Panamericana-Tour 2002
Donnerstag, 8. August

Um zwei Uhr Nachts liefen wir in Albancay ein (745.020 km). Seit Calhuanca waren wir 125 km gefahren, hatten dafür viereinhalb Stunden gebraucht. Die Marschgeschwindigkeit kann man sich errechnen, sie lag unter 30 km/h. Cuzco rückte schlagartig in abartige Ferne. Albancay war eine größere Geschichte, es hatte Straßen, beampelte Kreuzungen und Verkehrsschilder. An einer Tankstelle am Ortsausgang hielten wir. Es war sinnlos, weiterzufahren.
Schon hatten wir die erste Konfliktsituation. Gabi wollte nicht in der Stadt bleiben wegen der großen Gefahr - letztes Jahr meinte sie noch, Städte sicherer seien als Pampa,l weil Jungs, die hier draußen etwas starten, grundsätzlich eine brutalere Vorgehensweise hätten, als die, die in der Stadt tätig seien. Mit Vernunft war da nichts zu wollen. Catarina und ich sahen das jedenfalls nicht so. "Gefährlich? Gefährlich ist Campinas, was soll hier gefährlich sein?", meinte Catarina und ich war auch der Meinung, daß es hier nicht viel gefährlicher sei als auf der Piste. Diskussionen fingen wir nicht an. Keinen Bock drauf, es wurde einfach auf mein Geheiß hiergeblieben.
Gabi paßte das gar nicht. Solange wir zu zweit waren, war es einacher, ist man zu dritt, ist es billiger. Aber man muß Kompromisse eingehen können. Mir ist es wurscht, wo geschlafen wird. Catarina möchte die Nähe zur Zivilisation wegen der Versorgung, Gabi aber lieber möglichst so wenig Menschen wie nur möglich um sich haben. Ich lag auf meinen Blechen, Gabi kam von den Toiletten zurückgestampft. Statt "Gute Nacht", hörte man ein wutentbranntes "Hast Du Dir mal die Toiletten angeschaut?" Die Tür flog zu, und drinnen brach das Donnerwetter los, daß das ganze Auto wackelte. Natürlich habe ich mir nicht die Toiletten angesehen, ich weiß doch wie sie aussehen. In der Wüste draußen wären die Toiletten sicher sauber gewesen - weil nicht vorhanden... Frauenlogik. Ich ließ mich nicht stören. Catarina, der es sich in seiner Hängematte gemütlich gemacht hatte, verpackt wie eine Afghanistanesin, sah zu mir hinüber mit fragendem Blick. Er wußte natürlich nicht, worum es ging. Ich grinste ihm mit meinen nikotingelben Zähnen entgegen. "Gute Nacht, Gott segne Dich und mache Dich sehr glücklich." "Halt's Maul, Du Dämon", erwiederte er darauf, was soviel heißt wie 'Gute Nacht'. "Das wird noch heiter werden", murmelte ich zu mir selbst halblaut, als ich die Kippe wegschnippte und einschlief.

An der Übernachtungsstätte.

Wir standen nacheinander auf. Das Gewitter hatte sich verzogen, alles war wieder wie neu. Catarina meinte, es sei in der Nacht kalt gewesen. Ich hatte davon nichts gemerkt. Am Höhenunterschied kann es nicht gelegen haben und auch nicht daran, daß er leichter friert, denn mein Blutdruck ergab bei der letzten Messung 84 zu 47 und ich friere ziemlich bald schon. Auch daran, daß ich es gewohnt war und er nicht konnte nicht sein, denn auch ich verbrachte die letzten Jahre in den Tropen. "Das liegt einfach daran, daß Du schwuchtel, verstehst?, Dich verpackst wie die Frau vom Sultan und die ganze Kälte der Wäsche mit in den Schlafsack nimmst. Probier's doch einfach. Flack Dich mit der normalen Tagesgarnitur ohne Jacke in den Schlafsack. Wenn's Dich friert kannst immer noch das Zeug anziehen..." Aber es war aussichtslos. Soll er eben weiterfrieren...

