Afrika 2000
Zweite Etappe
Dienstag, 12. September

Am Morgen wurden wir vom allgemeinen Gebrüll geweckt. Die Leute hier unterhalten sich nicht wie zivilisierte Menschen, sondern brüllen sich an, wie Affen. Almut hatte nicht besonders gut geschlafen auf dem Beifahrersitz und war völlig von Mücken zerstochen. Bedenklich war dabei weniger die Malariagefahr, denn Almut bekommt sowas nicht, und wenn, dann merkt sie es nicht. Die besteht aus einem Stahlskelett, von menschlichem Gewebe umsponnen, Rechnergesteuert. Das erklärt auch, warum sie mit mathematischer Präzision an alle Aufgaben herangeht. Ihr Chip stellt sich dann auch eine orientalisch verzierte Kaffeekasse vor, mit einem Münzschlitz und einer Geldscheinbohrung, wenn ein Polizist ihr gegenüber einen solchen Gegenstand erwähnt, wie kürzlich in Marokko. Den Zusammenhang Kaffeekasse - Bestechungsgeld kann dieses Modell noch nicht herstellen. Für die Updates bin dann ich zuständig. Wie dem auch sei... Bedenklich war also nicht die Malariagefahr, die von den Mücken ausgeht, sondern vielmehr die Tatsache, daß es hier bereits anfing mit dem Dilemma: Deckt man sich zu, macht man die Fenster zu, schmilzt man, deckt man sich nicht oder nur dünn zu, oder läßt die Fenster offen, dann wird man von den Mücken angefallen. Jetzt schon. Wie soll es weiter unten aussehen?

Wir machten uns Einsatzklar. Eine versicherung mußte her, der 207er mußte gerichtet werden, es stand uns einiges bevor. Man konnte sich hier aber auch nicht normal von A nach B bewegen, ohne, daß auf Schritt und Tritt mindestens fünf Neger mitgingen und einen vollkrakeelten. Das nervt. Der einzige, den das nicht störte war Joe. Aber nicht im geringsten. Der tat so, als wären wir allein auf der Welt und wenn ich ihn mit einem Ausdruck des völligen Unverständnisses ansah, wie er da umringt von fünf Negern, die gleichzeitig auf ihn einbrüllten wie die Bekloppten und an seinen Klamotten zupften, schaute er mich an, als würde er sagen "Was schaust mich so an? Ist was an mir komisch?" Allerdings war etwas an ihm komisch: Er nahm die Einheimischen gar nicht wahr und ich versuchte es ihm nachzumachen, ich schaffte es aber nicht "Wie machst Du das?", wollte ich wissen. "Wie mache ich was?", war die Antwort.

Während die anderen Frühstückten, versuchte ich meine Lüftung zu reparieren, die mich - und NUR mich - mit ihrem permanenten Geratter zur Weißglut brachte. Ich konnte ihr nicht beikommen, also blieb sie aus. Lieber offene Fenster und Musik als einen kühlen Innenraum voller Lärm.

Allerdings wäre das ein gutes Training gewesen, denn der Lärm wurde bestimmt hier im Senegal geboren. Ich meine jetzt nicht den Lärm, den ein alter Vorkammerdiesel produziert und auch nicht den, der entsteht, wenn gearbeitet wird, - das wäre das letzte, was hier getan würde - sondern ich meine hier dummen, nervigen, sinnlosen Lärm, der um seiner Selbst Willen ent- und besteht. Jeder brüllt, drischt, haut, scheppert, damit gebrüllt, gedroschen, gehauen und gescheppert ist und redet was ohne aber dabei etwas zu sagen. Es dürfte auch im weiteren Verlauf kaum besser werden. Nun waren wir definitiv in Afrika.

Nach dem Frühstück fuhren wir in die Stadt um Geld zu wechseln und um eine Versicherung abzuschließen. Wir parkten alle drei Autos vor einem Hotel und bevor wir ausstiegen waren ungelogen zehn Leute da und jeder wollte irgendwas. Uns irgend einen Müll andrehen, den Weg zeigen, einen in seinen Laden schleifen, einen 10 Mark Schein in CFA gewechselt haben oder einfach Geld - darauf läuft es immer hinaus, egal, in welche Gefilde die Umwege führen. Und sie wurden nicht weniger. Jeder, der einen Pulk Leute die Straße entlang rennen sieht, schließt sich dem an.

