Reparatour Marokko 2004
Freitag, 6. August

Wir fuhren bis außerhalb der Halle und standen wieder. Diesmal in Viererkolonne. Und wieder war Warten angesagt. Es legten zwei Fähren an und spuckten Autos aus. Nicht enden wollende Autoschlangen zogen von dannen. Etwa eine weitere Stunde standen wir da, dann kam wieder Bewegung in den Haufen. Gegen Ein Uhr Nachts waren auch wir auf der Fähre. Eigentlich war der Abfahrtermin für Mitternacht angesetzt. Ich mußte an die "Fähre" in Kolumbien denken. Wir sind hier mitten in Europa und selbst da ist 24:00 Uhr nur eine ungefähre Richtzeit. Wie man nur annehmen könnte, daß es in Kolumbien nicht so wäre. Kann man nur dann machen, wenn man noch nie mit einer Fähre gefahren ist - außer vielleicht mit der am Bodensee. Aber das ist eine andere Geschichte.

Kaum Touristen, abgesehen von Franzosen. Überwiegend Händler oder Besucher.

Vor uns fuhr eine ziemlich schräge Familie. Franzosen. Der Vater sah aus wie der Depp schlechthin, hatte graue Haare, eine Halbglatze und zwei Zöpfe. Er parkte vor uns im Rumpf des Schiffes, genau vor der Bordwand. Dann stieg er aus und brüllte dem Einweiser irgendwas entgegen. "Pinche Francés. Hier in Spanien spricht man Spanisch." Natürlich konnte der Einweiser mit Französisch nichts anfangen und blieb daher die Antwort schuldig. So ist's recht. Ein Ausreiseverbot für Franzosen in Frankreich sollte doch im Europaparlament durchgehen.

Ich begab mich hinauf, suchte mir einen schönen Sitz und schlief ein. Die Putzfrau plärrte mir "Entschuldigung" in's Ohr und ich schrak hoch. "Was? Wer? Wo?" "Sind schon alle draußen, Señor." Ich hatte doch eigens gesagt, man soll mich nicht da oben vergessen. Wenn man nicht alles selber macht. Wo waren die beiden nur? Ich konnte mir gut Almut vorstellen, wie sie lächelnd erklärt, daß sie davon ausging, daß ich schon weiß, was ich tu. De Satz habe ich von sonst niemanden gehört - nicht, wenn er auf mich bezogen war. Wo sie ihre Theorien nur immer herzieht. Ich dachte, die sitzen in aller Ruhe im Auto, doch das war leer. Die Ausweiserin trieb mich zur Eile. "Jaja, weckt mich halt dann früher." Und meiner Erfahrung nach handelt der Spanier nach dem Grundsatz, daß es keine eilige Sache gäbe, die durch längere Lagerung nicht noch eiliger würde. In dem Moment, in dem ich mich in den Sitz fallen ließ, klopfte es auch schon an den Steuerbordfenstern. "Wo kommt Ihr denn her? Wo wart ihr denn?" "Wir haben hinter Dir gesessen." Da hatten wir wohl alle drei verpennt. Egal. Nur Vollgas gegeben, und raus aus dem Schiff. Keine hafenprozedur, einfach hinaus nach Ceuta. "Das erkenn ich wieder", sagte ich euphorisch, "da kommt gleich ein Schild, das nach Marruecos weist..." Als wir um die Ecke bogen, war auch das Schild schon da. "Hier haben wir doch damals den Igl verloren, oder?" "Ja, das war hier..." "...und da vorne haben wir getankt." "Stimmt. und hier war die Polizei." "Da, weiter vorne kam uns der lädierte Pajero entgegen."

Das Auto im Frachtraum der Fähre.

Wir fuhren zur Tanke, an der wir auch damals tankten, ließen Tank und Kanister vollaufen und kauften noch zwei Stangen Cigaretten. Das war's für heute. Ich fand, wir sollten den Grenzübergang am nächsten Tag erst vornehmen. Wir waren auf dem afrikanischen Kontinent angekommen. Jetzt muß erst einmal ausgeschlafen werden. Das mit dem Abwechseln beim Fahren mußte nun eingestellt werden. Das ist zwar ganz witzig in Europa, aber hier in Nordafrika, da wollen wir sowas gar nicht erst einreißen lassen. Wir fuhren noch ein wenig in der Gegend herum, machten eine Inselrundfahrt, fuhren an einem Rummelplatz vorbei, suchten uns einen Nachtplatz und blieben dort über Nacht.

