Argentinienfahrt 2001
Mittwoch, 21. Februar

Jetzt pennen! Wer weiß, wann man wieder dazukommt... Ich packte die Gammeldecken, legte sie neben das Auto, breitete den Schlafsack aus und setzte die Swissaisaugenklappe aus den 80ern auf, weil die grellen Neonröhren doch nicht so angenehm sind. Gerade als ich am einschlafen war weckt mich einer und meint, man dürfe nicht neben dem Auto schlafen. Was soll denn dieses Deppengeschwätz mitten in der Nacht? Schaut zu, wie ich eine halbe Stunde lang Anstalen mache, hier pennen zu wollen, sagt aber erst was als ich endlich gemütlich dranliege. Darf ich dann im Auto schlafen? Auch nicht, ich soll in den Passagierraum. Wäre verständlich, wenn ich der einzige hier unten gewesen wäre, aber ungefähr die Hälfte der Leute stand bei ihren Autos. Könnte glatt die Aktion eines augsburger Bullen sein. Ich also geflucht, das Zeug auf die Rückbank geworfen und an Autos mit schlafenden Leuten vorbei hoch in den Passagierraum, wo natürlich außer einer Drahtbank alles schon besetzt war. Das könnt ihr vergessen, bin kein Fakir! Ich ging sofort wieder hinunter, legte mich auf die Rückbank und lullte mich in den Schlafsack. Es dauerte nicht lange, da kam der Wicht erneut daher, klopfte ans Fenster und erzählte wieder etwas von wegen "Prohibido!" Das reichte nun. Ich hob die Stimme etwas an: "Jetzt hau endlich ab mit Dei'm Scheiß und laß mir mei Ruh, Du G'schmoiß!" Ging. Er meinte nichts weiter und schlich sich. Als das nächste mal einer gegen das Fenster klopfte und ich hinaussah waren nicht mehr viele Autos da. Es war kurz vor Vier Uhr früh.

Die Einreiseformalitäten in Uruguay waren sehr kurz, dauerten etwa 10 Minuten, das Auto hat 365 Tage bleiberecht. Scheinen ja ziemlich locker zu sein. Weiter ging es in Richtung Montevideo. Die ersten Kilometer nach Colonia waren etwas holperig, aber danach ging es bestens voran. Um Fünf Uhr suchte ich mir abseits der Straße einen Plaz, um meinen unterbrochenen Schlaf fortzusetzen. Ich fuhr einen Feldweg entlang und stellte mich in eine Nische. Wieder auf die Rückbank und weiterpennen.

Um Acht Uhr weckte mich ein Bauer, der nicht vorbeikam. Entschuldigte sich, meinte er hätte einen dringenden Termin, ansonsten hätte er mich gerne weiterschlafen lassen. "Kein Problem". Er fragte mich, ob ich denn vielleicht aus Deutschland wäre - "Si" - und erklärte mir, daß in der näheren Umgebung eine "Colonia Aleman" sei, falls ich Hilfe bräuchte oder einfach nur zu Besuch vorbeisehen wollte. "Diesmal leider nicht, bin sehr in Eile, aber vielen Dank." Ich fuhr zurück auf die Straße - auch hier in Uruguay verdient sie diesen Namen.

Auf einem Feldweg zwischen Colonia und Montevideo
Hier kam mir ein längst Museumsüberreifer Ford T entgegen. Der könnte die Graf Spee noch live gesehen haben...

Ein paar Feldwege weiter fuhr ich wieder hinaus und schlief weiter bis etwa 10:00 Uhr. Dann fühlte ich mich fit für die nächsten tausend Kilometer. Zirka 2000 dürften es noch bis Sau Paulo sein und ich hatte keine 48 Stunden mehr Zeit. Eine Stunde später war ich in Montevideo. Nettes Städtchen mit ausgedehnten Strandpromenaden, hat was spanisches. Doch die Freude, hielt nicht lange, denn was benötigt man als erstes, wenn man nach Montevideo hineinfährt? Richtig, die Hupe. Und die gab nicht einen Mucks von sich. "Da stimmt doch was nicht!?" Nochmal hupen, wieder keine Reaktion. Hm... Scheibenwischer. Der nahm seine Tätigkeit auf, allerdings im Zeitlupentempo. Batterie leer, sprich Lichmaschine endgültig hinüber. Und das ausgerechnet jetzt, wo noch über 2.000 km fehlen.

Montevideo
Die Himmelslinie von Montevideo.

Gleich mal zu Mercedes geeiert und nach dem Preis für einen Regler gefragt. 80 US$. Das ist indiskutabel. Da war ja Nouakchott mit 50 DM noch sehr billig. Das Teil kostet daheim 13 DM. Mir fiel ein, daß ich noch zwei Regler hatte. Den einen, der in Nouakchott ausgefallen war und den von der Lichtmaschine aus Bamako. Ich versuchte ihn auszuwechseln, scheiterte aber daran, daß ich die Schrauben nicht losbekam und die ganze Schoose auszubauen hatte ich weder Lust noch Zeit. Das Tageslicht und die Trockenheit auszunutzen schien mir vernünftiger. Schnell durch Montevideo und weiter Richtung Punta del Este, dann hoch in Richtung Chui zur brasilianischen Grenze. Bei einer Polizeikontrole kurz vor der grenze machte ich mich auf eine längere Diskussion gefaßt, denn in Uruguay ist Lichtpflicht auch Tagsüber. Aber er bedauerte nur, daß ich nicht länger in Uruguay zu bleiben vorhätte und ließ mich gleich weiter.

300D
Auch in Uruguay keine Seltenheit. Allerdings machen ihnen die Strichachter und die Hecklossen die Straße streitig.

Ich fuhr völlig gedankenlos vor mich hin und wunderte mich, warum die Straße denn auf einmal so brasilianisch wurde. Auch die Umgebung sah ziemlich verschuttelt aus, keine Markierungen mehr. Die Überreste eine Straßenschildes ließen auch nicht erkennen, ob ich die Grenze vielleicht schon passiert hätte. An einer Tankstelle fragte ich nach, wo ich denn sei, in Uruguay oder in Brasilien. "Brasil"... Wo denn die Grenze käme, der Zoll und die Polizei? "Die sind ungefähr 5 Kilometer in der Richtung da, könne man nicht verfehlen und zeigte da hin, wo ich gerade hergekommen war. Das war der Beweis dafür, daß ich wieder in Brasilien sein müßte. Kein anderes Land baut eine Grenzstation so bekloppt auf, daß man nicht mal merkt, wenn man daran vorbeifährt. Also zurück. Beim Hinausfahren kommt man automatisch durch, kann man gar nicht verfehlen. Sehr schlau gemacht. Rein darf jeder, aber bem Rausfahren gibt es Komplikationen... Ich fuhr zunächst auch einfach so hinaus und tat so, als wüßte ich von nichts. Ein paar Meter weiter stand ich wieder an der uruguayischen Gernzstation, allerdings auf der Einreise-Seite. Das störte die Uruguayaner aber nicht. Ich erklärte ihnen, daß ich gerade Ausreise und sie stempelten den Paß eben dementsprechend, wünschten mir eine gute Reise und ich durfte Umdrehen, wieder in Richtung Brasilien.
Dort angekommen (km 665367) stellte ich das Auto mit laufendem Motor ab, ging hinein und legte meinen Paß bei der Immigration vor. Der sah ihn sich genau an, stellte fest, daß ich erst vorgestern ausgereist wäre, nun schon wieder hineinwollte und fragte mich, ob ich denn in Brasilien arbeiten würde. Ich verstand natürlich nichts. Portugiesisch verlernt man am besten spätestens im Umgang mit Autoritäten. Nett lächeln, Englisch reden - können sie nämlich nicht, davon kann man ausgehen, aber man signalisiert damit, daß man sich ja gerne mit ihnen unterhalten möchte, dies aber an ihren Fremdsprachenunkenntnissen scheitert. Er stempelt nach diesem versuchten Dialog meinen Paß ab, 90 Tage Aufenthaltsdauer und fragt nach, ob ich genug "Mohnäi" (=Money) hätte. Schulterzucken, nix verstähn, nett "Good bye" und wieder ins Auto.
Bei der Tankstelle fällt mir auf, daß ich den Zoll völlig vergessen hatte. Autopapiere brauche ich ja auch noch. Also wieder zurück. Zur Aduana, gesagt, daß ich "with car" einreise, zeige auf das Auto, das draußen mit laufendem Motor steht. Er will die Dokumente, ich lege sie ihm alle hin: internationalen Führerschein, Fahrzeugschein, Paß und Impfpaß. Natürlich weiß er nicht, was was ist und fragt nach etwas, was ich tatsächlich nicht verstanden habe. "Sorry, I don't speak portuguese." Daraufhin rastet der Typ völlig aus "Scheiße! Ich hasse sowas! Wieso können die scheiß Gringos nicht portugiesisch lernen, bevor sie hierherkommen?" Das ist nicht die Frage. Die Frage ist, warum von diesen Halbaffen nicht ein einziger Englisch kann? Außerdem... wer will schon Portugiesisch lernen? Das machen nur Blöde, denn wenn, dann lernt man für Gewöhnlich spanisch, das das Portugiesisch praktisch mit beinhaltet, so wie