Panamericana-Tour 2002
Freitag, 9. August

Um halb Neun weckte mich Gabi. Wir hatten an einer Ausgrabung geschlafen. Diesen Verdacht hatte ich schon, als ich am Abend das Schild sah, ich wußte nur nicht, daß es sich hier nicht nur um einige Trümmer handelte, die hier überall im Land verstreut liegen, sondern tatsächlich um eine Anlage von beachtlicher Größe. Wir räumten unser Zeug zusammen, tranken einen Kaba und stiefelten dann durch die Ausgrabungen, für die man seltsamerweise keinen Eintritt zahlen mußte.

Vor Saqsaywaman, Von wo aus man einen guten Blick auf Cuzco hat.

Von Ferne sah ich, als ich durch die Ausgrabungen hüpfte einen weißroten Mercedes-Laster mit seinem, wie ich ihn nenne, Overlander-Aufbau. Das war einer der britischen LKW, die wir im Dezember letzten Jahres auf dem Campingplatz beim Fitz Roy gesehen hatten. Nach einer Dreiviertelstunde zogen wir dann los. Wir hatten einiges vor. Nur eines war halbwegs klar: Wir würden nach Machu-Pichu fahren. Nur wie und wann, darüber wußte keiner bescheid. Das mußte abgesprochen werden. Mit dem Auto kam man nicht hin, doch klar war auch, daß wir so nah ranfahren sollten, wie es nur ging. Ich warf den Diesel an. Er tat sich etwas schwer beim Anspringen in dieser Höhe und sofort war alles um uns her in einer Dieselwolke verschwunden. Es gibt einfach keinen schöneren Duft als den Duft von Diesel, den Duft der großen weiten Welt. Ich ließ ihn eine Weile laufen, bis er warm war. "Muß das jetzt sein?" Ja, es mußte sein.

Früher, als ich bei kurzen oder auch längeren Halts den Motor nicht ausmachte, meinte immer sie, das übernehmen zu müssen und anschließend, wenn ich mich darüber natürlich nicht sehr erfreut zeigte, fühlte sie das Bedürfnis, den Umweltapostel spielen zu müssen. Und sie kannte mich damals schon gut genug, um zu wissen, daß man bei mir mit Druck genau das Gegenteil bewirkt. "Also, Gabi, ab jetzt, wenn Du mir den Motor ausschaltest, fahre ich jedes mal ein paar Extrarunden durch die Wellenburger Allee." Die Sache stand eigentlich klar, man braucht nicht studiert haben, um das Prinzip zu kapieren: Schalte ich seinen Motor ab, wird viel Abgas produziert, lasse ich ihn laufen, wird wenig Abgas produziert. Doch Gabi besaß so etwas wie eine Lernkurve noch nie. Auf dieser Fahrt würde sich das hoffentlich noch ändern.

Auch die morderne Technik kann Endorphine freisetzen, und zwar ganz ohne illegale Suchtmittel...

Wir parkten das Auto neben dem Hotel, bei dem wir Catarina ausgesetzt hatten. Wir ließen ihm auch einen Zettel dran, daß wir nämlich im Internet-Café saßen und uns dann an der Plaza de Armas treffen wollten zu jeder vollen Stunde. Statt Catarinas zeigte sich ein bescheuerter Köter, der sofort aggressiv zu kläffen anfing. Warum hatte der Wolf in der Evolutionsgeschichte bald eingesehen, daß der Mensch für ihn keine Beute ist, sondern tunlichst zu meiden? Beides sind Rudeltiere, der Wolf hat die schärferen Zähne, doch der Mensch kann Gegenstände greifen und sie schleudern. Das hält den Vierbeiner auf Distanz, so daß seine Hauptwaffe sich nicht entfalten kann. Hier konnte man noch kurz einen dieser steinzeitlichen Kämpfe mitansehen. Gabi erhob natürlich sofort Protest. Wie gehabt.

Ich ging mit ihr los zum Internet-Café, lud die Bilder erst auf Disketten und dann sicherheitshalber auf den Server. Ich trau diesen Disketten nicht mehr. Meine ersten Erfahrungen mit Disketten machte ich 1988, als noch Bildschirm, Prozessoreinheit und Tastatur oftmals ein Stück waren, Monochromanzeige und, wenn es ein moderner Computer war, dann hatte er sogar ein 3,5-Zoll-Laufwerk. Ganze Programme paßten auf eine dieser Disketten und man brauchte nicht zwei 5,25-Zoller mit sich herumtragen. Die Disketten, die ich damals kaufte, funktionieren heute noch bestens. Keine Fehler. Hingegen das Zeug, was man heute bekommt, muß man immer dreifach absichern, denn schon nach kurzer Zeit gehen sie in den Eimer hinein. "Bloß weil die Alte zu blöd ist, einfach das zu tun, was man ausmacht...", fluchte ich auf meine Schwester.

