Persien 2006
Mittwoch, 13. September

Die Strecke kam mir irgendwie bekannt vor. Ich war noch nie zuvor hier gewesen, aber an irgendetwas erinnerte sie mich. Sehr stark sogar. Ich grübelt und rätselte, bis ich beim passieren eins kleinen Dörfchens, das keinen Strom hatte, drauf kam. "Peru. Das hier ist wie in Peru, und zwar die Strecke von Naszca nach Cuszco, nur die Straße ist viel besser." Auch die ganze Situation erinnerte daran. Kristallklare Nacht, Sternenhimmel, keine Abfahrtmöglichkeit, kein Verkehr, Buena Vista Social Club, Mond, Serpentinen, kalt, einsame Steindörfer ohne Licht. Sogar die Tankleuchte leuchtete und nirgendwo ein Dorf oder eine Tankstelle. Wie damals. Und doch waren wir auf der anderen Seite der Kugel. Kein Wunder, daß wir uns schon seit Jahrtausenden die Köpfe einschlagen, so winzig, wie sie ist. Uns blieb nichts anderes übrig, als immer weiter zu fahren, immer weiter und weiter, in der Hoffnung, daß sich irgendwann sich links oder rechts der Straße ein Plätzchen zum Übernachten anbot.Nachtplatz in der Nähe des Dorfes Alamut. (01:00 Uhr / 278.337) Doch es tat sich lange nichts. Gegen halb Eins Uhr bog ich um die Ecke, wie immer auf der Ideallinie und sah plötzlich genau vor mir ein Auto, das am Eingang eines Dorfes stand und aufblendete. Bullen. Ich bemühte mich, irgendwie übergangslos zu einer etwas gesitteteren Fahrweise überzugehen (übergangslos = nicht bremsen). In normalen Ländern läuft das so: Wenn man es geschickt anstellt, merken sie nicht, daß man gerade gefahren ist ein eine Gesengte, wenn man es falsch macht, ziehen sie einen raus. Aber da es im Iran kein Gesetz gibt, das es verbietet, zu fahren wie der allerletzte Vollidiot, kann man auch nichts falsch machen. Und selbst wenn sie uns herausziehen sollten, kann man davon ausgehen, daß es keinen Ärger gibt, sondern nur small-talk. Sie wollten uns jedenfalls nichts. Und im Dorf gab es sogar eine Tankstelle. Sie war fast vollkommen verdunkelt, nur die Kühlschränke sorgten für eine schwache Beleuchtung. Ich tankte voll und ging anschließend das Gelände ab, um meine achzig Cent loszuwerden. Als ich mir schon überlegt hatte, das Geld - mangels Wechselgeld eben einen ganzen Euro - einfach auf die Zapfsäule zu legen und weiterzufahren, tauchte aus der Dunkelheit einer Ecke eine Gestalt auf und nahm das Geld entgegen, ohne überhaupt nachzuschauen, ob der Betrag, den ich nante überhaupt simmte. Er fragte nur "Gasoil???" Ich nickte bejahend und durfte weiterfahren. Wir verließen bald das Dorf. Der volle Tank nahm der ganzen Sache aber auch die Dramatik.
Wir durchquerten einen Fluß, der allerdings kein Wasser führte. Auch das erinnerte an Südamerika, allerdings war er hier nicht von der Natur gebaut, sondern von Menschen, daher gepflastert. Unmittelbar danach bogen wir links ab. Ein vorbildliches Verkehrsschild zeigte an, daß wir uns immer noch auf dem richtigen Weg befanden. Wäre auch kompliziert gewesen sich zu verfahren, es ging schließlich immer nur geradeaus.
Einige Zeit später fuhren wir durch ein Dorf. Es hätte Olantaytambo sein können, aber es hieß sicher irgendwie anders. Der Asphalt fehlte und ich fragte mich, ob die überhaupt hier oben schon mitbekommen haben, daß es den Shah nicht mehr gibt. Oder, ob sie überhaupt wußten, wer das war. Die Straße hatte auch grobe Unebenheiten. Am Fahrverhalten merkte man, daß wir ziemlich hoch waren. Das mußte die Kupplung das eine oder andere Mal ausgleichen. Schilder fehlten hier erstrecht. Überhaupt sah es hier so aus, als wäre das Dorf seit Jahrzehnten verlassen. Nur die Autos kündeten davon, daß hier Menschen lebten. Kein Licht brannte, nicht einmal der Wind traute sich, die Totenstille zu stören. Nur der Diesel brach das Schweigen und es hätte mich nicht gewundert, wenn sich rings um uns die Toten aus der Erde erhoben hätten und sich über die Lärmbelästigung beschwert hätten. Nur weg. Nachdem wir festgestellt haben, daß wir ständig im Kreise fuhren, blieb nichts anderes übrig, als wieder dort hinzufahren, wo wir hergekommen sind. Wir hatten eine Abzweigung passiert, kurz vor dem Dorf. Mal sehen, wo die hinführte. Kurz nach dem Dorf fing der Asphalt wieder an, endete aber schon wieder kurz nach der Abzweigung. über schotter ging es weiter. Während sich rechts von uns ein Hang befand, strahlten die Nebelscheinwerfer links von uns in unendliche Leere. An einer Stelle rechts des Ziehwegs, die breit genug war, das Auto zu beherbergen hielt ich an, wendete und analysierte den Platz. Links neben uns schoß ein Hang in die Höhe, der aber nicht aus Felsen, sondern aus Kies bestand. Der Motor schwieg. Das einzige Geräusch, das an unsere Ohren drang, waren Kieselsteine, die in unregelmäßigen Abständen vom Hang rieseln. Wir hatten genug Abstand vom Hang, so daß wir am nächsten Tag nicht unter Kies begraben erwachen würden. Wir richteten das Lager her, wie immer. Die dicke, durchsichtige Plastikfolie zuunterst, dann die Decken, dann die Schlafsäcke. Die Säfte postierte ich zwischen Auto und Hang. Der Kofferraum war noch warm, aber da die Säfte kalt bleiben sollten, mußten sie raus. Dorthin, wo die Sonne meiner Meinung nach morgen als letztes hinscheinen würde.

