Panamericana-Tour 2002
Sonntag, 25. August

"Na, was treibt Euch hierher?", fragte eine Männerstimme auf Rheinländisch genau neben dem Auto. Ich wachte auf, war erst verwirrt, der festen Überzeugung, ich befände mich im falschen Film. Ich sah mich um. Da stand ein Mann, leicht graue Schläfen, blond, blaue Augen, Schnurrbart. In seinem Arm ein Bub, der aber ziemlich einheimisch aussah. "What's wrong with that picture?" Ich richtete mich auf den Blechen auf, schob das Moskitonetz beiseite, sah ihn an und sagte: "Hä?" "Guten Morgen, ich bin der Christopher!" "Grüß Gott!", sagte ich, "Moment mal, ich check gerade gar nichts." Ich zog meine Stiefel an und sprang vom Gepäckträger hinunter. "Besold, Grüß Gott!" Er wunderte sich etwas über den bayerischen Akzent, wo wir doch aus Aachen seien. "Nein. Aachen ist AC, A ist Augsburg." Man hätte ihm erzählt, daß da ein Auto mit deutschem Kennzeichen etwas verloren am Strand stünde und er wollte mal nachsehen. "Verloren nun nicht gerade. Aber wir haben keinen besseren Platz zum Übernachten gefunden. Ob wir denn vielleicht was essen wollten und duschen usw. "Ja, schon." Er erklärte uns, wie das funktioniert: "Da hinten sind eine Reihe Restaurants. Das letzte ganz am Ende gehört mir. Es heißt Acuário." Er meinte, es sei nicht zu verfehlen, denn es sei das einzige Restaurant, das überhaupt irgendeine Aufschrift trüge. Ich weckte Gabi auf, wir aßen eine Kleinigkeit und pckten zusammen. Der Strand begann sich langsam zu füllen, es war sowieso an der Zeit, die Stellung zu räumen.

Ich fuhr vor das Restaurant und wir gingen hinein. Die Dusche war im ersten Stock, er stellte sie uns zur Verfügung. Gabi ging zuerst, was ganz praktisch war, denn so konnte ich mich mit Christopher unterhalten und ihm dezent durch die Blume klarmachen, daß ich der Kapitän bin, auch wenn es sich auweilen anders anhören mag. Und, daß ich gerne nach Kolumbien fahren würde, er also bitte davon absehen möchte, negative Bemerkungen über Kolumbien in Gegenwart von Gabi zu machen. Aber damit geriet ich an den falschen, der er ist öfter in Kolumbien und es sei weitaus weniger gefährlich als der Ruf. Sehr gut! Wenigstens einer. Ab und zu trifft man auch coole Deutsche. Leider ist das die Ausnahme. Und der erste Eindruck, den ich von Christopher bekam war sehr positiv.

Im Tropengarten des Restaurants Acuário...

Als ich vom Duschen zurückkam, brachte und Christopher kohlesäurehaltige Kaltgetränke und sagte: "So, gehen wir jetzt in mein Büro! Hier wird es langsam heiß." Wir nahmen ihm die Flaschen ab, bedankten uns, und folgten ihm dann. Ein paar Schritte weiter ließ er sich auf einer Hängematte nieder. "Und? Wollt Ihr Euch nicht setzen?", fragte er. "Achso, ich dachte, wir gehen ins Büro..." "Da sind wir schon", sagte er und klopfte auf die Hängematte, "das hier ist mein Büro... Ist doch schick, oder? Also mir gefällt's..." Als wir neulich bei dem Deutschen in seinem Prachtbüro waren, kam mir auch nicht für den Bruchteil einer Sekunde der Gedanke in den Kopf, mit ihm tauschen zu wollen. Hier sah es anders aus. Wir unterhielten uns lange über Ecuador im allgemeinen und Manta im besonderen. Er war schon seit ein paar Jahren hier. Paar krumme Dinger und ab nach Südamerika. Hört sich ähnlich an, wie bei mir, mit dem Unterschied, daß ich bei den krummen Dingern den lukrativen Teil ausgelassen hatte, ich Idiot mit Seltenheitswert: Zum Klauen zu dumm, zum Arbeiten zu faul.

