Südamerikatour 2001
Donnerstag, 26. Juli

Irgendwo dort in der Prärie haben wir dann um 2:30 Uhr, kurz hinter Maringá, nach 705 km, auch aufgegeben und uns erstmal pennen gelegt.

Gabi bestitzt ein recht praktisches Format, denn sie paßt genau auf die Rückbank eines W123, so, daß man nicht eigens ein Zelt bauen muß und für einen allein lohnt sich das ja nicht. Selbst nahm ich auf den sandblechen Platz. Es ist zwar Winter, aber hier merkt man noch nichts davon. In den Anden wird das bestimmt anders.

Am nächsten Morgen waren wir dann um 8:00 Uhr wach. Für uns als notorische Langschläfer eigentlich undenkbar, aber was will man machen, wenn sich die Sonne einbildet einem blöd ins Gesicht lachen zu müssen... Bei Tageslicht haben wir dann bemerkt, daß wir ganz in der Nähe einer Farm geschlafen hatten, deren Bewohner (bzw. Arbeitspersonal) uns nicht nur neugierig beäugten ("Gell, das Auto da, das ist ein LADA?"), sondern uns auch gleichmal frische Kuhmilch zum Frühstück anboten. Das ist eigentlich ja sehr nett, aber es gibt abgesehen von Hühnerfricasse nichts, auf das ich besser kotzen könnte - Supermarktgeneration... Auch Besold lehnte übrigens dankend ab und unterhielt sich noch eine Weile mit ihnen...
S 23°30,762' / W 52°02,011'
Vor dem Hauptgatter der Farm.

Wir erreichten Foz do Iguaçú am Spätnachmittag. Es regnete schon eine ganze Weile, als wir ankamen. Kurz vor der Stadt fanden wir ein Plakat, das ich für ablichtenswert hielt. Es sagt nämlich einiges aus über die Mentalität, die hier herrscht. Wie man es auch dermaßen überhaupt nicht checken kann?

"Du befindest Dich 20km entfernt

Besuchen Sie das größte Wasserkraftwerk der Welt

Weltweit führend in der Stromerzeugung."

Eigentlich ja nichts besonderes: Ein Drittweltstaat weist stolz auf eine besondere Leistung hin, um von der Misere, die allerorten sichtbar ist, abzulenken. Hatten wir schon in Yamousoukro. Die Basis ist zwar in einem unbeschreiblichen Zustand, aber man macht dicke Propaganda für ein Opernhaus, ein Monument oder, wie hier, für ein Kraftwerk, Sachen, die in Europa oder in den USA stehen sollten, weil man es sich dort nun mal eher leisten kann, Geld zum Fenster hinauszuwerfen, ohne dies jetzt gutheissen zu wollen. Sie kapieren es einfach in fünfhundert Jahren nicht, daß Entwicklung von unten anfängt und nicht von oben. Hier versucht man, die 10. Etage zu tapezieren, während das Parterre sich noch im Rohbau befindet und es klappt und klappt nicht. Erst muß eine Straße her, die diesen Namen verdient, und danach ein Opernhaus (das in São Paulo soll angeblich das "modernste der Welt" sein), denn das ist Luxus.

Der Witz bei der Sache mit diesem Kraftwerk ist der, daß das ganze Land seit Monaten in einer sauberen Energiekrise steckt. Der Strom ist rationiert, der Christus, das Wahrzeichen Rios, bleibt in der Nacht dunkel, jeder Einwohner, der am Stromnetz hängt muß mit dem "Apagão", dem großen Abschalten, rechnen, aberwitzige Strafen drohen jedem, der seinen Stromverbrauch auch nur um 20% überschreitet. Andererseits haben sie erst ein paar Wochen vorher so viel Wasser weggekippt, damit hätte man den gesamten amerikanischen Kontinent weiß nicht, wieviele Wochen versorgen können, es stand sogar ein Artikel im Spiegel mit der Überschrift: "Brasilien. Ein Land der Zukunft?" Da lachen ja die Hühner. Das Teil ist noch peinlicher als die Kathedrale von Yamousoukro, dort fehlte wenigstens die Begleitpropaganda. Die Funktion eines Doms besteht darin, einfach still und groß zu sein, insofern erfüllt er seinen Zweck, auch wenn man das Geld weiß Gott sinnvoller investieren hätte können. Aber ein Kraftwerk muß Strom erzeugen können, aber das hier tut nichts anderes als der Dom, nämlich still und groß sein. Und warum? Von den 10 oder 12 oder 14 Turbinen - ich weiß nicht mehr genau, wieviele es sind - funktionieren gerade mal zwei und die werden wahrscheinlich Paraguay versorgen, da das hier ein Gemeinschaftsprojekt ist. Die paar Mark für die Stromleitungen, die man braucht, um den Strom zu transportieren, die hat man natürlich nicht mehr aufbringen können. Anstatt mehrere kleine Kraftwerke zu bauen, die billiger sind und ihren Zweck erfüllen, setzte man eine Fläche, größer als die Schweiz, unter Wasser, damit man seine Drittweltlerrolle spielen und in die Welt hinausschreien kann: "Seht alle her, wir haben das größte Kraftwerk aller Zeiten erschaffen kein anderes Land hat so ein großes Kraftwerk wie wir." Nun, dafür haben alle anderen Länder Strom... Daß es nicht funktioniert, scheint unwichtig. Wichtig ist nur, daß es mit dem Prädikat "Der / die / das größte der Welt" versehen werden kann.

