Afrika 2000
Zweite Etappe
Mittwoch, 6. September

Zu einer sehr unchristlichen Zeit - es muß so gegen Sieben Uhr früh gewesen sein - sammelten sich die Fahrzeuge wieder auf der Straße. "Die Deppen! Die sollen sich 'ne Wurstsemmel kaufen! Als hätte das nicht Zeit bis später." Peter meinte zwar, daß es bis Nouadhibou ein gutes Stück wäre, wofür man locker den ganzen Tag rechnen kann, aber ich war der Auffassung, daß es auch nicht weiter stört, wenn es dunkel würde, bis wir ankämen. Wozu hat der Mensch denn Scheinwerfer? Es waren viel weniger Fahrzeuge da, als am Tag zuvor eingtroffen waren. Die meisten Araber hatten sich schon vom Acker gemacht. Ich hatte nichts davon bemerkt. Die, die noch hier standen waren in der Mehrheit Europäer, die marokkanischen und mauretanischen Kennzeichen waren nun in der Unterzahl, die französischen dominierten - Mauren oder Marokkaner, die in Frankreich leben.

Bei Licht sieht man erst richtig, daß der Name "La Poubelle", was soviel heißt wie Müllhalde, weiß Gott nicht an den Haaren herbeigezogen ist. Soweit man schauen kann, nur Müll, in dem ein dreibeiniger Köter nach Eßbarem sucht. Nicht sehr einladend, wir hatten aber auch nicht vor, hier länger zu verweilen, so daß das auch nicht weiter störte.

Camping 'La Poubelle'
Unser letzter Nachtplatz in Marokko.

Man mußte schon ein wenig latschen, um den Müll aus dem Bild "verschwinden" zu lassen. Schlecht zu erkennen, v.l.n.r.: Peters VW-Bus, unser Bolide, Daniels 207er, der Ländy der Spanier, der Patrol der französischen Familie. Rechts vom Gebäude die Araber. Wir wechselten Dirham gegen Oguya und reihten uns gegen 9 Uhr in die Kolonne der Wartenden auf der Straße ein. Die Straße bis hier her war wider Erwarten in sehr gutem Zustand, streckenweise etwas schmal, aber insgesamt überraschend gut. Wir hatten eine Schlaglochpiste par Excellance erwartet, wie man den Reiseberichten entnehmen konnte. Hier muß sich zumindest Straßenbaumäßig etwas getan haben in den letzten paar Monaten.

Es ging noch immer nichts vorwärts und wir beschäftigten uns mit irgendwas, die einen unterhielten sich, andere spielten auf der Straße Backgammon, wieder ein anderer nähte seine Kraftfahrermütze wieder zusammen, die schon am Auseinanderfallen war, was eigentlich eine gewisse Nora G. aus A. am L. machen hätte sollen. Wenn man nicht alles selber macht...
Und doch hatte ich recht: Sie hätten uns ruhig noch ausschlafen lassen können. Nun saßen wir bereits seit über zwei Stunden recht blöd rum und nichts tat sich.

Einer kam und fragte mich auf spanisch, ob er im Zweifelsfall meinen Spaten haben kann, denn er hätte das gleiche Auto, nur keine Ausrüstung. Klar, kann er ihn haben, wenn es unbedingt der Spaten eines 123ers sein soll. Warum nicht?

N 21°25.408' / W 16°57.408'
Auf dem Campingplatz 'La Poubelle'.

Marokko kam in unserer Wertung wesentlich besser weg, als wir angenommen hatten. Wir glaubten nämlich, daß wir hier, wie es in Ländern, die vom Massentourismus leben, so üblich ist, nicht sehr viel Freude haben würden, daß wir es hier mit einem Land wie Tunesien zu tun hätten (siehe Libyen 98 und Libyen 99). Vielleicht wäre uns Tunesien auch gar nicht so schlimm vorgekommen, wenn wir nicht den Vergleich zu Libyen gehabt hätten und auch Marokko wäre uns vielleicht wie die reinste Reisehölle vorkekommen, wenn wir direkt aus Libyen hier eingereist wären. Ist wohl alles eine Sache des Standpunktes des Reisenden. Aber eines weiß ich jetzt schon: An Libyen wird kein Land auf dieser Reise rankommen. Libyen ist und bleibt "number one", allein schon wegen der Dieselpreise, da braucht man die restlichen Vorteile gar nicht im Einzelnen aufzuzählen!

