Grand Canyon 2006
Mittwoch, 5. März

Doch so sehr es mich hier an Patagonien erinnerte, so sehr ließ es mich meine Lehren von damals vergessen. Das hier ist nicht die Sahara. Auch wenn der Himmel gerade nicht sternenklarer sein könnte - das Wetter kann sich innerhalb kürzester Zeit ändern. Und das tat es auch. Wir waren gerade ein paar Stunden eingeschlafen, da bekam ich einen Tropfen ins Gesicht. "Janerl..." "Hm?" "Es regnet." "Ich merk nichts." Am Himmel zog eine einsame Wolke dahin. Der einzig schwarze Fleck weit und breit. Überzeugt davon, daß es sich nur um diese eine rebellische Wolke handelte, schlief ich auch weiter, sogut es ging. Nicht leicht, mit diesem für Westafrika perfekten Schlafsack, dem mittlerweile seit Jahren der Reißverschluß fehlte. Ich kroch samt Schlafsack unter die erste Deckenschicht. Das wärmt. Weiterschlafen. Wieder ein paar Stunden oder vielleicht auch nur Minuten später wachte ich wieder auf. "Janerl! Diesmal regnet's wirklich..." "Das hab ich Dir doch schon vor zwei Minuten gesagt", war die Antwort. Erinnerte stark an Almut. Als ob sie davon gar nicht betroffen wäre. Ich packte das ganze Zeug zusammen und mein Plan war es, loszufahren. "Ach, naa, komm. Schlafen wir im Auto weiter." Gut, bitte. So taten wir. Allerdings kam ich nicht auf die Idee, den Motor anzumachen. Warum, das weiß ich nicht. War wohl geistig umnachtet, oder vielleicht war es einfach nur die Angst, Gabi Z. L. könnte mir vorkommen bei der Nacht. Jedenfalls blieb der Motor aus. Ich wachte noch einige Male auf wegen akuter Kälte. Wie blöd muß einer sein? Wirf den Motor an und laß ihn laufen. Stattdessen begrub ich mich immer mehr unter Decken und Isomatten. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, traute ich meinen Augen erst nicht. Ich dachte zunächst, die Scheiben wären beschlagen, doch es hatte in der Tat geschneit.

Jana, schokiert. Sicht null.

Um das entsetzte Gesicht meiner Fahrkumpanin festzuhalten, brachte ich erst die Kamera in Stellung, stupfte Jana an und hieß sie einmal hinaussehen. Das haute hin. Wir konnten es nicht glauben. Grand Canyon, Wüste, warm. Nun standen wir hier wie zwei Deppen in einer sibirisch anmutenden Steppe.
Ich tat das, was ich schon Stunden vorher hätte tun sollen: Vorglühen, anwerfen. Doch der Motor wollte nicht. Nun war ich derjenige, der einen Ausdruck des Ensetztens auf dem Gesicht trug. "Nein!" Noch ein Versuch. 20 Sekunden Orgeln. Nichts. "Verdammt! Verdammt, verdammt..." "Ganz ruhig bleiben", sagte Jana., "der springt schon an". Das habe ich zuletzt in den Anden erlebt. Nach dem dritten Versuch sprang er an. Im Innenraum roch es nach verbranntem, kaltem Diesel. Der Entsetzensausdruck wich langsam. "Das war bei unserem Mercedes auch immer im Winter der Fall.", erklärte Jana. Das verdammte GPS fehlte. Wir waren relativ hoch. Das hätte ich am etwas unruhigeren Motorlauf eigentlich am Vortag merken müssen. Laienhaft. Ich war völlig aus der Übung. Das durfte nicht mehr passieren...

Als der Motor dann lief, stieg ich aus, um mir ein Bild von der Situation zu machen. Die sah aus wie folgt:

Mittwochmorgen um 10, abseits der Route 64:
"So ein Mist. Und das mir. Das fängt ja gut an..."

Die Spuren unserer Herfahrt waren nicht mehr zu sehen. "Hast Du einen Plan, wie wir hier wieder rauskommen?", fragte ich Jana. "Glaub' schon." Wir fanden auch tatsächlich wieder auf die Straße. Kurzer Eintrag ins BTB: "10:40 Uhr, wieder auf R64, 815.557".