In der Früh klingelte das Telephon. Ines war es. Ich rief sie zurück, erklärte ihr, daß wir in Ceuta seien und gleich losfahren würden. "Meldet Euch, wenn ihr in Fez seid." "Jawohl..." Ich schlief weiter, die anderen Frühstückten. Erste Anlauf- war die Tankstelle. Dann fuhren wir noch ein wenig in der Gegend umher, um etwas zu Essen aufzustellen. Alles schlief noch, aber eine Bäckerei fanden wir.

Der Nachtplatz in Ceuta.

Dann wollten wir uns in Richtung Grenze bewegen. Ich folgte den Schilder, was ziemlich nervig war, denn es hatte zwar nichts offen, aber dennoch standen wir im Stau. Am Rummelplatz vorbei, dann rechts abbiegen. Man stößt auf einen Kreisverkehr. Ich fuhr hinein und nahm dabei wohl einem Spießer die Vorfahrt, der sich natürlich sofort durch Hupen seiner Aufregung Ausdruck verlieh. "Ja, ist ja gut..." Wenn man sich hier jedesmal aufregt, wenn einem einer die Vorfahrt nimmt, dann kann man gleich die Hupe mit der Batterie kurzschließen. Ich wollte nach innen in den Kreisverkehr ziehen, aber er wollte wohl bei der nächsten schon hinaus. Ich muß aber weiter, ich stand außen, er innen. Völlig falsch. Wie stehen die Chancen? Er hat einen nagelneuen Plastikkarren, ich einen uralten Panzer. Chancen stehen gut. Ich strecke den Arm aus und zeige mit dem Zeigefinger nach links, in den Kreisverkehr hinein. Das heißt, daß ich nicht vorhatte, den Kreisverkehr jetzt zu verlassen. Derjenige sollte - nach der reinen Vernunft - sich rechts halten. Ich fuhr also weiter im Kreisverkehr und er mußte bremsen. Wieder Gehupe. Ich hatte den Arm immer noch draußen, der Zeigefinger wurde nun durch den Mittelfinger abgelöst und ich fuhr hinaus aus dem Kreisverkehr. Er blieb hinter mir. Einige Speedbreaker wurden genommen, er blieb dahinter. Ich erkannte, daß er telephonierte. Hupte ab und zu. Ich gab ihm ein Zeichen, daß er vorbeifahren soll. Er winkte mich nach rechts ran.Ceuta Ja, selbstverständlich. Doch ich Idiot hätte eigentlich doch die Ausfahrt im Kreisverkehr nehmen sollen, die er zu nehmen vorhatte, denn nun erkannte ich schon bald, daß wir wieder da rauskamen, wo wir schon gewesen waren, nämlich vor dem Kreisverkehr. Ein paar Ampeln passiert, da hatte ich einen Motorradbullen neben mir. Er hieß mich in eine Bushaltestelle hineinfahren. Ich tat dies. Er befahl mir dann, den Kofferraum auszuräumen. Der Typ im Toyota Homo setzte zurück, ließ das Beifahrerfenster hinunter und brüllt zu mir herüber. "Escucha, tu eres un hijo de puta." Jetzt nicht lachen, sonst eskaliert's... Das ist nicht so leicht, wie man sich das vorstellt, zumal seine Frau, die neben ihm saß, schon lang in Tränen aufgelöst war und ihn anschrie, er solle doch endlich aufhören. Die Polizei schickte ihn weg und er fuhr. Joe und ich räumten den Kofferraum leer. Man wollte meine Papiere. Versicherung, Fahrzeugschein, Paß und - natürlich - den Führerschein. Meinen deutschen Führerschein habe ich in Kalifornien gelassen, um nicht zu riskieren, daß er mir hier durch einen dummen Zufall beschlagnahmt würde.

Ich gab ihm meine Michigan Driver's License. Sie gingen mit den Papieren weg. Ich fragte nach, was das ganze soll, bekam keine Antwort. Es kam ein weiteres Polizeiauto hinzu. Ich ging da hin. "Entschuldigen Sie, Señor, aber darf ich vielleicht wissen, was hier gerade vor sich geht?" "Routinekontrolle... Wo fahren Sie hin?" "Nach Marokko." "Und diese ganzen Fahrzeugteile?" "Das Auto wird dort gerichtet." "Das ist in Tanger billig." Der andere Bulle kam hinzu. Wo ich her sei. "Deutschland." "Wem gehört das Auto?" ich zeigte auf Joe. "Ihm." Er fragte weiter mich: "Warum haben Sie einen Führerschein aus Michigan?" "Weil ich in den USA lebe und hier nur als Tourist bin." "Gut. Paßt. Perfekt", meinte wieder ein anderer. Er nahm ihm die Papiere aus der Hand, gab sie mir zurück. Ein anderer kam noch und erklärte mir, daß ich dem Typen von vvorhin im Toyota die Vorfahrt genommen hätte und ihn dann anschließend auch noch beleidigt. "Zufällig war das ein Kollege von uns..." "Das wußte ich natürlich nicht. Ich dachte, es sei ein deutscher Idiot, weil er sich so blöd benahm und ständig hupte." "Ja, ist schon gut. Räumen Sie den Kofferraum wieder ein, Sie können weiterfahren." Das hat's ja nun gebracht.

