Alaska 2003
Freitag, 9. Januar 2004

Wir fuhren wieder gegen Mittag los, tankten noch schnell, die Visa funktionierte wieder. Ich fragte nach Wischerblättern. "Die 20-Inch-Blätter müßten passen", meinte der Tankwart. "Ganz bestimmt nicht, denn ich brauch 53 Zentimeter-Blätter. Das hier ist Kanada, Kanada ist metrisch, Sir." Bloß nicht hier auch noch diesen Unsinn anfangen. Er gab mir Recht - natürlich, was soll er denn sonst tun, wenn ich doch nun mal Recht habe? Wir gingen hinaus. Zwar passte das Blatt, aber er hatte nur eines da. Das half nicht wirklich. Aber er setzte meine Blätter instand und zwar für umsonst. Nun konnte man die Wischerarme wieder hochklappen ohne, daß dabei die Blätter wegflogen. Da ich demnächst unter Kippenmangel leiden würde, nahm ich noch eine Packung Kautabak mit. Das wurde mir empfohlen.

Da hat wohl einer im Suff einen Abflug gemacht und sitzt im Gefängnis...

Die Strecke kannten wir nun schon, zwar von der anderen Seite, aber sie hatte sich nicht groß verändert. Die Fenster tauten langsam wieder auf, die Temperaturen stiegen an. Schlatung und Kupplung waren leichtgängig, ich nahm einen Karton vor dem Kühler nun ganz heraus, da der Motor bei Anstiegen hart an der Grenze arbeitete. Den kurzen hellen Tag nutzten wir, um möglichst viele Kilometer hinter uns zu bringen. Fuß aufs Gas, denn die Nacht schränkt die Sicht doch sehr ein. Almut nutzte das Tageslich, um sich weiterzubilden, besser gesagt, um auch einmal etwas für die Bildung zu tun. Statt Arabischvokabeln zu pauken, las sie den braven Soldat Schwejk. Den muß man einfach gelesen haben, da führt kein Weg daran vorbei. Der gehört zur Bordbibliothek.

Als wir abends Watson Lake passierten fiel mir ein, daß ich ja noch ein argentinisches Kennzeichen unter der Beifahrerfußmatte hatte. Das hatte sich Catarina an einem Schrottplatz nahe San Luís auf der Fahrt nach Mexiko besorgt und dann vergessen. Auch als er nach L.A. kam, um mich zu besuchen, dachte keiner von uns an das Nummernschild. Das sollte jetzt in Watson Lake bleiben. Diesen Schilderwald hatten wir auf der Hinfahrt gesehen. Ein Soldat mit Heimweh hatte ihn angelegt und seither tut jeder Hinz und Kunz ein Schild dazuhängen. Da ist alles mögliche und unmögliche im Laufe der Jahre aufgehängt worden. Schilder von Arzt- und Anwaltspraxen, Autokennzeichen, Namensschilder, deutsche Kennzeichen und Ortseingangsschilder, Wegweiser, Vorwegweiser, es ist einfach Krank, was hier alles hängt. Es scheint, als ob jeder, der nur irgend etwas schildähnliches übrig hatte, das einfach an einen der Pfosten genagelt hat, ohne System, ohne tieferen Sinn. Und man will ja nicht aus der Reihe tanzen und trugen dazu bei, Watson Lake zuzuschildern. Ich kramte das Schild unter der dampfenden Fußmatte hervor, suchte den Hammer aus den unendlichen Tiefen der Kofferaums hervor, dann wurde noch die Werkzeugkiste nach Nägeln durchsucht. Es waren genau zwei rostige zu finden. Dann zog ich mir die Gamaschen an und stapfte durch den Tiefschnee an einen frischen Pfosten und nagelte das Schild fest. Eigentlich gehörte da eines meiner Kennzeichen hin, ich hatte ja drei davon. Aber wir wollen ja irgendwann wieder nach Alaska und da brauchen wir schließlich wieder etwas zum annageln. Weiter ging es in Richung Südosten. Die Himmelsrichtungen bringe ich nhier jedes mal durcheinander. Mein Leben lang war Westen da, wo Frankreich liegt und Osten da, wo Rußland liegt. Hier ist auch das verkehrt herum...

Die rote Leuchte ging an. "Schon gut, wir haben noch in den Kanistern". Wir passierten einige Käffer, sahen sogar einige Tankstellen, aber die hatten zu. An einer davon stand ein Schild: Bitte klingeln. Die Zapfsäulen waren sogar beleuchtet, aber es waren Zapfsäulen älteren Jahrgangs, ohne eingebaute Kreditkartenmaschine. Ich klingelte und wartete darauf, daß sich eine Stimme meldet. "Hallo!?" Nichts. Wieder klingeln. "Hallo, ich hätt gern ein Buch!" Nichts. "Verdammt! Ich hab jetzt keinen Bock auf Dieselumfüllen. Wieso ist da keiner?", dann wieder in den Lautsprecher: "Hallo, Ohren!?!" Nichts, der Lautsprecher blieb stumm.