Ich ging mit Dirk zur Bank um Geld zu wechseln. Mit uns die ständig wachsende Anzahl von Einheimischen. Einer wollte Hosen verkaufen, Dirk mußte ihm beinahe eine betonieren, ein anderer wollte mir Masken andrehen, weil er pleite war - was gehts mich an? Bin selber pleite. Der nächste schrie dauernd und fragte, wohin wir wollten, und daß er den Weg wußte. Einer wollte betteln, ein anderer eine Cigarette, einer wollte wissen, wie ich heiße, viele andere wollten nur dumm rumsabbeln, uns ihre Läden zeigen...

Und man wurde sie nicht los, einige gingen, dafür kamen andere und so ging es zur Bank. Penetrant, einfach. In die Bank durften sie allerdings nicht hinein. Dort hatten wir halbwegs Ruhe. Als das Geld gewechselt war, schnaufte ich noch einmal kurz durch, dann stürte ich mich mi Dirk wieder ins Gewimmel. Wir gingen nicht zurück zum Auto, wir arbeiteten und zum Auto zurch, wobei wir den ganzen Weg nichts anderes sagten als "Ich habe kein Geld", "Ich will den Käs' nicht", "Laß mich in Ruhe", "Ich will Deinen Laden nicht sehen", "Ich kaufe nichts", "Ich tausche auch nichts", "Fuck off!", "Leave me alone"...

Das Geld gab ich Almut, weil ich damit nichts zu tun haben will, und ging dann mit ihr los, um eine Versicherung abzuschließen, natürlich wieder eskortiert von einem Haufen ungebetener Schreihälse. Dort angekommen stellte ich fest, daß ich in dem Rummel die Kfz-Papiere im Auto vergessen hatte. Also noch mal zurück, sich wieder durch diese klebrige, schwarze Masse kämpfen, die Papiere holen, dabei aufpassen, daß keiner ins Auto langt, gleichzeitig irgendeinem Idioten klarzumachen versuchen, daß ich nichts zu tauschen hätte und keinen Grund sah, ihn in meinem Auto alles durchwühlen zu lassen.

Joe bewachte das Auto und ich schickte sie alle zu ihm "Er ist Chef, je süi lö Schofför, geh zu ihm", da sie sich an ihm die Zähne ausbissen. Nach zehn Minuten war ich wieder bei der Versicherung, ein Weg, der in einem zivilisierten Land etwa anderthalb Minuten gadauert hätte. Nichtbeachten bringt auch nicht viel, weil ständig einer an einem rumzupft, vor den Füßen herspringt, einen abdrängt. Es ist eine Pest!

Die Versicherung bekamen wir. Zwei Monate für ganz Westafrika für 48.000 CFA, etwa 150 DM, die Hälfte mehr als für 10 Tage Marokko. Das war das einzig Positive, was wir bis dahin im Senegal erlebt hatten. Mit einem Mal hatten wir überhaut nicht mehr das geringste Verständnis für die negativen Schilderungen in Bezug auf Mauretanien, die von Reisenden stammten, die anschließend in den Senegal fuhren. "Müssen wohl Perverse gewesen sein", mehr fiel mir dazu nicht ein.

Zum Auto zurückgekommen stellten wir fest, daß die Schweizer den Verband bereits verlassen hatten und den Weg nach Dakar angetreten hatten. Jetzt waren wir wieder zu zweit, wie in Dakhla. Der 207er mußte in die Werkstatt und wir wollten zwar eigentlich nach Dakar weiter, da die Durchfuhrerlaubnis nur vier Tage gültig war und wir nicht daran dachten, sie zu verlängern, aber wir zogen es dann vor, bei Daniel und Marion zu bleiben, solange der 207er nicht läuft, denn wir würden uns sehr im Stich gelassen fühlen, wenn ich Mitten in diesem Dreckhaufen mit dem Auto in der Wekstatt wäre und alle anderen den Weg fortsetzen würden. Die Reparatur dauerte den ganzen Nachmittag. Zwei nette Erscheinungen trafen wir hier. Einmal einen Algerier, der sehr gut Deutsch sprach, mit dem ich mich etwas länger unterhielt. Er wollte nur drei Tage hier bleiben, war aber schon seit vier Monaten da und hing fest, aus Gründen, die er nicht näher erläutren zu wollen schien. Wir redeten über die Leute im Senegal, in Westafrika, über unsere weitere Reiseroute. Es verabschiedete sich dann mit den Worten "Wenn ihr nicht hier sein müßt, dann fahrt weiter, ein schlechteres Land werdet ihr auf Eurem Weg nicht finden." Wir wußten zu diesem Zeitpunkt nicht, wie Recht er hatte.
Zum anderen sahen wir die Spanier wieder mit dem grünen Ländy. Auch sie waren ständig belagert. Und diese dumme Art, wie sie einem unter Angabe idiotischster Gründe das Geld entlocken wollen, erzeugt eine gewisse Abscheu - bei allen. Nur zwei Beispiele:

"Mein Kind hat morgen Geburtstag."
Bist heute schon der zehnte, dessen Kind morgen Geburtstag hat. Außerdem mag ich Kinder nicht.
"Ich mache morgen ein Feier und ich lade Dich ein, weil Du mein Freund bist."
It takes a long time to grow old friends....
"Ich gehe jetzt zum Einkaufen, wenn Du willst, kannst Du was beisteuern."
Schon recht. Morgen, dann...
"Ich muß aber jetzt einkaufen"
Dann beeil Dich, bevor die Geschäfte zumachen...

"Morgen ist ein großes Malariafest hier im Dorf, mit Trommeln und Musik und Essen."
Schön für Euch. Die Malaria kommt hier anscheinend zu kurz...
"Unser Marabou wird auch da sein. Da, das schenke ich Dir", und drückt einem dabei irgend ein Zeug in die Hand oder hängt es einem um den Hals. Wenn man es zurückgeben will, dann beteuert er, es sei ein Geschenk und er wolle kein Geld. "Das ist ein Geschenk von unserem Marabou für die Touristen. Kommst Du auch auf das Fest?"
Mal schauen...
"Gut, egal, ob Du kommst oder nicht, wenn Du willst, daß der Marabou für Dich betet, dann schreib ich Deinen Namen auf. Wie heißt Du?"
Hans.
"Anns. Und wie noch?"
Wurst. Hans Wurst.
"OK, und, wenn Du willst, daß der Marabou ganz besonders für Dich betet, dann brauche ich einen Geldschein, irgendeinen, nur symbolisch, muß nicht viel Wert sein, egal welche Währung" Ich drücke ihm ein 1000 Lireschein in die Hand - nicht, daß ich solche Experimente immer machen würde, aber wir saßen sowieso nur rum und warteten darauf, daß der 207er fertig wurde.
"Das geht nicht. Du bist aus Deutschland und der Schein aus Italien, das sieht der Marabou und das paßt nicht zusammen."
So? Ich dachte, die Währung wäre egal.
"Ja, aber verstehst Du? Du bist aus Deutschland, das Geld aus Italien, das kann man hier nicht wechseln."
Sieht die Bank, ob das Geld von einem Deutschen oder von einem Italiener war?
"Nein, aber der Marabou sieht es, der kann dann nicht für Dich beten. And believe me, if our Marabou prays for you, you will be happy."
...und so weiter. Es ist immer das gleiche. Alle Gespräche, die man mit diesen Leuten anfängt sind nur dumm und sie selbst sind auf eine penetrante und gleichzeitig ungeschickte Art so falsch und plump-hinterlistig, daß einem schlecht werden möchte.

Daniel hatte es zwar geschafft, am Vormittag die Reifen des 190D aus Mauretanien für 600 FF zu verkaufen, doch irgendwie hatten sie der Marion das Geld wieder abgelinkt. Der 207er lief wieder, und am späten Nachmittag fuhren wir wieder auf den Camping zurück, an dem wir übernachtet hatten. Diesmal kam ein anderer daher und behauptete, das Grundstück würde zu seinem Campingplatz gehören. "Uns egal. Macht das untereinander aus. Wir kochen jetzt." Die anderen waren auch schon stocksauer, weil man hier nie Ruhe hat. Sie hatten jemanden mitgebracht, der sich durch sein Verhalten positiv von den anderen abhob und auch nie nach Geld gefragt hatte. Wir aßen auf dem Camping gegenüber das, was wir selbst gekocht hatten und versicherten uns vorher, daß es nichts kostet. Mit dem Besitzer machten Daniel und Marion für den nächsten Tag aus, daß sie zum Essen kämen. Nach dem Essen zogen wir auf den "Camping de Lille" um. Nicht gerade umwerfend, aber was Besseres bekommt man eh nicht. Nicht hier.


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© by Markus Besold