Persien 2006
Mittwoch, 20. September

Endlich mal wieder ausschlafen. Es war schon weit nach Elf Uhr, als ich aufwachte. Irgendwie vermißte ich aber die Grenze ein wenig. Es waren doch fünf sehr interessante Tage dort. Es war keine Sekunde langweilig und wir bekamen Seiten des Landes zu sehen, die wir sonst nicht einmal hätten erahnen können. Keiner von uns fand es auch nur um eine Sekunde schade, die wir dort verbracht hatten.
Im Gegenteil. Nun waren wir ja schon fast zuhause. Von hier an war es nur noch eine Frage der Kilometer. Und allein der Gedanke daran, wieder nach Deutschland zu fahren und der damit verbundene Ärger mit dem Kennzeichen verursachte mir schon fast Magenkrämpfe. Bin auch nicht mehr der Jüngste.

279.744 km
Selbst Michl war schon relativ wach und las.

Irgendwann, als mir danach war, stand ich auf. Die Gegend als 'nett' zu bezeichnen wäre übertrieben gewesen. Wir kamen gerade aus dem Land von tausendundeiner Nacht, hatten in Salzpfannen geschlafen, oder in der Wüste, oder an einer modernen Grenzanlage (sieht man mal vom fehlenden Internetanschluß ab). Wenn man dann hier nur eine Schafsweide geboten bekommt, dann darf man mit Recht etwas geknickt sein.

Wir fuhren noch nicht gleich los. Ich fragte mich, wie ich überhaupt hier hergefunden hatte. Das Gelände war, dem Blick nach zu Urteilen, unangenehm, selbst wenn man zu Fuß unterwegs war. Es stimmt zwar, daß ich mich beim Gehen dämlicher anstelle, als beim Fahren, aber das ist nur natürlich, schließlich ist das Fahren allemal bequemer. Nur hatte ich keinen blassen Schimmer, wie wir von der Straße aus hierher gekommen waren. Wieder mal das Problem, daß man Sonnen- und Scheinwerferlicht nicht kombinieren kann. Für die Weitsicht ist Sonnenlicht, allemal besser, aber für den kurzen Bereich unmittelbar vor dem Auto, ist mir der Schein der Werfer sehr angenehm, da man wegen des Schattenwurfes sofort sieht, wo man wie fahren kann. Wenn die Sonne von oben herunterscheint sieht man das nicht. In manchen seltenen Fällen, ist das Licht das die Sonne wirft, bevor sie untergeht, eine gute Kombination. Man sieht noch weit genug, aber die Unebenheiten heben sich auch schon deutlich genug ab. Ideal sind jene paar Minuten kurz vor Sonnenuntergang, noch vor Dunkelheitseinbruch, also bevor die Abenddämmerung einsetzt. Aber je näher man an den Äquator kommt, desto geringer wird diese Zeitspanne. Oft reicht sie nicht, um überhaupt eine geeignete Stelle zum Abfahren von der Straße zu finden. Ich lief zur Straße und machte ein Bild vom Auto.

Almut und Michl beim betrachten der Landschaft.

In aller Gemütlichkeit schlenderte ich zurück, schrie genau so oft "Fuck!", wie ich stolperte, und ließ dann langsam fertigmachen. Heute morgen wären schon mehrere Herden Schafe vorbeigezogen und weiter unten sei ein Fluß. Das meldete Almut. Danach hatte sie wohl schon das Gelände in allen Himmelsrichtungen erkundigt. Anstatt sich einfach in die Sonne zu legen, springt sie hier auf den Hügeln auf und ab, als würde der Hügel hier sich anders benehmen, als ein Hügel in Kambodscha. Daß die Landschaft hier anders aussieht als in Kambodscha, das glaube ich schon. Und ich werde mir später die Landschaft ansehen, während sie schlafen wird und die Landschaft verpassen - weil sie dauernd sinnlos in der Gegend rumturnen muß. Ich sag's diesen Leuten immer wieder: Wir werden alt, spart Euch Eure Energie auf für Sachen, die wirklcih sein müssen. Aber nein! Die Leute hören nicht auf mich. Bloß, weil ich kein Abitur hab und die Studierten meinen, sie wüßten es besser...

