Panamericana-Tour 2002
Montag, 30. September

Um halb Neun waren wir wieder auf Achse und rollten in Richtung Tikal. Der Tag war Wolkenverhangen, sah fast so aus, als würden wir uns die Ruinen im Regen ansehen müssen. Wir fuhren gerade mal eine halbe Stunde. An der Straße waren Mäharbeiten im Gang. Bloß fährt hier nicht ein Unimog mit einer Mähvorrichtung an einem mechanischen Arm die Straße entlang. So darf man sich das nicht vorstellen. Auch stehen da nicht Bauarbeiter mit Rasenmäher. Auch nicht mit Sensen. Stattdessen sieht man da zwanzig Mann in Warnwesten am Straßenrand stehen, die mit der Machete das Gras schneiden. Da hat sich mal wieder einer "Gedanken" gemacht, statt zu überlegen. Mit einer Machete rasenzumähen, ist ungefähr so sinnvoll, wie sich die Fingernägel mit einem DIN-A4-Blatt zu feilen. Einer dieser Bauarbeiter erwischte statt des einen Grashalms einen Stein und schleuderte ihn mir genau an die Frontscheibe. Das war meine Schlußfolgerung, nachdem ich mich von meinem Schock erholt hatte. Ich riß das Steuer heum und fuhr wieder zurück. "Jetzt fahr ihn nicht zusammen!", schrie Gabi entsetzt. "Schnauze!" Wieso soll ich den zusammenfahren? Wegen einer kaputten Windschutzscheibe? Was hätte ich denn mit ihr schon alles machen müssen? Ich fing an, Stimmen zu hören: "Nimm den Wagenheber! Schlag ihr den Schädel ein! Schmeiß sie in den Sumpf! Wer sieht's denn?" Ich stieg aus und ging zu dem Hampelmann hin. "Alter, Du hast grad meine Scheibe zerstört!" Er sagte nichts. Zuckte nur mit den Schultern. Der muß ein Jahr arbeiten, um das Geld zusammenzukriegen, was die Scheibe hier kostet. Das hatte wenig Sinn, ihn danach zu fragen. "Wo ist Dein Chef?", fragte ich. "Der ist im Dorf. Kommt erst viel später. Vielleicht so gegen Mittag." Scheiße! Was soll man machen? Sicher könnte man die Polizei holen und den Typen anzeigen. Da würde zwar mehr passieren als in Deutschland, aber nur gegen entsprechendes Honorar. Und was habe ich schon davon, wenn sie den kleinen Idioten hier grün und blau schlagen? Gar nichts. Vielleicht erwischte ich nachher den Chef. Wenn es ein privates Unternehmen war, zahlt er uns vielleicht ein Essen und / oder eine Übernachtung im Hotel. Aber genauso konnte es sein, daß der Chef den ganzen Tag nicht auftaucht. Mit solchen Schäden muß man einfach leben. Ich machte noch ein Bild von ihm, damit ich ihn wiedererkannte.

Straßenarbeiter: Mit der Machete rasenmähen...
Von Deppen umgeben: Wie kann man auch nur auf die Idee kommen, es sei machbar oder gar sinnvoll mit einer Machete Rasen zu mähen?

Die schauen ja alle gleich aus - und das schon seit Chile: Klein, dick, braun und mit Schlitzaugen bestückt. Da soll man einen vom anderen unterscheiden können. Auch wieder so eine Idee! Wir fuhren jedenfalls weiter nach Tikal. Fortan hatte ich einen gescheiten Sprung in der Scheibe, im Sichtfeld des Fahrers. Interessierte glücklicherweise hier niemanden. Um an die Ausgrabungen zu kommen, muß man ein kleines Stück auf einer schmalen Straße durch den Dschungel fahren. Es ist wie in einem großen Tunnel, da die Baumkronen über der Straße wieder ineinanderwuchsen - anders als auf der Hauptstraße. Ab und zu sah man so Fellpacken in den Bäumen hängen, die ich als Faultiere klassifizierte. Wüßte nicht, was es sonst sein soll. Bewegt sich nicht, das Teil. Um 10:00 Uhr waren wir an der Ausgrabung angekommen. Das Auto blieb auf dem Parkplatz und wir gingen hinein.