Ich sprach auch über das Phänomen, das ich in Ecuador des öfteren beobachtete: In einem Kaff verkaufen sie nur Cola, im nächsten nur Kokosnüsse, im übernächsten nur Handarbeiten, usw. Das ist hier in Manta nicht anderes. Ich solle nur mal dieser Reihe von Restaurants abschreiten. Die sehen alle gleich aus: Die haben eine Theke, einen Kühlschrank und die gleichen Plastikstühle und -tische. Toll. Und der Ecuadorianer geht zu dem Wirt, den er kennt. Ist ja schön und gut, so machen alle ein Geschäft, weil jeder irgendwen kennt. Der eine hat Erfolg mit dem Restaurant, also macht es der Nächste ihm nach - am besten genauso. Warum soll es bei ihm selber nicht funktionieren, wenn es doch beim anderen funktioniert?
Aber wo die Amerikaner hingehen ist schon klar: Ins Acuário. Das sieht aus wie ein Restaurant, hat immer noch für sie akzeptable Preise, es liegen keine toten Geier herum und man wird freundlich bedient. Deswegen, weil die Bedienung hier auch wesentlich besser verdient, als würde sie nebenan arbeiten. Nebenan würde sie arbeiten, wenn der Wirt ihr Onkel wäre und Gehalt gibt es keines oder nur wenig. So scheint es wohl zu sein... "Aber warum machen die Einheimischen dann nicht Dir alles nach?", fragte ich. Eine Frage, die sich logischerweise aufdrängt. "Machen sie doch! Die haben auch Tische und Stühle, so wie ich. Haben auch Getränke und die meisten davon auch Speisen", erklärte er. Daß ihre Stühle aus Plastik und meine aus Massivholz sind, ihre Getränke warm, meine kalt sind, ihre Bar vollkommen verdreckt, meine sauber ist, ihre Beleuchtung aus Neonröhren, meine aus Faceln besteht, sind für sie keine wesentlichen Unterschiede. Daß das Ambiente aber für Amis und Europäer sehr wohl ein wichtiger Faktor ist, das wissen sie nicht. Woher auch? Die waren da ja nie!" Klang überaus logisch. Denen konnte man vermutlich tausend Mal erzáhlen, daß es ihre Umsätze steigert, wenn sie auf diese vermeintlichen Kleinigkeiten achteten und sie würden es nicht begreifen. Genauso wie man einer Gabi Z. L. tausendmal erklären kann, daß Öffnungszeiten hier oft grobe Richtzeiten sind, und daß man dann über die Straße geht, wenn es die Situation erlauft, und nicht dann wenn, oder gar weil die Ampel grün ist. Die kapiert es auch nicht. Es ist also nicht so, daß grundsätzlich die Ecuadoresen dümmer sind als die Deutschen, sondern vielmehr verhält es sich so, daß es dumme Menschen gibt, und weniger dumme. Das nicht abhängig von Hautfarbe und Religion, sondern von Sozialisation und die kann in Mitteleuropa schlimmer sein, als irgendwo hier. Schlimmer, weil dort die Mittel und die Infrastruktur zur Verfügung stünden. Aber wie heißt es so schön: Gegen Dummheit kämpfen selbst die Götter vergebens...

Es war Sonntag. Wir konnten hier nichts machen, außer den sonnig heit'ren Sonntag zu genießen. Höchstens noch eMails checken, falls doch jemand aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen geantwortet haben sollte, was ich nicht glaubte. Ich hoffte vielmehr darauf, ein paar Nora-Mails ausdrucken zu können, um die in Ruhe zu lesen und in Briefform darauf zu antworten. Christopher erklärte uns den Weg zum Internetcafé. Mittags gingen wir los.
Es waren tatsächlich einige eMails von Verschiffungsgesellschaften angekommen, auch über das Wochenende. Darunter eine aus Kolumbien, die mein Herz pochen ließ. Maritrans, mit sitz in Cartagena schreibt, es gibt eine Fähre nach Panamá. Die Überfahrt kostet 900 US$ und die Fähre geht jeden Freitag. Ich sprang auf uns schrie: "Jawohl, Jungs! Wir haben ihn!!!" Gabi fuhr herum. "Was gibt's?" Ich ging weg vom Rechner und gab ihr ein Zeichen, sie solle selber nachlesen, während ich mir eine Kippe ansteckte. Na, wer sagt's denn. Es geht doch weiter. Es geht immer weiter, man darf nur nicht die Hoffnung verlieren.