Es war ein Drama, wieder auf die Straße zu kommen. Selbst Michl konnte nichts machen. "Ah! In der Nacht war's doch dunkel, da weiß doch ich nicht, wie Du gefahren bist. Aber ich schätz' mal, wir müssen in die Richtung", sagte er und zeigte nicht auf die Straße, sondern in einem Winkel versetzt. Wir setzten allerdings doch einmal auf. "Scheiße!!!", brüllte ich hinterm Steuer, während wir in Richtung Straße schaukelten. Wenn es etwas gibt, was ich beim Autofahren hassen, dann ist es dieses ekelhafte Gefühl, wenn die Federwirkung wegbleibt und anzeigt, daß die Karosse auf dem Boden aufliegt. Das geht durch Mark und Bein...

Wir näherten uns dem Van Gölü, dem Vansee. Dort war eine Mittagspause geplant. Direkt am See und traditionshalber hatte ich auch gleich eine Konferenz angesetzt, damit wir in aller Ruhe und vor schöner Kulisse das weitere Vorgehen besprechen konnten.
Bald waren wir am See angelangt. Ein riesen Teil! Wir fuhren bereits kurz nach verlassen des Nachtplatzes an ihm entlang, doch bis Van waren es noch an die hundert Kilometer. Tief blau war er. Erinnerte von der Farbe ein Wenig an den See in Argentinien, an dem wir Heiligabend 2001 verbracht hatten. Nur war er nicht ganz so unwirklich.

Am Ufer des Vansees.

Die Straße war für türkische Verhältnisse als gut zu bezeichnen. Es herrschte auch viel Verkehr, doch bei der anständigen Fahrweise der Türken, war das Überholen nie ein Problem. Türken ist vielleicht nicht ganz richtig, denn wir waren hier im Kurdengebiet, wie mir Almut erklärte. Das erklärte auch, warum man hier recht wenig Kopftücher sah. Fast jede Frau, die das Licht der Welt nicht gerade in der Bronzezeit erblickt hatte, lief ganz normal durch die Gegend. Das war angenehm, auch wenn in einigen fällen eine Komplettverhüllung durchaus wünschenswert gewesen wäre. Es war sonnig, aber nicht zu warm, was das Fahren zum Hochgenuß werden ließ.

An einer Tankstelle hielt ich an, eigentlich, um die Scheiben zu waschen. Da aber daneben ein kleines Restaurant war, machten wir eine Teepause. Wir waren die einzigen Gäste, das Personal war sehr nett. Nach dem Tee machte ich mich daran, die Scheiben zu putzen. Dazu nahm ich einen Schlauch, der im inneren des Restaurants lag, schloß ihn am Wasserhahn an und befreite so vor allem die Frontscheibe von der Insektenkruste, auf die ein ICE stolz gewesen wäre.
Als ich den Schlauch zurückbrachte, sah ich einige Münzen am Waschbecken liegen. "Almut!", rief ich nach draußen. "Jaa?", erscholl ihre tiefe, ruhige Stimme. "Hast Du das Geld da hingelegt?", fragte ich. "Ja. Warum?" War ja klar. Man mußte nun nicht Sherlock Holmes sein... Auf eine Erklärung verzichtete ich. Wirf's halt in den See...

"Was sucht die Wasserflasche auf'm Tisch? Weg damit, aber schnell..."

Nach dem Scheibenputzen fuhren wir weiter. Auf's Tanken verzichteten wir in der Hoffnung, das Diesel würde in Van billiger sein. Eine Annahme, die uns auf der Herfahrt schon Geld gekostet hatte. Man verfällt ihr immer wieder, schließlich hat es geheißen, man solle Optimmist bleiben.