Wir waren eine Weile im Internet-Café, danach gingen wir etwas durch die Stadt und warteten auf der Plaza auf Catarina, der natürlich nicht kam. Dann suchten wir was zum Essen, denn wartend ist schon mal ein Deutscher verhungert. Bei einer dicken Mamma fanden wir dann was Passendes und ließen uns vor ihrem kleinen Laden nieder, halb in einer Passage. Die war nett, immer witzig und man konnte ihr zuschauen, wie sie das Essen machte. Auch frischen Obstsaft hatte sie. Das alles für praktisch kein Geld. "Wo bleibt denn der?" Nun, es geht nun mal nicht so genau. Wir warteten wieder, wieder geschah nichts, außer, daß uns einige Schuhputzer belästigten. Jedes mal kam ein neuer her, nach dem zwanzigsten hat man halt dann doch keinen Bock mehr. "Nein", sagt man, aber er versucht es weiter, während man sich zu unterhalten versucht. "Weißt Du, was 'nein' heißt?" Dann fing er an in irgendeiner Andensprache zu fluchen, woraufhin ich mich der Sprache bediente, die nördlich der Alpen gesprochen wird, und tat das gleiche. So ein Saudepp, Rotzlümmel...

Bei verschiedenen Café und Freßpausen, während auf Catarina gewartet wurde.

Wir gingen dann, als uns die Warterei zu blöd wurde, erst zu einigen Reisebüros, um irgendetwas herauszufinden über Machu-Pichu, danach in ein anderes Café und bestellten einen Coca-Mate. Mittlerweile war es schon wieder Spätnachmittag. Und wir machten schon mal einen Schubladenplan, den ich dann Catarina vortragen wollte, wenn er denn irgendwann auftauchen sollte. Als wir dann wieder auf die Straße gingen, hörte ich hinter mir Catarinas Stimme mich einen Penner nennen. "Was machst denn Du da?" Der Typ stand unmittelbar hinter mir. "Ich lauf schon eine ganze Weile hinter Euch her, war gespannt, wann ihr mich seht." Da hatte ich in dieser Touristenstadt wohl den alten Grundsatz "Watch your Six" vernachlässigt. Gerade hier, ich Anfänger...

Wir zogen noch ein wenig in der Gegend umher, Catarina kaufte sich eine warme Weste und einen Sepplhut, dann gingen wir wieder zurück ins Café und orderten nach dem Kuchen erneut Coca-Tee. "Passiert da was, wenn man das trinkt?" Fragte mich Catarina. "Ja. Wenn Du ihn ganz austrinkst ist hinterher die Tasse leer... Das ist aber auch schon alles. Und Dein Kopfweh geht weg. Und jetzt halt die Gosch und hör mal mir zu: Wir haben beschlossen, daß wir nach Machu-Pichu fahren. So nah an den Zug ran, wie es geht. Wenn der Bus da hinkann, dann können wir das auch. Der Ort heißt Ollantaytamba. Von dort aus geht der Zug nach Machu-Pichu. Morgen früh. Bis Ollantaytamba sind es 89 Kilometer, das können wir heute noch fahren, ich denke, das ist zu schaffen, auch wenn es eine Piste sein sollte." Catarina hörte sich alles an und meinte, daß das so gut sei. "Jetzt sollten wir uns aber auch übrelegen, wie es mit ihm weitergeht", warf Gabi ein. "Wie?", kapiert' ich nicht. "Wir fahren jetzt nach Machu-Pichu, von hier von Cuzco aus kann er mit dem Bus nach Brasilien fahren, was ihn sicher eine Woche kostet, weil wir fahren dann doch weiter nach Equador und müssen uns dann um die Fähre kümmern."
"Ende August? Wir haben doch erst Anfang August."
"Mitte, weil heut der 10. ist, morgen sind wir den ganzen Tag in Machu-Pichu, fahren folglich erst übermorgen los. Dann brauchen wir zwei Tage und sind in Nazca und einen weiteren bis Lima. Schon wieder eine Woche rum. Dann muß er sich da oben überlegen, wie er zurückkommt, aber von dort fährt sicher kein Bus."
Das waren eigentlich alles Sachen, die nicht interessieren, aber Catarina wußte, daß es um ihn ging, daher übersetzte ich das: "Du mußt Ende August in Brasilien zurück sein. Von hier aus geht ein Bus, hast Du dir diese Möglichkeit schon überlegt?"
"Was soll denn das jetzt? Das sehen wir dann schon, ich fahr so lange mit wie es geht und dann schau ich, ob ich einen Flug bekomme. Bis dahin ist es noch eine Weile." Es ist ohnehin müßig, so weit im Voraus zu planen. Es ist das gleiche, als würde man eine ellenlange Rechnung machen, die aus einer Zahl und zig Variablen besteht. Das ist Stoff der sechsten Klasse und gehörte nicht hierher. Fahren und schauen. Deshalb waren wir unterwegs...

