Panamericana-Tour 2002
Mittwoch, 7. August

Als die Sonne begann, mir ins Gesicht zu scheinen, erwachte auch ich. Die anderen waren schon tätig. Offiziell war die Bordküche eigentlich am Bug, also auf der Motorhaube auf der Backbordseite. Gespült und gewaschen wurde auf der Steuerbordseite, denn dort befand sich normalerweise der lecke Brauchwasserkanister mit Hahn. Gespülte Tassen oder Gläser kann man dann auf den Rost legen, der eigenlich dem Auto als Luftzufuhr für die Lüftung dient und von denen sich jeweils einer unter jedem Wischerblatt befindet. Gabi machte aber heute hinter dem Auto im Schatten Frühstück und Catarina tat irgendwas Planloses in der Küche, sortierte Obst oder Gemüse.

Vorbei die Nacht, der Morgen graut, nun wollen wir Marschieren
Motor, spring an! Der laute Ruf des Diesels soll uns führen...

"Was machst Du da Mädchenhaftes?", fragte ich Catarina. Er hob die Augenbrauen, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen und ohne die Augen davon zu wenden, und sagte mit wichtiger Miene: "Das Gemüse sortieren. Schau Dir das an. Das Zeug ist zum Essen..."
"Natürlich ist es zum Essen, oder glaubst Du, damit wird der Gepäckträger getarnt oder was?", gab ich ihm zur Antwort, weil es ein Zitat ist und wiederum nur auf Deutsch Sinn ergibt. "Magst Du Zwiebel?", fragte er mich daraufhin. "Ich hasse Zwiebel." "Gut", sagt er, "red mich noch einmal auf Deutsch an und ich laß Dich alle Zwiebel am Stück und auf einmal fressen." Ich ging weiter. "Morgen Gabi."
"Servus. Geile Tankstelle, übrigens..."
"Wieso?"
"Weil sich die Tür zur einzigen Toilette nicht absperren läßt."
"Ja und? Achso..." Naja, mei, was soll ich dazu sagen..? Mich stört's recht wenig.
Es gab Sandwiches mit Schinken, Käse, Tomaten und sie waren beileibe nicht die Schlechtesten, die ich in meinem Leben gegessen hatte. Das ist ein Leben. Nach einer Stunde waren wir dann mit dem Frühstück durch, packten zusammen und um dreiviertel Zehn ging es weiter.

Wir fuhren zunächst weiter nach Süden, bodgen dann nach Osten ab und nach Nazca hinein, wo wir schon nach einer viertelstündigen Fahrt eingetroffen waren (744.540 km). Einmal, um uns das Ganze anzusehen und dann, um uns Erkundigungen über Machu-Pichu einzuziehen. Wir fuhren durch und suchten etwas wie ein Touristenbüro, eine Touristeninfo oder ein Tourismusamt, was auch immer mit 'Touris' anfing. "Da! Links!", schrie Gabi. Ich drehte um und da hier nicht so viele Touristen waren, kamen wir gleich dran. Wir mußten nicht einmal austeigen, denn das Fräulein kam zu uns.

Bei der Touri-Info.

"Nein! Du redest. Komm, wir üben das jetzt. Einfach so sprechen, wie man schreibt", sagte ich zu Cat. Er legte los und schlug sich sich eigentlich nicht schlecht. Sie verstanden einander - immerhin hatte sie mit Touris zu tun und war nicht unbegabt, was Sprachen anging. Zumindest, bis Cat sie mit todernster Miene nach irgedeinem "Musehl" fragte und ich in schallendem Gelächter ausbrechen mußte. "Was ist jetzt?" Natürlich bekam er keine Antwort, wie sollte ich denn, wenn ich gerade fast ersticke? "Was war jetzt?", hackte er nach. "Du blöde Drecksau, Du bist doch zu blöd, um geradeaus zu pissen...", versuchte ich, ihm zu erklären, was er falsch gemacht hatte, aber er verstand mich nicht. Nochmal, anders: "Du Vollidiot! Das U am Ende von Museu wird ein O oder bleibt schlimmstenfalls ein U, aber es wird kein L. Nicht alle U-s in L-s umwandeln, Du dämliche Schwuchtel... Nur L-s, die man als U ausspricht... Warum kapierst Du das nicht, Du Müll?", erklärte ich ihm geduldig, als ich wieder halbwegs normal reden konnte.