Etwa eine Stunde später waren wir in Van angekommen. Auch hier: Kaum Kopftücher. Die Stadt ist schon älteren Jahrgangs. Jetzt weiß ich auch, wie ein Ami sich fühl, wenn ich ihm erzähle, daß die Stadt, aus der ich komme, über 2000 Jahre alt ist. Und etwa 1000 Jahre, bevor Augsburg gegründet wurde, war Van bereits die Hauptstadt irgendeines Urartu-Reiches. Gegründet wurde sie angeblich um 1800 vor Christus, also vor fast viertausend Jahren. Ich hielt es erst für Humbug, als wir auf der Suche nach dem Ufer waren und einer, der wohl dachte, wir wollten die Festung ansehen, erklärte, daß dieses Teil fast dreitausend Jahre alt war. "Der hat das wohl mit den Pyramiden verwechselt". Doch es stimmte tatsächlich. Die Leutchen hier hatten schon blühende Großstädte, während wir noch in Höhlen und Bäumen saßen - von den Amerikanern mal ganz zu schweigen.

Ein Gewirr von Baustellen und Einbahnstraßen schien uns davon abhalten zu wollen, an den See zu gelangen. Nach viel Sucherei fanden wir dann auch das Ufer und parkten vor einem netten Restaurant. Es sah zwar nicht gerade preiswert aus, aber zur Feier des Tages zum einen und mangels Alternative zum anderen, wollten wir uns hier niederlassen. Michl erblickte die Bahnlinie, die genau vor dem Restaurant vorbeifloß, geriet ins Schwärmen und hielt einen Vortrag dazu. Woher sie kommt, wohin sie geht, warum es sich hier um genau die Bahn handeln muß, die nach Teheran geht, wer sie wann bauen ließ und alles, was so dazugehört. Wenn er auch mir solch einer Perfektion alltägliche Kleinigkeiten verrichten könnte, wie zum Beispiel seine Schuhe binden, oder den Gürtel durch die Schlaufen der Hose ziehen, dann würde er auch garantiert eine gute Anstellung finden...

Vor altehrwürdigem Gemäuer.

Wir gingen in das Restaurant und nahmen Platz am letzten Tisch vor der Reling. Hinter der Reling begann der Vansee und von unserem Tisch aus hatten wir einen ungehinderten Blick auf die Feste aus uralter Zeit. Eine wahrlich Hervorragende Kulisse für ein Mittagessen. Doch zunächst wurde bestellt. Das Menü war natürlich in türkisch oder kurdisch. Jedenfalls verstand man als Europäer davon kein Wort. das sollte jedoch nicht das Hindernis sein. Der Kellner verschwand und kam kurz darauf wieder mit einem Teller voller toter Fische. Almut ißt sowas nicht, aber Michl und ich durften uns jeweils durch Draufzeigen einen davon aussuchen. Dann eröffnete ich offiziell die Konferenz. Es gab einiges zu erörtern:

1.) Die Scheinwerferfrage mußte geklärt
2.) Die weitere Fahrtroute festgelegt
3.) Das Problem mit der nicht vorhandenen Zulassung gelöst
werden.

zu 1.) Die Scheinwerfer werden es so bis Griechenland nicht überleben. Die Straßen sind hier unten noch schlechter als weiter im Norden. Wir brauchen Gitter. Vorhin, auf dem Weg hierher sind wir an einer Mercedes-Werkstatt vorbeigefahren. Dort standen Militärfahrzeuge (UniMoG). Es erscheint am sinnvollsten, dort nachzufragen und mit der Suche zu beginnen.
Falls das fehlschlägt, werden Pappe und Tesa besorgt.

zu 2.) Eigentlich wollten wir an die irakische Grenze, wie schon zuvor beim Tee besprochen. Allerdings wäre es zwangsläufig eine Rundfahrt geworden, daher verwarfen wir diesen Plan. Stattdessen wollten wir über Kapadokien fahren. Die Gegend war mir noch aus dem Jahr 1999 bekannt und ich wollte sehen, inwieweit Wind und Wetter die Felsformationen mittlerweile verändert hatten.

zu 3.) Die Frage der Zulassung konnte nicht gelöst werden, da wir keine Ahnung hatten, wie man das überhaupt anstellt. In der Türkei ist es sowieso nicht sinnvoll. Am besten man macht das in Griechenland oder, wenn das nicht geht, Italien. Mit fiel ein Komilitone von Benno ein. Er hieß Akis und war ein Riese von Schuhgröße 56 (kein Witz!). Erstaunlicherweise war er Grieche (vermutlich der einzige mit über einem Meter sechzig) und vielleicht könnte man über den irgenetwas herausfinden. Dazu benötigten wir Internet.

Eine Stunde später hatten wir fast sowas wie einen Plan. Als erstes die Scheinwerfer mit Gittern versehen. Dann irgendwo ins Internet, um vielleicht etwas im Zusammmenhang mit der Fahrzeugzulassung herauszufinden. Die Stadt gemäß Beschluß nicht nach Süden, sondern nach Westen verlassen, und irgendwann einen geeigneten Nachtplaz suchen.
Wir waren soweit auch mit dem Essen fertig. "Ich weiß gar nicht, warum es so schwierig sein soll, im Zeitalter von Gentechnik Fische zu erfinden, die keine Gräten haben. Ist doch bei Menschen auch kein Problem. Kaum einer heutzutage hat mehr ein Rückgrat. Geht doch ohne viel besser. Man verdient sogar mehr, schaut's Euch mal die Politiker an, alle." Als wir gingen, kam gerade ein kleines Schiff vorgefahren mit sehr leuter Musik, was ein wenig an die Deutschen mit Migrationshintergrund erinnert, die man gerne auf der Maximilianstraße trifft.

"Ekschdräm, Altär! Türkpop, vollkrass, Mann! In Heimat gibb's andere gleiche, was stehn vor Arkadas mit voll korrekte Anlag'! Und von Familie sie kriegen viel Ehre, waisch Du? Weil Opa, wo jung, hat nur gehabt eine Esel, dann Vater, komme Deuschland, kaufe Ford Transit. Sohn fährt korrekte Bä Äm Wä..."

Wir fanden die Mercedes-Werkstatt zufällig auf Anhieb. Von weitem sah man schon die UniMoG in der Halle. Davor warteten die Fahrer - in Uniforn, natürlich. Ich begrüßte sie, stapfte in die Werkstatt und fragt nach dem Cheffe. Was mich erstaunte war, daß scheinbar keiner Deutsch konnte. Gerade hier. Wo haben die denn ihr Handwerk gelernt? Ich habe da so Standardsprüche, die man in Deutschland anbringen kann, wenn man zum Beispiel fragt, wo einer den Führerschein gemacht hat, oder wo er Kfz-Mechaniker gelernt hat und dann anfügen: "Anatolien auf'm Eselskarren, oder?" Der Spruch funktioniert nur a.) bei Deutschen ohne Migrationshintergrund und b.) außerhalb von Anatolien. Hier stand zweifellos ein Deutschtürke vor mir, aber wir waren in Anatolien. Und obendrein hätte er mich nicht verstanden. Ich packte ihn kurzerhand am Ärmel, schleppte ihn quer durch die Werkstatt, bis wir vor einem Unimog standen. Ich zeigte auf die Scheinwerfergitter: "Gitter! Weisch Du? G-I-T-T-E-R." Dann zog ich ihn weiter zum Daimler. Zeigte auf die Scheinwerfer. "Nix Gitter. Wo?" Er drehte sich um und sprach zu den Soldaten. Vielleicht hat er auf Türkisch gesagt: "Hilfe! Was will der von mir?" Einige der Soldaten kamen. Sie waren in Der NATO, also konnten sie ein paar Brocken Englisch. Ich trug ihnen mein Anliegen vor, sie übersetzten, hörten sich ihn an, und übersetzten mir. Es klang ungefähr so: Ruaf auf Schatrasse, nach da links und fahren bis kommen an Oto-Park, oder so ähnlich. Autopark war gemeint, aber ich weiß nicht mehr, wie es auf Türkisch heißt. Oto-Park jedenfalls nicht, denn das heißt nämlich Parkplatz, soviel ich weiß.

