Persien 2006
Freitag, 25. August

Genau um Mitternacht satnd das Auto auf einem Acker, neben einer Piste, die südlich von der Straße abging, die zur Grenze führte. Guter Untergrund, wieder einmal. Auch das Rundhorchen ergab nichts Beunruhigendes und so beschlossen wir hier zu bleiben. Michl ging zum Kofferraum, holte seine Zahnbürste und begann, sich die Zähne zu putzen. "Mußt Du genau da hin g'speiben, wo alle anderen laufen müssen? Meinst, wir gehen immer 20 Meter vom Auto weg aus Spaß an der Freud'? Geh da rüber, da kannst hinkotzen..." fuhr ich Michl mal wieder an. Jedesmal ist es irgendein anderer Krampf, den er veranstaltet. Ich kam mir schon langsam vor, wie mein Vater, als ich acht Jahre alt war. Immer wieder das bereits tausend mal Gesagte wiederholen. Wir legten uns hin.
Morgen war der große Tag, der die Entscheidung über den weiteren Fortgang der Fahrt bringen würde. Genau darum kreisten meine Gedanken noch stundenlang, obwohl ich hundemüde war. Würden uns die Perser reinlassen?
Nachtplatz am nächsten Morgen Eigentlich sprach alles dagegen. Die Papiere waren in einem desolaten Zustand, kein verdammtes Carnet. Alles was wir hatten waren unsere Transitvisa. Wir brauchten morgen Zeit, Nerven und eine verdammt gute Story. Die lassen uns vielleicht hinein, aber keinesfalls das Auto. Jeder sagt, ohne Carnet geht nichts. Der Besold muß es ohne versuchen, weil ja alle anderen Deppen sind und nur er den Baum der Weisheit aufgefressen hat. Das hat noch nie funktioniert. Außer das eine mal in Afrika mit der Verschiffung nach Südamerika. Und der Versuch, nach Amerika hineinzukommen. Alle anderen Versuche scheiterten. Von Augsburg aus sah alles viel lockerer aus, aber nun, da die Grenze schon fast in Wurfweite war, kamen alle Bedenken vereint zurück, die ich noch vor einer Woche bedenkenlos über Bord geworfen hatte. "Man kann mit den anderen Spielen, man kann gegen die anderen spielen. Wenn man gegen die anderen spielt muß man aber auch gewinnen", hat mir mal jemand gesagt. Das haut nicht hin. Kann nicht funktionieren. Die anderen schliefen längst und ich lag noch wach und dachte über den Ausweichplan nach. Runter nach Van, und Almut in den Zug werfen, damit sie wenigstens zu ihrem Sprachkurs kommt und zumindest das geklappt hat. Dann zurück nach Erzurum und Visa für Syrien und Libanon besorgen, dann wieder südwärts und versuchen, nach Syrien zu kommen. Das war wohl unausweichlich. Irgendwie mußten Michl und ich den nächsten Monat hier in der Gegend verbringen, bis Almut von ihrem Sprachkurs zurückkehrte. Uns würde schon was einfallen. "Geschlagen kehren wir nicht heim..."

Es war wieder einmal neun Uhr, als mich die Sonne weckte. Ich stand auf, zog meine Stiefel an, ging zum Werkzeugkasten, öffnete ihn und zog aus dem untersten Abteil einen Öldeckel hervor. "Almut, gibst Du Deinem Bruder einen Kuß von mir? Wenn ich das mach, kommt das wahrscheinlich etwas schwul rüber", rief ich über das Autodach zu Almut und hielt den Öldeckel hoch. "Wo hast Du denn den her?" "Da hat einer mitgedacht und sich ausgerechnet, daß irgendein Idiot den Öldeckel in den Fluß wirft oder so..." Der Typ denkt einfach an alles. Der Deckel kam auf den Ventildeckel, der Tankdeckel wieder auf den Tank. Unser Problemchen wäre somit gelöst. Nun galt es, das große Problem anzupacken. Versuchen mußten wir es.

9:45 Uhr, km 271.614: Weiter in Richtung Grenze. Eine halbe Stunde später hielten wir an einer Tankstelle. Der Diesel wurde einfach nicht billiger. Bis auf 2,48 YTL kletterte er hinauf. Wir tankten dennoch gerade soviel, daß wir damit bis zur Grenze kamen und noch ein bißchen mehr, um ungewolltes Stehenbleiben zu vermeiden, wie damals in Finnland. Die Brauchwasserflaschen wurden ebenfalls aufgefüllt. Gegen elf sahen wir den ersten iranischen LKW. Na, der wußte wenigstens sicher, daß er über die Grenze kommt.

Auf den letzten Kilometern wurde die Landschft wieder hochinteressant.

Es gab viele Abschnitte, die aus Schotter bestanden. Ich fuhr wie in Trance, in Gedanken war ich schon längst an der Grenze angelangt - und kam nicht weiter. Das kann nicht sein, daß dort schluß ist, das wäre unlogisch. Doch leider war mit Logik nichts zu wollen, denn nach der war es sicher, daß die Grenze für uns der Umkehrpunkt sein würde. Es spricht einfach nichts dafür, daß es klappen könnte.

Auch sahen wir sehr viel Militär auf der Streckt. Sah fast so aus, als hätten sie alles, was wir in den letzten Tagen passieren hätten sollen auf die letzten paar Kilometer konzentriert. Aber in eine Kontrolle gerieten wir nicht. Meist standen sie nur am Straßenrand, oder winkten uns durch. Mittags gab es leichten Regen. Der ließ die Temperatur etwas sinken, es fuhr sich gleich viel angenehmer.

Bald sah man auch schon in weiter Ferne einen kegelförmigen Berg mit Schnee oben drauf, kaum, daß sich der Berg selbst gegen den Himmel abhob. Man könnte meinen, es war der Olymp. Aber dieser hier war nicht weniger wichtig. Es handelte sich um den Ararat. Da muß unbestätigten Gerüchten zufolge die Arche Noahs gestrandet sein. Hätte auch nicht gedacht, daß wir so nah an dem biblischen Berg vorbeikommen würden.