Die Polizei verschwand, Joe und ich räumten den Kofferraum ein. Ich legte die Eisenstange des Wagenhebers auf dem Kofferraum zurecht, falls das nervöse Hemd zurückkommen sollte. Doch er kam nicht mehr. Wir fuhren wieder in den selben Kreisel, verließen ihn diesmal an der richtigen Stelle und fuhren in Richtung Marokko. Das hätten wir gleich machen sollen, dann hätten wir uns das Polizeikapitel gespart. Warum wir in Ceuta immer und jedes Mal mit der Polizei zu tun haben? Das ist doch nicht normal. So deutsch sieht es hier doch gar nicht aus. Es ist eine klitzekleine, nette Insel, mit Einer Burg, einer Mauer, einer Altstadt, einem Rummelplatz und alles sieht friedlich und verschlafen aus - besonders am Morgen.

An der Grenze waren wir natürlich gleich - war ja nicht weit. Schon gleich kam mir alles wieder so bekannt vor. Die Idioten, die vor der Grenze stehen und Einreisezettel verkaufen, die man von den Marokkanern sowieso bekommt. "Papier, schnell, Polizei!", ruft uns einer entgegen. "Halt's Maul, Du Depp", schallt die Parole zurück. Aber es muß tatsächlich welche geben, die denen das Zeug abnehmen, sonst würden sie da nicht stehen. Ich habe noch nirgendwo auf der Welt erlebt, daß man ein zur Einreise notwendiges Papier kaufen müßte. Schon gar nicht, bei irgendeiner abgerissenen Gestalt. Wär ja noch schöner. Aber den Käufern dieser Zettel weiterhin viel Spaß dabei. Falls sie gar nicht wissen, wohin mit dem Geld, ich nähme es gern.

Ein Grund dafür, daß ich die Grenze bei Tag überqueren wollte, war der, daß ich noch nie Bilder eines Grenzübergangs gemacht habe. Es existieren keine Grenzbilder. Und das, obwohl Grenzen eine Sache sind, die ich mittlerweile bestimmt schon an die hundert Mal überquert habe. Einige fallen gar nicht auf, andere sind richtig beschissen. Allen voran die brasilianische. Selbst die US-Grenze war nicht so nervig - und man muß auch noch berücksichtigen, daß die USA einen guten Grund dafür haben, während Brasilien froh sein sollte, wenn überhaupt jemand freiwillig in dieses Drecksland ziehen wollte.

Wir fuhren an die Grenze hin und ich beauftragte Almut damit, Bilder zu machen, während Joe und ich mit Hurra und aufgepflanztem Kugelschreiber in die Papierschlacht stürzten. Die Funktionsweise der Kamera hatte Almut in groben Zügen überrissen. Die Alte immer mit ihrer Technophobie; ein Mediziner würde das glatt als pathetisch bezeichnen.

Joe und ich mit der Schreiberei. Dahinter, unter der Halle, ein Gedrände von heimkehrenden Barabern, Auslandsbarabern, die in Urlaub in die Heimat fahren, einigen Touristen und Franzocken.

Das hätte ich mir damals genauestens aufschreiben müssen, wo es was gibt. Vergessen. Jetzt mußte ich nach Patentrezept vorgehen: Irgendwo anstellen und fragen, was als nächstes passiert. Das klappt immer noch am besten. Wenn man dennoch nicht weiterkommt, was unwahrscheinlich ist, dann muß man halt einen Uniformierten fragen. Die helfen einem auch weiter. Wer einem auf keinen Fall weiterhilft, das sind die Idioten, die ein Schild umhängen haben mit einem Lichtbild, das aussieht, wie ein Ausweis. Wir gingen ab und zu zum Auto zurück, um sicherzustellen, daß Almut keinen Hitzschlag bekam. Aber die saß friedlich auf der Rückbank und lernte Vokabeln - je sinnloser, desto besser. Als wir einmal in einer der Kampfpausen beim Auto standen, kam einer dieser Nichtsnutze an. "Dotsch! Alles klar? Alles gutt?" "Ja, paßt schon, alles gut." Dann erklärt er mir, daß man den Namen da eintragen muß und den Nachnamen und alles. "Danke. Lesen kann ich selber auch. Tschüß." Noch ein paar Ansätze machte er, noch ein paar mal verabschiedete ich mich, ohne Anstalten zu machen, gehen zu wollen. Dann kapierte er endlich, wer der zu gehnde war und er ging, um sich ein anderes Opfer zu suchen.

An der marokkanischen GrenzeWeit brauchte er nicht gehen, denn hinter uns in der Schlange stand ein deutsches Pärchen, schätzungsweise um die vierzig. Er bearbeitete die beiden. "Nein... schickt den weg, der will hinterher nur Geld...", sagte ich halblaut. Den Rest dachte ich mir nur: "...dafür, daß er Euch den Weg zum Schalter zeigt und Euch das Wort 'Schalter' vorliest."
Die Immigration schickte uns erst zum Zoll, um die Autopapiere zu erledigen. Fehler gemacht. Aber was soll's. Ist immer anders. Wir stellten uns also wieder an, bekamen nach einer Weile die Fahrzeugpapiere. Ich trug Joachim und mich als Fahrer ein. Wir benötigten allerdings Führerscheinnummern und Fahrgestellnummern (besser gesagt, die letzten 5 Ziffern, denn alles andere war wie gewohnt: WDB123120103.....)
"Die haben mich gerade beim Photographieren erwischt", begrüßte uns Almut. "Wo ist die Kamera?" "Die hab ich hier. Wollten sie zwar, aber ich habe ihm gesagt, daß sie mir nicht gehört - was natürlich nichts ändert - und daß er das mit Dir ausmachen soll." Sie erzählte, daß der Depp, der vorhin hierwar und versucht hatte, und bei der Grenzprozedur zu "helfen", uns bei dem grauen verpetzt hatte. Werden wir sehen, vielleicht vergißt er's. Ich mach das schon.

Erneut zogen wir los, stellten uns an dem Schlater für die Autoabfertigung mit dem Zettel an. Er trug die Nummer in den Zettel ein, die man mir vor vier Jahren hier in die allerletzte Seite meines Passes hineingestempelt hatte. Das sparte uns den vorherigen Gang zur Immigration. Wußte gar nicht, daß das geht. Aber es funktionierte. Hinter uns das deutsche Pärchen. Sie erklärte ihm, daß es nur an der Grenze so kompliziert sei. Im Land sei alles viel lockerer. Die würden wahrscheinlich bluten müssen. Der Rest verlief eigentlich recht zügig. Wir nahmen die Papiere wieder an uns, füllten die Immigrationszettel aus, nachdem wir angestanden waren, um diese zu bekommen. Das sind genau die Zettel, die einem die Trottel auf der anderen Seite verkaufen wollen, getreu dem Grundsatz: "Entweder man hat Zeit, oder man hat Geld." Diesmal hatten wir beides dabei. Doch das Geld war nicht zum Verschenken gedacht. Wir gaben Zettel und Pässe ab. Dann hieß es warten, bis der Immigrationsbeamte unsere Pässe gegen die Scheibe hielt. Das geschah dann auch bald.