 

Tikal, Guatemala.Tikal ist eine Ruinenstadt der Maya, mitten im gutemalanischen Dschungel. Es war alles so sauber und aufgeräumt hier, sogar auf der Zubringerstraße, daß man fast den Verdacht bekommt, Tikal ist an irgendein privates Unternehmen verpachtet worden. Man ist dabei, sie freizulegen. Ab und zu merkt man, wenn man etwas ansieht, das man eben noch für einen bewachsenen Hügel gehalten hatte, daß es für einen Hügel doch etwas zu perfekt aussieht. Darunter verbirgt sich dann eine weitere dieser Pyramiden. Es ist eine relativ moderne Stätte, und, stünde sie nicht mitten im Dschungel, bräuchte man sie vermutlich auch nicht freizulegen.

Diese Pyramiden entstanden ungefähr zu der Zeit, als die Spanier den Kontinent entdeckten. Als die Conquistadores sie also zum ersten mal zu Gesicht bekamen, waren die Teile noch nagelneu. Und sie sehen auch heute noch immer relativ frisch aus. Ich bin kein Geologe. Versteh nichts von dem Zeug. Als ich klein war, wollte ich immer Paläontologe werden und Dinosaurier ausbuddeln, aber daraus wurde nichts. "Schon seltsam, wie Leute in zwei völlig unterschiedlichen Teilen der Welt und ohne Kontakt zueinander ungefähr um die selbe Zeit auf die Idee kommen, kegelförmige Gebäude herzustellen...", sinnierte Gabi. "Hä?" "Ja, die Ägypter mit den Pyramiden doch auch!", erklärte sie mir. "Ach, ja klar. Die Ägypter! Die habe ich vergessen! Hast recht..." Wie immer. Eigens zu erwähnen, daß die Pyramiden in Ägypten drei- oder viertausend Jahre älter waren als diese hier, wäre haarspalterisch. "Ein Mensch wollt immer recht behalten, so kam's vom Haar- zum Schädelspalten..."

Wir trafen noch ein paar Touristen. Deutsche. Die liefen auch die Ausgrabungen ab. Ich hoffte zwar, daß es sich vielleicht um Geologen handelte, die irgendwas interessantes zu erzählen hatten, aber es waren nur normale Touristen. Wir Aßen hier zu Mittag, denn das bot sich an. Es war nichts los und woanders muß man für den Luxus bezahlen, eine Bank zu haben und einen Tisch, an dem man im Schatten sitzen kann. Es war schön, hier.

Um 15:00 Uhr fuhren wir wieder. Auf dem Rückweg fiel auch Gabi so ein Fellbüschel im Baum. "Die hängen da schon die ganze Zeit", stellte ich fest. "Du hast die schongesehen? Und sagst nichts?" Wenn man die Augen aufmacht und zum Fenster hinaussieht, anstatt entweder zu schlafen oder "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" zu lesen, dann verpaßt man den letzten Rest von der Fahrt auch noch. Aber das ist nicht meine Schuld... Und weiter nach Belize. Guatemala war abgehakt. Wir mußten wieder an der Stelle vorbei, an der die Macheten-Männchen mittlerweile vermutlich fünf Grashalme weitersein mußten. Sie waren auch tatsächlich noch da. Aber vom Chef keine Spur. Das war mit mittlerweile auch egal. Den Verlust konnte ich verschmerzen. Die Funktion war ja nur unwesentlich beeinträchtigt.

Wir waren gerade wieder auf der Hauptstraße Richtung Belize unterwegs, da sah ich am Straßenrand zwei Motorräder. Die erinnerten stark das von Eikka, als er in Argentinien unterwegs war. Allerdings waren die Kennzeichen exotischer: ein Deutsches und ein Holländisches. Bei Autotouristen wäre ich normalerweise weitergefahren, aber Motorradfahrer sind erfahrungsgemäß nicht so verkrampft unterwegs, wie so Spießerpärchen in mittleren und gehobenen Jahren, von denen höchstens Meldungen kommen wie: "Zeit für ein neues Auto, findest Du nicht?" Motorradfahrer sind mir da wesentlich sympathischer. Nur ihre Gefährte mag ich nicht. Da fehlen unter anderem zwei Räder und ein Dach... "Servus!" "Hallo!" Wir kamen gerade von Süden, sie fuhren gerade nach Süden. Zwar waren sie nicht in Playa del Carmen, denn das war "zu touristisch". Sag ich doch: Motorradfahrer sind cool! Sie konnten uns über die uns noch bevorstehende Strecke nicht mehr sagen als daß da nichts Besonderes zu beachten war. Ich hatte Ihnen ein wenig mehr zu erzählen, aber das war ja auch leicht. Für sie wird Zentralamerika nun immer enger. Am Schluß liegen sie im Atlantik oder Pazifik, wenn sie mit ihrem Motorrad nach links bzw. rechts umkippen. Eine Weile redeten wir noch, dann mußten sie weiter nach Tikal und wir an die belizische Grenze.