Wir fuhren, wie uns geheißen und hielten an jedem Laden an und ich fragte nach, malte auf, zeigte drauf, bis ich eine einigermaßen befriedigende Antwort bekam. Keiner hatte Gitter, aber immerhin fand ich heraus, was das auf Türkisch heißt, nämlich 'Täl' oder so ähnlich. Konnte ich mir auch glatt merken, denn auf Portugiesisch nannten wir den Moskito-Draht vor den Fenstern 'Tela'. Erstaunlich, daß es im Türkischen überhaupt ein Wort gibt, in dem nicht entweder ütschgütsch oder eine der unzähligen Variationen von ülülü vorkomt. Wahrscheinlich handelte es sich hier um ein Kürzel. Sie alle wiesen jedenfalls in die gleiche Richtung und das war schon mal ein sehr gutes Zeichen. "Exträm!" Wir pesten weiter. Rein in den fließenden Verkehr, wieder raus, fragen, gestikulieren, deuten, zeigen, malen, wieder einsteigen, weiter. So ging das eine ganze Weile, bis wir an dem Oto-Park oder Oto-Irgendwas angekommen waren. Es stad zwar nirgendwo dran, aber wir wußten, daß wir richtig waren. Überall läden, ein ganzes Dorf und alle Geschäfte hatten irgendwas mit Auto zu tun. Polstereien, Lackierereien, Spenglereien, und alle anderen -ereien, die irgendwas taten, was an einem Auto benötig wurde. Nun mußten wir nur den richtigen Laden rausfinden. Wieder fing ich an, nach der bewährten Methode zu agieren, aber einige Minuten später waren wir am Ziel. Ich ging in den Laden hinein, deutete auf einem Poster auf einen Scheinwerfer und sagte: "Täl!" Dann zeigte ich auf das Auto, das draußen stand. Er kam mit, sah es sich an, ging wieder hinein, verschwand hinter den Regalen um kam wieder heraus mit einigen Sätzen Scheinwerfergitter. Alles dabei: Runde, Trapezförmige, Rechteckige, Viereckige... Ich nahm jeweils einen und hielt sie vor die Scheinwerfer. Die Rechteckigen paßten. Ich bezahlte umgerechnet sieben Euro für das Paar. Nun brauchte ich jemanden, der sie festmachte. Er schickte mich an das andere Ende der Straße. Dort fuhr ich wor eine Werkstatt, in der etwa vier Jungs recht unmotiviert herumsaßen und Tee schlürften. Ich hielt ihnen eines der Gitter vor die Nase und zeigte auf die Scheinwerfer. Er verstand nicht. Ich ging mit dem Gitter vor das Auto, stellte es vor den Scheinwerfer, ließ los und - wer hätt's gedacht? - es fällt auf die Erde. Dann regte ich mich über diesen Zustand künstlich und bühnereif auf, drückte ihm das Gitter in die Hand und fuhr in die Werkstatt hinein. Sie hatten's kapiert, daß ich die Gitter befestigt haben wollte. Mann! Manchmal könnte man sich wirklich die Haare einzeln rausreißen. Zwar sind die Türken weitaus weniger Begriffsstutzig als die Perser, aber es reicht immer noch. Was wird wohl einer wollen, wenn er mit zwei Scheinwerfergittern in der Hand steht und auf die Scheinwerfer zeigt? Klar. Wenn man ein wenig drüber nachdenkt, könnte es auch sein, daß ich sie verkaufen wollte, oder, was auch immer. Wie gesagt: Wenn man nachdenkt. Und das geschieht bei mir nur gegen Dollar...