keiner auf die Idee käme, statt Deutsch Holländisch zu lernen. Er nimmt meinen Paß und fragt: "Passaporte?" Ich nicke zustimmend und denke mir: "Wie ein Paß aussieht, haben sie Dir wohl auch nicht beigebracht? Zu blöd zum reden und zu blöd, einen Paß als solchen zu erkennen. Was kommt als nächstes?" Schaut meinen Paß an und meint zur Kollegin "Ohne Bart sah der sogar aus wie ein Mensch..." Das hätte mal ein deutscher Bulle sagen sollen... Er trägt die Daten vom Paß in das Formular für das Auto ein. Danach sucht er die Fahrzeugpapiere, findet sie auch nach einer Weile und trägt daraus die Daten in das Formular. Obwohl ich sie ihm extra so hinlege, daß er die spanische Erklärung vor sich liegen hat, versucht er doch jedesmal, mich zu fragen, was dies und was jenes sei. Labert nebenbei irgendwas davon, daß das mit den Analphabeten in Brasilien gar nicht so schlimm sein kann, sei in anderen Ländern sicher auch nicht besser, wenn er mich so ansieht. Hier hätte ich ihm eigentlich erklären können, daß man "Deutschland" auf Portugiesisch (=Alemanha) nicht mit Akzent und schon gar nicht auf dem letzten 'a' schreibt, so, daß dann "Alemanhã" dransteht, das hatte mich nämlich zuvor schon etwas irritiert. Nach einer Ewigkeit ist er endlich fertig und übergibt mir die Papiere mit den Worten: "Wenn Du nicht rechtzeitig wieder ausreist, dann holen sie Dich in Deutschland." Wahnsinn... Seit fast zwei Stunden stehe ich vor diesem Affen und er müßte inzwischen wissen, daß ich nichts verstehe. Normalerweise hilft es im Umgang mit Autoritäten gerade in solchen Ländern, wenn man sich so dumm wie möglich stellt, dann freut sich der Gegenüber, daß er endlich mal jemanden gefunden hat, der noch bescheuerter ist als er selbst und es läuft alles optimal (=so gut, wie möglich). Aber bei diesem Sonderfall hier hätte sich sogar eine Packung Semmelbrösel sehr anstrengen müssen, sich dümmer anzustellen als das da. Was erwartet er? Soll ich ihm jetzt sagen "OK, das stört mich dann, wenn ich wieder in Deutschland bin", oder "Sei froh, wenn hier überhaupt jemand noch Bock hat, einzureisen." Ich tat das beste, was man in so einem Fall machen kann, lächelte recht chinesisch, nahm die Papiere, sagte nur "Kratzias" und ging hinaus.
Hätte ich nicht einen Termin in São Paulo, wäre ich nach spätestens einer Stunde wieder nach Uruguay zurückgefahren. Zwei Zöllner kamen mir hinterher und durchsuchten das Auto. Allerdings auf eine so bescheuerte Art und Weise, daß jeder deutsche Zöllner blaß vor Neid geworden wäre. Dies angrabschen, jenes umschmeißen, alles durcheinanderbringen und dann auch noch: "Dieses Händy funktioniert hier in Brasilien nicht!" Verdammt, muß man sich hier zusammennehmen... Ach nee!? Das wäre wohl auch das einzige, was in Brasilien funktionieren würde, wenn es nicht auch noch ein GPS wäre...
Nach über zwei Stunden ließen sie mich endlich fahren. Affenstaat! Toll, jetzt war es inzwischen schon fast Dunkel geworden. In weniger als 36 Stunden mußte ich in São Paulo sein, denn es kommt Besuch und der gute Mann hat keine Adresse und sonst auch nichts. Das wird ein Spaß, so ohne Licht durch die Prärie zu brettern. Jetzt wurde es spannend für mich. Als erstes das Licht so spät wie möglich einschalten. Ich fuhr über den wie erwartet schlechten Asphalt in die Dämm'rung hinein, irgendwann war es dann dunkel, wer hätt's gedacht? Das Licht schaltete ich nur bei Gegenverkehr ein. Ich näherte mich einem LKW, Abstand etwa 200m. Auf der Gegenfahrbahn kam auch ein LKW, dahinter ein kleineres Fahrzeug. Der wird doch nicht... Unmittelbar nachdem der Gegenverkehr an dem LKW, der mir vorausfuhr vorbei war, leitete der Wagen hinter dem LKW auf der Gegenfahrbahn sein überholmanöver ein. Ich blendete kurz auf und er scherte wieder ein und hupte. Mist! Der muß wohl einen Adrenalinschub bekommen haben. Das stell ich mir nicht witzig vor, wenn in dem Moment, in dem ich ausschere, aus der Dunkelheit in ein paar Metern Entfernung ein Auto auf der Gegenfahrbahn auftaucht. Das klappt so nicht, "wir müssen das gescheiter machen, eh uns des Lebens Freude flieht, ich mußte näher ran an den LKW vor mir.