Der letzte Ort vor der Grenze hieß Dogubayasit. Man kann ihn links liegen lassen, oder die Schnellstraße rechts verlassen und durch den Ort fahren. Die Straße zum Ort bestand aus Schlaglöchern. Brasilien ließ grüßen. Im Schneckentempo drangen wir voran, in den allahverlassenen Ort hinein. Es war ein seltsamer Ort, in dem alle Häuser entweder noch nicht fertig, oder bereits verfallen waren. Das einzige halbwegs ansehnliche Gebäude war die Moschee. Sowas macht mir einen Ort nicht unbedingt sympathischer. Ich unterstelle den Einwohnern damit eine Überbewertung der Religion. Die Türkei war auch bisher das einzige Land, in dem ich mit religiösen Fanatikern in Berührung kam. Geistig zurückgebliebene Dorfdeppen, die sich zusammenrotten, weil zwei Mädchen statt einem Kopftuch nur Kapuzen aufhaben. Das kommt davon, wenn bei den Dorfbewohnern die Eltern gleichzeitig Geschwister sind.

Dogubayasit. Muß man nicht unbedingt gesehen haben. Meine Empfehlung: Einfach auf der Schnellstraße bleiben.

Man braucht sich jedenfalls nur mal den Osten dieses Landes eine Weile anzusehen, um endlich eine Antwort auf die Frage zu finden, ob man die Türkei in die EU aufnehmen soll. Selbstverständlich soll man. Vielleicht bricht die Dreckskonstruktion dann endlich zusammen. Wenn man schon asiatische Länder in die EU aufnimmt, dann am ehesten noch Japan, aber die wären nicht blöd genug. Das hier ist jedenfalls kulturell wie zivilisatorisch tiefstes Mittelalter. "Ora et Labora", brachte man uns bei. Das Beten können sie, meisterhaft. Die meisten laufen mit Beulen an der Stirn aus der Moschee, um damit zu zeigen, daß sie gute Moslems sind (kein Witz). Sie machen den ganzen Tag auch sogut wie nichts anderes. Doch das mit dem Arbeiten haben die hier einfach unter den Tisch fallen lassen, falls es hier überhaupt sowas gibt. Soweit ich weiß ißt man hier vom Boden, und wenn die Besteck, sagen wir eine Gabel sehen, dann meinen sie, das hätte der Arzt liegen gelassen. Ist ja auch einfacher, ständig auf Knien herumzurutschen, als einen besen oder eine Schaufel in die Hand zu nehmen, um mal ein wenig Schutt auf die Seite zu räumen. Das wird vermutlich Mohammed für sie erledigen, wenn er zurückkehrt auf die Erde.

Wir versuchten immer noch ein Internet-Café zu finden. Almut mußte sich nach dem Stand der Dinge erkundigen; wo ihr Pass bleibt, und wo sie ihren Sprachkursleiter treffen soll. Sie hatte nämlich keine Adresse im Iran. Jedoch legte schon das äußere Erscheinungsbild dieses Ortes bem Betrachter nahe, daß es hier nicht mal Strom gibt, geschweige denn Telephon oder gar Internet. Wir begnügten uns mit einem Pfirsichsaft, Eis für 10¢ und einem Brot in Form eines Schafskopfes, und fuhren dann weiter durch den Ort, um dahinter wieder auf die Schnellstraße zu gelangen. Es kamen und viele Leute entgegen, die ihr Sonntagsgewand anhatten. "Es ist Freitag", erinnerte mich Almut. Die männlichen Gemeindemitglieder kamen also gerade von der Moschee zurück, in der sie vermutlich Allah auf Knien dafür dankten, daß sie in diesem bezaubernden Ort leben dürfen. Vor lauter beten kommen die nicht dazu, diese Schande hier mal ein wenig auf Vordermann zu bringen. Zumindest soweit, daß man sich nicht die Hachsen bricht, wenn man über das Straßenpflaster zu laufen versucht.

13:15 Uhr / km 271.832
Der Ararat mit dem blauen Benz davor. Ich muß immer wieder feststellen, daß der für solche Unternehmungen deutlich besser gerüstete braune Benz auch farblich deutlich besser in die Landschaft paßt.

Am Hinterausgang des Dorfes wurde die Straße noch einmal schlechter, paßte allerdings recht gut in die Landschaft. Dahinter erhob sich der Ararat und der sieht hinter einer halbverfallenen Straße wesentlich mystischer aus, als hinter einer nagelneuen, vierspurigen Autobahn. Das muß man zugeben. Rechts von der Straße stand ein Soldat vor einer Raketenstellung. Den sah ich leider zu spät. Jetzt anhalten und die Raketenstellung photographieren ist nicht besonders klug. Ich ließ es. Michl mußte sich noch ein anständiges Hemd anziehen. Das lag im Kofferraum. Zu diesem Zweck befuhr ich eine Piste, die von der Straße abging und direkt auf den Fuß des Ararat führte. Michl stieg aus und machte sich am Kofferraum zu schaffen. "Achtung, LKW!", warnte Almut. Geraume Zeit später, als die Staubfahne sich verzogen hatte, hörte man Michl "Aaah" murmeln. Der Schnellste ist er nicht. "Michl, da kommt wieder ein LKW. Also steig ein oder renn weg, aber bleib nicht stehen und mach die Tür zu." Daß man dem immer alles erklären muß. Wie einem behinderten Kind.

"So ein ähnliches Gefühl hatte ich zuletzt, als ich zum ersten Mal in die USA einreiste", sagte ich zu Almut. Ich war extrem nervös und konnte gar nichts dagegen machen. Nicht mal rauchen, denn ich hatte noch nichts gegessen und Cigarettenrauch auf nüchternen Magen kann ich nicht leiden. Es waren nur noch ein paar Kilometer. Von mir aus hätten es ruhig noch ein paar hundert sein dürfen. Ich fühlte mich irgendwie noch nicht so richtig in Form, um es mit einer komplizierten Grenze aufzunehmen. "Wahrscheinlich fahren wir heute Abend wieder in Richtung Westen", sagte ich zu Almut. "Schön. Ich freu mich auf die Türkeitour." "Ja, super, Almut. Tolle Einstellung..." "Wieso? Du hast doch damit angefangen." Stimmt. Aber ich hatte einfach kein gutes Gefühl. "Es kommt, wie es kommt", sagte Almut. "Ich bedante mich recht herzlich für diese Nullaussage. Und dennoch erwarte ich, daß bis zum letztem Papierfetzen gekämpft wird, wenn es sein muß dann renn heulend vor dem Schlater hin und her, mach irgendwas. Aufgegeben wird jedenfalls nicht. Und stellt Euch schon mal auf harte Verhandlungen und lange Wartezeiten ein."