Ein Hoffnungsschimmer! Hoffentlich wird er nicht gleich wieder zunichte gemacht. Gabi las das eMail, ich erklärte es ihr nochmal im Wortlaut. Es gab also eine Fähre! Von Cartagena / Kolumbien nach Colón / Panama. Immerhin. Also galt es nun, Gabi davon zu überzeugen, daß das eine Chance ist, die wir wahrnehmen sollten. "Alter... Kolumbien!?!" "Ja, mei, wenn's hier nichts gibt..." Immerhin. Sie blockte nicht sofort ab und ich hegte die Hoffnung, daß sich leichte synaptische Tätigkeiten in ihrem Nervenzentrum bemerkbar machten. Jetzt mußte ein Plan her, um Gabi davon zu überzeugen, daß das hinzukriegen ist. Da würde mir hoffentlich Christopher zur Hand gehen. Ich mußte überlegen. Um dreiviertel Drei waren wir wieder im Acuário. Ich erzählte Christopher von dem eMail, er erzählte, daß wir in Manta ohnehin falsch seien, wenn wir nach Norden verschiffen wollten. Jedenfalls hätte er noch nichts davon mitgekriegt, daß es hier Schiffe nach Zentralamerika gäbe, geschweige denn Ro-Ro-Fähren. Vor Jahre sei mal eine gefahren, allerdings in südlicher Richtung. Somit bestätigte er das Gerücht. Wie erwartet, kam nichts Negatives über Kolumbien. Aber auch dann nicht, als Gabi nicht zugegen war. Er meinte auch, daß die Leute, die so viel Angst vor Kolumbien hätten, in ihrer Mehrheit nie dort waren. Das sagte schon Erwin in Brasilien, und diese Ansicht mußte ich mir auch zueigen machen. Wer war nun dort von den Leuten, die ich kannte? Erwin, Eikka, und nun Christopher. Wer von denen hat mir abgeraten, dort hinzufahren? Keiner. Wer von denen, die mir abrieten war dort? Der eine Hamburger von der Verschiffungsgesellschaft in seinem Prachtbüro... Aber das auch nur an der Küste, ohne das Land je betreten zu haben. Fazit: Es bleibt bei Erwins Spruch: " 'Nach Kolumbien kann man nicht fahren. Zu gefährlich!' 'Warst Du dort?' 'Nein. Geht ja nicht. Zu gefährlich!' " Also eine Nullaussage.

Es war Sonntag, Gabi fragte nach Ausflugszielen in der Nähe. Christopher oder der Lonely Planet - schwer zu sagen, wer es nun genau war - empfahlen Monte Cristo. Wir fuhren hin. Gabi konnte gut lotsen. Wir verfuhren uns nicht. Und wenn, wäre es auch egal gewesen. Hauptsache, der Diesel läuft. Wir fuhren eine Weil durch die gegend, bis Gabi einen Laden fand, der ihr gefiel und sie ging hinein, während ich draußen im Auto bei laufendem Motor wartete. Eigentlich war es ein recht unspannendes Dorf. Alles schien sich im Bau zu befinden.

In einer Ladenstraße Monte Cristo.

Ich stand nicht lange, da sammelten sich die Kinder um das Auto. Aber sie waren relativ still und friedlich. Kein Vergleich zu den Straßenkindern in Brasilien, die genau wissen, daß sie nicht belangt werden können, was immer sie machen und sich entsprechend verhalten. Hier war alles recht zivilisiert. Der Ausflug war mit dem Hutkauf auch schon wieder beendet und es ging zurück nach Manta, wo wir um Vier eintrafen. Gabi spülte das Geschirr von gestern abend, während ich mich mit meiner faltbaren Wanne daran machte, die Wäsche zu waschen. Waschen ist vielleicht übertrieben, aber hinterher ist der gröbste Dreck draußen und sie riecht wieder gut. Mehr kann man nicht erwarten. Aber wer will schon sauberaussehende Klamotten haben? Das zieht nur Gesindel an.

Eine Stunde nach Ankunft an der Tankstelle fuhren wir wieder zum Acuário. Es wurde bereits wieder dunkel. Den restlichen Abend verbrachten wir in Christophers Gesellschaft, erzählten von unserem Plan und hörten uns an, was er über die Gegend zu erzählen hatte. Unter anderem war gerade Wal-Saison. Drei Stunden von hier könnte man Wale beobachten, die sich derzeit sehr nahe an der Küste befinden.
Gabi ließ sich davon überzeugen, sich zumindest das Angebot von Maritrans anzuhören. Wenn es unsere einzige Chance war, nach Zentralamerika zu kommen, können wir es uns immer noch überlegen.

Um halb Zehn baute ich das Lager auf, diesmal vor Christophers Restaurant, zwischen Bäumen, statt am Strand. Mücken waren hier heute einge unterwegs, aber unter meinem Netz bekam ich das nur akustisch mit.


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