Es wurde gefrühstückt und um Elf machten wir uns auf den Weg. "Auf geht's!" Doch eine Zweitagesreise. "Auf Asphalt hätten wir es hinbekommen." Cat schüttelte nur den Kopf. "Ô, Diabo, hast Du's immer noch eilig? Kommen wir halt heut an. Und? Stirbt irgendwer, wenn wir erst morgen ankommen?" Natürlich nicht. Aber ich kannte Gabi und ich wußte, daß sie sehr ungemütlich werden kann und zudem war sie noch sehr deutsch. Ohne Plan reisen geht nicht. Catarina war genau das Gegentheil, nämlich brasilianisch. Mit Plan reisen geht nicht. Dafür einen gemeinsamen Nenner zu finden ist fast unmöglich. Mir gehen beide Mentalitäten gleichermaßen auf den Zeiger, ob man vor Regeln auf den Knien rutscht oder ob man die Regeln als völlig für den Arsch ansieht, es ist beides gleichermaßen bescheuert. Nur waren wir hier in einer Gegend, in der die meisten Leute eher so denken wie Cat, und nicht im Entferntesten so wie Gabi. Das Gelbe vom Ei liegt irgendwo in der Mitte und von dieser Mitte waren wir allesamt meilenweit entfernt. Drücken wir es einfach so aus: Säße eine Almut auf der Rückbank, dann würde sich dieses Problem nicht stellen und alles wäre entspannt...

Fremd und doch vertraut, auch wenn kein Enzian die steilen Höhen schmückt.

Die Straße wurde bald besser. Zwar gab es immer noch vereinzelte Pistenabschnitte aber es überwog der Asphalt. Soviel zu den Angaben des Reisebüros, die besagten, daß der Asphalt bis Albancay ginge. Mag stimmen - wenn man in Cuzco steht und nach dem Weg nach Nazca fragt. Aber auch die Landschaft änderte sich. Sie wurde grüner und in der Ferne ragten die verschneiten Gipfel der Sechstausender mächtig in die Höh', es erinnerte ein klein wenig an daheim. Nur, daß wir einige tausend Meter höher lagen. Man fühlt sich irgendwie leichter, bild't sich ein, die Luft biete weniger Widerstand. Wir überholten einen weißroten KDF-Wagen, also einen VW-Käfer auf Neudeutsch. Der begleitete uns den ganzen Tag, mal dröhnte er an uns vorbei wie eine überdimensionale Hummel, mal überholten wir ihn, dann tauchte er wieder im Rückspiegel auf und überholte uns. Nach Stunden dann gleich nochmal, weil wir ihn passiert hatten, als er wohl irgendwo eine Pause einlegte. So ging es dahin.

Es ging wieder bergab, der Asphalt verschwand wieder. Über tausend Meter ging es hinab und wir standen plötzlich in einer verhältnismäßig gepflegten Ortschaft. Zumindest sah sie von Weitem so aus. In dieser Ortschaft, von der wohl nicht mal die Einwohner wußten, wie sie hieß, sahen wir einen Markt und hielten an. Die verkauften alles Mögliche, unter anderem auch Kanister. Ich nahm den Verschluß eines der zum Verkauf stehenden Kanisters eine Weile in Augenschein. "Könnte klappen, könnte klappen", murmelte ich, ging zum Auto und holte den Deckel des mittlerweile verschlissenen und auf der Strecke gebliebenen Brauchwasserkanisters. Damit ging ich wieder zum Stand zurück. Paßte. "Gibt es hier Wasser?", fragte ich die Verkäuferin. "Ja, da hinten." Gabi blieb als Pfand da, während ich den Kanister auf Dichtheit prüfte. Er hielt das Wasser und ward gekauft.

Nachdem er dann aufgeschnallt war ging es weiter.

Zwar war dieser Kanister kleiner als der, den ich vorher hatte, aber dafür hielt er das Wasser. Wir fuhren weiter durch die Landschaft. Das Altiplano war das hier nicht mehr. Zumindest nicht, wenn man es wörtlich nimmt, was soviel wie Hochebene heißt. Hoch war es wieder, aber eben nicht eben. Die Straße schlängelte sich durch, mal mehr, mal weniger gewunden und es ging stetig auf und ab. Der Asphalt meldete sich wieder mal ab und es ging auf der Piste weiter. Hauptsache war, daß es weiterging, wenn auch langsamer. An einer Stelle, am Wendepunkt einer Serpentine, lief ein ziemlich breiter Fluß quer über die Piste ins Tal hinunter. Da, wo er auf die Straße traf und wo er sie verließ, tat er das in Form von kleinen Wasserfällen. Cat und Gabi stiegen aus, ich brachte den Benz durch den Fluß. Er war nur breit, aber überhaupt nicht tief. Dennoch wollte Cat unbedingt ein Bild machen. Das tat er dann auch und in einigen Jahren werde ich es wohl in einem Nachtrag auf diesen Seiten ausstellen. Jedenfalls war es ein richtiger Fluß, breiter noch, als es die Straße war. Unten im Tal war er dann als ein breites blaues Band zu sehen, das sich seinen Weg durch die mächtigen Massive suchte und bahnte.