Kurz vor der Grenze wurde die Straße wieder vierspurig. Zwei Spuren in jede Richtung. Vor uns LKW, auf beiden Spuren. Die Fahrer saßen draußen und kochten Tee. Ein LKW, der schräg hinter uns fuhr, gab mir ein Zeichen, ich solle auf die Gegenfahrbahn ausweichen und bis ganz vorfahren. Leitplanken gab es hier keine. Die Fahrbahnen waren nur durch einen mit Müll gefüllten Graben getrennt. "Hoffentlich sind da keine Glasflaschen dabei"; mit diesen Worten wechselte ich die Spur.

Fünhundert Meter voraus, der türkische Grenzkomplex. In der Vergrößerung besser erkennbar.

Mehr mit einem Gefühl, in eine verlorene Schlacht zu ziehen, vor der man sich jedoch nicht drücken durfte, legte ich die letzten paar Meter zurück . Ran an die Grenze, alles raus, was man nur in der Trickkiste hat und was man so im Lauf der Jahre an Erfahrungen angesammelt hat und dann mit dem Bewußtsein, alles versucht zu haben, wieder zurück in die Türkei. "Verdammt! das ist doch lächerlich. Ich bin auch in die USA gefahren und hatte nichts. Kein Visum, kein Geld, kein Rückflugticket, nichts. Und es hat geklappt, also kriegen wir es hier auch hin." Mit Geld war hier bestimmt was zu machen, aber das mußte im Rahmen bleiben. Wenn die mit Mondpreisen ankommen, dann beißen sie allerdings auf Granit. Die Konsequenz wäre allerdings, falls sich die Sache festfährt, daß wir eben umkehren mußten und woanders hinfahren.

13:45 Uhr, km 271.858: Knappe 182 Stunden und 3.365 km nach der Abfahrt in Augsburg hatten wir nun die Türkei hinter uns gebracht. Mit meiner Schätzung von ca. 4000 km war ich gar nicht so weit danebengelegen, die 700Ein türkisches Dorf in Grenznähe km durch den Balkan hat uns die Fähre erspart. Nun muße erst mal die Ausreise aus der Türkei vollzogen werden. Damit war ich beschäftigt und hatte nicht viel Zeit über die iranische Grenze nachzudenken.

Die Ausreiseformalitäten in der Türkei begannen. Es war relativ ruhig. Wir waren das einzige Auto. Kurz vor uns war noch ein Bus angekommen. Schon beim Heranfahren kamen zwei verdächtige Gestalten. Der eine fragte nach, ob wir wechseln wollten, der andere bat um die Pässe. Er meinte, er wäre beim Zoll auf iranischer Seite und würde deshalb auf türkischer operieren, weil die Türken mit dem neuen Abfertigungssystem, das im Iran gerade eingeführt wurde, nicht vertraut seien. Natürlich rückte ich den Paß nicht raus, sondern fragte ihn, warum er denn keine Uniform anhätte. Statt darauf zu antworten, betonte er nur , daß er uns nur durch die Grenze helfen wollte, und kein Geld von uns verlangen würde. Dennoch kam mir das ganze etwas verdächtig vor. Er hatte nicht mal so ein Namensschild, und das hätte die Seriösitätsstufe auch nur minimal heraufgesetzt. Ich zeigte dem Grenzbeamten die Pässe. Der aber meinte, ich solle das Auto "da hinten" abparken und den Zoll erst erledigen. Der Typ bat um meinen Paß, den ich immer noch nicht so recht aus der Hand geben wollte. Wir gingen zusammen in die Halle, in der sich neben einigen geschlossenen Duty-Free-Läden auch der Zoll befand und der Typ drängelte sich mit meinem Paß vor und verlangte den Stempel. Wie praktisch. Alles, was ich zu tun hatte, war verständnislos mit den Schultern zu zucken und zu signalisieren, daß ich nichts dafür könnte. Man solle sich doch an den Herrn wenden. Der sei "vom Zoll". Der Beamte nahm den Paß, kontrollierte die Angaben im Computer, stempelte ab und gab mir den Paß zurück. Der Typ wollte den Paß wieder haben, aber ich wollte mir den Stempel anschauen. Er erklärte mir die Prozedur. "Da fehlt noch Stempel von Zoll, dann wir gehen Polizei und dann Ihr Geld wechseln. Drüben keine Bank. Alle zu, weil Freitag. Wir machen Grenze fertig und treffen uns drüben wieder. Hast Du Carnet?" "Carnet?", stellte ich mich dumm, "Was ist das?" Er erklärte: "Das ist Papier. Kriegst Du von AutoClub in Deinem Land. Ist für Zoll in Iran. Hast Du nichts?" "Nein. Problem?" "Nein, kein Problem. Gibst Du dem Mann drüben Geld, dann kein Problem."