Eigentlich sollten wir nun fertig sein - dachte ich. Aber ich wollte mich nochmal rückversichern und fragte einen der Uniformierten. Der erklärte mir, daß die Fahrzeugdurchsuchung noch fehlte. Ich ging also zum Büro, das er mir zeigte und stellte mich hinter drei Franzocken an, die gerade mit einem Helfer ihre Papiere geregelt haben wollten. Letzterer fragte mich beim Hinausgehen irgendwas, aber die Antwort war "Sprechen Französisch nein", ohne ihn dabei anzusehen, oder weiter zu beachten. Ich stellte mich vor dem Uniformierten am Schreibtisch hin und nahm Haltung an. Er fragte nach den Papieren, dem Paß, trug etwas ein, gab dann alles an einen herbeigerufenen Uniformierten und beauftragte diesen mit der Durchsuchung unseres Fahrzeugs. Ob wir französisch sprächen. "Gottseidank nein, natürlich nicht." Arabisch? "Leider nein..." Wir öffneten den Kofferraum. Er fragte eine Reihe von Sachen, aber ich verstand nichts. Ich holte Almut herbei. "Kannst Du hier mal kurz mit Deinem Arabisch aufglänzen?" Sie stieg aus. Mein Plan war, daß wir dadurch den Kofferraum nicht ausräumen mußten. Und der Plan ging auf. Die meisten Araber sprechen dem Europäer die Fähigkeit ab, Arabisch zu sprechen, umso überraschter sind sie, wenn mal einer auch noch gleich Hocharabisch spricht - dann auch noch als Frau. Der Kofferraum fiel bald undurchsucht zu, er begab sich nach vorn. Doch auch die Durchsuchung des Innenraums beschränkte sich auf einen Blick durch die geöffnete achtere Backbordtür. Während er sich weiter mit Almut und seinen Kollegen unterhielt, kam einer dieser Helferdeppen an. Ein besonders schlauer. Der hatte ein blaues Hemd an, eine Basepallmütze, Krawatte und diesen Ausweis umgehängt, der ihn schon von Weitem als Gauner entlarvt. Er kam zu mir und fragte nach Waffen. "Mit Dir Trottel red ich nicht", antwortete ich ihm auf Deutsch. Er verstand nicht. Statt dessen machte er Gesten des Erschießens und fragte erneut nach Pistolen. "Ja, ist recht, jetzt hau halt ab." Er zeigte mit dem Daumen auf sich selbst und meinte "Polies, polies..." Ich sah mir daraufhin die Gestalt etwas genauer an. Er hatte ein Emblem auf seiner Narrenkappe aufgenäht. Darauf stand geschrieben: "US-Department of Homeland Security". Da fing ich an zu lachen und schrie hinüber zu den anderen: "He, der Depp da ist original vom US-Department of Homeland Security." Er drehte sich dann doch um und ging - da waren noch ein paar Franzosen, die vielleicht auf die Verkleidung reinfallen würden. Was mich an dieser Witzfigur einfach störte, war daß er die Leute für so bescheuert hält, daß er davon ausgeht, sie würden auf seine Phantasieuniform hereinfallen, nur weil er ein blaues Hemd, wie die Polizisten anhat und eine Baseballmütze. Und dann auch noch behaupten, Polizist zu sein. Da muß man einfach zu den echten Uniformierten gehen, und ihn offensichtlich nicht für voll nehmen. Wenn es wirklich ihr Vorgesetzter wäre, dann wären das die ersten, die einen zurOrdnung rufen würden. Und er würde an ihrer Spitze marschieren und nicht hinterherschleichen und warten, bis die Polizisten vorgesprochen haben. Die ganze Verhaltensweise paßte von vornherein nicht. Völlig albern.

Wir bekamen unser Genehmigt in die Papiere eingetragen, dann durften wir los. Nebenbei bekamen wir noch mit, wie der andere Schlurfer das deutsche Pärchen nach Geld für seine großartige Hilfe fragte. Bereitwillig rückte sie die Moneten raus. Noch eine letzte Kontrolle am Tor und man entließ uns in die marokkanische Freiheit. Als erstes sahen wir einen größeren Parkplatz.

Nur Taxis, alles 123er, alle blau, alle höhergelegt.

Und sofort wieder die arabische Fahrweise angelegt. Bei mir war sie nun etwas eingerostet. Aber war nur eine Frage der Übung, ich würde da bald wieder reinkommen. Ich war in den letzten Jahren ein wenig aus der Übung gekommen. So ein kleiner Auffrischungskurs war bitter notwendig. Der 124er scheint sich hier nicht nur noch nicht durchgesetzt zu haben, sondern er ist noch überhaupt nicht hier angekommen. Dabei war es doch langsam Zeit. Kein 124er-Taxi. Und ich bin versucht zu glauben, daß es was mit der Hinterachse zu tun hat.

Sicherlich ist die Tatsache, daß der 124er teurer ist, nicht der einzige Grund, nicht mal der Wichtigste, denn dann würde man ihn hier und da sehen, selten zwar, aber präsent. Aber man sieht ihn überhaupt nicht. Nur 123er und die noch älteren Strichachter. Ab und zu auch welche, die hinten so hoch standen, daß man locker die Anhängerkupplung im Gesicht hätte, wenn man ihnen hinten draufrauschen würde. Hoch waren sie alle, aber der eine oder andere setzte noch eins drauf und ich möchte gerne wissen, wie die das machen.

Stoßstange in etwa so hoch, als Oberkante Kühlergrill bei unserem Auto.

Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Aber genau so sollte unser Auto am besten aussehen, wenn wir die Rückreise antreten. Höherlegung war sowieso vorgesehen. Nun kam noch die Reparatur der Gelenkwelle dazu. Die Kraftstoff- und Bremsleitungen sollten erneuert werden und auch die Handbremse sollte neu eingestellt werden. Wo wir das machen würden, das wußten wir noch nicht genau. Der Typ in Agadir machte mir einen guten Eindruck. Kompetent und deutschsprechend. Tat gute Arbeit für wenig Geld, damals. Aber wer weiß, ob die Werkstatt dort überhaupt noch existiert? Ines hatte uns eine Werkstatt ausfindig gemacht, doch die wollte ich mir erst mal ansehen. Wenn das so ein unseriöser, schmieriger Mullah ist, dann wird eben nach Agadir gefahren. Wir würden sehen. Wir sind hierhergefahren, um das Auto zu richten, und das stand nach wie vor im Vordergrund. Die erste Ortschaft, die wir anlaufen mußten war Tetouan.

An einer Ampel quatschte uns einer an, auf Deutsch. Mir fielen sofort wieder die Tunesier ein, die uns damals anquatschten, um uns dann später Teppiche anzudrehen. Aber der hier erzählte nur, daß am Abend hier ein großes Fest sei und fragte, wohin wir unterwegs seien. "Fez", woraufhin er uns fragte, ob er uns den Weg zu dem Platz zeigen sollte, an dem am Abend das Fest sein würde. "Nein, laß mal, wir bleiben nicht hier, wir haben es eilig." Wie lange wir bleiben. "Keine Ahnung. Als erstes müssen wir sowieso nach Tetouan, dann sehen wir weiter." "Das hier ist Tetouan", erklärte er mir. Das passiert mir in Marokko jedes mal. Ich sah Almut an und mußte über meine eigene Blödheit lachen. Das gibt's doch nicht. "Nach Fez geht es hier links", meinte er. Wir aber fuhren geradeaus, aus was für Gründen auch immer. "Fahren wir halt durch die Stadt, was soll's... Sicher auch ganz schön."

Bis nach Fez waren es nur noch wenige hundert Kilometer, allerdings wollte ich nichts anbrennen lassen mit der angeschlagenen Gelenkwelle. Lieber einen Gang zurückschalten, als auf der Strecke liegenbleiben. Dennoch geschah es etwa 100 km vor dem Zielort. Die Welle wurde immer lauter und ich hielt an. "Bei der nächsten Gelegenheit halten wir bei einem Tandler und kaufen einen Drecksschlauch, ich hasse das!", regte ich mich auf. "Dann wollen wir mal wieder. Joe, packst Du das Zeug aus? Ich brauch Panzer-Tape, das Fett, das Messer und den Wagenheber. Almut. Du läufst doch immer so gerne. Magst Du absichern? Das mit dem Warndreieck schenken wir uns hier. Sicher es einfach afrikanisch ab. Weißt schon, einfach irgendeinen Scheiß auf die Straße werfen, Äste oder... nimm die Steine. Fang da hinten an und arbeite Dich aufs Auto zu, immer weiter vom Straßenrand weggehend..."

Mittlerweile hatte Joe schon den Wagenheber hergerichtet. Ich bockte das Auto hoch, stellte dann, als es oben war fest, daß ich die Handbremse angezogen hatte. "Müll!" Ich zog am Hebel, die Handbremse löste sich und das Auto neigte sich samt dem Wagenheber etwas nach hinten. Nochmal abgelassen. "Legst Du die Handbremse (in diesem Falle war ein Kopfsteinpflasterstein gemeint) hinter das Vorderrad?" Joe war schon lange fertig damit, als ich ausgesprochen hatte. Zum Glück hatten wir den hydraulischen Wagenheber, ansonsten hätte ich schon lange ein Fluchkonzert veranstaltet. Aber hier war nach ein paar mal Pumpen das Auto wieder aufgebockt. Joe drehte am Rad, ich lag unterm Auto und flickte mit dem Panzertape das Leck. Als ich Joe fragte, wo sich den seine Schwester schon wieder herumtriebe, meinte er nur, ohne den Blick vom Rad zu lassen: "Keine Ahnung. Ist ein Berg in der Nähe? Dann wird sie da wohl oben sein." Almut war tatsächlich auf dem Hügel, lief herum und schoß eine Unmenge von Bildern.

Keine Frage, wem Marokkos Straßen gehören.
Mercedes-Benz - King of the Road.

Nachdem die Welle also für die nächsten paar Kilometer wieder bereit war, entfernte ich die Steine von der Straße, wir stiegen ein und fuhren weiter, immer in Richtung Fez.