Als das erledigt war, war es 17:20 Uhr. Fünf Minuten später stellten wir fest, daß wir so eine Pseudzeitzone überfahren haben mußten. Die Uhr wurde eine halbe Stunde zurückgestellt, so daß es nun erst 16:55 Uhr war. Was soll überhaupt der Quatsch? Eine Stunde, OK, aber eine halbe? Das ist bestimmt so ein saublödes "Wir erkennen die Zeit nicht an, weil die Türken / Kurden / Suiten / Schiniten uns nichts vorzuschreiben haben". Völlig überflüssig. Bei diesem Anlaß gab ich die Geschichte von drei Palästinensern zum besten, die ich auf einer Webseite gelesen habe:
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Das geht's zu...

Wir fuhren los zurück in die Stadt. Erst ein Internet-Café suchen. Dabei half uns der Lonely-Planet. Dann einen Parkplatz suchen. Dabei half uns keiner. Dann den weg vom Parkplatz zum Internet-Café. Dafür war Michl gedacht, aber diesmal war der Weg so einfach, daß selbst ich ihn ohne nachzufragen fand. Es handelte sich um eine Art Mall, in der sich ein Internet-Café neben dem anderen befand. Ich wollte natürlich meinen LapTop anschließen und nicht die halbe Zeit damit verbringen, die Tastatur zu verfluchen, weil die Tasten nicht dort sind, wo sie hingehören und weil ständig der Punkt auf dem i fehlt. Ich ging in das eine, in dem ich den LapTop anschließen durfte, Almut in das andere, von wo aus sie das Auto im Blick hatte. Ich hatte einige eMails im eBriefkasten, die mit anderen Worten das gleiche fragten: "Was ist passiert? Wo seid Ihr?" Nach der Antwort braucht man nicht lange suchen: "Cancel the state-funeral, tell the King to stop blubbing, Flash is not dead..." Wir verbrachten knappe vier Stunden dort. Die anderen hatten wohl ein ähnliches Problem.

279.882 kmKomisch. Sowas gab es bei unseren ersten Touren nie. Keine Nachrichten sind gute Nachrichten, und ihr hört von uns, wenn wir wieder da sind. Wenn telephoniert wurde, dann an hohen Feiertagen, aber ansonsten waren wir einfach irgendwann wieder da. Seit der Südamerikafahrt ist das Internet ein Bestandteil unserer Fahrten geworden, ohne daß es jemand bisher gemerkt hat, geschweige denn gewollt. Und auch, wenn das Mobiltelephon im Iran nichts nützte, weil man keinen Empfang hatte: Es war immer eingeschaltet am Mann. Überhaupt hatte sich in den letzten 10 Jahren die elektronische Ausrüstung ihren Weg an Bord gebahnt, so wie Ratten auch immer irgendwie auf ein Schiff finden. Zwar hatte ich auch in Spanien 1996 ein Handy dabei. Damals machten die Hersteller noch keine großen Unterschiede zwischen Cellphone und Phonecell, und allein schon deswegen trug man es nicht ständig mit sich herum, sondern es wurde eingeschaltet, wenn jemand telephonieren mußte. Aber heute kommt immer automatisch der rechte Ellenbogen an die Hüfte und wenn das Telephon nicht da ist, dann zuckt man zusammen und überlegt, ob man es irgendwo beim Laden hat, oder im Auto gelassen. In der Türkei ging das Netz wieder und daher hatte ich es immer am Mann. Man ist immer erreichber, außer, man hat keinen Empfang, und das war selten. Im Westen der Türkei wird sogar noch angezeigt, wo man sich gerade befindet. Im Osten hört es auf, weil die Leute nur noch den Koran lesen können. Aber seltsam ist es doch.