Auf den zweiten Stempel mußten wir warten. Er sagte, ich solle ihm folgen und ging durch den anderen Ausgang, der gegenüber dem lag, durch den wir hineingekommen waren, auf die andere Seite der Grenzanlage. Das war die Seite, auf der die Fahrzeuge, die aus dem Iran kamen abgefertigt wurden. Während es auf unserer Seite relativ ruhig zuging, war hier die Hölle los. Ein Bus stand da, überall saßen verschleierte Frauen. Offensichtlich keine Türkinnen, diese hier sahen aus wie Pinguine oder Benediktinernonnen. Alle in Schwarz und Komplettschleier von Kopf bis Fuß. Auf dem Bus turnten Leute herum und warfen im hohen Bogen Gepäckstücke bodenwärts. Ein Mann, schätzungsweise mitte Fünfzig schien der Befehlshabende zu sein. Er beobachtete das Ganze mit in die Hüfte gestemmten Fäusten. In der linken Hand hielt er einen Bündel DIN-A4-Blätter. Ab und zu zischte er Kommandos auf Türkisch zum Dach des Busses hinauf. Neben ihm lag eine überdimensionierte schwarze Sporttasche, deren Inhalt er offensichtlich nicht mochte. Zwei abgerissenen Gestalten ordnet er an, die Tasche verschwinden zu lassen, deutete dabei in Richtung Iran. Die taten sich zu zweit sichtlich schwer. "Was ist denn da drin?" fragte ich den selbsternannten Zöllner, der meinen Paß in der Hand hatte, "Leichenteile?" Der Gedanke kam mir nur deshalb, weil die beiden die Tasche nicht an den Griffen nahmen, sondern sie so anpackten, wie man einen leblosen Körper anpackt. "Konterbande. Bus fährt nach Syrien... Das da ist Boss", er zeigte auf den älteren Türken, "der macht Stempel in Paß." Er ging zu ihm hin, hielt ihm meinen Paß hin und redete irgendwas, von dem ich nur "Aleman" verstand. Der Alte gab ihm statt des Passes ein Handzeichen, daß er warten solle. Er wendete sich wieder dem Bus zu und trieb scheinbar zur Eile, wurde etwas lauter, schrie in kurzer Zeit dreimal das gleiche und machte dann Anstalten selbst die Leiter erklimmen zu wollen. Daraufhin flogen noch mehr Pakete vom Dachgepäckträger des Busses. Er ließ alle Pakete fortschaffen, bestellte einen der Zuschauer, vermutlich der Fahrer, zu sich und kam in meine Richtung. Er grüßte bemüht freundlich, gab mir mit meinem Paß ein Zeichen, ich solle ihm ebenfalls folgen. Ich tat das. Im Büro angekommen, stempelte er den Paß ab und gab ihn mir wieder, wünschte eine gute Weiterreise und sagte, ich müsse nun zur Polizei. Der "iranische Zöllner" nahm meinen Paß und ging voran zum Schalter. Der ganze Bus stand davor Schlange. Er drängelte sich wieder vor. Die Leute in dem Bus waren aber nicht Bauchladenhändler und sonstige Gestalten, die man in diesen Bussn antrifft, sondern komischerweise gut gekleidete Männer, die diszipliniert Schlange standen. Keiner Brüllt, keiner Drängelte.Landschaft in der Osttürkei Es hätten Schweizer sein können. Es waren aber Perser. Ich wollte mich natürlich deshalb auch hinten anstellen. Ich habe kein Problem damit, zu drängeln, wenn alle drängeln, auch habe ich dann kein Problem damit, daß ich in so einem Fall als Deutscher bevorzugt behandelt werde. Kam schon mehr als einmal vor. Aber das hier zu tun, wo es so gesittet zuging, wäre nicht angepasst, sondern Proletenhaft. Der Typ aber bestand darauf, daß ich mich vorne anstellte. Er wechselte ein paar Worte mit denen, die inder Schlange standen und sie baten mich, einfach ganz vorne hinzugehen. "OK. Danke. Ich beeil mich auch." "Kein Problem. Germany good. Football very good." He! Das ist ja schon wieder mal was Besonderes. Da fällt erst der Name Klinsmann, und nicht Hitler. Einer in der Schlange fragte mich, woher aus Deutschland ich sei. Ich sage da immer "München", weil das jeder kennt. Bayern München und dieser iranische Fußballer, der in dem Verein spielt, dessen Namen ich mir nicht merken kann. Aber auch hier wider Erwarten, kein Brüllen, kein Drängeln, man kam sich nicht vor, wie der Aff' im Zoo. Bestimmt waren das Geschäftsleute oder Theologiestudenten. Irgendetwas Gebildetes auf jeden Fall. Er sagte "Welcome to Iran". Und damit war das Gespräch beendet. Aber erst mußten wir in den Iran reinkommen. Das Theater stand uns noch bevor. Der türkische Bulle im Kabäusle verlangte, die anderen zwei Paßinhaber auch zu sehen. Ich ließ die Pässe bei ihm, ging zum Auto zurück. "Fressen vorzeigen. Der Herr Türkei da drüben hat's heute besonders wichtig. Wo ist denn Dein Kopftuch schon wieder? Baden?", fragte ich Almut. "Das habe ich abgenommen. Grenzübergänge sind eine offizielle Stelle." Alte Paragraphenreiterin... Aber da drin hockt immer noch ein Mensch und keine Maschine. Sinnlos, ihr das klarmachen zu wollen. Normalerweise stempeln sie einfach die Pässe ab. Nur ganz selten wollen die die Mitfahrer anschauen. Man könnte Leute durch die gegend schleusen und dabei gutes Geld verdienen. Man braucht sich nur den Paß eines Kumpels auszuleihen. Wenn einer den Typen doch sehen will, dann kann der Betreffende immer noch abhauen. Wahrscheinlich war dem Polizisten heute langweilig, weil gar so wenig los war. Doch allmählich kamen noch ein paar Autos, die ihn beschäftigen würden, wie es aussah. Viele davon vollbeladen mit irgendeinem Plunder. Wir gingen diesmal gleich vorne hin. Er sah mich, sagte einen der Namen aus einem der Pässe und ich griff das entsprechende Gesicht und zeigte es auf Verlangen vor. Hinterher entließ ich sie wider. Zuletzt stempelte er meinen Paß ab und wir waren mit den Formalitäten fertig. Blieb nur noch der Vordrängler abzufertigen. Doch der ließ mich ungehindert gehen, erinnerte mich nur daran, daß die Banken drüben zuhätten. Als ich im Auto saß und meine Notizen machte, kam der andere an und fragte, ob wir nun wechseln wollten. Die banken haben drüben zu. "Was ist denn der Kurs?" er wollte wissen, ob Lire, Euro oder Dollar. Geld würden wir brauchen, das stand fest. Und Freitag war tatsächlich. Laut Reiseführer gehen die Perser, anders als die Türken, nicht nach dem christlichen, sondern nach dem islamischen Kalender. Das hieß daß heute bei denen drüben Sonntag war. Für einen Euro gab es hier 8.000 Rial. "Was sagt der Reiseführer?", fragte ich Almut. Der Typ nervte. " Ja, wart halt. Ich schau gerade nach dem Kurs." 10.620 Rial sagt der Reiseführer. Das gab ich auch so weiter. Der Reiseführer war allerdings vom Oktober 2004, der Kurs kann sich in der Zeit durchaus geändert haben, allerdings kann er jetzt genausogut besser sein. Wir wußten es nicht. Daher wechselten wir 20 Euro. Er zählte das Geld und gab es mir. Die zwanzig Euro behielt ich vorerst, bis ich das Geld gezählt hatte. Es waren siebzehn 10.000-Rial-Scheine. Er nahm nun nicht die zwanzig Euro, sondern die Rial und zählte nochmals nach. Ein Schein verschwand in seiner Brusttasche. "Scheisse, jetzt war ich zu langsam..." Ich gab ihm den zwanziger. "Das reicht nicht. Die Banken sind zu, ihr könnt erst morgen wieder wechseln", meinte er. Mit kamen Zweifel. Es konnte durchaus sein, daß es so war wie in Libyen, daß der Kurs im Land viel schlechter wäre. Aber das würden wir ja bald erfahren und dann konnte ich immer noch herkommen und wechseln. Ich erklärte ihm außerdem, daß die Wahrscheinlichkeit hoch sei, daß uns die Perser gar nicht ins Land lassen. Und dann hätte ich einen Haufen iranisches Geld, was mir nichts brächte. Dann könne ich immer noch bei ihm einwechseln. Natürlich zu einem schlechteren Kurs. "Nein, danke. Zwanzig Euro sind genug." Zu Essen hatten wir und mit zwanzig Euro kommen wir im Iran, wenn es sein muß, bis an die pakistanische Grenze. Es war 14:30 Uhr und das Kapitel Türkei war nun vorerst abgeschlossen. Nun, das war die Ouvertüre, das eigentliche Drama sollte ja jetzt erst losgehen: Einreise Iran.