"Ich kann mir nie merken, wie das beschissene Kaff nach der Grenze heißt", sagte Dirk zu Peter. "Heißt es nun Nouadhobou oder Nouakchott?" "Nouadhibou!", erwiderte Peter, ohne eine Sekunde zu überlegen, "Das kann sich jeder ganz einfach merken: Du kommst an in Mauretanien, alles ist scheiße und Du sagst zu allem nur Buuuuh! Leute: Buuuh! Straße: Buuh! Kaff: Buuh! Noua-di-Buuuh!" Taugt auf jeden fall als Eselsbrücke. Seitdem kann ich mir zumindest einen Ortsnamen merken.

Plötzlich und unerwartet, gute drei Stunden nachdem man mich weckte, nach über zwei Stunden Warterei, bekamen wir unsere Pässe zurück und man wünschte uns eine "gute Strecke" ("bonne Route") - wollten uns wohl auf den Arm nehmen - und entließ uns nach Mauretanien.
Dieser Rummel mit dem Konvoi ist eigentlich großer Unsinn, weil man nämlich genau dort alleine weitergeschickt wird, wo die Straße aufhört und die Minen gefährlich werden könnten, denn auf marokkanischer Seite wird schon keiner eine Mine im Asphalt verbuddelt haben.

Doch ein Zurück gab's nun nicht mehr, wie schon erwähnt. Also denn: Los geht's! Die Straße hört wirklich wie abgesägt auf und geht in eine schlechte Piste über. Man ist in Mauretanien. Asphaltreste wechseln sich mit einer nicht mehr vorhandenen, zur Piste gewordenen Straße ab. Übles Geschaukel setzt ein und wird auch so bald nicht mehr aufhören. Es sind etwa 10 km bis zum ersten mauretanischen Posten. Man fährt an Minenwarnschildern und an Autowracks vorbei, an denen klar zu erkennen ist, daß sie aufgelaufen sind.

Minenopfer I
Rechts neben dem weißen 123er ein ausgebrannter VW-Bus, der auch nicht so aussah, als wäre er eines natürlichen Todes gestorben. Er ist im Reiseführer mit N 21°21.042' / W 16°57.360' angegeben.

Trotz einiger warnender Wracks und Schilder und trotz allem, was so geschrieben wird, ist diese Strecke in Wirklichkeit weit weniger dramatisch als man zunächst annehmen mag, denn solange man da fährt, wo Spuren sind kann eigentlich nichts passieren, denn wo Spuren sind, ist bereits einer vorbeigefahren. Wäre da eine Mine gewesen, dann läge er noch da. Die Wracks haben allesamt eines gemeinsam: Sie liegen abseits der Piste. Kritisch wird es erst, wenn man nicht mehr auf den Spuren fährt. Man konnte sie aber gut erkennen, ich kann mich an keinen Abschnitt ohne Spuren erinnern, obwohl es, nach Auskunft der Schweizer in den letzten Wochen hier ziemlich gestürmt hatte.

Auf den Asphaltresten kommt man zwar nur langsam voran, aber es geht immerhin vorwärts. Ich behaupte, die Strecke von Marada nach al-Beyda in Libyen sei besser, Almut war der Ansicht, daß sie schlimmer war. Schlimmer sind hier auf jeden Fall die sandigen Passagen, die es in Libyen nicht gab. Sie sind nicht lang, aber dafür weich. Einige Male mußte geschoben werden, Bleche kamen jedoch vorerst nicht zum Einsatz.

Minenopfer II
Das völlig verbogene Chassis dieses Geländefahrzeugs und die abgerissenen Blechteile, die in der Umgebung verstreut liegen, deuten darauf hin, daß auch dieser KatKat der Minen Raub ward.

Anderthalb Stunden nach dem Passieren der Grenze standen wir am ersten mauretanischen Grenzposten. Die Soldaten waren schwarz. Komisch. Ich dachte immer, Mauren sind eine Art Araber... Wir beschlossen, den versuch zu unternehmen, ohne gültiges Visum nach Mauretanien hineinzukommen. Auch hatten wir kein Carnet de Passages, aber das hatte sonst auch keiner, daher beunruhigte uns das nicht weiter. Während wir warteten, überlegte ich noch laut, ob wir am Visum etwas ändern sollten. Wir ließen es bleiben. So war das Visum 100% echt. Vielleicht konnten wir die Posten bestechen, aber selbst wenn nicht, mußten wir schlimmstenfalls hier im Niemandsland bis zum 10. Warten, aber wir waren ja gerüstet. Ein Soldat wies uns einen Platz zu, wir folgten seiner Anweisung, stellten den Motor ab und wunderten uns, wo der 207 blieb, der immer hinter uns fuhr.