10:34 Uhr / 278.337 km
Unsere Piste erwies sich als seltsamer Ziehweg. Um uns herum Kies.

Am nächsten Morgen, als ich aufwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Ich war der einzige, der noch im Bett lag. Almut war vermutlich die achthundert Meter ins Tal hinuntergesprungen, Michl saß neben dem Hang und unterhielt sich mit den Steinen. Die Säfte lagen in der prallen Sonne. Almut war natürlich schon vor Sonnenaufgang verschwunden, aber Michl hätte vielleicht die Säfte in den Schatten schaffen können. Stattdessen saß er herum und bemühte sich sichtlich, auf keinen Fall etwas nützliches zu tun. Ich stand auf, nahm einen Stein und schmetterte ihn gegen den Hang, von dem sich weitere Steine lösten und da hinfielen, wo Michl saß. Er merkte nichts davon. Vermutlich würde er es auch nicht merken, wenn ich ihm einen Ziegelstein ans Hirn geschmettert hätte. Er hätte höchstens seine Brille wieder in die schiefe Position gebracht und kurz nach oben geschaut. Also nahm ich die Säfte und brachte sie in den Schatten. Fertigmachen. Während ich mir die Zähne putzte, kam Almut wieder zurück und kochte Tee. Ich wühlte in meiner Tasche und fragte schließlich in die Runde: "Wo sind eigentlich meine Socken und meine Unterwäsche", und hielt das einzige Paar Socken in der Hand, das ich in der Tasche ausfindig gemacht hatte.
"Vorne ist nichts", meldete Almut. "He. Weißt Du, wo mein Zeug ist?", fragte ich Michl. "Nein. Ich weiß nur, daß Du neben dem Kofferraum standest und mich zur Eile angetrieben hast, als ich meine Wäsche verstaut hab." Ich überlegte, suchte noch im Kofferraum umeinander. "Fuck!", stellte ich schließlich fest. Ich hab den ganzen Scheiß in Teheran flacken lassen. Auf dem braunen Stuhl auf dem Parkplatz. "Bis Du sicher?", fragte Almut. "Da hab ich es jedenfalls zum letzten mal gesehen. Und wenn es nicht im Auto ist..." Ich überlegte kurz. Neue Socken und Unterwäsche zu kaufen würde vielleicht 15 Euro kosten. Die 300 km zurück nach Teheran und wieder her, also 600 km, kosten höchstens 1 Euro. "Dann laß und zurück nach Teheran fahren", schlug Almut vor. "That's how I like my girls: Straight into my point..." "Aber dann laß uns gleich fahren, es sind ein paar Kilometer", meinte sie. "Ach, was. Jetzt, wo wir schon einmal da sind, schauen wir uns erst mal die Alamut an. Außerdem brauche ich noch ein Almut-Alamut-Photo. Wir fuhren los. Keiner wußte, wo die Alamut war, also fuhren wir ins Dorf in der hoffnung, daß dort schon jemand auferstanden war. Bingo! Als ich gerade die Straße hinauf fahre, sehe ich einen Bauer in Gummistiefel, der etwas ähnliches wie Hasendung in einen Eimer schaufelte. Ich hielt an und sagte: "Salam! Guter Mann, can you tell me, wo die Alamut ist?" Er ließ ab von seiner Schauflerei, sah mich einigermaßen entgeistert an und sagte "Which language?" Ich muß noch blöder als sonst geschaut haben. Mit so einer Antwort hätte ich nicht gerechnet. Hier am Ende der Welt, ein einfacher Bauer spricht Englisch - und das nicht einmal schlecht. Dabei spricht sonst in diesem Land niemand englisch. Meine Erwartungshaltung war also nicht unberechtigt gewesen. Er beschrieb uns den Weg. Wir waren in der Nacht daran vorbeigefahren. Dorthin fuhren wir zurück. Auf dem Wg hatten wir einen guten Blick auf die Alamut. Ich fuhr rechts ran. "Aussteigen, Aufstellung. Dun nicht! Oder heißt Du Almut?"

