Panamericana-Tour 2002
Samstag, 10.August

Wir bauten unser Nachtlager aus. Eigentlich nur Catarinas', denn bei uns gab es nicht viel zu bauen. Er hatte wieder seine Hängematte, die wurde am Gepächträger befestigt und am Baum, dann verpackte er sich darinnen - wieder völlig unvorschriftsmäßig und unsachgemäß und überhaupt nicht artgerecht, aber bitte. In der Nacht wurde es kalt und er bekam es am Deutlichsten zu spüren. In meinem Schlafsack war es jedenfalls ganz kuschelig warm.

Am nächsten Morgen war um das Auto ein Rummel, daß man meinen könnte, man wäre in Bagdad mitten auf dem Bazaar gelandet. Der noch vor einigen Stunden absolut tote Parkplatz war überhaupt nicht mehr zu sehen, stattdessen ein Gewimmel von Menschen, Eseln, Kleinbussen, Großbussen, PKW, Einheimischen mit allerlei Gepäck, Verkaufsbuden, Touristen, Geschrei, Getöse, Gewimmel, alles sehr bunt und sehr durcheinander. Mittendrin standen wir und sahen uns das Chaos einigermaßen erstaunt an, wie schnell dieser Parkplatz, auf dem wir vor einigen Stunden noch allein auf weiter Flur standen, viel zu klein geworden war. Wir waren mitten in einem Stau, es ging weder vorwärts noch zurück und es war eine Angelegenheit von einer halben Stunde, auf den abschließbaren Parkplatz zu kommen, der nur einige Meter auf der anderen Seite der Straße lag. Ich ging zu einer der Buden und fragte nach, wer für den Parkplatz nebenan zuständig wäre. "Da mußt Du klopfen bis einer kommt. Aber laut, sonst hört man Dich nicht!" Kein Problem. Im Lärmmachen war ich schon immer recht begabt...

Alles kaputt. Hinter die steinerne Mauer mußten wir, zu Fuß eine Angelegenheit von weniger als 10 Sekunden, nur ging lange Zeit in motorisiertem Zustand überhaupt nichts. "Na, los, Leute, hopp. Motoren sorgen für Bewegung!"

Ich kämpfte mich durch den Stau, und klopfte an das Tor und hupte und trappte dagegen. "Hola...!", und immer munter dagegentrappen, da, wo es am lautesten ist, und das Tor möglichst laut scheppert. Ich hörte erst auf, als ich durch die Ritzen sah, daß jemand ankam. Es war eine uralte Frau, die das Tor öffnete und sie fragte grantig nach, wer hier so einen Lärm macht. "Die haben gesagt, ich solle laut klopfen..." "Ja, schon, aber nicht das Tor einschlagen. Welcher Trottel hat das überhaupt gesagt?" "Der Typ dort vom Verkaufsstand." "Ach, der schon wieder. Wenn ich 30 Jahre jünger wär, dann würd ich ihm eine Batschen, aber so hat mir das alles keinen Wert. Du kannst das Auto da vorne hinstellen, keine Angst, es passiert ihm nichts. Versuch dabei, möglichst nicht gegen das Tor zu fahren, das fällt eh schon halb auseinander, weil jeder meint, er muß dagegendreschen wie ein Irrer. Die Leute haben wohl in ihrem Leben nichts zu tun, ich bin 90, ich kann nun mal nicht aus dem ersten Stock herunterspringen. Mein Sohn wollte schon lang mal ein Schild da vorne hinhängen, aber das ist auch so einer. Und wenn das Tor mal weg ist? Was dann..?"

Ich fand sie witzig, wie sie da den riesigen Garten entlangwatschelte und vor sich hingrantelte, ohne aber irgendwie richtig böse zu sein. Ich glaube, die konnte das gar nicht, die sah aus wie die gutmütigkeit in Person. Ich stellte das Auto ab, nahm heraus, was ich brauchte und zahlte. "Wenn Du zurückkommst, dann denk dran, daß ich das Tor noch länger behalten möchte, OK? Viel Spaß wünsch ich Euch." Der Parkplatz kostete etwa 5 Mark oder Dollar, jedenfalls sehr günstig - klar. Ein Peruaner kann davon eine Woche Leben, aber wir waren in einer Touristengegend und selbst Touristen. Dann machten uns an den Schalter um Tickets zu kaufen, wobei überhaupt nicht sicher war, ob die überhaupt noch welche hatten. Wir waren so ziemlich die Letzten, der Stau hatte sich schon wieder fast aufgelöst. Wir kauften die Tickets und gingen an das Gleis. Lange gewartet wurde nicht, denn schon bald kam ein Bummelzug angedampft. Wir nahmen Platz und gleich darauf ging es auch schon los, durch eine sehr heimisch anmutende Gegend hinauf nach Machu-Pichu. Die Fahrt dauerte etwa eine Stunde.