Zwischen den Ausläufern dieses Lachanfalls bekam ich mit, daß die Straße nach Machu-Pichu bis Albancay asphaltiert sei. Immerhin. Und angeblich sei die Piste von Arequipa nach Juliaca mittlerweile auch durchasphaltiert. Ich war jetzt froh, daß wir sie im Jahr zuvor noch im Rohzustand gefahren waren. Auch wenn es damals nervig war.
Wir fuhren noch weiter in die Stadt hinein. Catarina brauchte Filme für seine Kamera und wir besorgten noch frisches Brot. 'Wir' ist natürlich schon wieder Schmarrn, denn ich blieb natürlich am Auto, was sollte ich da auch mitlaufen? Ich bin sowieso zu blöd, um ein Kohlkopf von einem Laib Brot zu unterscheiden... Und um einzukaufen braucht man nicht wirklich einen Übersetzer. Aber ich weiß nun, wie sich Almut gefühlt haben muß, als wir in Afrika waren. Stattdessen schoß ich ein paar Bilder vom Dachgepäckträger aus. Man hat eine schöne Aussicht von dort oben. Auch, wenn es in der Stadt nicht viel zu sehen gab. Im Gegenteil, in diesem Falle ist es sogar besser, keine Übersicht über das Chaos zu haben: Halbverrottene LKW, Handkarren, Rikschas, Köter, Autos und Fußgänger, alles durcheinander und man selbst ist irgendwie mittendrin und bekommt es gar nicht so mit, wenn man es sich nicht bewußt reinzieht. Das macht man am besten, wenn man kurz wirklich versucht, sich in die Heimat zurückzuversetzen, wo das Chaos geordnet ist - was nicht heißen soll, daß es dort besser ist. Doch dann mußten wir langsam los. Kurz hinter der Ortschaft standen wir an einer Gabelung.

An besagter Kreuzung. Im Hintergrund erheben sich drohend die Anden. Doch ich hatte keine Bedenken, daß der Daimler auch dieses Hindernis schaffen würde.

Bis Cuzso waren es 780 km, wenn ich das Schild richtig deute. Tagestour eigentlich. Aber wer weiß, ob das stimmt mit der asphaltierten Straße bis Albancay. Ich war da eher Skeptisch, denn mittlerweile kennt man ja die unverbindlichen, ahnungslos-optimistischen Straßenzustandsangaben der Südamerikaner. Aber es war auch nicht wichtig. Der Garant dafür, daß wir ankommen würden war unser Daimler. Wann wir ankommen würden, das stand allerdings nicht in dem Stern auf der Haube. Alles nicht tragisch.

Kurz nach Nazca merkte man, daß es langsam bergauf ging. Ganz sachte. Erst daran, daß im dritten Gang kaum mehr Beschleunigung vorhanden war, dann daran, daß die Motortemperatur anstieg. Ein Blick auf das GPS zeigte, daß wir bereits auf über tausend Meter waren. "Das ging aber schnell..." Anscheinend ließen die Anden nicht lange auf sich warten. Wir würden auf über 4.000 m steigen, durfte man dem Reiseführer glauben. "Cat! Gabi! Tief durchatmen, solange Ihr noch könnt. Ziemlich dünne Luft da oben." Cat lehnte sich in den Sitz zurück und signalisierte Bereitschaft, den Kampf aufnehmen zu wollen. Vor uns zeichneten sich Sepentinen ab. "Jetzt geht's los..." Ich sah die Besatzung an. "Na, dann mal 'ran an die Bouletten..." Runterschalten, dritter Gang und ran an den Feind. Der Diesel heulte auf, wir kamen immer näher, immer steiler wurde der Pfad, immer kürzer das zu übersehende Stück Straße. Wir waren drin. Die Temperaturnadel stieg, der Daimler auch. Eh wir uns versahen waren wir schon über den Wolken, die allerdings an diesem Tag nicht vorhanden waren. Verkehr gab es kaum. Ich kann mich nur an einen LKW erinnern, dem ich ausweichen mußte, als er gerade eine Serpentine heruntergerast kam. Ich nahm die Kurven möglichst großzügig. Zum einen, weil ich möglichst den Fuß nicht vom Gas nehmen wollte, zum anderen weil Catarina noch aufgebackt hatte. Das heißt, er hatte seine Tasse noch auf dem Tisch stehen, zu welchem das Armaturenbrett auf der Beifahrerseite umfunktioniert war. Wir hielten einmal an einer schönen Stelle auf Geheiß Catarinas. "Hier laß mich raus und fahr wieder zurück. Ich will ein Bild vom Auto machen von hier oben." Das Bild wollte ich haben.

