Fahrt nach Feuerland
Samstag, 22. Dezember 2001

Sonnenuntergang: 21:56 Uhr

Ines fragte mich am nächsten Morgen, wie es um meine Knie bestellt wäre. "Unverändert, wie ich grad feststell'". Sie hatte das wohl schon in der Nacht mitbekommen, ich hätte nachts geschrien, wie am Spieß, wie sie mir sagte. Ich selbst hab davon gar nichts mitbekommen. Zum Glück. Gegen Schlafstörungen reagiere ich algerisch.

S 41°19,722' / W 71°29,997' - km 712.531
Der Campingplatz am Lago Masquerati.

Heute dauerte alles ein wenig mehr, erst um 13:15 Uhr ging es weiter nach Süden. Wir entfernten uns wieder etwas von den Bergen und kamen langsam ins richtige Patagonien, der Wind, dem sich kein Hindernis in den Weg stellt, fegt gewaltig durch die Landschaft. Hier herrscht Dauersturm. Ab und zu war die flache Ebene von einigen Mulden durchzogen. Ich nannte sie "Laufgräben", obwohl sie dafür zu flach waren. Man konnte auch nicht überall eine Pinkelpause einlegen, denn es ist etwas unangenehm, wenn es das Zeug in alle Winde streut und man steht gezwungenermaßen daneben. Ab und zu waren unter der Straße Rohre verlegt. Da war man einigermaßen vor dem starken Wind geschützt. An einer solchen hielt ich an und stieg hinab, mehr auf den Händen als auf den Füßen, die Knie funktionierten immer noch nicht. Nachdem ich es geschafft hatte, hinunterzukommen stell ich mich ganz eng an die Wand und pisse gerade gemütlich an die Mauer, da hör ich vom Auto her einen gellenden Schrei, der aus der tiefsten untersten Bauchdecke zu kommen schien: "Scheiße!!!" Das hätte selbst ich nicht besser hingekriegt. Die Stimme war gar nicht mehr zu erkennen. Was war das denn? Weit und breit keine Sau und von meiner Besatzung sagt das außer mir niemand, unter keinen Umständen und erstrecht nicht in dieser Lautstärke, daß das Pfeifen des Windes übertönt wird. Ich machte, daß ich fertigwurde und sah mal nach, was da los war. Kein Mensch zu sehen, Ines und Almut saßen im Auto, die Fenster waren zu. Ich versuchte, mir die Hände zu waschen, aber das ist auch ein Kunststück, denn das Wasser, das aus dem kanister kommt fällt etwa fünf Meter weiter erst auf den Boden. Blöd, wenn man falsch steht, dann wäscht man sich nämlich irrtümlich das Gesicht. Ich machte den hahn also auf und bekam natürlich die volle Ladung eiskaltes Wasser mitten ins Gesicht. Hirn eingeschaltet, neuer Versuch, nun flog das Wasser in Augenhöhe vorbei und ich konnte mir neben dem Auto stehend bequem die Hände waschen. Was für ein Staatsakt... Ich stieg ein und fragte nach, wer diesen Urschrei losgelassen hatte. "Ich glaub, das war Almut..." Almut? "Du kannst doch überhaupt nicht schreien!". Sie erklärte mir, daß sie ausgestiegen sei und der Wind ihr die Tür zugedroschen hätte, während sie noch mit einem Bein drinstand. Das schmerzt, kann ich mir vorstellen. Aber daß ich mal sowas aus Almuts Munde hören würde. Der größte Grad des Mißfallens findet bei ihr durch ein halblautes, verschämtes "Mist" Ausdruck. "Scheiße", sowas sagt ein normaler Mensch, aber von Almut hatte ich das noch nie gehört. Aber dann gleich so. Das macht wohl Patagonien.

Teepause an einer Tankstelle.

Einmal tranken wir einen Tee an der Tankstelle. In dieser Gegend haben alle Tankstellen heißes Wasser für umsonst. die Argentinier füllen hier immer ihre Thermoskannen auf und schlürfen dann während der Fahrt ihren Mate. Wir machten uns mangels Mate einen Früchtetee im Windschatten des Tankstellengebäudes. Zweimal flogen während der Fahrt die Schüsseln von Brigitte vom Dach, zweimal habe ich es gemerkt und war hinterhergesprungen und hatte sie wieder festgemacht mittels Expander. Der Wind schien immer stärker zu werden, sowas hatte ich noch nie erlebt. Klar, einen Sturm hat jeder schon mal mitgemacht, aber dieses Ständige ausgleichen, dann eine Bö und man ist halb auf der Gegenfahrbahn. Ist nicht schlimm, es fährt hier außer uns keiner, aber ungewöhnlich ist es doch. Hart Mittellinie anliegend ging es dahin, das Lenkrad stets gegen den Wind gerichtet
Um Zehn fuhren wir bei Tacka auf den Nachtplatz, den wir da fanden. Die Sonne war vor einigen Minuten untergegangen. Wir waren nun, geschätzt, etwa auf der Höhe von Südtirol / Norditalien, nur eben auf der Südhalbkugel. Keiner von uns verstand, warum die Sonne hier so spät untergeht.

S 43°57,782' / W 70°53,240' - km 712.926
"Kein schöner Land in dieser Zeit..."

Wir hatten den ganzen restlichen Abend was zu tun, nämlich, uns zu überlegen, wie dieses Phänomen zustandekommt. Die Sonne hätte schon früher untergehen müssen, es war ziemlich genau zehn Uhr, Sonnenuntergang, laut Uhr und GPS war um 21:56 Uhr. Die Schräglage der Erde hat damit nichts zu tun, die ist auf beiden seiten des Äquators gleich schräg, auf 23,5 Nord und auf 23,5 Süd liegen die Wendekreise, was bedeutet, daß die Sonne sich stets gleichermaßen hin- und herbewegt. Die einzige logische Folgerung war, daß die Sommerzeit hier anders gestellt war, denn, daß die Sonne erst um Zehn untergeht, dafür muß man in Europa schon nach Finnland fahren und das liegt ewig weit vom 43. Breitengrad entfernt und in Norditalien müßte man die Uhr nicht um eine, sondern mindestens um drei Stunden umstellen, wenn man es so haben wollte, daher ist die Theorie mit der Zeitumstellung recht wackelig. Dazu kam vermutlich noch die Zeitzonenausdehnung. Doch "grau, mein Freund, ist alle Theorie..." Und blutigrot der Sonnenuntergang. Erklären konnte es jedenfalls niemand. Da fragt man sich, wieso die Leute alle studieren...


Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold