbremse richten." Währenddessen gingen wir etwas weiter weg zu einem Café, wo wir Orangensaft tranken und Windbeutel aßen. Das Café hier gehörte zur gehobeneren Kategorie. Entsprechend waren die Preise. Wir vertrödelten die Zeit. Als wir um ein Uhr Nachmittags wieder da waren, gab es anscheinend ein Problem. Irgendwelche Teile schienen zu fehlen. Man versicherte uns aber, daß daran bereits gearbeitet würde. Das Auto stand, hinten hochgebockt, vor der Werkstatt auf der Straße.

Joe beim Begutachten der Arbeiten an der Feststellbremse.

Es gab keine Eile. Wir wußten eh nur vage, wo wir hinwollten. Ines hatte, wie es schien, irgendwelche Bekannten irgendwo im Süden. Allen anderen war es ohnehin egal, wohin wir fuhren. Hauptsache es wurde gefahren, bevorzugt in Richtung Süden, denn nach Norden mußten wir früher oder später sowieso.

Es dauerte noch einige Stunden, nämlich bis gegen Vier Uhr, bis sie fertig waren. Ein Test ergab, daß die Bremse wieder bestens funktionierte. Bezahlen, herzliche Verabschiedung, ein wenig Trinkgeld für die kleinen Mechaniker und los ging's. Nun war das Auto fahrbereit. "Wie sieht's nun aus?", fragte ich in die Runde, als wir durch Fez fuhren, "Wo fahren wir hin? Wie wär's mit Dakhla?" Almuts Antwort war gewohnt pragmatisch: "Erstmal zurück zum Haus. Unsere Sachen sind noch dort." Ich fahre hin, wo's mir befohlen. Eine Viertestunde später waren wir auf dem Parkplatz und gingen in das Gewusel der Medina. Zum letzten mal in Richtung reinwärts. Der Weg kam mir viel kürzer vor als sonst. Viel zu Packen gab es für mich nicht. Ines, hingegen, hatte einen Rucksack dabei, in dem man mühelos das Empire State Building hätte verschwinden lassen können. Als Offizier und Gentleman befahl ich ihr, den Rucksack mir zu überlassen: "Den Rucksack trag fei ich. Ich geh nur noch schnell duschen." Das könnte ich mir in diesem Falle sparen, schrie mir Ines hinterher. Würde sowieso nichts bringen. Beim Ausgang der Medina wäre ich sowieso wieder patsfchnaß. Es stimmte zwar, daß die Luftfeuchtigkeit in der Medina um ein vielfaches höher war als draußen, aber darüber machte ich mir keine Gedanken. Ich ging trotzdem ins Brausebad. Als ich frischgebügelt die Eingangshalle betrat, wartete schon alles wie gewohnt auf mich. Ich nahm mein Gepäck und Ines' Rucksack mit der darin befindlichen Wohnungseinrichtung, dem Gewicht nach zu urteilen, und ging zur Ausgangstür. Wie erwartet kamen an die zweihundert Kinder angerannt und schlossen sich den anderen zweihundert an, die schon vor der Tür warteten. Es hatte sich herumgesprochen, daß die blonde Deutsche heute auszieht. Ich glaube, das war das erste mal im Leben, daß ich mich freute, Kinder zu sehen. Ich legte einfach den Rucksack auf der Kindermenge ab, die große Tüte, die sie mir förmlich aus den Händen rissen, natürlich auch, mein eigenes Gepäck, gab ich einem kleinen Jungen, der scheinbar der Anführer zu sein schien. Ich zeigte mit der Fliegenpatsche in die Richtung, in die wir wollten und gab den Befehl "Vorwärts, Marsch" und ließ die Bengels voranmarschieren. "Links, zwo, drei, vier, das nennt ihr Gleichschritt? Ich werd Euch Beine machen! Mit exerzieren ist wohl nicht, wie? Ihr Weihnachtsmänner! Für Euch muß der Heldentod für Allah geradezu eine Erlösung sein!" Während ich also die Jungs mit geistiger Diarrhoe beschallte, sah ich mich nach dem Rest der Truppe um. Ines und Almut versuchten sich der Hilfe zu erwehren und kämpften mit den Kindern um ihr Gepäck. "Die wollen's nicht klauen, sondern tragen", klärte ich die beiden auf. Joe sah wie immer, nur unbeteiligt zu, während die Kinder an ihm rumzupften. Wie ein Monument stand er da und störte sich an rein gar nichts. Wie er das nur macht..? Nun hatten sich die Weiber auf mich eingeschossen. "He, Markus, komm. Trag das Zeug selber!" Ich glaubte, nicht recht zu hören. "Was??????? Ich soll das schwere Zeug selber tragen? Sonst noch was?" "Laß die das nicht tragen, das ist schwer", moralpredigte Almut weiter. "Die sind zu vielt, außerdem wollten die das unbedingt tragen." "Trotzdem. Das geht nicht." "Natürlich geht's, laß die das tragen, ich bezahl für alle, paßt schon. Die wollen auch Geld verdienen, sonst werden das alles Taschendiebe, Drogenhändler, oder sonstige Kriminelle."