Und so ist es mit allem. Ob man hier erklärt bekommt, daß Brasilien die am besten funktionierende Post hätte, daß Brasilien die schnellste Internetverbindung hätte, daß Brasilien der größte Flugzeugexporteur sei. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die wenigsten Menschen hier, die dünne Mittel- und Oberschicht mal ausgeklammert, haben überhaupt eine Postadresse und von denen, die eine haben, bekommt kaum einer Post, weil viele gar nicht lesen, geschweige denn schreiben können. Die Internetverbindung ist zwar schön und gut, aber was hilft die, wenn sie nur geht, wenn sie Lust hat und wenn man den Computer ausschalten muß, wenn es regnet? Und zu den Flugzeugen sag ich gar nichts, denn das Gelächter der Kanadier ist weitaus aussagekräftiger.

Kurz vor der brasilianisch-argentinischen Grenze wurde dann noch eingekauft und die Dieselkanister auf dem Dach des Benz wurden betankt, da Diesel in Brasilien wesentlich billiger ist als in Argentinien. Die Art und Weise wie nun diese Tankaktion von statten ging erstaunte nun, den verwunderten Augen des Tankstellenpersonals und einiger Passanten zu folge, nicht nur mich. Besold betankte, auf seinem Kofferaum stehend, die auf dem Autodach befestigten Kanister - sicherlich sehr praktisch, da wir es uns dadurch ersparten die Kanister erst ab- und anschließend wieder aufzuschnallen, mal ganz abgesehen vom Gewicht der betankten Kanister, trotzdem ein sehr eigenwilliger Anblick.

Beim Dieselbunkern.

So denn, um ca. 17:30 Uhr erreichten wir dann die brasilianische Grenze bei Foz do Iguaçu. Nachdem sich hier nicht wirklich jemand für uns interessierte, passierten wir den Grenzübergang erst ohne die eigentlich notwendigen Ausreiseformalitäten und reisten am ca. 3 km entfernten argentinischen Grenzübergang gleich nach Argentinien ein. Zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns also offiziell sowohl in Brasilien als auch in Argentinien... hat irgendwie was Schizophrenes...
Da wir aber befürchten mußten, daß das spätestens bei der Wiedereinreise nach Brasilien auf dem Rückweg Stress geben würde, fuhren wir doch nochmal zum brasilianischen Grenzübergang zurück, an dem sich weit und breit kein Verantwortlicher blicken ließ, holten uns brav unser Stempelchen für den Paß ab, und waren dann um 18.44 Uhr endlich rechtmäßig aus Brasilien aus- und nach Argentinien eingereist.

Wir fuhren noch einige Kilometer ins Land und suchten einen geeigneten Nachtplatz. Der beste, den wir fanden, war direkt neben der Straße, aber diese war nicht sehr befahren und was blieb uns schon anderes übrig? Schließlich wollten wir uns die berühmten Wasserfälle von Iguazú am nächsten Tag anschauen. Daher beschlossen wir, den Tag hier mit einem feinen Essen zu beenden.
Hier zeigte Gabi erstmals, was sie auf kulinarischem Gebiet draufhatte. Wenn man weiß, wie es geht, dann läßt sich mit dem völlig unzureichenden Instrumentarium und dem Trockenfutter aus der Bordküche schon ein feines Menü hervorzaubern. Ich habe das Spaghettikochen im Internat gelernt, weil man das Essen in Ettal nur so nannte, wenn ein Präfekt in der Nähe war. Daher mußten wir uns damals mitten in der Nacht ab und zu in den Speicher oder sonswohin verziehen und Spaghetti kochen - bis sich mal ein gewisser von Frankenstein das kochende Wasser über das Bein kippte, unsinnigerweise über sein eigenes - danach wurde die Sache wegen zu strenger Überwachung zu abenteuerlich, so daß ich meine Kochkünste nie ausreifen konnte. Es macht satt, aber richtig schmecken tut es nur, wenn man den ganzen Tag nichts gegessen hat. "Der Hunger ist der beste Koch." Aber Gabi hatte das Kochen von ihrer Mutter abgeschaut und ich verstand nun, warum sie im Supermarkt so viele Gewürze gekauft hatte. Nicht schlecht, könnt ich mich direkt dran gewöhnen.


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