Die Serpentinen, auf denen wir gekommen waren.

Ich fuhr wieder hinunter. Tat auch dem Motor sicher nicht Schlecht, wenn er mal von seinen hundert Grad wieder auf Normaltemperatur kam. Ich ließ Catarina aussteigen. Außer dem Daimler spürte noch keiner was von der Höhe. Als wir Cat aus den Augen verloren, drehten wir wieder um und es ging wieder bergauf. "Wo ist er denn?" Ich hielt an. Zu schade, daß das Fernglas mittlerweile wieder in Deutschland war. "Da!" Irgendwo auf dem Hang sahen wir dann Catarina in seinem ehemals meinem braunen Hemd den Berg herunterspasten. Ich wollte ein Bild machen, doch die Kamera war weg. "Scheiße. Der hat meine Kamera mitgenommen. Was, wenn er jetzt abstürzt?" Bestenfalls mußte ich dann hochklettern und die Kamera holen, schlimmstenfalls war auch die kaputt und mich läßt es auch noch den Hang herunter. Das unterschätzt man leicht, denn so unsteil war der Hang nicht. Etwa in der Mitte sah man, daß er Schwierigkeiten hatte, weiterzukommen, denn er nahm die typische Haltung an, die man eben annimmt, wenn man den besten Weg nach unten auszumachen versucht. Den schnellsten konnte ich ihm sagen, aber den sollte er auf jeden Fall zu vermeiden suchen. Nach zehn Minuten war er dann unten angekommen. "Hast Du ein Bild gemacht?", fragte er. "Wie soll ich denn ein Bild machen, Du Trottel, wenn Du meine Kamera mitnimmst?" Er sah mich verstört an und meinte, daß er sie nicht hätte. Ich ging nochmal ins Auto und sah in der Mittelkonsole nach. Nichts. "Wo ist denn die verdammte Kamera, Zefix?" Aber geklaut kann sie niemand haben, denn ich hatte viele Bilder gemacht, seit wir den letzten Menschen sahen. "Ah, da ist sie ja." Beim Gaspedal lag sie. War wohl in einer Kurve heruntergesegelt.

Als alle wieder eingerichtet waren, fuhren wir weiter. Die Serpentinen schwächten ab, die Straße wurde dann wieder relativ gerade, bis sie endlich schnurgerade und eben wurde. Sogar Vegetation war wieder da. Das Braun wurde von einem schwächlichen Grün abgelöst. Sowas wie Gras oder Ähnliches. Ginster, hätte ich gesagt. Sah aus wie Libyen, in jenem Streifen zwischen Küste und Wüste, wenn man das Jabal Nafusah hinter sich läßt.

Auf! Hoch die Berge, hoch mit auf die Wiesen
Wir haben jedes Hindernis geschafft...

Wir waren wohl nun im Altiplano Peruano. Keine Berge mehr zu sehen, nur die einen oder anderen Kumulustürme am Horizont. Aus dem Kühler waren wohl einige Liter Wasser verdampft, es mußte Ersatz her. Doch hier war weit und breit nichts, es mußte wohl aus den Kanistern genommen werden, wenn alles schiefging. Die Motortemperatur blieb hoch. Irgendwann, nach längerer Fahrt auf fast gerader Strecke kamen wir um zwei Uhr Nachmittags in einem kleinen Dorf an. Es war winzig, aber ich hoffte, sie würden wenigstens Wasser haben. Strom gab es immerhin hier noch, wie man an den Masten erkennen konnte. Eine der Hütten war ein Café. Wir stoppten davor und ich stellte die Maschine ab.