Piste in Richtung GrenzeIch fuhr auf das gorße Doppeltor zu, das die beiden Länder voneinander trennte. Das Niemandsland hatte hier eine Breite von höchstens fünfzig Zentimetern. Wir warteten kurz, das Türkische Tor war zwar offen, aber das iranische nicht. Ein alter Uniformierter erhob sich aus seinem Häuschen und zog es gerade so weit auf, daß unser Auto durchpaßte. Er deutete auf ein Häuschen, an das wir fahren sollten und sagte "Passport". Ich stieg aus, grüßte freundlich und legte ihm die Pässe hin. Er schrieb sich alles auf und schickte mich in die Halle hinter ihm. Um zu dieser zu gelangen, mußte ich um ein Eisengitter herum. Da standen wieder die Busleute. Ich war noch gar nicht an die Schlange gelangt, da kam eine verhüllte junge Frau, deren an sich hübsches Gesicht durch die Nase in der Größe einer Kirchenglocke zunichte gemacht wurde. Aber sie war sehr sehr nett, stellte sich vor, als eine vom Staat abgestellte Touristenbeauftragte, die uns durch die Formalitäten helfen soll. Sie hatte auch ein Erkennungsschild an ihrer Kutte, die farblich zu meinem Lieblingsauto paßte: Goldbraun. Ich sah es mir an. Sah offiziell aus. Normalerweise kann ich die Teile ja nicht ernst nehmen. An allen Grenzen hängen sich irgendwelche Gauner solche Teile an, und geben ich als Beamte aus. Sie bat mich daum, mit allen, die mit mir reisen bei ihr vorstellig zu werden. Ich holte Michl und Almut und schloß das Auto ab. Sie nahm die Pässe und gab diese an der Schlange vorbei beim Polizisten ab, der sie ohne viel Trara abstempelte und sie uns zurückgab. Ich wußte immer noch nicht, wie ich die Alte einordnen sollte, aber nachdem die Pässe abgestempelt waren, bat sie uns in ihr Büro. Das überzeugte mich nun endgültig davon, daß sie wirklich eine Offizielle war. Ich schickte Michl wieder zum Auto zurück.

Sie gab uns einen kleinen Einführungskurs. Als erstes fragte sie, ob jemand von uns Geld verlangt hätte. "Nein, wir haben bisher nur die Stempel bekommen." Sie meinte aber, ob jemand auf türkischer Seite von uns Geld verlangt hätte. Da fiel mir der "Mitarbeiter des iranischen Zolls" ein. Aber er hatte nicht direkt Geld verlangt, sondern wollte nur, daß wir wechseln. "Wir haben hier an der Grenze eine Bank. Die ist immer geöffnet. Da kann man jederzeit wechseln." Nun fragte ich nach dem Kurs, damit ich gegebenenfalls Almut losschicken konnte, damit sie Geld wechselte. Doch der Kurs hier lag nicht bei 8.000, wie drüben, sondern bei 11.600, also wesentlich besser. Waren wir wieder mal einem Gauner auf den Leim gegangen. Der Verlust belief sich auf etwa 6 €. Das war noch im Rahmen. Zum Glück waren wir vorsichtig gewesen. Erst ärgerte sich Almut ein bißchen, aber ich konnte sie davon Überzeugen, daß sie es als Investition betrachten soll. "Schau: Wenn jemand in Zukunft den Iran fährt, dann liest er sich Reiseberichte durch. Da wird er zwangsläufig auf meinen stoßen, so wie ich auch andere Berichte fand, und er wird nicht den gleichen Fehler machen, sondern gleich hier wechseln. Wenn das bei zwei, drei Leuten der Fall ist, dann hat der Typ auf jeden Fall den größeren Verlust gemacht." Damit war Mutter Teresa schon wieder zufriedengestellt. "Stimmt, hast recht." Einen Kehricht hab ich. Sechs Euro waren draufgegangen, und zwar für nichts und wieder nichts. Aber momentan waren die paar Kröten mein kleinstes Problem. Wir mußten in den Iran, und hatten gerade mal die Einreisestempel. Das unüberwindbar erschienende Hindernis bestand darin, das Auto ins Land zu bekommen.

"Haben Sie ein Carnet de Passages?", fragte sie mich. "Nein. Macht das was?" "Nein. Es gibt hier an der Grenze private Firmen, die die Bürgschaft übernehmen. Die kosten allerdings je nach Wert des Autos." Von wieviel Geld sie denn spricht, wollte ich wissen. "Höchstens 400 US$" Das war immerhin schon mal ein Anhaltspunkt. Sie erzählte auch, daß erst kürzlich ein Deutscher mit einem alten Peugeot angereist sei. Der hätte zwar ein Carnet gehabt, hätte es aber vorgezogen, die Bürgschaft zu bezahlen und das Carnet heimzuschicken, damit er das Geld auf dem Konto hatte. 400 US$ galt es jetzt nur, herunterzudrücken. Sie bestellte einen Mitarbeiter her und erkundigte sich bei ihm. Das ging eine Weile, dann wandte sich wieder uns zu und erklärte die Sachlage. Wir hatten ein Transitvisum, Kategorie G. Da langt der Staat zu. Touristen lassen Geld im Land, die müssen nicht so viel bezahlen. Aber das Touristenvisum ist Kategorie B. Transitreisende lassen kaum Geld im Land, da sie nur das Straßennetz benötigten, um von einer Grenze zur anderen zu gelangen. Deshalb wird von denen auch Geld verlangt. Der Großteil davon geht nicht an das Unternehmen, das bürgt, sondern an den Staat. Nun seien wir aber doch Touristen und das Visum bestimmt ein Irrtum. Vielleicht ließe sich da was machen.