Etwa 150 m weiter hinten stand er, hinter ihm eine Schlange. Ich wunderte mich, wie man es schaffen kann, sich an dieser Stelle festzufahren, da war es zwar ein wenig sandig, aber nicht so, daß man sich festfuhr, wenn man nicht gerade frisch von der Fahrschule kam und weiblich war. Ich eilte mit dem Spaten los. Die Bleche ließ ich vorerst da. Leider hatte er sich nicht festgefahren, sondern die Kardanwelle war abgerissen. "Verdammt! Verdammt, verdammt!" Ausgerechnet hier. Ein spanischer LKW-Fahrer machte Streß, weil er mit seinem Straßen-LKW nun nicht mehr vorbeikam. "Was sollen wir machen, Du Idiot? Kardan im Arsch!" Der grüne Ländy rückte an und zog den 207 bis an die Grenzstation.

Die mauretanische Grenzstation.

"Grenzstation" ist gut. Ein Verhau, bestehend aus aufeinandergelegten, flachen Steinen, einer Plane darüber, viel Müll drumherum und zwei Grenzpolizeibeamten darin. Machte nicht gerade den seriösesten Eindruck. Keine Halle, kein Hangar, keine Straße. Einziger Vorteil: Die lästigen Gauner, die einem bei den Einreiseformalitäten "helfen", wie in Marokko oder Tunesien, gibt es hier nicht. Zu weit ab vom Schuß...

Es war das schäbigste, was uns jemals als Grenzstation angeboten wurde, aber wir wollten hier nur durchfahren. Mit allem Anderen laß uns in Ruhe, wollen nichts damit zu tun haben und haben auch nichts gesehen. Augen zu und durch. Das hieß es auch, als wir an der Reihe waren, die Pässe in das Kabäusle zu reichen. Von allen noch den Beruf erfragen, Stempelchen hier, Stempelchen da, "Welcome". Das hat ja verdächtig gut geklappt.

Der zweite Posten (Polizei) war etwa 100 m weiter, nur lag dazwischen ein Sandhügel von gut zwei Metern Höhe und etwa 25 m Breite. Da mußten wir erstmal drüber. Wir sahen eine Zeitlang zu, wie die anderen das machen. Franzosen und Araber haben eine eigene Methode: Anlauf, Vollgas, egal, wie oft der Fahrzeugboden lauthals "Steine" meldet und 'ran und druff. Klappt meistens auch nicht so gut und es muß geschoben werden. Ich zog es vor, die Bleche auszulegen. Würden andere sicher auch brauchen können und man braucht das Auto nicht drüberprügeln. Wozu nehm ich denn die schweren Dinger sonst mit? Ich legte die Bleche schön aus, dahin, wo der Hügel kritisch wurde und fuhr den Daimler auf die andere Seite. Bergab ist's einfach. Nur leicht Gas geben um die Geschwindigkeit zu halten. Nicht zu viel, sonst gräbt er sich womöglich ein.

Zwischen Grenzpolizei 
und Zoll
Sieht doch schon viel eleganter aus, oder nicht?
Neben dem Auto Peter, ganz am linken Rand Dirk.

Es braucht nicht gesagt zu werden, daß keiner auf die Idee kommt, dieses Hindernis von einem Bagger entfernen zu lassen, man verlangt ja schon nicht einmal mehr eine Straße. Wie dem auch sei, wir kamen auch auf der anderen Seite an, wie alle anderen auch, bis auf den 207er. Der würde noch eine Weile am Grenzhäuschen stehen.

Wir waren in Afrika und hier darf man alles, nur zwei Dinge nicht:
a.) etwas wollen
b.) es eilig haben
Sehr teuer, wenn nicht aussichtslos wird es, wenn die beiden Punkte a.) und b.) zusammentreffen.

Darauf kam ich nur, weil ich mir Gedanken darüber machte, wie das mit der Kardanwelle vonstatten gehen soll. Die braucht man, denn ohne die fährt das Auto nicht. Und es eilt, denn der Konvoi wartet nicht. Doch ob in dem Kaff Nouadhibou überhaupt eine Kardanwelle für einen Mercedes-Bus aufzutreiben war, blieb fraglich. Und wenn doch, würde sie richtig Geld kosten.

Wir für unseren Teil, ließen es gemütlich angehen. Wir ließen die anderen vor, halfen anderen bei der Überquerung des Hügels und gingen dann langsam zur Polizei, um uns in ein dummes Buch eintragen zu lassen, dessen Sinnhaftigkeit selbt dem Teufel in alle Ewigkeit verhohlen bleiben dürfte. Der Posten schrieb alles genau auf: Name, Geburtstag und -ort, Beruf, Name der Eltern, Woher, Wohin, Einreisedatum (06.09.00), Visum (gültig ab 10.09.00). Alles mit einer fast unnatürlichen Selbstverständlichkeit. Der wenn nur geahnt hätte, daß es nicht die Hitze war, die mich ins Schwitzen brachte - vielleicht konnte er auch einfach bloß nicht lesen. "30 Franc Francais" - nicht lange fragen sondern zahlen, bevor doch noch einer was merkt, denn dann wird es richtig teuer. Auf die Frage, ob ich ein T-Shirt hätte, antwortete ich sehr höflich und um Entschuldigung bettelnd "No, pardon, only dö pur moah" und dann schnell weg. Zum Zoll.

Wir bekamen dort zwei Bögen zum ausfüllen; ich nahm mir die einfachen für das Auto, bei denen man nicht denken braucht, weil man als Fahrer alle Autodaten im Kopf hat. Almut, hingegen, bekam die für die Devisen weil ich sie einfach zum Schatzmeister ernannt habe ("Da hast mein ganzes Geld, mach Du die Kasse, ist mir zu hoch!" - nach der altbewährten Devise "Stell Dich blöd, dann verlangt keiner, daß Du was machst, was Du nicht magst"). Außerdem hat sie studiert und muß deshalb auch die verantwortungsvolleren Aufgaben übernehmen. Wozu studiert man sonst? Auch diese sinnlosen Schreibereien füllten wir in aller Gemütsruhe aus, "geht sowieso nichts vorwärts", dachten wir. Zumindest so lange, bis der verärgerte Zollbeamte zum Auto gerannt kam und uns zur Eile trieb. Wir hatten es umgekehrt erwartet, nämlich daß der Zollbeamte alle Zeit der Welt hat und nur durch kleinere freiwillige finanzielle Zuwendungen in die Gänge kommt. Wir sahen auch bald, warum es hier umgekehrt war: Kaum hatten wir die Devisen- und die "Ich verkaufe mein Auto nicht"-Erklärung abgegeben, packten sie ihre "mobile Zollstation" auf den Pick-Up und düsten ab. "Cool. Alles erledigt", zwar hat es gedauert, aber es gab absolut keine Schwierigkeiten und keine Reibereien, was die Bürokratie anging.

Blieb das Problem mit dem 207er. Daniel und Joe fuhren bei den Spaniern im Ländy mit, Almut und Marion bei mir, die kaputte Kardanwelle wurde auf den Gepäckträger geschnallt und mitgenommen. Wir fuhren den Schweizern hinterher, der Ländy fuhr uns hinterher und wir alle verfuhren uns, obwohl nicht ich derjenige war, der vorausgefahren war. Das wunderte mich ein bißchen. Aber Peter stand dafür gerade. Er schrie aus dem Fenster des VW-Busses, wir sollen nicht aussteigen, sondern ihm in seinen Spuren hinterherfahren. Er selbst bemühte sich, auf Spuren zu bleiben, die bereits vorhanden waren.

Im Reiseführer steht:
"km 384 (ab Dakhla, Anm.d. Autors)
N 21°17,522' W 016°57,900',
ab hier wieder starke Mienengefahr, da der Grenzwall hier sehr nahe ist.
Nicht ins Gelände ausweichen!"
Party zu dritt
Nach dem Ausweichen ins Gelände, ein Wendemanöver an einer Stelle, an der es Spuren gab.

Mit diesem Wissen fuhren wir einfach weiter. Was blieb auch anderes übrig? Denn was im Reiseführer nicht drinstand ist, wie man sich verhalten soll, wenn man sich doch mal verfährt. Hier hilft nur noch Blackadder weiter:
Lieutenant: "Oh Sir, just one thing. If we should happen to tread on a mine, what do we do?"
Blackadder: "Well, normal procedure, Lieutenant, is to jump 200 feet into the air and scatter yourself over a wide area."