Der Hauptdarsteller in diesem Bild, die Festung Alamut, befindet sich dezent im Hintergrund, auf dem Felsen ganz oben. Sie war ziemlich kooperationsunwillig, muß man sagen...

Wenigstens war die Festung so offensichtlich in die Landschaft gesetzt, daß wir sie nicht verfehlen konnten. Man brauchte nur die Straße entlang fahren und man kam an einen kleinen Parkplatz. Dort standen einige Autos, vier oder fünf, vielleicht. "Wenn diese Penner nicht parken würden wie die Schwuchtel, dann hätten wir da auch noch Platz", eröffnete ich die Zeremonie. Die beiden anderen stiegen aus, ich rangierte noch etwas hin und her, parkte vorwärts ein, dann rückwärts, dann fuhr ich auf den anderen Parkplatz, ging zurück, schimpfte ofensichtlich auf den Trottel, der so unorthodox parkte, bis er endlich verschwunden war.

Ich ging zum Auto zurück, parkte es in die Parklücke genau vor dem Schild, das Informationen zu der Feste enthielt. Unter anderem das "deconstruction date", was auch immer damit gemeint war. Das schöne am Iran ist, daß man sich keine Sorgen machen muß, daß jemand ins Auto einbricht, oder - noch unwahrscheinlicher - das Auto selbst klaut. Völlig sorglos machte wir uns auf den Weg hinauf auf die Alamut. Mit meiner Kondition war es nicht weit her. Almut raste voraus - "Ich geh ganz normal". Michl keuchte hinterher. "Ich bin mit zwei Gestörten unterwegs. Hilfe!" Daß sich von denen auch keiner normal benehmen kann. Ich photographoierte den einen oder anderen Eselstreiber. Die waren gekleidet, als ob sie in die Oper wollten, doch sie trieben nur ihre Esel den Hang hinauf. Und ich photographierte sie dabei.

Ein persischer Eselstreiber mit Esel.

Dafür erntete ich Kritik von Almut, die sich ungefähr so anhörte: "Wenn ich das wäre, ich hätte Dir schon lange einen Stein an den Schädel geworfen..." "Aber wiesoooo denn?", fragte ich, "Die scheint es nicht im geringsten zu stören." Sie erzählte, daß in Teheran ein Idiot mit Kamera rumgesprungen war, der "zufällig" eine Stunde lang Bilder von völlig uninteressanten Plattenbauten machte, während sie mit den Rumäninnen auf der Parkbank saß und "zufällig" war die Parkbank immer zwischen Kamera und Plattenbau. Mein Standpunkt ist: Kameras tun nicht weh, solange man sie nicht an den Kopf kriegt. Und wen es so stört, der kann ja Meldung machen. Wir gingen, keuchten, schleppten uns die dreißigtausend Stufen hinauf auf die Festung und trafen als erstes auf ein Schild, das sich das Photographieren verbat. "Na, toll. Alles umsonst." Nicht genug damit, daß sie gerade renoviert wurde, man durfte auch keine Photos machen und an jeder Ecke saß ein Arbeiter, der stark an die Mexis in L.A. erinnerten: Sie ackerten so hart, daß es einem dabei schlecht zu werden drohte.

Als wir schon wieder gehen wollten, sprach uns jemand auf Englisch an, wir sollten noch ein wenig warten, denn "der Mann da" würde uns herumführen, wenn es uns nichts ausmacht. Almut war als einzige etwas skeptisch, aber ich erklärte ihr, daß es hier so ist, wie in Libyen: Hier verlangt hinterher niemand Geld. Der uns umherführte und uns die Geschichte der Burg erzählte war ein Wehrpflichtiger. Er sprach gut Englisch und wollte auch, nach seiner Dienstzeit, in die USA. Vom Regime war auch er nicht begeistert. "Ja, spinnt Ihr denn jetzt alle? Wie wollt Ihr denn einen Krieg gewinnen, wenn ihr nicht hinter Eurer Regierung steht?", wäre meine Frage gewesen. Aber stattdessen unterschrieben wir das Buch, das an jedem anständigen Berg ausliegt. Wir wunderten uns, wieviele europäische Touristen sich hier gerade vor ein paar Tagen eingetragen hatten. Wir stellten zufrieden fest, daß wir nicht die einzigen waren. Es gab außer uns noch ein paar, die sich nicht von der Dreckspropaganda einlullen lassen und trotzdem in den Iran fahren - Australier, Engländer, Holländer, Deutsche, Italiener, Amerikaner, sogar die depperten Franzosen. Propaganda gibt es überall. Im Iran, selbstverständlich, das bestreitet keiner; aber auch in der sogenannten "Freien Welt". Eines haben Menschen in Tel Aviv, in München, in Teheran, in Washington gemeinsam: Sie möchten in Ruhe leben. Sie haben keinen Grund, einander zu hassen und es wäre vielzuviel Streß für jeden einzelnen, auf den anderen zu ballern, denn sie kennen sich nicht mal und keiner hat dem anderen persönlich etwas getan. Aber genau diese Menschen sind es, die aufeinander schießen werden, wenn die Zeit gekommen ist. Das ist so ein Irrsinn, wenn man überlegt. Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles, ach, wir Armen...