Türkischer LKWSie ging mit uns in die eigentliche Halle hinein. Es ging sehr ruhig und gesittet zu, doch keiner lungerte herum. Man bat mich um die Papiere. Wer der Besitzer des Autos sei. "Ich bin der Fahrer", meldete ich mich. Der Typ blätterte im längst abgelaufenen internationalen Fahrzeugschein. "Sind sie Irene H.", wollte er wissen. "Das bin ich", meldete sich Almut. Er bat um ihren Paß. Ich rückte ihn heraus und er verschwand mit all den Papieren. Nach einer halben Stunde kam die freundliche Beamtin, und meinte, es würde eine Weile dauern, weil der Computer-Operator nicht zugegen sei. "Das ist gar kein Problem. Wir haben alle Zeit der Welt. Wir haben nur kein Geld, das ist alles. Wenn ich also für ganz wenig Geld die Einreisegenehmigung bekomme, dann warte ich gerne ein paar Tage." Sie lachte und ging. Viel später kam sie wieder und meinte, falls es Schwierigkeiten geben sollte, sollen wir uns einfach darauf berufen, daß das Visum ein Touristenvisum sei, das versehentlich als Transitvisum ausgestellt wurde.

Nebenbei beobachtete ich ein englisches Pärchen, das auf und ab lief, um sich das Carnet abstempeln zu lassen. Irgendwie fühlte sich keiner zuständig. So einfach war das mit dem Carnet also auch nicht immer. Die beiden reisten allerdings nicht ein, sondern aus. Ich weiß nicht, mit was sie Unterwegs waren. Als ich einmal hinausging zum Auto, um eine Cigarette zu rauchen, fragte mich Michl, wie es denn liefe. "Nichts. Lage unverändert. Der Tanz ist noch gar nicht losgegangen. Stell Dich mal drauf ein, daß wir hier vor acht Uhr nicht loskommen."

Dann hieß es wieder warten. Almut und ich saßen in der Halle, Michl beim Auto. "Hunger", meldete ich mich. "Ich nicht", gab Almut zur Antwort. "Das war mir schon klar. Wollt ich auch gar nicht wissen..." "Du kannst ja den Schafskopf schlachten, wenn Du willst." Wir gingen zum Auto. Almut: "Michl, auch Hunger? Ihr könnt noch die Bifis aufessen, damit wir uns nicht der widerrechtlichen Einfuhr von Schweinefleisch schuldig machen." Der Schafskopf war gut. Wundert mich ehrlich gesagt, angesichts der Umgebung, in der wir ihn erstanden hatten. Er war sogar sehr gut. "Stimmt", gab Almut zu, "aber das beste Weißbrot war immer noch das in Libyen." Ach, ja. Libyen. Das waren noch Zeiten. Alles noch so neu und frisch und unbekannt. Es hatte rückblickend noch jenen Hauch von Abenteuer, wie man ihn aus Büchern kennt. Die Gedanken wanderten nach Nordafrika, jener Teil der Welt, der auf mich bis heute auf eine seltsame Art fasziniert. Ich versuchte zu schlafen, aber es wollte mir nicht recht gelingen, also las ich.

Um zehn nach Fünf kam ein anderer Herr, scheinbar einer vom Zoll. Entschuldigte sich für die lange Wartezeit und meinte, in zehn Minuten wären sie soweit. Wieviel Geld ich der Gesellschaft gezahlt hätte. "Noch gar nichts". Ob sie mir gesagt hätte, wieviel es kosten sollte. "Möglichst wenig", grinste ich ihn an. Dann kamen weitere hinzu. Einer davon war von der Agency, also von dieser Gesellschaft. Er meinte, das Permit kostet 250 US$. "Moment. Ich muß mich beraten". Ich ging zu Almut. "250 soll es kosten", sagte ich zu ihr. "Das ist aber verdammt teuer". Sieht nicht so aus, als wären die verhandlungsbereit. Hat sich mehr nach Fixpreis angehört. 250 US$." "Ach, ich dachte Euro." "Nein. Dollar." "Das ist ja schon mal wesentlich billiger. Für wie lange denn?" "Ich denke für zehn Tage. Das wären 25 Dollar pro Tag. Das holen wir locker wieder mit dem Sprit rein." "Soll ich sie Dir gleich geben?" "Ja." Sie drückte mir fünf Fünfziger in die Hand. Ich gab sie dem Agenten. Er bat mich darum, die haube aufzumachen, damit er die Fahrgestellnummer ablesen könnte.

Der Zöllner selbst blieb da und wir unterhielten uns.
"Die Frau auf dem Rücksicht macht einen sehr gelehrten Eindruck."
"Jaja, die lernt den ganzen Tag Vokabeln. Doziert an der Uni in Leipzig. Jetzt muß sie nach Teheran, um Persisch zu lernen."
"Schaut sie immer so traurig, oder ist es, weil Ihr so lange warten mußtet?"
"Neinein, die gehört so. Die ist halt Deutsch..."
"Nun, tut mir dennoch Leid, daß ihr so lange warten mußet. Mit einem Carnet wäre es etwas schneller gegangen."
"Ja, aber sehen sie: Das Auto ist in Deutschland höchstens 50 Euro wert, als Teilelager zum Ausschlachten. Ich sehe nicht ein, 3.000 Euro zu hinterlegen. Das ist 60 mal mehr, als das Auto wert ist, das steht in keinem Verhältnis." Das verstand er. Dann erklärte er, daß das Benzin im Iran sehr billig sei, etwa 80 ¢, wenn ich es richtig verstanden habe. Und eine vollwertige Mahlzeit in einem normalen Restaurant für zwei Personen etwa fünf bis sieben Dollar. Er hieß uns herzlich willkommen und verabschiedete sich, als gerade der Typ von der Gesellschaft kam mit einem Bündel Papiere. Er konnte kein Englisch, gab mir aber zu verstehen, daß er mitfahren wollte. Ich setzte Almut vor, Michl hinter und bat den Typen, hinten einzusteigen. Die Schranke ging hoch, die Drehzahl auch und wir fuhren los. Auf dem Weg ein Fußgänger. Er zeigte auf ihn, sagte: "Stop! Friend!" Ich hielt neben dem Fußgänger an. Er stieg aus, sie unterhielten sich auf Persisch. Nach kurzer Zeit stieg er wieder ein und es ing weiter. Wir hielten an einem Würfelförmigen Häuschen, das anscheinend immer noch zur Grenzanlage gehörte. Er sprang mit den Papieren hinaus. Ich stieg auch aus und ging zum Eingang. Ein auffallend gutgekleideter Beamter in Zivil bot mir zu Essen. Ich lehnte dankend ab. Es wäre auch gar keine Zeit dafür gewesen, denn ich stand gerade mal ein paar Sekunden, da kam der Gesellschafter schon wieder mit den Papieren. "Finisch. Good bye!", sagte er und wies mit der hand in Richtung Iran. Wir bedankten uns und fuhren los.