Es ging weiter ins nächste Kaff und Tanken. Wir fuhren anschließend das I-Max an, wo wir um 11.30 nach 49 km ankamen und uns nach der nächsten Vorstellung erkundigen. Der Streifen hieß "Grand Canyon - Hidden Mysteries". Die nächste Vorstellung kam um 12:30 Uhr, genau eine Stunde Zeit, also. Diese nutzten wir, um beim integrierten Pizza-Hut eine große, fettige Pepperonipizza zu verschlingen, für sie Kaffee, für mich Cola. "Delicious...", meinte ich. "Viel zu fettig für ein Frühstück", war Janas Meinung darüber. Als Restaurantmanagement-Studentin mit einer gewissen Neigung zum Feinschmecker, konnte ich ihr das gar nicht als Spießigkeit auslegen.

Ein interessantes Kunstwerk, das auf der Toilette hing, und das den Betrachter (Leser wäre hier unangebracht) über die Muttersprache des Künstlers völlig im Dunkeln läßt.

Wir erkundigten uns nach den Flügen. Die kann man hier mieten. Auch Hubschrauberrundflüge. Hierbei kam mir eine Geschichte zu Ohren, irgendein Depp sei bei einem dieser Rundflüge absichtlich aus dem Hubschrauber gesprungen, woraufhin es ihn förmlich "derbatzt" haben muß. Auf was für Ideen die Leute kommen... Das hätte er auch billiger haben können. Um die 200 US$ kostet das Ticket. Pro Person, wohlgemerkt. Ich hoffte natürlich, den Preis etwas drücken zu können, da ja Nebensaison war. Kaum ist man wieder auf Achse, schon fängt man wieder mit dem Feilschen an. Aber das klappt in den Industrieländern selten bis gar nicht. Das Feilschen bleibt dem Markt überlassen, und solange es eine Nachfrage gibt, gibt es keinen Abschlag. Es waren zwar weniger Leute hier, aber immer noch genügende, also zuviele.

Wir mußten uns mit den Luftaufnahmen vom Film begnügen. Die waren aber wirklich gelungen. Um 13:05 Uhr war Sense, wir gingen hinaus, um weiterzufahren. Es war bedeckt, sah gar nicht gut aus. Zwar regnete es nicht, aber es war kalt und sehr windig. Das will gar nicht zu der umliegenden Landschaft passen. Haben die nicht kapiert, daß das hier Wüste ist, ober habe ich was falsch verstanden? Im Zweifelsfalle immer die anderen - natürlich.

Fünf Minuten, nachdem wir das Kaff verlassen hatten, waren wir auch schon am Parkeingang (13:25, 815.609). Zwanzig Mäuse Eintritt pro Auto. Das ist sehr schön und sehr amerikanisch. Das Auto zählt. Zahlen tut es allerdings nicht...
Vom ersten Augenblick an erinnerte mich der Grand Canyon Nationalpark an den Nationalpark am Perito Moreno. Sogar das Wetter war gleich. Bedeckt, kalt, windig. Es dauerte auch nicht lange, da fing es an zu regnen. Neben der Straße waren immer Aussichtspunkte angebracht. Wäre schön gewesen, wenn man hier mal länger verweilen hätte können, aber der eiskalte Wind machte den Innenraum des Daimlers noch kuschelig wärmer als er eh schon ist. Freilich blieb der Motor ständig an, die Heizung auch. Deutsche Touristen waren natürlich auch da, was Jana dazu veranlaßte, sich bei Ihnen zu erkundigen, weshalb Deutsche im Ausland immer so laut sein müßten.

Die Aussicht war natürlich überwältigend, aber bei diesem Wetter auf relativ bescheidene Art und Weise. Es war zu bedeckt, als daß man beim ersten Blick die ganze Wucht dieses Naturwunders abbekam. Dennoch ließ sich einiges davon erahnen. Man erkannte jedoch, daß die Wolkendecke, die über dem Canyon hing, stellenweise etwas löchrig war. Es bestand die Aussicht, in eine dieser Lücken zu kommen und so fuhren wir weiter.