Wir waren schon bald wieder an der Abzweigung, an der wir uns aus Versehen links gehalten hatten und bogen wieder links auf die Straße ab, die an einer leicht dunklen Färbung, wohl Öl, Reifenabrieb und Asphaltreste, zu erkennen war. Wir mußten die anderen einholen. Es wurde immer sandiger. An einer Stelle grub sich der VW-Bus sauber ein. Wir hielten davor und schoben ihn an. "Hilft nichts", stellte ich fest, "rührt sich keinen Millimeter. Bleche in Stellung bringen!" Doch der Schweizer hatte diese seltenen und sehr guten aber auch sehr teuren Luftlandebleche aus oder mit Alulegierung dabei. Wir zogen es vor, diese zu benutzen. Warum sagt der nicht gleich, daß er sowas dabeihat?

Hier wurde zum ersten mal richtig gebuddelt. Sogar der Hi-Lift kam zum Einsatz. Zum Glück war's ein Syncro!

Irgendwann war die Kiste draußen und stand auf einem festen Stück, dann waren wir dran, der Schwachpunkt dieses aus drei Fahrzeugen bestehenden Verbands. Langsam zurück, Anlauf, mit Vollgas hinein in den Sandkasten, hinter dem schon alle Mann und Frau bereitstanden zum Schieben und Schaufeln. Nur Vollgas und versuchen, so wenig wie möglich zu lenken und dabei nicht in die aufgewühlten Spuren zu fallen. Wenn das Auto abdriftet, was soll's? Kann man hinterher noch korrigieren, wenn der Untergrund wieder fester ist. Als das Auto langsamer wurde, Fuß auf dem Gas lassen und die Kupplung ganz sachte treten. Mit schleifender Kupplung bringe ich den Daimler wieder auf ein festes Stück. Jawohl. So soll's sein - Tschuldige, Kupplung... Der Ländy fuhr da durch, als wäre es Asphalt - hat niemand anders erwartet, denn alles war schon wieder unterwegs, das Werkzeug zu verstauen.
Der Schweizer blieb auch nur stecken, weil er nicht wußte, daß es da weich war und zu langsam gefahren war. Es lief öfter so ab, daß der VW-Bus steckte - kein Wunder bei dem Gewicht - und ich dadurch vorgewarnt war und meistens wühlte sich der brave Daimler ohne Bleche durch, schieben reichte. Wir blieben dennoch drei oder viermal stecken, bis wir auf die restlichen Fahrzeuge des Konvois trafen.

Sandblechschleppen
Nach dem Bewältigen der Passage beim zurücktragen der Ausrüstung. Ich trug dabei die schwere Kamera.

Ganz vorne stand wieder dieser lästige Typ, der uns schon auf dem "La Poubelle" aufgefallen war weil er ständig eine Zusage wollte, daß wir auf seinem Camping übernachten. Als Marion einen Grenzer bat, die Papiere heute und nicht erst am Samstag abzustempeln weigerte sich dieser. Der Camping-Typ redete mit dem Grenzer, da er ihn offenbar kannte, dadurch, daß er immer zur Grenze fährt um Touristen zu fangen, und sagte zu Marion: "Übernachtet ihr jetzt auf meinem Camping oder nicht? Wenn ja, dann macht er die Papiere jetzt." Widerling. Nun ja, er sagte uns, daß die anderen jetzt zu seinem Camping fahren würden, und daß wir uns gerne anschließen könnten, denn jetzt müßte man eine Düne umfahren. Er bemühte sich auch wirklich und sah zu, daß kein Auto verlorenging. Weniger aus Nächstenliebe sondern mehr deshalb, weil er an uns verdienen würde. Klar, er konnte uns nicht verbieten, den anderen einfach hinterher zu fahren und dann doch auf einem anderen Camping einzuchecken, doch wir entschlossen uns, doch zu seinem Camping zu fahren, war uns inzwischen wurscht und alle anderen fuhren auch dort hin.

Rechts erhebt sich die Düne, dicht an ihrem Fuß umfuhren wir sie links. Auf halb Elf fährt Peter mit seinem VW-Bus.