Nach kurzer Zeit und gebührendem Abstand hielt ich an. Almut tauschte wieder mit Michl. Sie saß lieber hinten. "Ich glaub's nicht. Wir sind drin!" So richtig fassen konnten wir es nicht, daß es so glatt gelaufen war. Und überhaupt nicht nervig. Zwar hatte es gedauert, aber mit meiner Einschätzung lag ich gewaltig daneben. Es war vermutlich 17:30 Uhr (271.860), und nicht acht oder neune abends. Und wir haben es doch irgendwie geschafft, auch ohne Carnet. Wir waren im Land von Tausendundeiner Nacht. Das alte Persien, das schon eine Hochkultur war, als unsere Vorfahren noch wie die Affen in den Bäumen lebten. Der Orient. Das Land der Schahs. Der Schurkenstaat. Im Reiseführer dazu: "Der offizielle Staatsname lautet seit 1935 'Iran', abgeleitet von 'Eran - Land der Arier' " Genau das haben Irland und der Iran gemeinsam. Almut klärte mich darüber auf, daß die Perser zwar die arabischen Schriftzeichen verwenden, allerdings noch ein paar Buchstaben zusätzlich hätten (z.B.: P und G). Ähnlich wie bei uns das J, das K, das W, das Y, die es im römischen Alphabet nicht gab.

Das erste Iran-Photo. Das letzte Grenzhäuschen verschwand nun langsam im Rückspiegel.

Über die Zeitumstellung waren wir uns nicht im klaren, konnten aber diesbezüglich nichts machen. Wir fuhren gemütlich durch Bazargan, den Grenzort. Es gab viele Speed-Bumps. Die Kennzeichen trugen auch die indischen Zahlen, oder die arabisch-indischen (so werden sie jedefalls unter Windows 2000 in der Zeichentabelle bezeichnet, "Extendet arabic-indic digit"). Alles sieht hier etwas gepflegter aus, als vor der Grenze in der Türkei. Als erstes mußten wir uns natürlich verfahren. Wir bogen rechts ab und es kam uns nach einer Weile verdächtig vor, daß die Straße immer enger wurde, der Verkehr immer dichter. Wir hielten an und fragten nach dem Weg nach Teheran. Man wies und genau in die entgegengesetzte Richtung. Wir wendeten und fuhren, wie uns geheißen. Plötzlich hielt neben uns ein Auto, und jemand begüßte uns. Sein Name war Dariusch. Er wollte mit uns einen Tee trinken. Ich erklärte ihm aber, daß wir eilig nach Teheran müßten, da wir auf einer Deadline waren. Er fragte, ob wir fragen hätten. Wir fragten erneut nach dem genauen Weg. Dann noch nach dem Weg zur nächsten Tankstelle. Er gab uns seine Telephonnummer, damit wir ihn anrufen könnten, falls wir etwas bräuchten, oder um doch noch der Einladung zum Tee nachzukommen auf dem Rückweg. Was uns in dem Moment nicht einfiel war es, nach der Uhrzeit zu fragen. Das fiel uns erst einige Kilometer weiter auf.

Irgendwann kam uns die Gegend komisch vor. Sah nicht so aus, als wäre hier noch eine Tanke, denn wir hatten den Ort längst verlassen. "Vielleicht war bei dem Busbahnhof vorhin eine Tankstelle in der Nähe", meinte Michl. Wir fuhren zuück. Der vermeintliche Busbahnhof stellte sich dann aber als Tankstelle heraus. Es standen nur so viele Busse an, daß man meinen könnte, es wäre ein Busbahnhof. Als wir ankamen, sagte man uns, daß die Tanks leer seien. Nächste Tankstelle in zehn Kilometern. Dort fuhren wir hin. Wieder LKW-Schlangen. Ich stellte mich an eine Säule, aber der Tankwart laberte irgendwas von einem Fisch und zeigte auf ein Fenster am Tankstellengebäude. Ich fuhr mit dem Auto dorthin. Im Portugiesischen heißt 'Ficha' soviel wie 'Schein'. Vielleicht kam das ja aus dem Persischen, wie so vieles andere auch. Jedenfalls war genau das gemeint. Ich ging hin und wollte 30 Liter. Das sollte reichen, da ich dachte, das Diesel wäre im Landesinneren billiger. Da bekam es der Typ hinter dem Fenster mit mangeldem Wechselgeld zu tun. Auf den 10.000er konnte er trotz der Tonnen an Papiergeld, die überall versteut lagen, nicht 4.000 rausgeben. Die Kanister waren leer, also verdoppelte ich einfach die Menge. Er gab mir einen Fisch und wir fuhren zurück an die Säulen, bis der Tankwart uns einen Platz wies. Ich tankte voll. Zufällig paßten die sechzig Liter genau in den Tank. Ein oder zwei Liter schwappten wieder raus aus dem Tank und mir über die Hose, weil ich gerade einen der Kanister aufmachen wollte, da ich dachte, es würde nicht ganz langen. Macht nichts, das verlieh mir eine männliche Duftnote.