Es half nichts, wir hatten schon an die 150 Kilometer mit brennender Leuchte hinter uns, bald würde der Motor zu stottern anfangen und dann stehenbleiben. Ich malte mir aus, was dann passieren würde: Am Rand der dunklen Landstraße füll ich dann doch das Diesel um, ohne Licht natürlich, um die Batterie zu schonen, dann die Finger abfrieren beim Pumpen oder erst die Batterie leerorgeln, um dann entweder vom LKW plattgefahren zu werden oder zu erfrieren - und das mit zwei vollen Dieselkanistern auf dem Dach. Der Gedanke war mir als dann doch zu idiotisch und ich machte mich daran, das Diesel vom Dach in den Tank zu füllen. Natürlich hatte ich immer noch keinen Schlauch, der lang genug gewesen wäre, um direkt umzupumpen, also stand ich da bei -30°, füllte fünf Liter aus dem großen Kanister in den kleinen Ölkanister, dann schüttete ich den Inhalt in den Tank, wobei jedesmal eine Menge des kostbaren Lebenssafts danebenging. Dann das ganze von vorn, bis ein Kanister leer war. Das Diesel in den Kanistern war nicht mehr durchsichtig, sondern weißlich und ziemlich zäh, es dauerte fast zehn Minuten, bis fünf Liter durchgeflossen waren. Aber die Reserveleuchte ging immerhin aus, das heißt, wir hatten weitere 150 Kilometer mindestens. "Aufsitzen..." Und weiter ging es. Im Laufe der Fahrt ging dann die Leuchte wieder an. "Keine Sorge, wir haben noch einen vollen Kanister. Damit schaffen wir es bis zum nächsten größeren Kaff. Welches ist das überhaupt?" "Größer? Das wäre dann Fort Nelson. Etwa 250 Kilometer." "Könnte klappen, wenn nicht... werden wir segeln."

Beim Dieselumfüllen an einer geschlossenen Tankstelle.

Wir kamen vorbei an Toed River. Wir erkanten das Café wieder, in dem wir auf der Hinfahrt gesessen hatten und Coca-Tee getrunken hatten. Ich probierte zu tanken, aber das ging wieder nicht. Keiner da. Und auch keine Unterkunft. Almut stellte ruhig fest: "Es gibt drei Möglichkeiten: Den zweiten Kanister Umfüllen und weiterfahren, hier bleiben und warten, bis sie aufmachen oder nicht umfüllen, weiterfahren und erfrieren..." Sehr sachlich, sehr nüchtern und doch hieß es in jedem Falle: Hinaus in die Kälte. Wieder machte ich mich ans Umfüllen. Ich zog an wie ein Stier, hatte ein Gemisch aus Pflanzenöl, Altöl und Diesel in der Fresse, das dann langsam und zäh aus dem Schlauch tröpfelte. Ich konnte nicht viel mehr machen, als zu sagen: "Haha! Bis das Zeug durchgelaufen ist, hat der Motor den Rest, der jetzt noch im Tank ist in die Luft geblasen, wirst sehen. Wir sterben alle, wie doof..." Ich habe mir zwar überlegt, den Spirituskocher unter den Kanister zu stellen, aber der hätte sogut wie nichts bewirkt, außer, die Zurrgurte zu verbrennen. Ich ließ die Soße tröpfeln und erkundete das Gelände. Ich sah einen Typen in einer Türe neben dem Café verschwinden. Ich ging als och hinein. Erst dachte ich, ich sei in einem privaten Haus, dann fiel mir wieder ein, daß die Toilette ja zum Café gehört. Komisch. Ich ging wieder hinaus, sah nach dem Kanister. Noch nicht mal ein Viertel davon war voll. Das Thermometer wurde untersucht: Minus 25. Ich stand neben dem Auto, stampfte von einem Fuß auf den anderen, den Kopf im hochgeschlagenen Mantelkragen, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben.

Dann ging ich wieder in den Raum hinein und warf einen näheren Blick hinein. Da standen Zimmer offen, aber weit und breit kein Verantwortlicher, keine Rezeption, nichts. Ich fand das alles recht seltsam, ging in die Räume hinein, sah mich um. Nichts und niemand. Handtücher, Seife, alles hergerichtet, aber alles unbewohnt. Beim rausgehen sah ich ein Plakat, das knapp unter der Decke angebracht war: "Offenstehende Räume sind frei, bitte am nächsten Morgen im Café melden." Die Raten waren OK, die Räume auch - aber wie zum Teufel soll einer das Plakat sehen können. Die meisten Leute laufen hier mit Mütze herum und der Blick nach oben ist somit versperrt. Ich ging raus um Almut das mitzuteilen. Doch die war wieder irgendwo zwischen hier und Finnland unterwegs. Kann ja nicht stillhalten, die Frau. Als sie mich dann irgendwann fand, teilte ich ihr mit, daß es hier Räume gab und daß es wohl gescheiter ist, hierzubleiben und zu warten, bis die morgen aufmachen, statt bis morgen früh zu warten, bis der Kanister endlich vollwürde. Ich schüttete den nicht ganz halbvollen Kanister in den Tank und parkte das Auto. Es roch nach Fritöse und ich hoffte, daß der Inhalt des Tanks für elf Stunden reichen würde. Aber im Leerlauf verbraucht er so wenig, das sollte kein Problem sein.


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