Plaza de Armas in Cuzco.

Wir schlenderten zum Auto, stiegen ein und fuhren dann langsam los in Richtung Ollantaytambo. Es war Neun Uhr. Wir fuhren anderthalb Stunden, am Schluß über eine ziemlich holperige Piste. Wir schaukelten durch die kleine Ortschaft, die dalag wie tot. Nichts sah nach Bahnhof aus. Einmal hielten wir wo und fragten. Man wies uns die Richtung, wir folgten und standen an einem Platz, der vermutlich auch wieder Plaza de Armas hieß. Wie überall, so war hier ein quadratischer Park, eine Insel, also, sozusagen und drumherum Gebäude. Ein Bahnhof konnte hier nicht sein. Wir fuhren mehreren Straßen nach, die vom Platz weggingen, doch landeten immer wieder am Waffenplatz. Bei einer jedoch kamen wir auf eine kleine, schmale Piste, die dann endlich am Bahnhof endete. Wir waren da. Allerdings kosteten die Tickets nicht 20, sondern 30 Dollar. Und das löste eine Diskussion aus, ob wir denn überhaupt nach Machu-Pichu fahren sollten. Ich tat es wie in alten Zeiten: Hände heben, einen Schritt zurück und "Ich bin nur der Fahrer, macht es untereinander aus". Doch damals war das einfach, da die gemeinsame Sprache zwischen den Parteien vorhanden war. Die fehlte jetzt. Ich mußte übersetzen. Gabi begann ihren Vortrag: Sie war verärgert über die Tatsache, daß uns fälschlicherweise ein niedrigerer Betrag genannt wurde. Klar, es geht nur um 10 Dollar, aber wer garantiert uns, daß es oben dann nicht auch heißt, daß der Eintritt nicht 20 sondern auch wieder 30 Dollar kostet oder noch mehr? Die Fahrt hierher war es auch wert, wenn wir nicht nach Machu-Pichu gingen. Außerdem kenne sie den geschichtlichen Hintergrund nicht und einfach nur planlos zwischen Ruinen herumzuspringen könne es wohl nicht sein. Während vorgetragen wurde, wälzte sich unsere Runde langsam in Richtung Auto, das wir am Ende des Parkplatzes abgestellt hatten und wir begannen, Tee zu kochen. Während wir da so quatschten, stellte Gabi plötzlich hastig ihre Tasse ab, stieg ins Auto und schlug die Tür zu. Catarina sah ihr nach, dann drehte er sich langsam um und sah mich mit einem Ausdruck des Erstaunens an und sagt ganz langsam und theatralisch: "Mein Gott im Himmel, als hätte sie einen Geist erblickt... Was ist denn los?" Ich hatte keine Ahnung, "wenn ich mich jedesmal fragen würde, warum sich Weiber so bescheuert benehmen, dann hätte ich keine Zeit für etwas anderes." Wir sahen uns um und da kam auch schon der Grund herangewatschelt.

"Hülfää, alle sterben!!!" Eine Kuh kam friedlich und ohne uns überhaupt die geringste Beachtung zu schenken entlanggeschlendert und sah in sich ruhend und mit sich selbst zufrieden aus...

Catarinas Ansicht war, wir seien extra tagelang hierhergefahren, wenn wir jetzt umdrehen, seien wir wie der Portugiese, der von Portugal nach Brasilien schwamm und als die Küste sich schon zeigte, wegen akuter Müdigkeit umkehrte und nach Hause zurückschwamm. Das sei Quatsch. Natürlich wisse er auch, daß zumindest für ihn, die Höhepunkte dieser Fahrt die Anden, die Wüste, sogar die beschissene peruanische Grenze seien, und nicht dieser Steinehaufen da oben. Aber wir sind hergefehren, weil man es gesehen haben muß und ob das nun 10 oder 20 oder 50 Dollar mehr kostet, das sei nicht wichtig, denn wer weiß, ob und wann man wieder so nahe an dieses weltberühmte Stück menschlicher Kultur käme, auch wenn wir alle dafür zu banausig seien, das tue nichts zur Sache.
Ich übersetzte nun beide Versionen, es ging ein wenig hin und her, ich wollte einen Stellplatz für das Auto, andernfalls mußte einer am Auto bleiben. Gabi kam dafür nicht in Frage, Catarina auch nicht, denn er wollte ja nach Machu-Pichu. Mir war es egal, und wenn ich bleibe, bleibt Gabi auch. Eine Schwachsinnsdiskussion...


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