Zwei deutsche Kradfahrer.
In einem namenlosen Bretterbudendorf zwischen Tikal und der belizischen Grenze.

Wir fuhren weiter. Der Asphalt hörte kurz vor der Grenze auf und bald darauf kamen wir im Grenzkaff an. Wir mußten die letzten MickyMaus loswerden. Nach bewährtem Muster: Erst essen, gegebenenfalls Bordküche auffüllen, den Rest vertanken. Danach fuhren wir ganz langsam in Richtung Grenze. Die Ausreise aus Guatemala lief vollkommen reibungslos, wie damals in Uruguay. Keinen Pfennig wollten sie haben. Die Einreise in Belize dauerte etwas länger, aber nur weil ich mich nicht gleich zurechtfand. Und weil ich mich mit zwei Amerikanern unterhalten mußte. Eigentlich waren es keine richtigen Amis, sondern Latinos. Oder so ähnlich, also keine Latinos mehr, aber noch keine richtigen Gringos. Sie sprachen gutes Ghetto-Englisch, hatten aber einen Azent, wenn sie Spanisch redeten. Sie waren auf der Rückreise und erzählten, in Nicaragua wollten die bei der Einreise 180 US$. "Was? Und was habt Ihr gemacht?", fragte ich, in der Hoffnung, einen neuen Trick zu lernen. "Wie, was haben wir gemacht? Gezahlt und weitergefahren." Den Trick kannte ich, aber der gefiel mir nicht. Aber es relativierte sich im weiteren Verlauf des Gespräches, denn sie verlangten 45 US$ pro Mann pro Einreise. Zwei Mal sind sie eingereist, und sie waren zu zweit, also 180 US$ gesamt.

In Belize war kein größerer Aufenthalt geplant. Zumindest war ich darüber nicht informiert. Aber ich war mir ziemlich sicher, denn was konnte so ein Zwergstaat schon bieten? Wer denkt überhaupt an die Karibik, wenn er das Wort Belize hört? Die wenigsten Leute würden es einem Land zuordnen, und wenn doch, würden sie es wahrscheinlich nach Afrika verlegen. Jedenfalls denkt kaum jemand an Sommer, Sonne, Strand und Palmen - obwohl Belize alles davon zu bieten hat. Hieß früher wohl "British Honduras" oder sowas. Das erklärt schon mal die Amtssprache: Englisch. Natürlich wird auch Spanisch gesprochen. Oft auch beides auf einmal: "Good evening, como estás?" Interessanter hörte es sich an, daß hier auch Deutsch oft Religionssprache sein soll. Da muß man erst hierherfahren, um das zu erfahren.

Tankstelle an der Grenze Guatemala - Belize.
Eine Tankstelle im Grenzgebiet Guatemala - Belize.

Kurz darauf war unsere Einreise erledigt (1830 Einreise Belize 757551) und wir fuhren weiter. Mit Nachtplätzen sah es eher bescheiden aus. Nur Dschungel, links und rechts. Oder Ortschaften, die zu allem möglichen einladen, nur nicht zum Bleiben. Drei Stunden Piste und löchriger Asphalt waren es bis Belize-City. Dort checkten wir um 21:30 Uhr (km 757746) bei einem Hotel ein, das Gabi aus dem Lonely Planet gezogen hatte. Der Preis war mit 12 US$ eher gehoben, kann man sagen. Das Hotel war relativ groß, der Parkplatz allerdings eher klein. Da paßten nur zwei Autos drauf und da der japanische Besitzer auch ein Auto besaß war ein Parkplatz eben besetzt. Das störte mich nicht, denn ich brauchte nur einen. Und abschließbar war das ganze auch noch. Was will man mehr. Wir packten die nötigen Sachen aus, die wir für die Nacht brauchten und gingen auf das Zimmer. Ich legte meine Sachen ab und sah mich im Hotel ein wenig um. Wir waren scheinbar die einzigen Gäste.


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