Einige hundert Meter nach der Düne kamen wir an einem alten Citroën vorbei, dem ein Rad fehlte. Wieder einige hundert Meter weiter, als wir uns sammelten, kam der Campingtyp mit zwei Autorädern ausgerechnet zu mir und fragte, ob ich die auf meinen Gepäckträger laden könnte. Das sind die richtigen Momente, um beispielsweise Übernachtungspreise zu drücken. Ich tat es nicht. Mein Geschäftssinn ist ebenso im Eimer wie mein Sinn für Orientierung oder für gutes Benehmen... was soll's. Umgekehrt wäre es aber teuer geworden, daher möglichst nie auf fremde Hilfe, genauer gesagt auf die Hilfe von Einheimischen hoffen. Wir fuhren weiter, immer bemüht, mitzuhalten, denn nun waren wir die letzten - eines meiner Markenzeichen. Unser alter Lateinlehrer, Elmar Trum, zuweilen auch Helmar Dumm genannt, weil er gerne mit Fahrradhelm unterwegs war, sagte einst zu mir, als ich mal wieder zu spät zum Unterricht erschien: "Besold, hast Du eigentlich schon mal gemerkt, daß Du immer der Letzte bist? Allmählich fange ich an zu glauben, daß Du das Letzte bist..." Mag sein. Aber Spaß hat's gemacht. Und lieber in Mauretanien unterwegs, als an der Uni pauken.

PK 55 bei N 21°17.175' / W 16°57.943'
PK 55 bei N 21°17.175' / W 16°57.943'
oder
Polizeikontrolle 55 einige Kilometer vor Nouadhibou. Warum 55? Keine Ahnung. So viele waren es bisher dann auch wieder nicht gewesen.

Wir kamen an besagtem Posten vorbei. Von den Polizisten sah und hörte man nichts. Man hätte aber auch nichts gehört, wenn sie etwas gesagt hätten, weil hier jeder, der anwesend ist und nicht aus Europa stammt, den Besucher etwas furchtbar Wichtiges entgegenzubrüllen hat, was aber außer ihn selbst, niemanden zu interessieren schien. Hier ist der Punkt, an dem sich viele Herrn von und zu Mauretanier versammeln und mit ihren blauen, im Winde knatternden Ausgehbubus ihre Dienste als Führer anbieten - um mal wieder Peter Kohle zu zitieren. Andere wieder - eigentlich die meisten - konnten gar nichts und wollten nur mitfahren oder was schnorren. Jeder streßt. Ich ging kurz vor und sagte dem Schweizer, daß ich eine Adresse eines, wie ich meine, zuverlässigen Führers habe und daß es doch geschickter wäre und billiger, wenn wir in der Gruppe von Nouadhibou nach Nouakchott fahren würden. Also nahm hier von uns niemand einen Führer und wir fuhren stattdessen weiter.

Als es nach einigen Minuten weiterging, überholten wir den VW-Bus, neben dem einer herrennt, der wohl auch mitfahren möchte. Daniel, der inzwischen bei mir im Auto saß sagte, daß beim Bus gerade einer aufgesprungen sei. Ach was, hast Dich verschaut, so dreist wird schon keiner sein. Allerdings war er irgendwie weg, wie vom Erdboden verschluckt. Wir konnten ihn nicht finden. Einige hundert Meter nach dem Posten querten wir die Bahnlinie. Die mußte zuvor mit flachen Steinen geebnet werden. Die Steine wurde jeweils vor und nach jedem Schienenstrang so hingelegt, daß ein einigermaßen ebener Übergang entstand. Keines der Autos saß auf den Schienen auf, und man sollte sich - finde ich - schon ein bißchen bemühen sich nicht allzuviel Zeit mit der Überquerung zu lassen, denn eigentlich fahren hier Züge, und was für lange! Also bloß nicht auf den Schienen festfahren...

Bahnübergang b. PK 55
Dirk weist rechts ein, Peter links, Marion schaut zu, Almut - schon leicht gereizt - photographiert, der Daimler macht Kletterübungen und man selbst sitzt auf dem Chefsessel und paßt auf, daß alle ihre Sache richtig machen.

Wir näherten uns Nouadhibou, es konnte nicht mehr weit sein. Der erste Müll lag schon rum, Leute waren nicht mehr nur in Fahrzeugen unterwegs, sondern auch schon vereinzelt zu Fuß, auch die ersten Ytong-Hütten zeigten sich bald darauf. Noch war es hell, wir lagen gut in der Zeit, denn wir hatten an einem Tag etwa zwischen 50 und 60 km mit Grenzübergang zurückgelegt. Immerhin. Bei diesem Tempo würden wir allerdings bis Nouakchott etwa zehn Tage brauchen, was außer allen anderen niemanden störte. Zehn Tage Wüste. Ist doch fein! War allerdings dann doch nicht so wild. Und - gleich vorweg - ist man erst einmal in Nouadhibou, dann hat man das schwierigste bereits hinter sich.

Vorort (?) v. Nouadhibou
Graue Kollonnen zieh'n in der Sonnen
Müde durch Wüste und Sand.
Neben der Straße blühet im Grase
Ginster am Wegesrand...

In Nouadhibou angekommen bekam ich fast einen Kreischanfall. Babypopoglatter Asphalt. Ich traute meinen Augen nicht. Wie konnte das sein? Steht nirgends auch nur eine Silbe darüber. Diese Sensation muß sich doch rumgesprochen haben wie ein Lauffeuer. Oder sie wurde über Nacht fertiggestellt, dann wären wir aber nicht in Afrika. Es ist auch ein Jammer, wenn man sich diese schöne Straße in etwa drei Jahren vorzustellen versucht. Die düfte dann wohl auch von Schlaglöchern übersät sein. Und noch ein paar Jahre später wird sie zu Schlagasphalt verkommen sein, wie die Strecke von der Grenze bis hierher und dann wäre es besser, sie hätte nie existiert. Denn eine schlechte Straße ist ekelhafter als eine halbwegs passable Piste. Das aber hält die Mauretanier nicht davon ab, Straßen zu bauen - wenn es überhaupt die Mauretanier waren. Ich habe mal gelesen, daß sie gerne den Bock zum Gärtner machen und hier irgendwo in der Gegend (im weiteren Sinn) die Brasilianer eine Straße bauen lassen. Ich habe sie leider nicht getroffen, sonst würde ich sie fragen, warum gerade sie, hier Straßen bauen wollen, wenn sie das nichtmal daheim schaffen. Daß hier wie dort die einmal gebauten Straßen wenn überhaupt nur sehr mangelhaft ausgebessert werden, wie in diesen Ländern meistens überhaupt nichts ausgebessert wird, bedarf eigentlich keiner besonderen Erwähnung. Aber noch sind wir erst in Nouadhibou und von Brasilien weit, weit weg. Außer der Straße ist alles verkommen und verwahrlost, Ziegen, Hunde, Kinder, Schafe, Esel mit und ohne Karren, alles läuft bald neben und auf der Straße herum, gerade so, als gäbe es sie nicht. Sehr sympathisch. Erinnert mich ein wenig an mein Zimmer daheim.

Das Beweisphoto: Asphalt in Nouadhibou.

Wir fuhren zum Camping, checkten ein und hier lief mir der Führer, dessen Adresse ich hatte, zufällig über den Weg. Er hieß Soufi und ich hatte mich bei Peter Kohle (Afrikareisebericht "Afrika - Patt Problemm", immer noch sehr empfehlenswert) nach dem Führer erkundigt, den die Franzosen gebucht hatten, denen er sich damals anschloß. Er schrieb mir die Adresse und ich wollte eben diesen Soufi als Führer haben - keinen anderen. Und schon gar nicht so einen Mustafah, den er hatte, und der einfach nur behindert zu sein schien. Ich fragte, ob er Soufi sei. Er bejahte und zeigte mir seinen Ausweis. Ich verglich die Namen mit denen, die im Fahrtenbuch standen. Es stimmten alle Angaben überein. Sehr schön. Und er war auch überhaupt nicht aufdringlich. Noch besser. Ich wollte allerdings nicht, daß ihn uns jemand wegschnappte, so nahm ich ihn gleich mal unter Vertrag. Ich erwähnte auch Peter und er kannte ihn noch "Piter! Ah! Piter! Con Mertschedees grande, Mertschedees Biis!", schrie er los - Ja, genau der.

Der Camping "Asimex" (Tel. 002222/745643) ist mit 1000 Oguya (=10 DM pro Person und Nacht) nicht besonders billig, aber es ist billlig für hier (soll heißen: man hat keine Wahl) und der Platz ist nicht schlecht, sauber und hat sogar Warmwasser. Der Besitzer, Abdoullah Soueilem, wußte nicht, daß wir Soufis Adresse schon hatten und wenn er uns Soufi andrehen wollte, was er sicher vorhatte, dann hätte ich das als einen feinen Zug von ihm angesehen.

N 20°56.358' / W 17°01.966'
Auf dem Camping 'Asimex'.
Links: Der Renault Espace des Senegalesen. Es lagen keine Schadensmeldungen vor.