Die dümmste Art, Gepäck zu tragen. Ganz rechts ein kraftstrotzender, arbeitswilliger junger Marokkaner, der gerade von Vertretern falschverstandener Moralvorstellungen um sein Tagesverdienst gebracht wurde.

Es half alles nichts. Ich nahm den Rucksack gegen den Widerstand tausender Kinder an mich. "Ich beuge mich dem Protest! Aber nur unter Protest!" Die Kinder wollten ihn nicht loslassen. "Ja, ich bin auf Deiner Seite", erklärte ich ihm auf Deutsch, "beschwer Dich bei der Tante da hinten. Die heißt Mutter Theresa." Den großen Sack mußte ich denen auch entreissen. Sie sahen mich völlig entgeistert an, als wollten sie gleich losheulen. "Da hinten ist die Böse. Ich kann nichts dafür. Oder seh ich aus wie der Gutmensch, der die Welt verbessern will. Scheiß Christengesockse, da. Die Armen kleinen Kinder quälen, um ihre Zukuft bringen und das dann auch noch als Wille Gottes deklarieren. Diese Vertreter der Humanität schlechthin haben wohl nich nie was davon gehört, daß Arbeit frei macht. Diese Marxisten, die wollen nicht, daß Ihr frei werdet, ihr sollt ewig Sklaven bleiben. Und das verpacken sie dann in schönen Vokabeln. Nach außen unterwürfig pazifistisch, nach innen terroristisch, was man leicht daran erkennt, wie sie mit ihrem eigenen Fahrer umspringen." Der kleine Junge verstand nur Bahnhof, aber die anderen hörten es sehr wohl. "Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen", erklärte ich weiter irgendeinem Kind, "aber nicht mit mir. Geh heb den Rucksack an, damit er leichter wird, ich geb Dir dann am Auto die Kohle... Verstehst Du mich nicht? Mann! Keiner versteht mich! Da. Dann nimm den Türkenkoffer, da. Der ist mir zu schwer. Er nahm mir die Türe ab, und sofort erhob sich hinter mir Protest. "Du siehst, die wollen nicht, daß Du Geld verdienst. Geh lieber stehlen, das lohnt sich eher. Und wenn Du ein Weib am Weg triffst, gleich umpatschen, bevor es was sagen kann. Wenn die erst mal die Gosch aufmachen, dann ist's schon zu spät" Ich gab ihm ein Zeichen, zurück zu seiner Meute zu gehen und mitzte weiter vor mich hin. "Unverschämtheit. Ich habe zwar gesagt, daß ich den Rucksack trage, aber damit meinte ich nur, daß ich ihn begleite. Davon, daß ich ihn selbst trage war nie die Rede." Toll... Freitag der Dreizehnte und zwei verrückte Weiber. Das kann nur danebengehen.

Das Motzen hörte am Auto auch nicht auf. Sah ich gar nicht ein. "Die armen Kinderle. Die weinen jetzt bestimmt und sind traumatisiert." Seit wann ich mich so um Kinder sorgen würde. "Ich sorge mich um meinen kaputten Rücken. Und jetzt sie mich an. Ich bin klatschnaß, wie so'n Flußpferd, bloß wegen Eurer weiblichen Eitelkeit." "Jetzt hör wieder auf zu motzen", sagte Almut zu mir, die auf dem Weg öfter mal von Lachkrämpfen heimgesucht wurde, "Du darfst Dir auch bei McDonald's was schönes aussuchen." "Na, gut, wenn das so ist... Aber gerecht war das nicht, das mußt Du selber zugeben." "Du bist doch immer derjenige, der immer sagt, die Welt sei nicht gerecht." "Ist sie auch nicht. Das wollt ich Dir damit nur mal wieder vorgeführt haben..."

Wir fuhren stracks zu besagtem Restaurant. Ines blieb gleich draußen, Almut, Joe und ich gingen hinein. Man fragte auf Französisch nach der Bestellung. "Französisch ist aus, Alter. Fronseh ce ün merd. Takallam Arabyia?" Als er dann Arabisch redete, bestellte ich bei Almut. Versteh nach wie vor nichts, aber Hauptsache die Ohren bleiben von diesem schwulen Französisch verschont.
Wie immer war nur die Oberschicht vertreten, wobei die reichen Marokkaner immer noch angenehmer waren als die, die in Europa zu zehnt in einem Rattenloch leben, hier auf Urlaub sind und vor den Einheimischen den Dicken machen. Wir setzten uns hinauf in den ersten Stock. Man konnte hier sogar Bestellungen abgeben. Das ist mir bei McDonald's noch nie passiert, daß man am Tisch bestellt und das Zeug bekommt. Allerdings hat das erst beim Nachschlag funktioniert. Wir aßen gemütlich meine Burger. Wir ist natürlich nur auf Joe und mich bezogen. Almut würde nie bei McDonald's irgendetwas essen. Lieber fünf Wochen altes Brot, Fleisch sowieso nicht. Könnte am Ende noch gut schmecken und das wäre ganz entsetzlich. Oportet edere ut vivas, non vivere ut edas. Der reinste Schwachsinn... "Kannst ja schon mal runter gehen und die Welt verbessern", hätte ich ihr beinahe gesagt.