Tür auf, hinter, Kofferraum aufmachen, Ratschenkasten ausgraben und damit vorlaufen. Ich wollte erst den Luftfilter prüfen. Das Wasser floß in Strömen aus dem Ratschenkasten heraus. "Verdammt!" Als ich den Kasten auf die Haube legte, merkte ich, daß ich am Pumpen war wie ein Stier. Komisch. "Was sagt denn das GPS?" 3.978 Meter über Normalnull. Nicht schlecht. Da hatten wir den Grund. Zeit für Coca-Mate!

Bei der Pause in Las Caleras (744.646 km). Cat prüft den Ölstand.

Ich ging in das Café und fragte danach. Hatten sie nicht. Keinen Coca-Mate - und das mitten im Altiplano... Unverschämtheit. Und Wasser? Aber die verschreckte und verschüchterte Besitzerin meinte, es gäbe kein Wasser. Ich ging wieder hinaus zu Cat. "Du, die Alte meint, es gibt kein Wasser. Ich glaub, die will mich verarschen, geh Du mal rein und mach Du das, Du kannst mit Weibern besser umgehen, mir schwillt schon wieder der Kamm." Er ging hinein. Ich erblickte einen Mann, der des Weges kam. Endlich mal ein vernünftiger Mensch in diesem gottverlassenen Dorf. Immerhin verhältnismäßig vernünftig, denn man kann es nicht als vernünftig bezeichnen, hier zu leben. Also streichen wir das Vernünftig, aber wenigstens war es ein Mensch. Ich ging zu ihm und erklärte ihm, daß ich Wasser für den Kühler bräuchte. Er meinte, mit Wasser sähe es schlecht aus. "Aber hier leben doch Menschen. Wo kein Wasser ist, können keine Menschen sein, also muß es hier Wasser geben. Mineralwasser hatten sie schon, aber keines aus der Leitung. In der Schule, ein paar Hundert Meter weiter gäbe es Wasser. OK. Das ist zwar keine richtige Erklärung, aber war in Ordnung. Ich kann nur mit diesem verschüchterten, fast schon ängstlichen "Kein Wasser", halb in den nicht vorhandenen Bart hineingenuschelt, nichts anfangen und neige dazu, solche Leute als Spastis oder Bekloppte abzustempeln und sie ebenso zu behandeln. Das kann man einem auch normal sagen. Catarina war auch schon wieder draußen. "Wasser?" "Nein..." Also gut, dann mußte der Kühler eben mit Bordmitteln versorgt werden. Ich nahm das Trinkwasser dazu her - natürlich wurde es vorher vom Rost befreit indem ich es durch den Filter jagte. Der Daimler soll ja nicht auch noch das, was ihn eines Tags umbringt in den Kühler gekippt bekommen. Aber wenn es sein muß, natürlich auch das Trinkwasser. Wir kommen ohne Wasser aus, der Diesel nicht und wir kommen nicht ohne den Diesel weiter. Ist eh eine Perversität, Wasser zu Trinken, nach 2.000 Jahren menschlicher Zivilisation. Wer Wasser trinkt, soll konsequenterweise auch Klopapier fressen. Zum Trinken gibt es Cola, Wein, Bier, viele andere Sachen. Wasser ist zum Waschen und für den Kühler.

Als das Auto versorgt war, genehmigte ich mir eine Pause. Es waren auch ein paar Kinder da, aber die waren wirklich lieb und nett und klein und nervten nicht. Überhaupt nervte hier rein gar nichts. Nichteinmal der Hund, der vorbeikam und am Auto schnupperte, ohne es anzupissen. Das lag wahrscheinlich daran, daß er nur ein halber Hund war. Die andere Hälfte entstammte wohl einem dieser seltsamen Schafe hier.

Wie der Schafshund und die beiden Mädchen hießen, das weiß ich natürlich nicht, haben wahrscheinlich keinen Namen. Aber der stramme Bursche im Bild oben hieß tatsächlich Klinsmann.