Unten rechts im Eck, der blaue Fleck, stellt das Auto dar...

Immerhin durfte ich unter Aufsicht ein paar Photos von dort oben machen. Dann stiegen wir wieder hinab. Auf dem Parkplatz angekommen, richteten wir alles zurecht. Es waren immerhin gute dreihundert Kilometer nach Teheran. Wir hatten noch den ganzen Tag vor uns, über 24 Stunden bis zur Ausreise. Wir würden es rechtzeitig bis zur Grenze schaffen. "Wo ist denn meine Handtasche?", fragte Almut. "Unter der Decke auf dem Hintersitz." Wir fuhren los. Kurz nachdem wir den Parkplatz verließen, fragte ein alter Mann, ob wir ihn mitnehmen könnten. "Michl. Hinter", machte ich Platz frei. Der alte Mann hatte noch eine Art Enkelin oder gar Unrenkelin dabei.

Er stieg ein, bedankte sich ein paar tausend Mal. Ich steckte mir eine Cigarette an, bot ihm auch eine an, die er dankend entgegennahm. Seiner Enkelin hielt ich auch die Schachtel an, aber die reagierte nicht. "Da! Nimm! Das beißt nicht!", aber sie starrte mich nur mit großen Augen an, als würde ich eine ihr vollkommen fremde Sprache sprechen. "Na, dann eben nicht. Einmal will man höflich sein..." Im nächsten Dorf angekommen, verabschiedete er sich auch schon wieder. Es war das gleiche Dorf, das wir auf der Hinfahrt in der Nacht passiert hatten. "Ist ja klar, es handelt sich hier um eine Stichstraße", klärte mich Michl auf. Es sah etwas geschäftiger aus als in der Nacht. Zwar war der Oppa der einzige Mensch, den man sah, aber immerhin standen nun Türen offen und einen Laden gab es auch.

Keiner versteht mich...

Wir fuhren gleich weiter, die Einladung zum Tee lehnten wir dankend ab. Wir mußten noch bis Teheran und in guten 30 Stunden an der Grenze sein. Könnte knapp werden. Aber wir lagen gut in der Zeit. Wir durchfuhren den Rest des Dorfes. So gut die Straßen außerhalb der Ortschaften sind, so schlecht sind sie innerorts - nicht immer, aber sehr oft. Ich denke mir, daß es daran liegt, daß die Überlandstraßen Sache der Regierung sind, während die Straßen innerorts den Dorfchefs überlassen werden und die stecken sich das Geld lieber in die eigene Tasche als in den Straßenbau. Das war in Libyen auch oft so, daß die Straßen innerorts im Vergleich zu den Überlandstraßen in einem katastrophalen Zustand waren. Wie gesagt: Vergleichsweise. "Wer aber einmal Brasilien von Nord bis Süd durchfahren hat, der bekommt erst einen Begriff vom Sinn des Wortes 'schlechte Straßen'", wollte ich meine Theorieschöpfungsstunde beenden, aber Almut ließ mich noch nicht. "So schlimm?", fragte Almut. "Noch viel schlimmer. Hättest ja mitfahren können, aber Du wolltest ja nicht. Mußtest unbedingt arbeiten. Und zum Schluß hast den Job gar nicht bekommen und hättest bleiben können - wie ich's Dir gesagt habe. Und jetzt sag ich's Dir wieder: Vergiß das mit Libyen! Aber nein, ich weiß schon, wie es wieder läuft: Du weißt es wieder besser, wir fahren nicht ums Mittelmeer, sondern heim, recht blöd, nur um festzustellen, daß wir einen Tag zu spät angekommen sind, oder daß es gar ausfällt", fegte ich Almut an. "Das könnte sogar passieren. Ich habe nämlich nichts gehört." "Na, also, was willst Du mehr? Falls Du ein paar Ausreden brauchst, ich kann Dir gerne ein paar liefern... Da war ich immer ziemlich gut." "Nö, nö, laß mal... Außerdem fahren wir schon noch durch Brasilien, auf dem Weg nach Ulan Bator, nämlich", sagte Almut, gewohnt optimistisch. Aber dafür muß erst Kleingeld an den Start gebracht werden. "Das ist gar keine so dumme Idee. Dann von Buenos Aires nach Europa verschiffen und weiter. In den Iran müssen wir sowieso. Außerdem bin ich die Strecke zwar gefahren, aber nicht viel davon mitbekommen." "Wieso das?" "Wieso... Weil Madame Gabi 'Da nicht hin, das nicht machen, wir haben's keine Zeit, ich hab Angst um mein Leben' Z. L. auf dem Beifahrersitz saß. 'Schnell schnell, nicht Wale anschauen, sondern nach Costa Rica zum Tauchen' - vermutlich ist das Meer eine Woche später weg. Weiß man nie. Liegt schon seit ein paar Jahrtausenden da." "Ah!, das versteh ich sowieso bis heute nicht, wieso Du das gemacht hast", schaltete sich Michl ein. "Weil ich zu der Zeit selber keine Kreditkarte hatte, weil keiner Lust hatte, mitzufahren, außer Gabi, weil die Madame da hinten Wichtigeres zu tun hatte und weil ich irgendwie nach Zentralamerika mußte, raus aus diesem brasilianischen Dreck... Zum Beispiel. Und Du", pöbelte ich wieder in Richtung Almut, "mit nach Belém gefahren wärst, damals, dann wäre sowieso alles anders gekommen. Aber nein, Du mußtest ja wieder Deinen Dickschädel durchsetzen. Das hast jetzt davon... Kannst ein Stück von Deinem Doktortitel abbeißen!"
So, oder so ähnlich laufen die Gespräche an Bord für gewöhnlich ab. Sie bewegen sich zwar oft im Grenzbereich zwischen Schwachsinn und Unsinn, aber die eine oder andere gute Idee ward daraus entstanden: Captain Cook, zum Beispiel.