Ortsausgang Bazargan

Ich fragte Almut, wieviel das jetzt umgerechnet gekostet hätte. "Nicht mal einen Euro, trotz des schlechten Kurses..." Hier läßt es sich anscheinend leben. Vollgetankt für 90 Cent. Um 19:00 Uhr (271.902), es war schon stockdunkel, fuhren wir weiter in Richtung Teheran. Bis dahin war es noch ein gutes Stück. In einem Dorf hielten wir an, um Getränke zu besorgen. Auch hier gab es gute Säfte, wie ich schon bald feststellen konnte. Die Uhr wurde um eine halbe Stunde vorgestellt. Das war das erste mal in meinem Leben, daß ich bei einer Zeitumstellung nur eine halbe Stunde vor- oder zurückstellte. Normalerweise sind es doch immer ganze Stunden. Das tat ich auf Almuts geheiß. Sie begründete das zwar wissenschaftlich, aber mein Interesse an wissenschaftlichen Begründungen hält sich in solchen fällen sehr in Grenzen. Ich fuhr wieder zurück zur Hauptstraße, wartete den Querverkehr ab und fuhr nach links auf die Hauptstraße hinaus. Plötzlich hörte ich ein Hupen, von quietschenden Reifen begleitet. Doch das Auto, das den Lärm veranstaltete war noch etwa 50 Meter weit weg. Ich fuhr eine langgezogene Linkskurve, so daß ich ganz rechts, an der Leitplanke entlang fuhr, um dem Huper platz zu lassen, so daß er vorbeifahren konnte. Das tat er erst, schaltete aber dann den Warnblinker an, stellte sich quer vor unser Auto und die Tür ging auf. Was wollte der denn? Vielleicht hatte ich seine Geschwindigkeit ein wenig unterschätzt, aber Platz wäre noch genug gewesen. Wie dem auch sei,. Ich hielt ihm die Hände entgegen, wie ein Soldat, der sich ergibt. Er sah wohl, daß wir Ausländer waren, stieg wieder ein und fuhr weiter... "Die Aktion hab ich jetzt nicht kapiert." Ist auch völlig unüblich. Selbst wenn ich ihn geschnitten hätte, sowas ist hier doch völlig normal und kein Grund, auch nur zu hupen. Oder?

Gemütliches Dahintuckern auf nächtlicher LandstraßeDer Straßenbelag war erstklassig. Europäischer Standard. Nur das mit der Beschilderung klappt in den Ortschaften nicht so ganz. In Maku verfuhren wir uns schon wieder. Wir waren Mangels Schilder umgedreht und die Landstraße verlassen, waren in die Ortschaft gefahren, wollten, wieder mangels Schilder, den Weg nach Teheran erfragen und man schickte uns zurück in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Wären wir einfach weitergefahren, hätten wir die Ortschaft ignoriert, dann wären wir jetzt genauso weit. Doch nach der Karte führt die Straße durch den Ort und nicht an ihm vorbei. Das hatte Michl etwas irritiert, daher das ganze Manöver. Normalerweise würde ich mich darüber aufregen, aber ich war die Gemütlichkeit in Person. Wir hatten die Grenze hinter uns, alles andere würde sich schon finden. Ich ließ Almut die Tassen füllen und wir machten eine auf Wohnzimmer. Der Fernseher war die Windschutzscheibe und wir saßen da un schlürften unser Kaltgetränk. Das nächste Ziel auf dem Weg war Tabris. Vor uns fuhr im Abstand von etwa zwanzig Metern ein LKW, gefolgt von einem dieser weißen PKW iranischer Bauart. Paykan heißen sie. Wir näherten uns, um zu überholen. Der Paykan war gerade dabei, dasselbe zu tun. Plötzlich zitterte der LKW ganz ungewohnt und unter seinem linken Hinterrad stieg ein Reifenmantel ausgebreitet in die Höhe, fast so hoch, wie die Ladefläche des Kippers, der darübergefahren war. Etwa drei Meter lang und dreißig Zentimeter breit war das Teil, ganz sicher mindestens fünfzehn Kilo schwer. Ein LKW Reifen, eben, aber in voller Länge und er flog quer mitten über die Fahrbahn. Es flog noch, als ich die Bremse betätigte, dann zog ich nach rechts und wich aus. Unangenehm. Fährt man drüber, ist mindestens die Ölwanne im Eimer, fliegt es gegen die Scheibe, hat man bei der Geschwindigkeit wohl Reifenspuren auf Brust oder Nase. "Hast Du verschüttet?", fragte ich Michl, während ich mich selbst inspizierte und feststellte, daß zufällig nicht ein Tropfen des Kaltgetränks danebengegangen war. "Ich hab schon ausgetrunken gehabt..." Gut. Almut meldete sich von hinten: "Magst Du mein Fahrer sein, wenn ich mal ganz viel Geld habe?" "Du und viel Geld? Eher geht ein Kamel duch ein Nadelöhr. Verschenkst es eh bloß an Unbedürftige, wennst mal eins hast." "Wer weiß wer weiß. Wart's ab." "Aber nur, wenn wir dann zu Deinen Einsatzgebieten auch fahren statt fliegen." "Das läßt sich sicher einrichten." Was macht die überhaupt um die Uhrzeit noch wach? "Ich dachte, Du schläfst..." Nein, sie hatte alles mitgekriegt. Ist wohl doch nicht jeder so, daß er sein Wachsein dadurch bekunden muß daß er ständig Lärm macht.

Weiter geht's. Um 22:00 Uhr erreichten wir tabris. Wieder die alte Leier: verfahren. Teheran ist nirgendwo ausgeschildert. Ist ja nicht so, daß wir mit den arabischen Schilden nichts anfangen könnten (zumindest solange Almut an Bord war), aber wenn keine Schilder vorhanden sind, dann hilft die Fähigkeit zu Lesen auch nicht weiter. Hier ist nicht der im Vorteil, der lesen kann. Wir fragten uns durch und michl versuchte, mit dem groben Stadtplan aus dem Einsamen Planeten zu navigieren. Erfolglos. Wir fuhren auf und ab. Es war viel Verkehr und die Fahrweise der Perser gefällt mir nicht. Ich bin wirklich mehr als tolerant, was das angeht. Ich liebe den Verkehr in Süditalien, in arabischen Ländern, in der Türkei, aber das Fahrverhalten hier war nicht zügig, war nicht schwungvoll, war nicht temperamentvoll, es war einfach nur dumm. Ohne Regeln, ohne Hirn, einfach nur dumm. Jeder fährt irgendwie und keiner weiß genau, was eigentlich geht. Eine gewaltige Umstellung, selbst wenn man gerade auf der östlichen Türkei kam. Da drüben ging es in der Beziehung vergleichsweise wirklich sehr zivilisiert und geordnet zu. Anderthalb Stunden dauerte es, bis wir aus dem Kaff wieder herausgekommen waren, nach viel Fragen und nach noch mehr Kreisverkehren. Sowas Blödes. Anderthalb Stunden, das waren über hundert Kilometer, die wir verloren hatten.

Es ging weiter auf der Landstraße. Die Witterung war auch seltsam. Innerhalb weniger Kilometer wechselte das Wetter ständig. Mal war es feuscht, dann wieder trocken, dann wieder warm, dann wieder kühl. Vielleicht lag es an Gebirgen, die wir durchfahren haben mochten. Am fahrverhalten merkte man nicht viel und sehen konnte man ebensowenig. Ist nur eine Vermutung. Wir fuhren weiter und ich sah mich langsam nach Nachtplätzen um. Sah nicht sonderlich gut aus.


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