Beim nächsten Aussichtspunkt sah man nur eine unendlich große, weiße Wand, wenn man über die Reling blickte. Um dem Ganzen noch etwas mehr Ausdruck zu verleihen, peitschte uns ein plötzlich einsetzender Schauer erbsengroße Graupelkörner um die Ohren. Buchstäblich. Ich zog den Ohrenschutz der Schildmütze herunter, drückte die Brille fester ans Gesicht. Der Kragen der Jacke wirkte wie ein Trichter und die eiskalten Körner sammelten sich in meinem Nacken an. "Gottverdammtes Sauwetter!", brüllte ich in des Sturmes Tosen. Aber es wollte nicht aufhören. Nachdem wir genügend Bilder von der natürlichen Leinwand gemacht hatten, flüchteten wir ins Auto.

14:18Uhr Innerhalb weniger Minuten sah der Parkplatz aus wie der eines Skigebietes im Winter. Alles weiß.

"Wären wir doch gescheiter nach Mammoth zum Skifahren gefahren...", war meine Meinung dazu. Leider ließ die Zeit keinen Kurswechsel mehr zu. Eine Woche. Mehr war nicht drin. Das ist der große Unterschied zum Reisen. Das wichtigste ist Zeit. Das Geld kommt erst an zweiter Stelle. Oder man hat genügend davon, dann kann man sich die Zeit kaufen. Aber wer hat schon genug Geld? Diese Fahrt wurde jetzt bereits zum Spähunternehmen erklärt. Wie Libyen 1998, nur kleiner im Umfang. Wir müssen wieder her, und zwar im Sommer. Nun gilt es, möglichst viel Material zu sammeln und sich ein Bild der Region zu machen, um die nächste Fahrt etwas professioneller zu gestalten. Leider liegt das GPS-Gerät in der Schublade der Anrichte im Keller im Haus in Augsburg. Sehr schlau. Das macht die Nachtplatzsicherung sehr schwer. Mit schnurrendem Diesel fuhren wir weiter, zum nächsten Punkt. Es war 14:18 Uhr. Wir fuhren weiter, und innerhalb von einigen Minuten riß der Himmel auf und nichts erinnerte an die Winterlandschaft von vorhin.

Dieses Bild entstand um 14:26 Uhr, acht Minuten nach dem oberen.

Man kann schon sagen: Welch eine Wendung durch Gottes Fügung! Aus lauter Blödheit meinerseits und Verwunderung Janasseits, bogen wir falsch ab und kamen wieder zum Parkeingang, von dem wir gekommen waren. Anstatt das überraschend schöne Wetter dazu zu nutzen, uns den Canyon anzusehen, starrten wir nun abwechselnd auf Schilder und Mappe, um auf den richtigen Weg zurückzukommen.

"Aaah! Da! Anhalten! Sofort!" Jana hatte den nächsten Punkt gesichtet, an dem ich ansonsten blind vorbeigefahren wäre. Wir stiegen aus, der Wind blies immer noch aus allen Rohren. Aber wenigstens war die Sonne da und die Sicht relativ gut. In der Ferne kam allerdings schon die nächste tiefgraue Wolkendecke auf uns zugestürmt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie uns erreichen und uns der Aussicht berauben würde. Ich benutzte den Daimler, wie immer, als Aussichtsplattform. Da hat man gewöhnlich einen freien Blick. Das Problem hier war allerdings das Gestrüpp, das in unangenehmer Vielfalt vorhanden war. Wenn die Sicht zum Canyon versperrt war, war es wie in Argentinien. Dort hatte ich die selbe Erfahrung gemacht und erstmal sternverwundert blöd geschaut, als es in der Wüste regnete. Selbst in Libyen erlebten wir dies Phänomen. Ich weiß nicht, warum in meiner Hirnzelle gespeichert ist, daß es in der Wüste nicht regnet und aus. Mittlerweile sollte ich es doch besser wissen, möchte man meinen. Aber nein. Lernkurve irgendwo unterwegs verschütt gegangen.