Cat mit der Kamera im Anschlag und der Benz bei der Flußdurchquerung.

Wir blieben noch ein Weilchen, sahen uns die Stelle an. "Wenigstens wissen wir, wo wir auf dem Rückweg eine Dusche finden..." Wir hatten, als wir uns Cuzco näherten, bestes Fahrwetter. Keine Sonne, nicht heiß. Kurz davor verzweigte sich die Straße seltsamerweise. Und an der Verzweigung war eine Tankstelle. Ich tankte das Auto und ließ auch etwas von dem Pflanzenöl in den Tank, das immer noch auf dem Dach war.

Dabei floß das klebrige Zeug über die Heckscheibe, was zu einer größeren Putzaktion führte. "Ich brauch Lappen und Pützen!" Lappen hatten wir, aber die Pützen fehlten. Das war ein Theater, bis ich alles beisammen hatte und dann erst das Geschmier aus Pflanzenöl und Wasser. Ekelhaft. Und diese Gummiabziehteile hatten die hier an dieser Tanke nicht. Hatten das wohl noch nie gesehen, das nächste war in Nazca. Aber so kann man auch die Zeit totschlagen.

Catarina war mehr an Land und Leuten interessiert, ich am Auto und am Fahren an sich, Gabi mehr an den touristischen Attraktionen.

Nach der Tanke machten wir uns auf die letzten Meter, es ging schon bergab und auf Cuzco zu. Kaum Verkehr auf der Straße, ich konnte dicht an die Leitplanke der Gegenfahrbahn rangieren, um ein Bild von oben zu machen. Von weitem sah die Stadt typisch peruanisch aus. Dicht bebaut und alles durcheinander. Wir kamen in Cuzco sogar noch bei Tag an. Das Zentrum von Cuzco war von der Nähe gesehen, ganz gut aufgeräumt, was eindeutig am Tourismus liegen mußte. Es sah mehr nach Spanien oder Italien aus als nach Peru. Hatte rein gar nichts mit alledem zu tun, was wir bisher gesehen hatten. Es waren hier sehr viele ausländische Touristen und viel Polizei. Wir parkten das Auto und latschten los zum zentralen Platz, der sicher Plaza de Armas hieß. Waffenplatz. So heißen alle zentralen Plätze in jedem peruanischen Dorf. Und auch wenn sie nicht so heißen, werden sie so genannt - zumindest von mir. Ringsumher waren lauter Geschäfte, die ganze Stadt lebt wohl vom Tourismus. Wir kamen an einem Polizist vorbei und ich fragte, ob der Parkplatz hinter dem Park sicher sei. Er sah mich mit bedauern an und sagte: "Nein..." Der Kriminalität in Cuzco ging es ziemlich gut. Sie wuchs heran, wie ein kerngesundes Kleinkind. Doch, was tun? Er fragte, wie lange wir bräuchten. Am Ende schlug er uns vor, daß wir das Auto einfach da hinstellen, wo er das Auto sehen konnte. Das fand ich aber nett. Er wollte auch kein Geld dafür und ob Parken dort erlaubt war, wo ich das Auto dann hinstellte, das war nicht eindeutig festzustellen.

Cuzco bei Tag.