Heimat, Deine Berge,
Sie strahlen mir auch an fernem Ort...

"Du Depp wolltest das hier alles laufen?", fragte ich Cat. Ideen haben die Leute manchmal, da fragt man sich, ob sie als Kind vielleicht mal vom Wickeltisch gefallen sein mochten. Was mir auffiel war, daß uns immer eine Piste begleitete von Anfang an und bis zur Endstation. Man hätte also theoretisch auch fahren können, da wir aber kein einziges Auto sahen, gehe ich davon aus, daß das mit Absicht so gehalten wird, damit man als Tourist den teuren Zug nehmen muß. Teuer ist er eigentlich an und für sich nicht, denn die Einheimischen Pendler zahlen umgerechnet ein paar Pfennige. Aber bei den Touris schlagen sie natürlich zu, was einerseits logisch ist, andererseits den Reiz steigert, eine Methode zu finden, ohne zu zahlen durchzukommen. Das geht sicher auch, denn Wachposten oder sowas gab es auf dem Weg nicht. Nur braucht man dazu erstens Zeit und zweitens den richtigen Trupp, wobei ich mir fast sicher war, daß Catarina dafür nicht ungeeignet ist. Da wäre ich sogar auch dabei. Dem Reiz, irgendwo durchzubrechen oder einzudringen, kann ich selbst heute noch nur schlecht widerstehen. Da gibt es nämlich immer eine gewisse Chance: Sie rechnen nicht mit uns... Aber diesmal zahlten und fuhren wir, wie alle anderen auch. Wir hatten keine Zeit...

Wir kamen an der Endstation an und folgten einfach den Touristen zum Bus. Die werden schon wissen, wo sie hingehen. Wenn nicht, gehen wir mit und lachen sie dann aus. Die Preise hier waren nur als unverschämt zu bezeichnen, der Bus mußte extra bazahlt werden. Wir warteten eine Weile, stiegen ein, fuhren die Serpentinen hoch und standen am Haupteingang. Dort gingen wir in ein Hotel, wechselten Geld und blechten für den Eintritt. Das ist die einfachste Methode. Natürlich ist das ganze Gelände nicht abgesperrt und man kann auch anders her, aber wie gesagt, dafür braucht man Zeit und die richtigen Leute. Wir trannten uns. Gabi ging woanders hin und ich ging mit Cat zur Inkabrücke. Es war ein schmaler Pfad, stellenweise konnte man auf Nimmerwiedersehen abstürzen. Wir rätselten, wie viele hier wohl schon runtergesegelt waren. Am Ende des Pfades ging es hunderte von Metern steil abwärts.

Sehr romantisch...

Wir trafen ein ausländisches Touristenpärchen, das dort recht unmotiviert herumsaß.
"Hi."
"Hi..."
"Ist das die Inkabrücke?"
"Das ist sie wohl..."
"Und? Wo seid ihr her?"
"Aus Kanada. Und ihr?"
"Brasilien, Deutschland..."
Nach einer Weile, dann:
"Wo in Deutschland?"
"München..."
"Wo in Kanada?"
"Nun, ja. Eigentlich sind wir aus den USA. Aber wir sagen immer, wir seien aus Kanada, weil die meisten Leute Amerikaner nicht mögen." Komisch. Woher das nur kommen mag? Das ist die ausgleichende Gerechtigkeit. Die einen gewinnen den Krieg, die anderen können dafür frei in der Welt umherreisen... So ist es nun mal.
"Meine Mutter ist aus Deutschland", sagte sie, "ich versuche, irgendwie an den deutschen Paß zu kommen. Damit reist es sich leichter, habe ich gehört. Stimmt das?"
"Ich kann nichts Gegenteiliges behaupten und möchte den deutschen Paß gegen keinen anderen tauschen. Ich denke, unter dem Strich fährt man damit wohl am besten. Kein Problem in arabischen Ländern, kein Problem in westlichen Ländern oder in Asien."