Die Besitzerin rief den kleinen ein paar Male. Es klang irgendwie komisch. "Wie nennst Du ihn?" "Klinsmann." "Klinsmann? Ist das nicht ein deutscher Fußballspieler?" Sie nickte bejahend. "Heißt der wirklich so, oder ist das ein Spitzname?" "Nein, der heißt wirklich so. Von Anfang an." "Cool." "Halt!", sagte ich zu Klinsmann, "Stehenbleiben! Nicht bewegen, tut auch nicht weh! Ich muß Dich jetzt ablichten." Er blieb stehen, sah etwas betreten in die Gegend und ließ sich geduldig photographieren. Das Bild mußte ich einfach haben. Wir machten uns noch Nudeln, weil es auch nicht zu Essen in dem Café gab. Gabi blieb im Auto und Cat und ich gingen hinein. Die Besitzerin hatte anscheinend gemerkt, daß wir nur häßlich waren, aber nicht vorhatten, ihr etwas zu tun. Vielleicht waren auch vor uns ein paar Verrückte hier gewesen, wer weiß das schon? Aber sie taute ein wenig auf. Sie fragte uns, was das sei, was wir da essen. "Das heißt Nudullen." Catarina ging zum Auto, holte ein paar frische Packungen und legte sie ihr auf den Tresen. "Einfach aufmachen, herausnehmen, in heißes Wasser tun, Soße drauf und essen." Sie freute sich darüber wie ein Pfannenkuchen. "Seid ihr sonst versorgt? Habt ihr zu Essen?", fragte ich sie. Ich war mir nicht sicher, ob ihre Muttersprache auch wirklich Spanisch war, es klang irgendwie abgehackt und sie ließ immer die Bindewörter und floskeln weg. "Ja, haben Essen." Irgendwie konnte sie mich nicht überzeugen. Aber gefüttert werden eben nur die Vögel, die den Schnabel auch aufreißen. "Wirklich?" Ich versuchte, ihr in die Augen zu schauen, aber sie wich meinen Blicken immer wieder aus. "Ach, Mann, jetzt ist die Alte wieder verstockt..." sagte zu Cat, und wies ihn an, er solle noch was aus dem Auto holen. Er brachte noch ein paar Fressalien. "Jetzt hauen wir ab, sonst wir die Straße traurig, weil sie uns vermißt." Als er wieder hinausging, legte ich ihr heimlich noch zwei oder drei Geldscheine auf den Tresen, grinste sie an und meinte, das sei für das Wasser. Dann hieß es wieder Aufsitzen, klarmachen zur Abfahrt.

Blick durch das Beifahrerfesnter auf die Serpentinen.

Ich weiß auch nicht recht, was ich von sowas halten soll. Man muß es ja nicht gleich so machen wie die Senegalesen und Touristen ständig bebrüllen, nur um zu dokumentieren, daß man existiert, aber das hier ist auch übertrieben. Andererseits weiß ich auch, daß sie nichts bekommen hätte, wenn sie uns angeschnorrt hätte. Was sie auch macht, es ist falsch. Das kann es wohl auch nicht sein. Doch es ist wirklich nicht leicht, in so einem Falle eine vernünftige Handlungsweise zu finden. Aber ist es überhaupt wichtig? Dabei geht es gar nicht so sehr um Gewissensberuhigung. In dieser Beziehung ist mein Gewissen noch nie besonders unruhig gewesen. Erstens ist man mit solchen Bildern mehr oder weniger aufgewachsen, zweitens treibt es Afrika einem gründlich aus, eine auf Gutmensch machen zu wollen. Gewissen ist Balast, hat mal jemand gesagt. Ob die Leute in der Dritten Welt verrecken, verhungern, das interessiert in den reichen Ländern die wenigsten, auch wenn gern so getan wird, und meint, indem man "Schwarzer" statt "Neger" sagt, sei alles in Ordnung zu bringen. Die Paar, die wirklich den Kampf gegen Windmühlen aufnehmen, fallen nicht ins Gewicht, dafür gibt es zuviel Elend auf der Welt. Und die paar Leute stellen ihr Leben in den Dienst dieser aussichtslosen Sache. Hut ab, ich könnte es nicht, und ich will es auch gar nicht. Es sit eben, wie es ist. Glück / Pech gehabt. Nicht meine Sache. Aber diese Paar wären schließlich keine Menschen von Größe, wenn das jeder Depp machen könnte. Die überwiegende Mehrheit weiß das zwar, daß der größte Teil der Menschheit in Armut lebt, aber es interessiert sie nicht.