Wir gingen zur Touriinfo und fragten, wie man denn nun nach Machu-Pichu käme. Mit dem Bus bis Ollairgendwas, dann mit dem Zug weiter bis zu Fuß vom Berg und von dort wieder mit dem Bus zum Berg. Catarina wollte eigentlich den Inca-Trampelpfad laufen, aber dazu brauchte man mehrere Tage. "Kannst Du schon machen, ich wart am Auto", sagte ich. "Du gehst mit, Du Ballerina", sagte Cat darauf. "Ich? Ich lauf nicht, kannst vergessen. Nicht solange ich ein Auto unter'm Arsch hab..." Wir nahmen uns die Beschreibungen aus dem Reisebüro mit und gingen zum Auto zurück. Das stand noch immer unangerührt da. Sehr gut. Wir bedankten uns noch beim Polizisten und fragten, wo man hier billig essen konnte. Er beschrieb uns den Weg zu einem Restaurant nahe der Polizeiwache. Das war schon mal gut. Wir fuhren hin. "Wenn das jetzt noch ein Lokal für Einheimische ist, haben wir gute Chancen, billig wegzukommen..." Ich stellte den Benz möglichst so hin, daß ich ihn von drinnen sehen konnte. Die alte Kopfsteinpflasterstraße, welche bemerkenswert eben, war ruhig, und hauptsächlich der polizeiliche Wechsel von Wache und Freiwache sorgte für etwas Bewegung.
Das Restaurant hieß Tinkoy und die Preise waren faszinierend niedrig, das Essen hingegen gut. Wir bestellten jeder ein Tagesmenü. Den genauen Preis weiß ich nicht mehr, er lag bei 2,50. Aber ich weiß nicht, ob Dollar, Mark, Euro oder Real und auch weiß ich nicht mehr, ob das für alle oder pro Person war. Im teuersten Falle also 7,50 US$ für drei Vollwertige Mahlzeiten mit Getränk. Das war das billigste Essen, das wir auf der Reise hatten - und das, obwohl wir in Cuzco waren. Kein einziger Tourist war in dem Lokal, wir waren die einzigen Gäste.

19.00 Uhr: Essenfassen im Restaurant Tinkoy (745.214)

Nach dem Essen fragten wir uns alle, wo wir wohl schlafen würden. Wir fuhren ein Stück die Straße entlang, an der sich das Restaurant befand Richtung stadtauswärts. Bald waren wir an einem Hügel angelangt. Da sagte Cat: "Alter, ich penn heut nicht draußen, das kannst vergessen..." "Mein Gott... wie so'n Mädchen..." Ich sollte ihn hinfahren und ihn dann morgen wieder abholen, so gegen Eilf. "OK, Männer! Aufsitzen, die Damen wollen gern ins Hotel gebracht werden..." Wir stiegen ein und fuhren los. Der durfte sich auf dem Weg was anhören:
"Du bist so eine Badenutte, hast auch alles dabei? Hast auch Deine Tampons nicht vergessen? Und die Feuchtigkeitscreme, alles da?"
"Halt endlich doch mal die Schnauze."
"Nichts da. Bis vor die Hoteltür hörst Du's Dir an. Ich hoffe, der harte Federkernsitz schadet Deinem Popo nicht. Ich weiß schon, warum ich immer mit Frauen reise, die benehmen sich nicht wie Waschlappen. 'Hilfe, Mamma, mir ist Kalt und der böse Wolf kommt und frißt mich', vielleicht solltest Du Dich mal irgendwo als Ballerina bewerben. Wie sollen wir denn mit solchen krummen Hunden wie Dir den Krieg gewinnen?"
Wir fanden dann in der Straße hinter dem Marktplatz ein Hotel, wo wir ihn dann rauswarfen. "Soll ich Dich noch reinbegleiten, nicht, daß Dich ein böser Peruaner vergewaltigt. Morgen um Elf!"

Also, sowas, nein. Kommt er an mit Hotel, nur weil er keinen Schlafsack benutzen kann. Wir ließen uns vom GPS wieder an Ort und Stelle zurückführen und schlugen unser Lager auf. Ich testete die Nachtaufnahmentauglichkeit der Olympus D-100. Das mit diesen Digitalkameras hätte man schon in Afrika anfangen sollen. Den Alten überreden, sich eine Neue zu kaufen und seine alte mitnehmen. Allerdings, ohne LapTop eher sinnlos. Und mit sinnloser Schwester keinen LapTop, das Problem hatte ich nun. "Wie sieht das denn nun aus mit dieser Tanja?", fragte ich Gabi. Genaueres konnte mir Gabi nicht sagen. Doch diesmal hätte Tanja gesagt, sie käme nach. Das soll sie mal machen. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, wie wir das anstellen könnten, daß das klappt.

23:45 Uhr Ankunft Saqsaywaman (745.230)

Auf der Wiese fanden wir wieder den guten Nachtplatz von vorhin. Da blieben wir. Ich legte mich auf die Bleche, Gabi auf die Rückbank. Zu gerne hätte ich den Motor über Nacht angelassen, allerdings hatte ich keine Lust auf dämliches Umweltschutzgeschwätz, das unweigerlich mit dem Hinweis enden mußte, daß sie schließlich das Diesel bezahlem müsse - die zwei Liter, die der Daimler über Nacht braucht. Ganz schlimm - alle sterben. Die paar Tropfen braucht er doppelt, um morgen wieder anzuspringen, wetten? Aber wie gesagt - keinen Bock auf Diskussionen...


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