Wir gingen gemeinsam wieder zurück und trafen Gabi wieder, sahen uns den Rest von Machu-Pichu an und trennten uns dann wiederum, denn Cat wollte auf den Mond-Buckel steigen. Ich glaube, er heißt so, der Berg, den man eben auf jeder Machu-Pichu-Postkarte findet. Wir gingen dort hin, wo der Aufstieg beginnt. Wenn man zum Berg hinaufwill, muß man seinen Namen angeben und ihn wieder streichenlassen, wenn man zurück ist. Neben uns stand eine Brasilianerin, die sich ebenfalls anmeldete. Vielleicht Ende Fünfzig. Wir unterhielten uns kurz und sie ging dann los. Sie mußte sich beeilen, in jeder Hinsicht. Sie wollte das unbedingt machen, denn sie meinte, wenn sie das diesmal nicht machte, dann macht sie es nie mehr. Daraufhin hastete sie los. Ich gab Cat noch allerhand kluge Ratschläge. "Unterschätz den Berg nicht, ras' nicht los, wie ein Idiot, geh lieber gleichmäßig langsam und nimm ein gescheites Jopperl mit, denn die Temperaturen können sich innerhalb weniger Stunden extrem ändern. Bleib auf dem Pfad und nimm nicht irgendwelche idiotischen Abkürzungen, denn die kürzen manches mal nur die Lebenserwartung." Wir treffen uns um 16:00 Uhr auf dem Hof bei dem Baum. "Falls was danebengeht, dann treffen wir uns am Auto". Was ich ihm allerdings, ohne es zu merken nicht mitgab, war die 1,5 Liter Wasserflasche, die ich im Rucksack hatte und sowieso nicht anrühren würde. Ich trinke kein Wasser. Wer nach 2.000 Jahren menschlicher Zivilisation Wasser trinkt soll konsequenterweise auch Klopapier essen. Das ich ihm das Wasser unterschagen hatte und er auch nicht daran dachte, es herauszufordern, merkte ich allerdings erst ungefähr eine Stunde später. Wir sahen uns noch weiter um, wie Neanderthaler in einem Opernhaus. Wir mußten uns dann langsam vom Acker machen, denn der letzte Zug ging um fünf. Als der Tag auf seine 16. Stunde zuging, ging ich zu unserem ausgemachten Treffpunkt. Kein Cat, weit und breit.

Das klassische Postkartenphoto...

Gabi ging voraus, denn sie wollte hinuntergehen statt fahren. Ich wartete auf Catarina. Nichts. Ich ging also zu dem Häuschen hin und fragte nach, ob Catarina schon wieder unten sei. Die brasilianische Omma war wieder da. Sie hatte es anscheinend hinauf geschafft und war heil wieder hinuntergekommen. Dann muß es Cat auch hingekriegt haben, denn er war halb so alt und Nichtraucher! "Nein, der muß wohl noch oben sein." Ich wartete weiter und zwar so lange, bis ich einsah, daß ich den Zug versäumen würde, wenn ich mich nicht jetzt auf die Socken machte. Ich meldete den Sicherheitskräften, daß ein Dalton Silva, der auf Catarina hört, vermißt ist, er sei auf den Berg geklettert und bis zur Stunde nicht zurück. Man solle ihn wissen lassen, daß wir am Auto warten und für den Fall, daß er tot aufgefunden werden sollte, gab ich ihm noch die Telephonnummer vom Lorena in Brasilien - ich verlasse mich schon nur ungern auf die deutsche Botschaft, von der brasilianischen brauche gar nicht erst anfangen. Die sind zu beschäftigt, sich mit Drogengeschäften über Wasser zu halten.