Während Almut sich um die Autoversicherung kümmerte, fuhr ich mit Daniel und Soufi los, um eine neue Kardanwelle zu besorgen, denn es eilte. Dadurch begaben wir uns gezwungenermaßen genau in die Situation, die es in Afrika unbedingt zu vermeiden gilt: etwas wollen und es zusätzlich noch eilig haben, das muß teuer werden.
Wir fuhren von einem Schrauber zum anderen und die billigste Kardanwelle kostete 35.000 Oguya, rund 350 DM. So ist es, wenn sie merken, daß man etwas braucht. Für die alte war das Höchstgebot 2.000 Oguya, also 20 DM. So ist es, wenn man etwas zu verkaufen hat. Während Soufi und Daniel bei den Händlern waren, versuchte ich draußen die Gören abzuwimmeln, die um das Auto standen und irgendwas schnorren wollten. Kippen, Mützen, Hemden, Kugelschreiber, Geld. Daniel mußte die Kardanwelle letztlich zähneknirschend nehmen, denn der Bus stand an der Grenze, fuhr nicht, ohne Kardanwelle, und bis Gambia war es noch weit.

Wir kamen wieder zum Camping und erholten uns etwas von diesem anstrengenden Tag. Marion regte sich über den Senegalesen auf, der sie überhaupt nicht wahrnahm, ihr nie in die Augen schaute, wenn er überhaupt mal mit ihr redete. Almut, die wohl mtbekommen hatte, daß der Senegalese ein Islam war, erklärte ihr, daß das eigentlich eine Höflichkeitsbezeigung war und auch so aufgefaßt werden sollte. Marion fand das Verhalten dennoch daneben. In ein paar Tagen würde sie sich wünschen, alle Senegalesen wären so. Aber soweit sind wir noch nicht.

Abends handelten wir mit Soufi in seiner Wohnung bei Tee einen Preis aus, damit er uns und vor allem die Autos heil nach Nouakchott bringt und wir kamen auf 1.000 FF inklusive Fahrt zurück zur Grenze, um den 207er zu bergen. Das war akzeptabel. Der Plan war folgender:
8:00 Uhr Soufi abholen, zur Grenze fahren, 207 reparieren und uns mit Peter, Dirk, Almut und Marion um 14 Uhr an der Bahnlinie treffen, dann gleich noch los Richtung Nouakchott. Die drei Fahrzeuge blieben also auch weiterhin zusammen.

Am Abend fuhr ich mit Soufi und dem Besitzer des Campingplatzes noch ein wenig durch Nouadhibou - wer weiß, wann wir hier wieder vorbeikommen. Bordsprache: Spanisch. Zum Teufel mit dem drecks Franzockenslang. Das ist doch eine Halskrankheit, die hauptsächlich Schwuchtel befällt. Wir fuhren beim Reifendoktor vorbei und der Camping-Fritze brachte die Reifen zum Reparieren, die er uns am Nachmittag auf den Gepäckträger getan hatte. Das dauerte nicht lange. Danach fuhr ich alle zum Camping zurück. Essenfassen war befohlen. Wurde auch langsam Zeit. Das hatte ich den ganzen Tag schon vernachlässigt. Almut und Joe waren für gutes Essen nicht zuständig. Essen dient ausschließlich der Nahrungsaufnahme. Sonst nichts. Und die kommen auch wochenlang ohne Essen aus, fressen hier und da ein Stück brot, oder ein Unkraut, das am Wegesrand wuchert. Wenn ich mich an die beiden halte, verhungere ich.
Die Schweizer hatten sich was zu Essen bestellt. Das Essen war - wie nicht anders zu erwarten - schlecht und teuer, daher bedienten wir uns gleich der Bordküche. Abends wurde noch wäsche aufgehängt, die Almut gewaschen hatte, während ich mit Soufi und Daniel auf Kardanwellensuche war.

Ich schlief auf dem Auto, währen Jowi und Almut es sich unter einem Zeltdach auf der Isomatte gemütlich machten. Die Mauern des Camping-Platzes schützten gut vor dem Sandhaltigen Wind. Wir hatten es bis hierher geschafft. Doch wir hatten erst einen Bruchteil des Weges geschafft. Ob es auch weiterhin so gut gehen würde, wußte niemand. Ich war froh, eine so unkomplizierte Gruppe gefunden zu haben. Es war ohnehin schon ein Riesenglück solche Beifahrer zu haben. Die findet man nicht an jeder Ecke. Mit den beiden würde ich bedenkenlos überall hinfahren. Aber auch die anderen, die wir des Weges trafen, waren gute Leute. Mit denen zusammen die Sahara zu bewältigen mußte einfach klappen. Wir kriegen das hin...


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