Einen LapTop hatte ich auf der ersten Fahrt nach Libyen auch dabei. Aber ich habe ich nie benutzt. Die Straße war einfach spannender als der Kasten. Und danach kam die Zeit, in der Elektronik im Auto so geduldet war wie Rost. "Weg mit dem Scheiß, brauchen wir nicht." Almut hat sich in dieser Hinsicht bis heute nicht verändert. Keinen Millimeter. Computer und Internet, wenn es für die Arbeit unerläßlich ist, ja. Aber im Haus hat sowas nichts verloren. Mobiltelephon sowieso nicht. Die Argumentation ist sinnlos:
Fr. Dr. Hinz: "Ich will nicht immer und überall erreichbar sein. Es reicht, wenn in der Arbeit das Telephon ständig klingelt."
Der vernünftige Mensch: "Wenn Du nicht erreichbar sein wilst, dann schalt es aus."
Fr. Dr. Hinz: "Wozu brauche ich es dann, wenn es ständig abgeschaltet ist?"
Der vernünftige Mensch: verspürt das Verlangen, ihr links und rechts eine zu schmieren. Aber er tut's dann doch nicht. Eigentlich hat sie ja recht und wenn man sie ein klein wenig aus der Ruhe bringen könnte, würde sie wahrscheinlich sagen: "Wer hat vor ein paar Jahren hier noch groß getönt, daß es viel romantischer ist, ohne Verbindung zur Außenwelt unterwegs zu sein?" Und sie hat ja auch recht - das ist auch der Grund dafür, daß ich ihr nie eine aufgestrichen habe. Das liegt nicht nur daran, daß ihre Bizeps doppelt so groß sind wie die meinigen.
Wie dem auch sei, das Handy blieb eingeschaltet am Koppel eingehakt.

Gegen neun Uhr fuhren wir weiter. "Aber immer mit frischem, frohen Mut, zieh'n wir der Heimat zu..." Der Lonely-Planet verriet einen Camping-Platz auf dem Weg nach Westen, aber immer noch am Ufer des Vansees. Wir hielten noch einmal kurz an, um Cigaretten zu holen, denn unsere waren dabei, auszugehen. Dann verließen wir die Stadt und fuhren durch die Nacht in Richtung Westen auf der Suche nach einem im Lonely Planet erwähnten Camping-Platz. Wir fuhren eine ganze Weile, über eine Stunde, dann kamen wir in einem Kaff an, in dem mehrere Campingplätze ausgeschildert waren. Wir fuhren den erwähnten an. Nichts. Zu. Suchten den nächsten, standen vor einem Krankenhaus. Hm. Fuhren weiter und standen vor einer Kaserne. Blöd. Dann fanden wir einen mit Restaurant, das eher einem Biergarten glich. Ich ging hinein, um zu ergründen, wie es mit Duschen aussah. Sie zeigten mit eine Art waschküche, aus der ein Schlauch aus der Wand kam. Zu Deutsch: Sie hatten keine. Wenn das so ist, kann ich auch in der Pampa pennen. Da hab ich das Gleiche und es ist obendrein sauberer und umsonst. Weniger Preis für höhere Leistung. Gut. Weiter. Wir fuhren zu einem anderen Campingplatz im selben Kaff, doch das Ergebnis war auch das selbe.