Mit 80 kachelten wir vor uns hin und die Strecke schien endlos. "Kruzefix, wann kommt endlich dieses Fez vorbei?" Irgendwann, gegen Sonnenuntergang kamen wir dann in Fez auch an, suchten uns den Weg zur irgendwas Namens Bat'Ha. Parkplätze gab es nicht, nur einen öffentlichen, genau vor dem Eingang der Medina. Angeblich soll der Platz bewacht sein, hieß es. Es blieb ja nichts anderes übrig, als das Auto dort zu lassen. Wir stiegen alle aus und ich rief Ines an. "Mensch, wo seid Ihr? Ihr seid an mir vorbeigefahren..." "Am Parkplatz." "Ah, ich seh Euch, bis gleich." Ines kam angerannt. Sah aus, als hätte sie gerade eine Sau geschlachtet. Ich ließ mir erklären, daß das Hänne sei, und, daß man das heutzutage so trüge. "Achso... dann kannst ja direkt wieder 'nei in die menschliche Zifilisation..."
Aber wir fuhren ohnehin erst noch zur Werkstatt, um zu sehen, ob sie offen hatte. Vermutlich nicht, aber man weiß ja nie. Sie war in der Ville Nouvelle. Und sie hatte sogar noch offen, so daß wir das Auto herzeigen, eine Problembeschreibung abgeben und einen Kostenvoranschlag einholen konnten. Wir wollten das Auto höhergelegt und die Gelenkwelle gewechselt. Gelenkwelle vermutlich 60 Euro, gebraucht, da neu sehr teuer. Arbeitszeit etwa 40 Euro. Klang recht gut. Danach ging es heim zu Ines.
Wir nahmen nur die Wertsachen mit. Und die Schlafsäcke. Und Essen. Und das Trinken. "Mann, das ist ja eine ganze Menge. Können wir nicht mit dem Auto vor die Tür fahren, abladen und ich fahr dann wieder her?" "Da kommt man mit dem Auto nicht hin", erklärte Ines. Ich hielt das wieder für ein Rumgedeutsche. Wahrscheinlich hat einer ein Schild "Durchfahrt verboten" aufgestellt und man kann deswegen nicht hin. Nichts, was sich nicht mit ein paar Dirham regeln ließe.

Almut, Joe, Ines"Können wir uns nicht einen Mexikaner mieten, der das Sach mit dem Handkarren hinfährt?" "Nein, da ist eine Baustelle im Weg. Und so viel ist das nicht, das können wir schon tragen, ich hab auch noch zwei Hände frei", sagte Ines. Nun, ich hatte auch zwei Hände frei und ich hätte das gerne so beibehalten. Ein Parkplatzwächter kam und fragte, ob er einen holen soll, der das Zeug hinfährt. Ines bedankte sich und sagte, es sei nicht nötig. "Ja, wie? Soll ich jetzt etwa das alles hier selber tragen? Herrgott. Ich bin im Urlaub. Wenn ich wüßte, daß ich mein Gepäck selber tragen muß, dann hätte ich meinen eigenen Mexi mitgebracht. Hier laufen so viele Schlurfis rum, die sind sicher froh, wenn sie sich ein paar Dirham verdienen können." "Faule Socke!" "Bin überhaupt nicht faul. Wenn ich sechs Pferde zahlen kann, sind seine Kräfte nicht die meine? Ich gehe zu und bin ein rechter Mann, als hätt ich vierundzwanzig Beine." Sinnlos, mit Frauen darüber diskutieren zu wollen, die wollen es einfach nicht kapieren. Jetzt mußte ich mich da mit dem schweren LapTop abmühen und noch die Wäschetüte und das im Gedränge der Medina, wenn die ganzen verrückten Baraber am Freitag zum Allah rennen müssen. Na, vielen Dank. Aber wir kamen an und ich lebte sogar noch. Ines hatte Obst anzubieten. "Hast Du nicht auch vielleicht was zum Essen?", wollte ich wissen. "Achso, stimmt. Obst ist ja nichts. Wir können es ja so machen, daß wir heimgehen, ein wenig Obst - beziehungsweise halt Nichts - essen und dann in die Stadt gehen und dort dann was gescheites essen. Alle waren einverstanden. "Gut. Verhunger ich halt. Mir doch egal..."

Es stellte sich sofort heraus, daß es nicht ein Schild war, das uns daran hinderte, bis vor die Tür zu fahren. Die Gassen in der Medina waren teilweise so eng, daß zwei Leute Schwierigkeiten hatten, nebeneinander zu laufen. Doch Ines wohnte - abgesehen von dem Parkplatzproblem, das sie eh nicht betraf - nicht schlecht. Es war ein riesiges Haus mit dem typischen, nach innen gerichteten Fenstern. Es war mehr ein kleines Häuserviertel mit gemeinsamen Innenhof, nur daß das ganze Viertel aus einem haus bestand. Schwer zu beschreiben. Das "Wohnzimmer" war nichts anderes als ein kleiner Innenhof. Oben offen - es regnet sehr selten und wenn, dann freuen sich die Leute so sehr, daß sie gleich wollen, daß es ins Haus hineinregnet. Sah alles aus, wie im Märchen. Kannte ich nur aus dem Fernsehen.