Auch mich interessiert es nicht wirklich, es ist nun mal so und es wird auch so bleiben. Nur lege ich keinen großen Wert darauf, Krokodilstränen zu vergießen. Man sieht gerne weg bei solchen Sachen, aber davon wird es eben auch nicht besser. Überhaupt ist das kein Fall für das Gewissen, sondern schlichtes, unerbittliches Naturgesetz. Vogel, friß oder stirb. Wäre der Mensch auf den Bäumen geblieben, hätte er dieses Problem nicht, und die zivilistorische Evolution fordert nun mal ihre Opfer. Eine geistige Evolution hat wohl kaum stattgefunden. "Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom gleichen Schlag", schreibt Meister Goethe und so ist die Welt nun mal, wir haben sie und ihre Gesetzmäßigkeiten nicht geschaffen, und ich persönlich hatte nur das Glück in einer Industrienation geboren zu werden. So leid es mir tut, es ist unabänderlich. Zur richtigen Handlungsweise kann ich nichts sagen, am besten handelt man so, wie es eben von einem Menschen erwartet wird: Menschlich. Und daß heißt, trotz aller schönen Worte und trotz des vermeintlich gütigen Klanges dieses Wortes 'menschlich' nichts anderes als: Jeder ist sich selbst der Nächste. Das verstehe ich unter 'menschlich Handeln'. Und wenn man zusätzlich noch das Verhalten des Menschen sich betrachtet, dann klingt das alte Sprichwort 'Homo homini lupus' wie ein Hohn. Oder hat schon mal jemand gehört oder gesehen, daß ein Wolf den anderen Wolf gefoltert hätte, nur weil der andere Wolf eine Meinung hatte, die dem anderen nicht paßt? Wenn sich die Menschen wenigstens bemühen könnten, ihre sogenannte Vernunft abzulegen und dadurch ihr Verhalten dem von Wölfen angleichen würden, dann sähe es auf der Welt schon viel besser aus. Es gäbe weder Mord noch Krieg noch Hinterlist und Haß. Aber weit gefehlt. Noch ein Wort von Goethe zum Abschluß, der den Teufel zu Allah über den Menschen sagen läßt: "Ein bißchen besser würd er leben, hättst Du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben. Er nennt's Vernunft und braucht's allein, nur thierischer als jedes Thier zu sein."

Und mir persönlich sind diese langhaarigen "Alternativen", diese Möchtegern-Hippies verhaßt, die man allerorten in den Industrienationen an Bahnhöfen und Universitätswohnheimen vorfindet, die recht schlau daherreden von den armen Menschen in der Dritten Welt, aber den lieben langen Tag nichts anderes tun, als sich die hohle Birne zuzukiffen, und dadurch maßgeblich die Drogenkriege in den hiesigen Ländern mitzufinanzieren. Und immer kräftig auf den Konsum schimpfen. Die hat man schön dressiert. Besser, als man es mit einem Köter je könnte.

Wir fuhren um Drei weiter in Richtung Puquio, das wir eine Stunde und fünfzig Minuten später passierten (16:50h, 744.712 km). Es war auch klar, daß wir es heute nicht mehr bis nach Cuzco schaffen würden. Nach einer Weile in der Hochebene kamen wir dann wieder in Serpentinen. Es ging immer höher hinauf. Die Luft wurden nun meklich dünner. Der Motor war kaum noch zu hören, den Abzug hatten wir schon lang verloren, nur die Dieselwolke hinter uns wurde immer dichter, die Temperaturanzeige pendelte je nach Steigung zwischen 100 und 110 Grad. Die Heizung lief mit AK, was aber nicht störte, denn besonders warm war es wirklich nicht.