Ich ging zum Bus. Doch der nächste Bus würde erst um 17 Uhr losfahren. "Das ist zu spät, verdammt..." Damit würde ich den Zug verpassen. Es blieb mir nur noch, in alter ettaler Manier, den Berg hinunterzurennen. Wenn das mal gutging. Als ich das zuletzt tat, in Argentinien am Cerro Negro, konnte ich tagelang nicht laufen und nur schwer kuppeln. Nur damals waren Ines und Almut dabei, eine Mannschaft, auf die sich jeder einzelne 150%ig verlassen konnte. Diesmal fehlte diese Sicherheit, ich hatte hier - gerade jetzt, wo Cat nicht dabeiwar - nicht das Gefühl, mit jemandem gemeinsam zu reisen, sondern immer mehr jenes, eine Art Reiseleiter zu sein.
Das macht es nicht leichter, denn man weiß nie, was auf dem Weg passiert, deswegen sollte man sowohl Gerät als auch der Besatzung blind vertrauen können und wissen, daß zu jeder Stunde jeder seinen Teil dazu beiträgt, damit alles glattläuft und zwar bis zum Ende. Diese Sicherheit fehlte mir hier, allerdings nicht in Bezug auf das Gerät. Ich wußte zum Beispiel nicht, was Gabi wirklich machen würde, wenn der letzte Zug abfährt und ich nicht da bin. Mit Almut wäre alles anders gelaufen. Sie wäre mit auf den Berg gegangen, Treffpunkt Auto. Wer weiß, was aus Catarina geworden ist. Vielleicht ist er zu spät, vielleicht ist er aber auch bloß abgestürzt. Wer weiß das schon?

Ich ging den Fußpfad hinunter, nicht die Straße entlang, sondern den kürzesten Weg. Immer schön Abfedern, damit die Knie möglichst nichts davon merkten. Es ging ganz gut, teilweise über die alten Stufen, teilweise durch den Busch. Ab und zu hörte ich Kötergekläff. "Drecksviecher! Sogar hier?!?" Ich hob zwei faustgroße Steine vom Boden, einen in jeder Hand eilte ich weiter. Als der Trampelpfad einmal wieder die Staße nahe bei einer Wende kreuzte und ich es vorzog, den etwas längeren Weg über den Schotter zu nehmen anstatt den unwesentlich kürzeren durch das Gebüsch, machte ich in etwa 50 Meterrn einen Köter aus, der, als er mich rennen sah, sofort auf mich zuzulaufen begann. Ich drehte um, lief auf ihn zu, woraufhin er abbremste. Ich lief weiter auf ihn zu und machte keine Anstalten zu bremsen. Er begann dann, von mir wegzugehen, rannte aber nicht. Erst als ich ausholte, rannte er los. Der Stein flog los und schlug neben dem Köter ein. "Verdammt!" Das Viech verschwand im Gebüsch und ich drehte um und rannte weiter in Richtung Tal. Ich hasse diese Viecher.

Beim Warten auf Catarina.

Schon bald holte ich Gabi ein. "Wo is' der ander'?" "Keine Ahnung, wahrscheinlich abgestürzt..." "Ja, jetzt lachen wir noch..." Wir kamen zum Zug und es war alles voller Amis. Laut und Kaugummidialekt. So ging es zurück. Als wir ankamen meldeten wir erneut, daß einer fehlt. Mehr konnte ich nicht tun.
Wir holten das Auto ab, neben uns stand ein Touri-Bus von Tucan-Travel mit deutschem Zollkennzeichen aus ROW. Wir stellten uns diesmal etwas weiter weg vom Parkplatz.

Wir spekulierten noch, was mit Catarina wohl passiert sei. So ein Schmarrn aber auch. Sowas darf überhaupt nicht passieren. Ich habe noch nie im Leben einen Beifahrer verloren. Aber vom Essen sollte uns das nicht abhalten. Gabi kochte, ich erledigte meine Eintragungen, Fahrzeugwartung wird grundsätzlich nach dem Essen gemacht, da die Haube nicht geöffnet werden sollte, wenn die Küche Tätig ist.

Mücken gab es hier keine - zumindest merkten wir nichts davon. Muß an der Höhe liegen. Nach dem Essen fuhren wir ein Stück die Straße zurück und entdeckten ein Hotel. Ich ging hinein, und bat um die Erlaubnis, meinen Brauchwasserkanister aufzufüllen. Das war kein Problem. Der alte Kanister war doppelt so groß, der faßte 20 Liter. Das war solange praktischer, als er dicht hielt.

Danach stellten wir uns wieder an unseren Parkplatz, den wir in der Nacht zuvor auch benutzt hatten. Obwohl klar war, daß wir wieder mitten im Bazar aufwachen würden, ging ich davon aus, daß Cat genau dort als Erstes suchen würde, und das Auto kannte er ja. Und wir würden frühestens losfahren, wenn der erste Zug angekommen sein würde, denn in dem konnte Cat ja frühestens eintreffen - wenn er nicht gelaufen ist. Aber so bescheuert wird er schon nicht sein. Jetzt wäre ein Mobiltelephon gut gewesen, aber das ist nur was für die Reichen...


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