"Kann ich auch raufkommen?", hörte ich Jana von unten heraufbrüllen. Das muß ich ihr irgendwann mal beibringen. Sowas sagt man nicht. Das heißt: "Frage: Ein Mann auf Brücke?", oder kurz: "Mann auf Brücke?" Aber das kommt schon noch. Immer langsam. "Jawohl! Anhängerkupplung, Kofferraum, Bleche, Kanister. Bitte nicht in die Heckscheibe treten. Die brauchen wir noch." Natürlich wird man immer etwas seltsam angeschaut von den Leuten, aber wir sind ja nicht hier, um uns mit Leuten zu beschäftigen. Im Gegenteil.

Zwei amerikanische Touristen, die mir schon am ersten Aussichtspunkt aufgefallen waren, und die ich als typische Amis, Jana aber als typisch deutsch aussehend einordneten, sprachen mich an. Wo wir denn hergereist seien. "Deutschland." "Achso, Du hast also gleich das Auto hier rüberverschifft?" "Naja, nicht ganz. Ich habe von Afrika nach Südamerika verschifft und bin dann hierher gefahren." Nun verstand er. Ich ging los, um Bilder zu machen. "May.. may I...", brüllte nach einer Weile ein anderer zu mir herüber, ganz aufgeregt. Ich sah ihn an, es war ein kleinerer Mann von südländischer Abstammung. "Kann ich ein Bild von dem Auto machen?", fragte er mich. "Selbstverständlich, doch. Soviele Sie wollen", sagte ich und entfernte mich mit mit dem Hinweis, ich müßte selbst auch ein paar Bilder machen, allerdings vom Canyon.

Vor dem Benz die eigentliche Touristenattraktion: Der Grand Canyon.

Links neben uns stiegen fünf Mexis aus dem neueren F-250 Pick-Up. Sahen zu Jana hoch, stellten fest, daß es zu stressig für sie selbst wäre, auf ihren eigenen Gepäckträger zu kraxeln und auf meinen Kommentar hin, der da lautete: "Mercedes-Benz", kamen wir ins Gespräch. Wo denn das Kennzeichen her wäre. "Deutschland, so wie ich." Und wo ich Spanisch gelernt hätte. "Con los pelotudos en Buenos Aires..." Da lacht er. "Están locos eses vatos..."

"Hier war die Sicht relativ gut. Die Naturausnahmen wurden natürlich mit Janas "PowerCam" gemacht. Ich durfte sie bedienen. Wir waren mit Kameras behängt wie Armenier mit Waffen. Und so ähnlich sah es wohl auch aus: An der Linken Hüfte die Canon Kompakt, anstelle der Nullacht, über die rechte Schulter die Pentax, anstelle des K98, so zogen wir los. Die Pentax für die Fernaufnahmen, die Canon für den Nahkampf.

Wir fuhren weiter, immer weiter und da jeder denselben rundweg fährt, trafen wir uns noch einige Male mit den Touristen von vorhin und mit den Mexis. Der amerikanische Tourist fragte mich, wie lange ich denn schon unterwegs wäre. "Seit 2000, allerdings schon seit fast drei Jahren in Kalifornien." Ich solle doch mal nach Kanada und Alaska fahren, empfahl er mir. "Bereits geschehen, im Dezember 2003. Sehr schön da oben. Eine meiner besten Fahrten, allerdings auch eine der teuersten, auf den Kilometer umgerechnet." Und weiter ging's.

Blick in den RückspiegelSchließlich kamen wir zum wichtigen Aussichtspunkt namens Desert View. Leider hätte der Name "No View" besser gepaßt. Es fing wieder an zu graupeln, der Wind fegte die Körner in dichten Schleiern über den riesigen Parkplatz. Wir überlegten fünf mal hin und her, ob wir überhaupt aussteigen sollten. "Bleiben wir erst mal sitzen", vielleicht wird das Wetter ja besser. Ich ließ den Benz ein paar mal über den Parkplatz gleiten. Der Parkplatz, der am nächsten war, war nicht benutzbar, weil für Behinderte, die, wie bekannt, in den USA völlig überrepräsentiert sind. Kein einziger da, alles frei, aber trotz des schlechten Wetters parkte niemand dort. Ich überlegte zwar, aber ich ließ es dann doch bleiben und stellte mich auf einen normalen Parkplatz, ewig weit weg vom Aussichtspunkt, ließ den Diesel laufen, lehnte mich in den Sitz und genoß das Toben des Wetters aus der Geborgenheit heraus, mit der einen nur ein Daimler umgeben kann. Die Südamerika-Tour muß nochmal stattfinden. Ich hatte einfach die falsche Beifahrerin dabei. Obwohl mich Jana von ihrer Art ein bißchen an Gabi erinnert, ist das doch um Welten besser. Die einzige Frage, die von Jana kam, war die nach einer Cigarette. Nicht, ob ich nicht den Motor ausschalten wolle, nicht, warum ich fünf Runden um den Parkplatz gedreht hätte, kein Streß, alles sehr entspannt. Etwas lebhafter doch, als Almut, was weder besser noch schlechter ist. Einfach anders.

Während wir also vom warmen Daimler aus dem Graupelgestöber zusahen, fuhr in einiger Entfernung ein gelber SUV auf den Parkplatz und parkte in etwa 20 m Entfernung backbord querab. "Ich glaub, die wollen was", macht mich Jana darauf aufmerksam. Mein erster Gedanke war: Polizei oder Ranger. Im Augenwinkel, durch die Sonnenbrille, schielte ich hinüber und sah zwei junge Mädchen auf unsere Position zukommen. Nachdem Jana die Fragezeichen über meinem Kopf sah, fühte sie hinzu: "Die haben so geschaut, als wollten sie was." Profikellnerin, halt. Da ich nun nicht sehr geübt bin im Blickelesen, beobachtete ich die beiden weiter, wie sie heranschritten.beide von ansehnlicher Gestalt, wobei die eine blond, die andere braunhaarig war. Als sie vor dem Auto vorbeigehen wollten, hob ich die rechte Hand leicht abgewinkelt bis zum Schild der Mütze und sie machten wie auf Kommando kehrt und kamen ans Fenster. "Grüß Gott!", schmetterte ich hinaus. "Hallo, Guten Tag...", sagte die dunkelhaarige, "ich habe gehört, Ihr seid mit dem Auto hergefahren." Das überraschte mich nun nicht wirklich, aber es passte nicht hierher. Dieses Phänomen wird man häufig in Afrika und Südamerika antreffen. Da schrumpfen riesige Kontinente zusammen und erscheinen einem nicht mehr so unüberwindlich. Man tauscht Informationen aus, wenn man aus entgegengesetzten Richtungen, fährt ein Stück gemeinsam, wenn man aus der gleichen Richtung kommt. Das ist immer sehr angenehm. Und Tage, Wochen oder Monate später trifft man jemanden, der jemanden getroffen, den man selbst getroffen hat. Hier das gleiche, nur auf viel kleinerer Skala. Wir unterhielten uns kurz. Sie waren auf Austausch und unterwegs von Michigan nach Kalifornien und zurück. Keine Autotouristen, natürlich, sondern Touristen mit Autos. Das merkte man allein schon an der relativ schüchternen Art der Nachfrage. Das Wetter jedoch wurde nicht besser, sondern zog sich zusehends zu. Da blieb nicht viel Raum für Konversation, wenn man immer Graupelkörner in der Gosch hat. Sie zogen mit unbekanntem Ziel weiter. Allerdings in Richtung Straße, was ich nicht ganz verstand. Aber wer versteht schon Frauen?

Nachdem wir uns dann doch entschlossen, uns zumindest die Nullsicht anzusehen, stiegen wir aus und kämpften uns zur Reling durch. Ich schoß ein Bild, das den Titel "Jana vor Grand Canyon" tragen hätte sollen, aber es sah aus wie ein Ausweisphoto. Weißer Hintergrund. Absolut nichts zu sehen. Nach vier, fünf Metern war wieder eine riesige, weiße Leinwand über die Welt gespannt. Aber selbst im Sommer wäre das Bild nicht viel besser, wenn sich hier die Touristenmassen drängen. Es ist eben nicht Afrika oder Südamerika. Hier ist alles zugebaut. Wenn man darauf hofft, einen einsamen, schönen Fleck zu finden, mit atemberaubender Landschaft, dann muß man schon ein Geologiestudium mit maxima cum laude abgeschlossen haben, so scheint es einem.

Der grandiose Grand Canyon. Schöne Aussicht...

"Wir brechen an dieser Stelle ab", war die logische Schlußfolgerung dieser letztenendes doch danebengegangenen Exkursion zu einem der Naturwunder der Erde. Diese Naturwunder haben allerdings einen großen Vorteil: Sie laufen nicht weg. Sie waren schon lange da, bevor Menschen angefangen haben, den Planeten zu verpesten, und sie werden auch noch da sein, wenn diese Krankheit von der Erdoberfläche dereinst verschwunden sein und der Planet wieder mit einem zufriedenen Lächeln menschenleer durch den Äther schwirren wird. Wir haben also vermutlich noch genug Zeit, uns das anzusehen.

Wir gingen in das Restaurant, um einen Kaffe für Jana aufzustellen. "Ich hab mein Geld im Auto", stellte Sie fest. "Paßt schon. MasterCard." Doch als wir durch den Laden schritten, erblickten wir wieder eines dieser schönen Schilder, die man hier allerorten findet:

Dieses Kunstwerk wird wohl später einem amerikanischen Künstler zugeschrieben werden. Man beachte vor allem das Wort "apesadumbrados". Sehr tiefsinnig.

Ich latschte also zum Auto, holte Janas Bares und latschte wieder zurück, ließ mir resigniert vom Wind die Graupelkörner in die Fresse peitschen und tat so, als würde es mich nicht im Geringsten stören. Es gibt sicher einige schöne Sprüche, die man diesem Wetter entgegenschleudern hätte mögen. Mir fielen nur zwei ein: "Tough times don't last, tough people do!" und, natürlich, das durch Arnie mittlerweile bekannte und beliebte "I'll be back." Doch dazu später, in einem anderen Bericht. Noch ist es leider nicht so weit, denn das Wetter machte keine Anstalten, sich ändern zu wollen.

Nach dem Aufenthalt im Laden latschten wir erhobenen Hauptes zurück zum Auto und fuhren. Es war genau 17:00 Uhr. Einmal um den Canyon, auch wenn man nicht viel sieht. Solange man die Straße sieht, ist alles im Lot. Und das alte Motto "klingt die Musik der Motoren, geben wir nichts verloren". Das ist das Schöne am Fahrensleben: Wenn einem das Wetter nicht paßt, dann kann er immer weiterfahren, bis das Wetter eben paßt. Und das taten wir. Wir fuhren. Vorwärts nach Osten, Du stürmend Heer... Allerdings nicht nach Moskau, sondern nach Page (bescheuerter Mensch, der so einen Namen für ein Dorf erfindet).

Als der Himmel kurz vor der Dämm'rung noch ein letztes Mal aufriß, hielten wir, um dem Wetter noch ein paar Photos zu entreißen. Das überließ ich Jana. Um möglichst nahe an den Canyon heranzukommen, mußte man über ein kurzes Asphaltstück, das stark an Brasilien erinnerte. Schlagloch an Schlagloch. Nur die umliegende Landschaft war bedeutend schöner als da unten - was nicht schwer ist, wie man annehmen kann.

Das letzte Bild vom Canyon. Der Daimler darf nicht fehlen.

Danach fuhren wir weiter in der Hoffnung, wenigstens einen guten Nachtplatz zu finden. Der links und rechts der Straße verlaufende Zaun trübte allerdings diese Hoffnung, ließ sie gar kindisch erscheinen. Das wäre allerdings gelacht, wenn in so einer Gegend die Zivilisation schon dermaßen fortgeschritten wäre, daß sich da nichts finden ließe. Wir bogen 35 Meilen vor "Seite" in Richtung Fredonia ab. Es sah nirgends nach Nachtplätzen aus. Keine Möglichkeit in das Gelände abzubiegen, und dann noch alle fünf Meter ein dummes Dorf. Ich hielt eher ausschau nach Hotels, als nach Nachtplätzen. Doch einige Kilometer nach der Abzweigung sahen wir im letzten Licht der Dämmerung einige Felsbrocken rechts der Straße liegen. Mal sehen, was sich da so bietet. Es war sogar eine Abfahrtmöglichkeit da.

Coutry road, you're my home...