Als wir alles verschlungen hatten, gingen wir wieder hinaus und gabelten Ines auf. "Aufsitzen!", befahl ich im Vorbeigehen. Als wir alle eingerichtet, einige Kleinigkeiten doch noch umgelagert waren, waren wir endlich zur Abfahrt fertig. Nun ging es hinaus aus Fez. Nettes Städtchen. Hat mir gut gefallen. Nun ging es in Richtung Süden, Generalkurs Ouarzazate. Zwar nicht über die große Straße im Norden, die über Marrakesch führte, sondern über die kleine im Süden. Die führte durch die Wüste, war weniger befahren und nicht ganz so gebirgig. Aber wir mußten bis Ifrane auf der großen bleiben. Dort mußten wir dann nach Süden. Zwar war die kleine Straße länger, aber schließlich sind wir nicht nach Marokko gekommen, um Kilometer zu sparen. Wir wollten fahren, und das möglichst durch Kieswüste, Hammada, wie sie in Libyen heißt.

20:15 Uhr: Dieselfassen an der Shell-Tankstelle in Ifrane.

In Ifrane, wo viele reiche Marokkaner ihre Ferienhäuser haben sollen, hätten wir eigentlich nach Süden abbiegen müssen, doch aus irgendeinem Grunde verpaßten wir die Kreuzung. Von Ifrane führt eine kleine Verbindungsstraße über Mischliffen zur Straße, die von Azrou über Midelt nach Er-Rachidia im Süden führt. Und genau die haben wir verpaßt. Da Azrou aber nur 17 Kilometer weiter lag, die kleine Verbindungsstraße womöglich eine Piste, fuhren wir einfach weiter und bogen erst in Azrou in Richtung Süden ab. Die große Straße, die wir nun verlassen hatten, verläuft von Fes nach Marrakesch am nördlichen Rand des Atlas-Gebirges, die kleinere Verbindung an dessen südlichem Rand.

Zedern - Um auf diese kleine Landstraße zu gelangen, mußten wir nun den Atlas überqueren. Eine halbe Stunde nach dem Tanken verließen wir kurz die Straße und fuhren auf eine kleine Piste. Diese führte zu Bäumen, die überhaupt nicht in diese Landschaft hineinpaßten. Es waren Zedern, angeblich. Kann ich nicht beurteilen - obwohl ich es können sollte. Jedenfalls erinnerte diese Gegend im Dämmerlicht stark ans Allgäu.

Von irgendwo her drang Hundegebell. Die genaue Richtung konnten wir nicht ermitteln, aber von der Lautstärke her schienen sie ziemlich nah zu sein. Drecksköter. Ich bewaffnete mich mit einigen faustgroßen Steinen, die Autotüren blieben offen, obgleich das nicht viel helfen würde. Die Viecher bemerkt man erst, wenn sie einen bereits anvisiert haben und schon mit AK einen zulaufen. Daß man da noch rechtszeitig wegkommt ist unwahrscheinlich. Und Wegrennen ist sowieso die falsche Reaktion. Damit dreht man dem Hund den Rücken zu und ist recht wehrlos. Auf ihn zulaufen und möglichst auf nächster Nähe ihm mit größtmöglicher Wucht den Stein auf die Schnauze hauen und sofort mit ebenso größtmöglicher Wucht, ihm den Fuß oder das Schienbein in den Hals hineintreiben.

Während die Mädchen also die Botanik studierten, lauschten Joe und ich in die Nacht, um auf einen etwaigen Angriff rechtzeitig reagieren zu können. Ich hasse diese Viecher einfach. Es gibt wenige Tiere, die ich bedenkenlos töten würde, aber Insekten und Köter sind auf Platz zwei und drei. Platz eins halten Angehörige der Bayerischen Polizei, allerdings haben mich die zu erwartenden rechtlichen Folgen zum einen, die immer noch fehlende Bull-Bar zum anderen immer davon abgehalten, sie über den Haufen zu fahren. Zum Glück erforderte die Situation dann doch keine besonderen Maßnahmen. So ist es immer am besten.

Wir waren noch zu weit im Norden. Es war schon neun Uhr und dafür war es noch viel zu hell, ganz abgesehen davon, daß die Dämmerung zu lang anhielt. Wir gingen zurück zum Auto und fuhren weiter. Von der Landschaft sah man nichts. Dafür war es wiederum zu dunkel. Wir fuhren noch knappe vier Stunden und verließen die Straße dann irgendwo westlich von Goulmima und fuhren in die Hammada hinein.

Nun, ade! Zur guten Nacht.
In der Hammada am südlichen Rand des Atlas.

 


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