Ein Dörfchen zwischen der Alamut und Qazven.

Aber nun genug gepöbelt. Wir hatten eine Aufgabe zu erfüllen: Die Unterwäsche holen. Das aber nur, weil der Diesel hier so unverschämt billig ist, daß es sich durchaus lohnt, 600 km wegen ein paar Socken und Unterhosen zu fahren. Das klappt nur in 'Schurkenstaaten'. In den Ländern der 'Guten' ist so ein Manöver vom ökonomischen Standpunkt unvernünftig - und alle anderen Standpunkte zählen sowieso nicht.

Vier Stunden fuhren wir wieder zurück, ohne anzuhalten. Eigentlich wollte ich es so hinkriegen, daß wir bei beginn des Berufsverkehrs wieder auf dem Rückweg waren, doch das klappte nicht. Vor Teheran kamen wir in einen Stau, dann ging es wieder und wir kamen relativ zügig voran, wobei man aber schon merkte, daß es jetzt erst losging und, daß man immer langsamer vorankam.

» Hier ein kleiner Videomitschnitt des Stadtverkehrs Teheran.
(Format: mov, Auflösung: 160 x 120, Länge: 63 sec., Größe: 8,56 MB)

Als wir vor dem Hotel standen war es bereits 17:00 Uhr. "Hello, did you forget something?", begrüßte mich die Madame vom Hotel. "Ja, eine grüne Tüte mit Klamotten drin." "Wo?" "Auf dem Parkplatz..." Ich ging hinaus und die Tüte lag tatsächlich da, so, wie ich sie abgelegt hatte. Ich nahm sie und ging wieder, stieg ins Auto und fuhr los. "Bloß raus, bevor hier die Hölle los ist". Der Verkehr war jetzt schon fast zähflüssig. "Fuck!", brüllte ich zehn Minuten später, als ich gerade wieder auf der Höhe des Hotels war. Man mußte drei mal rechts fahren, um auf die Straße zu kommen. "Was hast vergessen?" "Die fucking Rechnung. Dreck! Ich latsch schnell zurück", sagte ich und suchte nach einer Möglichkeit, das Auto abzuparken. Vor einer Werkstatt stand ein Kanister, wohl um den Platz für die Kunden freizuhalten. Tut mir Leid, das ist ein Notfall. Der Typ aus der Werkstatt kam auch gleich, wie erwartet. "Fünf Minuten, bin gleich wieder da." "Ah, OK", meinte er. Ich schoß los, so schnell man in meinem Alter noch rennen kann, kam völlig außer Atem an der Rezeption an, wurde vom Personal ausgelacht und sagte "Rechnung". Bis sie diese erstellt hatte, hatte ich mich wieder beruhigt und ging normal zum Auto zurück. So. Das wäre geschafft. Ich stieg ein und fuhr los. "Jetzt aber nichts wie raus aus Teheran." Ich fuhr, was der Diesel hergab, das einzige, was mich aufhielt, war der Verkehr. Ich hupte, schubste und drängelte mit den anderen mit, bis wir die Stadtgrenze erreicht hatten.

Nein, es ist keine Absicht. Es ist reine Blödheit.

Um 17:40 Uhr waren wir am Hotel losgefahren, fast eine Stunde später, um 18:35 Uhr (278.617 km) waren wir an der Stadtgrenze angekommen. Wir fuhren wieder an den Raketenstellungen vorbei, doch für ein Bild war es schon wieder zu dunkel. An der Ausfahrt schoß ich vorbei. Geduldig drehte ich um, legte die Eisenstange auf das Armaturenbrett. "Das ist für den Fall, daß Du noch mehr so Scherze auf lager hast", erklärte ich Michl. Wir hatten beschlossen, auf der Autobahn zu fahren, statt auf der Landstraße. Einige Zeit später, als wir uns auf der Autobahn befanden, fragte ich Michl: "Fahren wir nun Autobahn oder Landstraße?" "Autobahn. Haben wir doch dick und breit beschlossen." "Nein! Ich wollte aber Landstraße fahren!", sagte ich, was natürlich nicht den Tatsachen entsprach, aber sehr zur allgemeinen Unterhaltung beitrug, weil Michl daraufhin ausflippte. "Ah! Herrgott, ich geb's auf. Kannst Dich vielleicht mal entscheiden? Ich hab..." - der Rest ging in meinem Gelächter unter. Irgendwie muß man sich ja die Zeit vertreiben, oder?