Catarina saß, nein hing im Sitz, und röchelte vor sich hin. "He!", stupfte ich ihn an, "geht's noch, oder bist Du grad am Krepieren? Wenn, dann sag's rechtzeitig. Ich bin froh um jedes Gramm, das ich loswerden kann..." Keine Reaktion, er starrte nur apathisch nach vorn. Wenn ihm die dummen Sprüche ausgehen, dann stimmt was nicht. "He, Du Drecksweib, stell Dich nicht so an. Das bisserl Höhe...", dann zu Gabi: "Paßt da hinten alles?" War wohl alles bestens. Nur bei Catarina hatte der Körper wohl damit begonnen den Sauerstoff zu rationieren. Alle unwichtigen Organe wurden abgestellt, deswegen sprach das Hirn nicht mehr an.

Sonnenuntergang auf über 5.000 m Höhe.

Gegen Sonnenuntergang befanden wir uns laut GPS auf über 5.000 Metern. Der Sonnenuntergang war ein fantastisches Schauspiel, ich hielt an und stieg aus, um ein paar Bilder zu machen. Es war empfindlich kalt. Im Westen ging die Sonne unter und im Osten ragten feuerrote Kumuli in den bereits nächtlichen Himmel. Wir waren trotz der Kälte schon nahe am Äquator. Nach wenigen Minuten war es Kuhnacht. Das ist diesen Breiten eigentümlich und wird wohl noch lange so bleiben. Keine langen Dämmerungen mehr.

Wir fuhren durch die Nacht auf weitgehend gut asphaltierter Straße weiter und liefen um Neun in Calhuanca ein (744.895 km). Cat war nicht gut beieinander, die Höhe machte ihm immer noch zu schaffen. Tea-Time war angesagt. Hier mußte es irgendwo einen Coca-Mate geben. Wir fuhren einige Seitenstraßen, bis wir einen Laden fanden, der Tee hatte. Im Auto hieß es dann "Hoch die Tassen". Wir schlürften unseren Coca-Tee gemütlich aus und fuhren weiter. Nach Calhuanca verwandelt sich die gute Straße in eine holperige Piste. Sie war nicht zu schlimm, denn sie war schon geplättet, um demnächst asphaltiert zu werden, sie war markiert und ab und zu waren auch Baustellenfahrzeuge zu sehen.

Es war kaum mehr jemand unterwegs. Wenn wir an Baustellenfahrzeugen vorbeikamen blitzte uns ab und zu eine Taschenlampe entgegen. Keine Chance, den Tank auf Staatskosten zu füllen. Das ist aber nur in Europa interessant und dient auch dort mehr der Wehrertüchtigung als dem Geldbeutel. Hier in Peru ist das Diesel billig und seltsamerweise mißt man hier in Gallonen. Alles andere ist normal. Immer wieder wurde die Piste durch jungfräuliche Asphaltstrecken abgelöst. Im Groben und Ganzen jedoch gerieten wir hier etwas ins Stocken. Es lief nicht mehr ganz so flüssig wie zuvor, denn ab und zu war die Straße durch einen Flußlauf gestört. Kurz davor wandelte sie sich in eine Baustelle, dann in einen Fluß, und weiter ging es.

Bei der Bachdurchquerung.

Mal waren es nur Wasserlöcher, die auf der Straße lagen, mal etwas breitere Bäche. Einige sahen tiefer aus, als sie waren, andere waren tiefer als sie aussahen. Und es lagen immer mehr Gesteinstrümmer im Weg. Wahrscheinlich Überreste von Sprengungen oder von Erdrutschen. Wir arbeiteten uns voran. Es wurde auch anstrengender als der Asphalt, man mußte immer den Lichtkegel abscannen, was die Geschwindigkeit weiter drosselte. Wenn da so ein Felsenhaufen plötzlich aus der Dunkelheit auftaucht, dann kommt man auf dem Kies nicht mehr rechtzeitig zum Stehen und rast hinein. Das bedeutet: Ende der Fahrt und das mitten in den Anden. Keinen Bock darauf. Dennoch versuchte ich, die Geschwindigkeit so hoch wie möglich zu halten. Sehen konnnte man sowieso nicht viel. Aber einen Platz, um die Piste zu verlassen und zu übernachten war schwer zu finden.


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© by Markus Besold