22:45 Uhr: 279.970 km. Militärkontrolle. Ziemlich gründlich und ziemlich nervig. "Wir Tourist. Nix Terrorist", sagte ich. Ich dachte, das klingt vielleicht ähnlich wie Türkisch für "Verpiß Disch, Altär...", aber es half nichts. Geduldig ließ ich sie den Kofferraum auseinandernehmen. "Wollt ihr vielleicht noch irgendwas zur Analyse ins Labor bringen?", fragte ich. Einer der uniformierten fragte nach, weil er natürlich nichts verstanden hatte. Ich sah ihn genervt an, zeigte auf die Straße vor uns, machte eine Geste des Schlafens, dann sagte ich: "Askeri", zeigte ihm fünf Finger und dann auf den hinter uns liegenden Straßenabschnitt. Was ich eigentlich sagen wollte war: "Ich hatte schon viele Kontrollen bevor ich hier ankam. Wenn die was gefunden hätten, wäre ich nicht hier und wenn ich hier bin, dann ist es einfach so gut versteckt, daß ihr Dösköppe es eh nicht findet oder aber es ist nichts Illegales im fucking Kofferraum, könnt ihr jemand anderen nerven, Ihr hirnloses Kanonenfutter?" Mir fehlten nur leider die Worte. Aber eines stellte ich hier laut fest: Über 80 Mio. Türken können nicht korrekt Deutsch. "Da muß man was machen", sagte ich und wir fuhren weiter. Für alle, die nicht wissen, wovon ich spreche: Bist Du blöd, oder was?

23:55 Uhr: 280.041 km. Das generve geht gleich weiter: Wieder Militärkontrolle. "Alter, was willsch Du?" Was werden sie wohl schon gewollt haben? Wieder mal das Fahrzeug durchsuchen, um wieder nichts zu finden. "He, Arkadasch! Paß halt auf, da!", machte ich einen davon darauf aufmerksam, daß das Zeug auch kaputtgeht, wenn man es im Scharnier einklemmt. "Kann ich jetzt weiterfahren, oder wollen Sie noch weitersuchen?", fragte ich, hatte dabei die Arne überkreuz, sah nach oben und tappte mit dem rechten Vorderfuß rhythmisch auf den Boden.

Ich hatte keinen Bock mehr. Wenn das deutsche Bullen gewesen wären, ich hätte schon bei der ersten Kontrolle die erste Anzeige gekriegt. Ich fuhr bis zum nächsten Kaff und beschloß, daß wir da übernacht bleiben. Das Kaff hieß Tatvan. Die heißen ja auch alle gleich. In Tunesien waren wir in einem Kaff, das Tetouan hieß, in Marokko in einem, das Tataouine hieß und alle drei bedeuten wahrscheinlich "Ehre sei Allah, dem Allmächtigen und seinen zwölf Jungfrauen", oder irgend so ein religiöser Dreck. Keine Ahnung, es interessierte mich auch einen alten Kehricht. Ich wollte nur mich in Ruhe in ein Bett flacken und vor mich hinmotzen.

Am Ortseingang sah ich einen Wegweiser mit der Aufschrift "King's Motel". Er wies nach rechts, und da fuhren wir auch hin. Der stand zwar nicht im Lonely Planet, aber mal sehen. Wir fuhren eine kleine Staße entlang, die immer dunkler wurde. Am Ende stand ein Haus. Das war wohl das Motel. Ich fuhr bis genau vor den Eingang. Da kam auch schon einer raus. Ich stieg aus und fragte, ob das ein Hotel sei und wieviel die Nacht kostet. 30 Micky Maus insgesamt, also 5 € jeden. Sie hatten immerhin Brausebäder mit warmem Wasser, wenn auch nicht auf dem Zimmer. Almut war es egal, weil sie immer nur kalt brausebadet, aber für Michl und mich war das schon mal ein Pluspunkt (das letzte mal, als wir kalt duschten war 1997 in Schweden). Wenn das Wasser kalt ist, dann duscht man eben gar nicht. Ist doch auch egal. Aber wenn man duscht, dann muß das Wasser warm sein. Das Erdgeschoß war wohl in sowas wie eine Disko umfunktioniert worden. Jedenfalls plärrte da orientalischer Tekkno heraus. Das war uns allen wurscht. Michl hört sowieso nichts und Almut und ich hatten in Afrika unseren Talamus dahingehend ausgebildet, Lärm zu ignorieren.


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