Ich hielt nur einmal an, um das Diesel aus den Kanistern in den Tank zu füllen, da die Warnleuchte schon seit einer Weile an war. Wir holten nach, was wir beim ersten Mal verplant hatten: Wir fuhren nach Sultanniyeh. Das war zwar nicht weit von Teheran, aber das Auffinden bereitete etwas mehr Aufwand als zunächst angenommen. Was noch mehr Aufwand beteitete, war das Tanken. Die Leuchte leuchtete wieder. Ich fuhr an die erste Tankstelle. Der Tankwart meinte, Diesel wäre aus. "Wie, aus?" Ich bedeutete ihm, daß ich auch dafür zahlen wollte. Meinetwegen hätte ich ihm das Doppelte gezahlt - auf die Weise hätte ich es auch mal geschafft, für mehr als einen Euro zu tanken. Aber nein, es war nichts zu machen. So fuhren wir als unverrichteter Dinge weiter. Uns entgegen kam ein Laster. "Jede Wette, daß jetzt wieder Diesel da ist." "Das kann ich mir gut vorstellen", meinte Almut dazu. Ich erzählte ihr, daß uns das auf dem Weg nicht nur einmal passiert war. Allerdings hatte sie auch keine Erklärung für dieses merkwürdige Verhalten.

Da es schon ziemlich spät war, und Tankstellen erfahrungsgemäß länger aufhatten als Restaurants, beschlossen wir, erst etwas zu essen, und uns dann weiter auf die Suche nach einer normalen Tankstelle zu machen. Wir fanden in Zanjan an einer Straße ein offenes Restaurant. Ein typisches Restaurant, sehr einfach gehalten mit weißer Plastikgarnitur. Ich wollte Kabob. Wir gingen hinein und nahmen oben Platz. Der Kellner kam. Ich fragte nach Kabob mit Reis. "Kabob ja. Drei?" "Zwei", ich hielt ihm zwei Finger entgegen und zählte sie ab. Dann sagte ich "Coca-Cola" und hob ihm drei Finger entgegen. Er wiederholte: "Drei Kabob, drei Cola". "Zwei!!!! Eins, zwei! Kabob. Danke." Er zählte die Leute am Tisch und kam auf drei. Ich zeigte auf Almut und machte ein "Nein". Zeigte auf Michl, sagte "Kabob", zeigte auf mich und sagte "Kabob", zeigte auf Michl, sagte "Coca-Cola", auf mich, "Coca-Cola", auf Almut "Coca-Cola". Nun schien er es verstanden zu haben und ging. Nach einer Weile kam ein anderer und brachte drei Teller mit Kabob und ohne Reis. Ich schüttelte den Kopf. "In der Gegend sollte die bayerische Landespolizei Nachwuchs anwerben. Lauter Blöde", sagte ich und fragte, ob ich einen zurückgehen lassen soll. "Ihr beide schafft das schon", sagt Almut. Wir begannen zu essen, dann kamen die Getränke. Zwei Fanta- und ein Cola-Ähnliches gebräu. "Hat hier einer was von Fanta gesagt?", fragte ich. Die sind ja wie die Afrikaner, nur, daß sie noch um Welten schlechter Autofahren. Reis konnte ich ihnen nicht enlocken. Angeblich gab es keinen. Das fällt ähnlich leicht zu glauben, als wenn ein Tankstellenwärter im Iran, dem Land wo Reis und Diesel fließen, erklärt, Diesel sei aus. Das ist so, als würde ein Deutscher mit ernster Miene erklären, in Deutschland gibt's keine Spießer mehr.
Als mein Cola fertig war und ich noch das halbe Fanta von Almut ausgesoffen hatte, bestellte ich nochmal ein Cola, wobei ich ihm die Flasche hinhielt, auf das Etikett zeigte und ihm einen Finger entgegenhielt (nicht den Mittleren, obwohl ich es mir überlegt hatte). Er kam wieder mit einem Fanta in der Hand. "Ich glaub, die machen sich über uns witzig..." Selbst Almut, die im Leben nur ganz selten jemanden kritisiert und das auch nur dann, wenn es überhaupt gar nicht mehr anders geht, ließ sich zu einem "Das versteh ich jetzt auch nicht. Das ist doch Begriffstutzigkeit". Sie schüttelte sogar den Kopf, womit bei ihr schon die höchste Stufe des Mißbilligung zum Ausdruck gebracht war. "Hab ich jemals gesagt, Du bist begrifstutzig?", fragte ich Michl. Ohne eine Antwort abzuwarten, die "Ja" lauten mußte, erklärte ich, daß sich das spätestens jetzt relativiert hätte. "Von dem kannst selbst Du noch was lernen." Almut gab mir ihren Geldbeutel, ich zahlte und wir gingen. Der Tank war immer noch nicht voller geworden.