Wir waren in der Tat überrascht, einen solchen Nachtplatz zu finden. Das kam relativ überraschend. "Perfekt". Zwar war das Kaff Vermillion Cliffs bedenklich nahe, aber das störte nicht. Jana hatte leichte Bedenken, doch ich verließ mich auf meinen Instinkt, der mich schon so oft getrogen hatte. Zwar war die Straße etwas nah, aber mit etwas taktischem Geschick schafften wir es, daß die Autos von der Straße nicht unbedingt stracks auf Reflektoren und Nummernschild leuchteten. So blieben wir in der Sichtdeckung der Felsen stehen und ich baute das Zelt auf. Dem Wetter war einfach nicht zu trauen. Auch war der Himmel noch immer bedeckt, obgleich es schon lange aufgehört hatte zu graupeln oder zu regnen. Nach einer halben Stunde meldete ich das Zelt bezugsfertig. "Ich glaube, das letzte mal, als ich das benutzt habe, war in Argentinien", stellte ich fest. Sicher wußte ich es nicht, aber mich erinnerte alles verdammt an Argentinien.

Die Autos auf der Straße wurden immer weniger, bald kam alle Stunde nur noch ein Auto vorbei. Ein Abend in der Wüste. Das hatte ich schon lange nicht mehr. Auch, wenn das Wetter Anstalten machte regnen zu wollen, waren die Erinnerungen an Afrika und Südamerika plötzlich wieder ganz nah. Es gab keine Sorgen mehr auf der Welt. Steuererklärungen, Firma, Kunden, Aufträge, alles rückte wieder in jene unbekannte Gefilde, aus denen sie entstiegen waren. Ich war wieder auf bekanntem Terrain, wenn ich auch wußte, daß das hier nur ein kleiner Ausflug war. Keine große Fahrt. Das Geld würde allerdings bis Panama reichen. "Mach Deine Schule fertig, Deinen Laden auf, find' einen Geschäftsführer. Ich verdien derweil Kohle, der Benz kommt in die Werft und dann kann's von mir aus losgehen", war ich versucht zu sagen... Doch noch war es nicht an der Zeit für derartige Überlegungen.
Jana zog aus der hastig zusammengestellten Bordküche eine deutsche Spargelcremesuppe hervor und beschloß zu kochen. That's how I like my girls...

Heimat, Deine Sterne, sie strahlen mir auch an fernem Ort...

Im Handumdrehen hatte sie die Apsis des Zeltes in ein Dreisternerestaurant verwandelt. Es fehlten nur die Stühle, für alles andere war gesorgt: Rote Tischdecke, Wein, Dinner, Kerzenlicht und eine gigantische Kulisse. Gelernt ist gelernt. Es erinnerte an Weihnachten, das letztes Jahr ausgefallen war. Neben dem Zelt stand auch ein Ginsterbusch, der hart in Konkurrenz zu unserem Weihnachtsbaum in Südargentinien stand. Gekocht wurde auf der Haube, wie üblich. Gegessen, im Zelt. Der Bourgeaulais floß und war natürlich bald aus, da Weinabende auf Achse normalerweise nicht vorgesehen sind. Doch da still Heiligabend nachgeholt wurde, machten wir eine Ausnahme. Aus den Lautsprechern erklang das Wunschkonzert für die Wehrmacht "Kriegsweihnacht 1940".
Mangels Wein, stiegen wir im Verlauf des Abends auf Jägermeister um, den ich zuvor schon beim Wein aus Geschmacksverbesserungsgründen eingesetzt hatte. Auch diese Flasche ging den Weg alles irdischen. Jana verschwand in der Nacht. Ziemlich angedudelt, machte ich noch einige Notizen ins Kraftfahrtagebuch, hörte den alten Schlagern zu und war wieder in meinem Element. Ich erschrak ein wenig, als plötzlich Jana im Seitenfenster stand, mit demonstrativ ihr lädiertes Bein entgegenhielt und mir fröhlich entgegenlallte, sie sei in den Stacheldraht gelaufen. Das war das letzte Highlight des Tages. Läuft mir doch meine Reisebegleitung doch glatt im Suff in den feindlichen Stacheldraht. Ich beendete diesen unerwartet gelungenen Abend gezwungenermaßen mit einem Lachkrampf...


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