Auf Tuchfühlung
So nah ran, wie möglich.

So nah an LKW ranzufahren ist mir nicht ganz neu. Das spart Sprit, und zwar merklich und daher praktiziere ich das immer mal wieder. Neu waren nur die Bedingungen. Es war Nacht, ich hatte kein eigenes Licht und ich kannte die Strecke nicht. Das behagte mir gar nicht. Darüber, daß ich so keine Schilder lesen konnte, brauchte ich mich nicht aufzuregen, weil es bestimmt sowieso keine gibt. Der Belag war nicht besonders und die Schlaglöcher gehören fast überall in Brasilien zu den Straßen mit dazu, die werden wohl gleich miteingebaut, dafür wird der Standstreifen weggelassen. Die Schläge hörte ich bald schon nicht mehr, da ich mich ausschließlich auf den Abstand zum LKW konzentrierte. Der Puls beruhigte sich langsam wieder, kann ja auch nicht ewig in der Abregelfrequenz schlagen, kam aber gar nicht dazu, sich richtig zu beruhigen, denn es fing auch noch an zu regnen. Murpy's Law...
Beschissene Situation, einfach beschissen. Jetzt konnte man gar nichts mehr machen, außer hinter dem LKW bleiben, wo auch immer er hinfahren mochte. Stehenbleiben war nicht, denn der nächste LKW macht aus dem Daimler Altmetall, man konnte nur hoffen, daß vielleicht bald eine Ortschaft kommt, aber die Hoffnung ging nicht so bald in Erfüllung. Die Schlußlicher des LKW konnte man durch die vom dreckigen Spritzwasser völlig matte Scheibe nur mehr ahnen. Hier bekam ich plötzlich Angst. Richtige Angst. Jetzt durfte man keinen Fehler passieren lassen. Viel zu tun hat man wenigstens nicht. Abstand halten und - wenn man so veranlagt ist - beten, das ist alles. Unter den LKW verkriechen und warten, bis alles vorbei ist... Das wäre was. Geht nur nicht.
Cigarette! Gar nicht mehr so einfach in dieser Situation, sich eine Kippe anzustecken, aber irgendwann hatte ich es doch geschafft. Nach einer Zeitspanne, die mir endlos vorkam - inzwischen hatte sich eine tiefe Gleichgültigkeit meiner bemächtigt - wurde es draußen hell. Wir waren in einer Ortschaft. Ich kurbelte das Fenster hinunter und hielt nach einer Tankstelle Ausschau, es waren gleich zwei da. Licht an und hinein in die Tankstelle. Erstmal Pause machen. Ich fragte nach, wie es denn nach Pelotas ging. Zufällig mußte ich gleich nach der Tankstelle links ab. Ich machte die Frontscheibe wieder klar und fuhr langsam in Richtung Ortsausgang. Dort wartete ich auf einen LKW an den ich mich hinten dranhängen konnte und es kam auch bald einer. Weiter, also, die letzten paar Kilometer nach Pelotas. Es hatte aufgehört zu regnen, aber die Straße war noch naß, so, daß die Scheibe nach kürzester Zeit wieder zu war. Inzwischen hatte ich aber den Bogen raus und ich fuhr hinter dem Sattelschlepper her, bis ich feststellte, daß die Scheibe zwar immer noch nicht durchsichtig, aber ganz trocken war. An einer Tankstelle hielt ich wieder an, um sie sauberzumachen, dann begann das Spiel wieder von vorn. Auf einen LKW warten und hinten dranhängen. Auch diesmal klappte es wieder und ich sah wieder was. Das macht was aus! Wenn man wieder etwas sieht ist das direkt wie eine Erholung. Und so fuhr ich weiter und immer weiter, bis ich irgendwann in Pelotas angekommen war. 21:30 Uhr war es. Zweieinhalb Stunden, seit Einbruch der Dunkelheit, noch 33,5 Stunden bis der Flug ankommt. Das muß zu schaffen sein. Ich quartierte mich in einem Hotel ein und ging in ein Restaurant zum Pizzaessen. Ich schaffte gerade mal die Hälfte, was mir unerklärlich war. Ich lasse von Pizzas nie etwas übrig und diese war nicht besonders groß und sie schmeckte auch ganz ausgezeichnet. Muß die Aufregung sein, anders kann ich mir das nicht erklären. Ich ging zurück zum Hotel, zahlte die Rechnung, bat darum, mich um 5:30 Uhr zu wecken, ging hoch, fiel ins Bett und schlief sofort ein.


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