Bei der nächsten Tankstelle wieder das selbe. Mir wurde es langsam zu blöd. Bei der dritten Tankstelle war es nicht anders. Das Auto hatte ich an der Zapfsäule stehen, die am weitesten von der Kasse entfernt war. Der Tankwart meinte, Diesel sei aus, ließ sich, wie die anderen auch, nicht dazu überreden, einfach die Zapfsäule einzuschalten. Als ich zurück zum Auto gehen wollte, sah ich, daß ein LKW auf der anderen Seite der Säule stand und der Fahrer packte seine Handschuhe aus. "Gasoil tamam", sagte ich zu ihm und zeigte auf die Säule, machte eine Bewegung des Halsabschneidens. er sah mich an, nahm den Zapfhahn, drückte ein paar mal auf den Schlater an der Säule, aber es setzte kein Brummen ein. Er gab mir ein Zeichen zu warten und ging zum Tankwart. Kurz darauf schrie er zu uns herüber, wir sollen anfangen. Ich nahm den Hahn und ließ den Tank vollaufen. "Ich wüßte zu gerne, was der Trick ist..." Vielleicht hätte es geholfen, Almut mit großen blauen Augen zum Tankwart zu schicken, aber dafür ist das Fräulein Doktor viel zu korrekt unterwegs. Jedenfalls hatten wir nun unser Diesel und konnten weiter. "Danke, Herr LKW!" Er winkte uns zu und tankte dann seinen LKW voll. Es war nicht mehr weit bis nach Sultaniyeh. Dort gibt es die größte Ziegelmoschee der Welt zu sehen. Zumindest steht das so im Reiseführer. Und da sie auf dem Weg liegt, kann es nicht schaden, sie einmal anzuschauen.

Vor einem Kaff namens Kheyr Abad, es war das letzte vor Sultaniyeh, stand plötzlich der Verkehr. "Was soll jetzt der Scheiß schon wieder?", regte ich mich auf. "Welcher Scheiß?", fragte Michl, wobei nicht klar war, ob er den Stau nicht sieht, oder ob er meint, ich pflaume ihn schon wieder an. Ich machte mir nicht die Mühe, ihm alles im Einzelnen zu erklären. Stattdessen fuhr ich rechts von der Straße ab und auf einer Sandpiste an der Kolonne vorbei. Schon von Weitem sah man die Polizei. Da schien was los zu sein. eigentlich hätte ich jetzt umdrehen sollen und mich wieder hinten anstellen, aber die waren, wie es schien, zu beschäftigt, um sich um uns zu kümmern. Scheinbar handelte es sich um einen Unfall - wieder mal, wie unerwartet...

Ein Bus nahm gerade Faht auf und ich reihte mich dahinter ein. Wenn man an dem Bus vorbeischaute, sah man ein Metalknäuel, erinnerte stark an eine als "leer" gekennzeichnete Cigarettenschachtel, nur viel größer. Eine Spur von Scherben, Obstkisten und verschiedenen Flüssigkeiten führte von der Stelle, an der die Piste in die Straße mündete zu dem Wrack. Der Verkehr wurde über die Gegenfahrbahn, links vorbei am Wrack geleitet, das quer zur Fahrbahn dalag. Es war ziemlich mitgenommen, nur die dunkelblaue Farbe und die im Gelände verstreute Ladung ließen noch drauf schließen, daß es sich um einen Saïpa handelte, einen dieser Pick-Ups iranischer Bauart. Das Fahrzeug, das ihn gerammt haben muß vermutete ich links von der Fahrbahn, etwa drei oder vier Meter tiefer. Ich sah es zwar nicht, aber dort unten war auch ein Polizeiwagen. Am linken Fahrbahnrand standen mehrere Menschen. Könnten die Fahrgäste eines Busses gewesen sein. "Diese unglaubliche Blödheit muß man einfach auf Bild bannen", dachte ich mir, "Fenster auf, Kopf weg", wies ich Michl an, der der Aufforderung prompt Folge leistete. Ich nahm die Kamera in Anschlag und hielt sie am Beifahrerfenster und wartete, bis das Wrack in Position war. Ein leiser Ausdruck des Entsetzens von Almut ließ mich dann allerdings doch den Finger vom Abzug nehmen und die Kamera wegstecken. Dort, wo einmal die Windschutzscheibe des Saïpa gewesen war, lag nun der mutmaßliche Fahrer. Zwischen A- und B-Säule eingeklemmt, sein zertrümmerter Schädel. Ein Auge hatte es ihm aus der Höhle getrieben. Ein Arm hing, seltsam verdreht aus dem Blechhaufen, den anderen sah man nicht. Der restliche Körper lag, fast unversehrt auf dem Armaturenbrett, das nun weitgehend mit der Rückwand abschloß. Und überall Blut. Nicht leuchtend grellrot, wie im Film, sondern fast schwarz. Ich passierte die Stelle hinter dem Bus und gab Gas. Weg hier.