Wir gingen dann nach einigen Minuten los, durch die Medina zu einem kleinen netten Ecklokal, wo ich gleich ein Steak orderte. Ich hatte einen ungünstigen Sitzplatz. Genau mit dem Rücken zum Geschehen. Einmal hörte ich, wie es hinter mir klatschte und Ines, die mir genau gegenüber saß, mit dem Rücken zur Theke, ganz erschrocken an mir vorbei sah. Joe sah auch hin und grinste. Er tat das nur, da kann seinetwegen die Welt untergehen, er würde immer noch grinsen. Kein höhnisches oder spottendes Grinsen, sondern eher freundlich und immer über der Situation stehend. Ich drehte mich um und sah einen großen Marokkaner mit einem Muscle-Shirt mit dem Rücken zu mir und einen kleineren, der in der Mauer des nächsten Lokals auf der gegenüberliegenden Straßenseite hing und sich die Backe hielt. Das war's dann auch schon wieder. "Das wird hier meistens an Ort und Stelle geregelt. Ein wenig Klopperei, aber dann ist's auch wieder gut", erklärte Ines. Der eine Typ hatte nicht aufgepaßt und dem Großen das gerade Gekaufte aus der hand gehauen, woraufhin der Große diesem eine heruntergehauen hat. Interessant ist, daß der andere, wäre er behindert, klein oder weiblich, seinen Bruder oder Vater holen könnte, um die Situation für ihn zu regeln, also die Watschn einzustecken. Ich dachte immer, der Spruch "Hol isch grosse Bruder mit Kebapmesser" war eine Erfindung böser Zungen. Aber so scheint es wohl bei den Islamis wohl zu sein.

Dann hörte ich Joe wieder etwas lauter Grinsen. "Was los?" "Der Kleine da, der hat ein Tuch oder ein Band. Darin schleudert er immer einen Stein und läßt ihn dann fliegen". "Wohin", wollte ich wissen, "auf die Straße?" "Ja... oder in die Menge, je nachdem, was vorher im Weg ist." Typischerweise, ohne die Miene zu verziehen. Ich sah mir den kleinen an, der sich gerade anschickte, irgendwas zu machen. Unser Kellner ging mit einem Teller vorbei zu einem der Tische, der in der Nähe stand, lief an dem Jungen vorbei und gab ihm eine Nackenschelln. Batsch machte es. Ich hätt mich vor lachen wegschmeißen können. Nicht wegen der Schelln, sondern wegen der Selbstverständlichkeit und der Routiniertheit, mit der sie angebracht wurde. Sehr elegant mit der Rückhand ins Genack. Ab sofort wurde hier nichts mehr geschleudert.

Wir schlenderten anschließd noch durch das Gedränge. Erstaunlich, wie so viele Leute auf einem Raum es trotzdem schaffen, einander kaum zu berühren. In Deutschland undenkbar. Es wäre ein Geschubse und Gedränge. Hier berührt einen kaum einer. Ab und zu trappte ich meinem Vordermann auf die Pfoten oder sah woanders hin und rumpelte gegen eeinen anderen, aber die haben das irgendwie drauf. Ich sah Jungen mit Tablets hier durchlaufen, völlig verträumt nach irgendwo schauend, aber näher als einige Millimeter kamen sie mit dem Tablett keinem. Irgendwie müssen sie das von klein auf erlernt haben. Das haben sie im Blut. Ein Typ lief vorbei mit einem Gemälde. Ich blieb stehen, um zu sehen, ob er Ines damit anrempeln würde, denn er trug es unter dem Arm und es stand nach hinten etwa einen dreiviertel Meter heraus. Er konnte das Ende des Bildes, das er trug nicht sehen. Ines lief ganz normal und sah in die andere Richtung. Ein oder zwei Zentimeter hatten gefehlt, um ihren Ellenbogen zu erwischen. Wie machen die das. Ein Teppichhändler kam vorbei, trug seine Teppiche auf der rechten Schulter. Er konnte Ines nicht sehen (ich hielt mich immer hinter ihr) auch wieder haarscharf am Kopf vorbei. Nur ich rempelte anfangs überall dagegen.


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