Nur der Diesel war zu hören, ansonsten eisiges Schweigen, das jedes Mal an Bord herrscht, wenn sowas ist. Das kann ich nicht haben. Bloß nicht anfangen, über sowas nachzudenken. "Den hat's förmlich derbazt, kann man sagen", brach ich das Schweigen. "Ah!", sagte Michl, wass auch sonst. "Wie passiert sowas?", fragte Almut. "Durch diese unglaubliche Blödheit, die jeden Perser befällt, sobald er ein Lenkrad zwischen die Finger kriegt." Das war Innerorts. Innerorts! Wahrscheinlich wollte der auf die Straße und der Bus oder Laster ist ihm in die Seite hineingeprescht, ungebremst. Das geht ganz schnell, schneller, als man denkt, jedenfalls. Ich weiß nicht, wieviel Leute eben dabei draufgegangen waren. Gesehen haben wir nur einen, aber wer weiß, ob auf seiner Ladefläche nicht noch die restliche Familie war? Und was ist mit dem anderen Auto? Wieviele hatte der geladen? Rein statistisch betrachtet, sah die Sache so aus: Es war 23:20 Uhr, Vierzig Minuten vor Mitternacht. Alle ca. 20 Minuten gibt es irgendwo in diesem Land ein Bild wie dieses, 72 Mal jeden Tag. Das war - immer noch statistisch gesehen - heute der 70. Tote. Zwei weitere werden noch vor Mitternacht sterben, dann ist das Pensum für heute erfüllt. Und ab Mitternacht geht es sofort weiter mit dem Gemetzel auf dem Schlachtfeld Autobahn. Um es nicht zu dramatisch werden zu lassen: Man kann nichts daran ändern, sowenig, wie man am Wetter etwas ändern kann. Die Aufgabe eines jeden einzelnen ist es, nicht Teil der Statistik zu werden. Die einen haben mehr Erfolg bei der Sache, andere weniger, wie diese zertrümmerte Gestalt am Ortseingang von Kheyr Abad.
"Und dann kommt einmal die Sekunde,
 Sie kommt erbarmungslos,
 Da fährst Du Deine letzte Runde,
 Das ist des Fahrers Los.
 Dann wirst Du nie mehr starten, mein guter Kamerad... ", entstellte ich das alte Fliegerlied ein wenig.

Kurz darauf waren wir in Sulatnniyeh angekommen. Die Moschee sah man schon von Weitem. Die Kuppel wurde offensichtlich renoviert, der Bau stand friedvoll im Licht der Scheinwerfer. Wir fuhren auf dass Gelände, um uns ein Bild davon zu machen. Es war empfindlich kalt.

Die Mosche mit dem weltgrößten Lehmziegelgewölbe.

Irgendwie müssen die Monngolen in dieser Stadt gewesen sein. Zumindest stand auf dem Weg zurück zur Autobahn eine riesige Statue, die irgendeinem Mongolischen Herrscher darstellte. Almut erklärte mir zwar, was diese Herren hierher verschlagen hat, aber für geschichtliche Ereignisse, die mehr als 200 Jahre zurückliegen war ich noch nie Aufnahmefähig. So nach und nach kam das Gespräch eher auf die irgendwann bevorstehende Tour nach Ulan Bator. Ein längerer Aufenthalt in Afghanistan ist unabdingbar, denn Almut benötigt zwar keinen taktischen Plan, um losfahren, wohl aber einen strategischen. Ihr nächstes größeres Ziel ist ihre Habilitation, und die soll was mit Afghanistan zu tun haben. Dazu braucht man jemanden, der das bezahlt. Und natürlich wollte sie Südamerika auch sehen, denn die Tour hatte sie ja verpaßt.
"Aha", faßte ich zusammen, "also, alles, was Du brauchst, ist ein Depp, dem Du klarmachen kannst, daß Du von Kalifornien über Zentral- nach Südamerika, von dort über Europa nach Asien fahren mußt, um in Afghanistan das Zeug für die 'Habil' zu sammeln. Naja... Solche gibt's vielleicht auf der Welt, drei oder vier - in Irrenanstalten, zum Beispiel. Aber wie zum Geier willst Du dem - gesetzt den Fall, er macht mit - dann auch noch klarmachen, daß Du nach Afghanistan auch noch unbedingt weiter bis in die Mongolei fahren mußt?" Irgendwie kam mir der Verdacht, daß ich der Depp bin, von dem die Rede war.
Ich hielt an, säuberte die Scheiben, tat den Saft aus dem Kühlschrank in den Innenraum, einen neuen aus dem Kofferraum in den Kühlschrank und weiter ging's.

Wir passierten wieder jene Stelle, an der sich vorhin der Unfall ereignet hatte. Der Saïpa war mittlerweile weggeräumt, der Stau aufgelöst. Die Polizei war noch da. Rechts des Straßendamms, wo ich das zweite Fahrzeug vermutete, verbrannten Leute irgendwas. Vom Unfall selbst kündeten nur noch Scherben und drei riesige Blutlachen. Öl war es keines, denn es rutschte nicht, Wasser auch nicht, sonst wäre es schon getrocknet bei der niedrigen Luftfeuchtigkeit.


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