Alaska 2003
Samstag, 3. Januar 2004

In der Früh, als Almut vom Frühsport zurückkam meinte sie, es sei wärmer geworden. Ich ging gleich hinaus um mich zu vergewissern. "Lauwarme Fischsuppe! Was soll das denn jetzt? Winter für Ladies, oder wie? War's das schon?" Ja, ich weiß, mir kann man es halt nicht Recht machen. Wir packten unser Zeug zusammen und fuhren los. Die Scheiben waren allesamt frei. Kein Eis, nicht der kleinste Rest, auch die Betriebstemperatur stieg etwas an. Ich hielt also kurz, um bei einer Gaststätte Wasser zu schnorren. Überall standen bescheuerte Köter in eder Gegend, meist an Autos angebunden und kläfften. Aber sie sahen aus, als gehörten sie jemandem, daher war es nicht angebracht, die Stoßstange ein Machtwort sprechen zu lassen. Als der Kühler wieder voll war ging es weiter. Wir überholten einige Hundegespanne. Es begann wieder, kälter zu werden, das merkte man daran, daß das Eis an den achteren Seitenscheiben wieder zu wachsen begann. Es setzte auch leichter Schneefall ein, als wir an einen großen See kamen, den wir dann eine ganze Weile entlangfuhren. Irgendwo hier muß es LKW-Verkeht über einen gefrorenen See geben. Das wäre sicher noch ein Erlebnis, hatten wir auch noch nicht.

Am rechten Straßenrand lag Pulverschnee und ich liebe es, Staub aufzuwirbeln. Wenn im Rückspiegel nichts mehr zu sehen ist, als aufgewirbelter Staub, dann macht das Leben erst so richtig Spaß. Ich fuhr mit den rechten Rädern genau am Rand der Fahrbahn entlang und die weiße Pracht wirbelte auf, schoß empor, daß es einem ganz feierlich zumute werden kann, wenn man denn eine romantische Ader hat. Das konnte ich den ganzen Tag so machen, nur irgendwann läßt die Aufmerksamkeit ein wenig nach und urplötzlich spürte ich, wie es das Auto in Richtung Graben zog. Da muß ich wohl abgerutscht sein, ich konnte auch nicht mehr auf die Fahrbahn, das Auto blieb mit einer Hälfte im Graben hängen. Ich setzte meine Unschuldsmine auf und sah Almut erwartungsvoll an, aber die lachte nur, statt mir den verdienten Anschiß zu verpassen. War ja eigentlich klar, daß es so kommen mußte.

Da stand ich nun, ich armer Tor und glotzte wie ein Mainzelmännchen.

Der Benz hing hilflos im Graben, der Diesel tuckerte vorwurfsvoll und ich machte mich Wintertauglich. Der erste LKW, der vorbeikam, hielt an und fragte, ob er was helfen konnte. Er sah sich das Auto an, ich bin nicht sicher, ob er die Schilder ansah, oder die Art und Weise des Einparkens. Dann fragte er: "Seid ihr aus Frankreich?" "Nein, es gibt auch blöde Deutsche..." Er fragte mich nach einer Kette, aber ich meinte, daß ich keine hätte und das mit den Blechen machen wollte. Er solle sich keine Sorgen machen, es war eigene Blödheit. Während er die wenigen Autos anhielt, die des Weges kamen und Almut mit dem Spaten die Räder vom Schnee freimachte, warf ich einen blick unter die Haube. Alles voller Schnee. Der Karton innen war etwas verrutscht und berührte nun das Läuferrad.

Ich wollte ihn mit dem Spaten zurechtrücken, den Motor aber dabei nicht abstellen. Das klappte, zumindest, was den Karton anging. Leider kam der Spaten selbst in den Propellerkreis und ich sah ein Blatt im Hohen Bogen wie in Zeitlupe vor meinen Augen in die andere Ecke des Motorraums fliegen. Das Fluchen sparte ich mir. Ich nahm die Bleche vom Dach und legte eines unter jedes Rad, dann setzte ich mich hinein und Almut und der LKW-Fahrer schoben an, ich gab Gas und wir waren wieder auf der Straße und somit wieder einsatzklar. So eine überflüssige Aktion, wäre der Graben etwas steiler gewesen, dann hätte das den Verlust des Autos bedeuten können und wenn es in der Nacht passiert wäre... "dann würd' uns der Daimer zum ehernen Grab." Da wir es mit der Romantik nicht übertreiben wollen, lassen wir solche Aktionen bis zum Ende dieser Fahrt sein.

Bleche aufschnallen und weiter geht's durch die Eiswüste.

Durchgefroren begab ich mich wieder auf meinen Platz. "Keine Spiränzchen mehr, versprochen..." Zum Glück war es heute relativ warm. Wir fuhren weiter und zwar, wie es sich gehört, in der Mitte der eigenen Fahrbahn. Die nächste Station war die Grenze, auch wenn diese noch hunderte von Kilometern entfernt war.
Mir fiel ein, daß wir unsere Diskussion in Los Arrayannes je gar nicht zu Ende geführt hatten und bei passender Geegenheit knüpfte ich wieder dort an, wo wir zwei Jahre vorher aufgehört hatten. Irgendjemand muß der Frau ja mal klarmachen, daß der Mensch unverbesserlich ist. "Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom gleichen Schlag." Aber sie ist auch unverbesserlich und wird wohl bis an ihr Lebensende daran glauben, daß sich die Menschheit einst zum positiven ändert.

Es war schon längst dunkel und immer noch keine Grenze, dieses Land ist so unglaublich riesig, man verliert bald jeden Bezug zu Entfernungen. Man fährt durch die Nacht und fährt und fährt und nichts ändert sich, außer der Farbe der Rollbahn, die sich hin- und herwindet. Die wechselt zwischen hellgrau und weiß im fahlen Scheinwerferlicht, je nachdem, ob die Schneedecke geschlossen oder nicht.
Uns ging neben den Scheinwerfern und dem Mond noch ein drittes Licht auf: Die Reserveleuchte. Jetzt wurde es aber wirklich Zeit, keine Lust, so nah an der Grenze noch das teure kanadische Diesel zu tanken, wo es doch in den USA so viel billiger ist.

Städte und Dörfer flogen
Vorüber an unserer Fahrt.
Wir sind immer weiter gezogen...


Irgendwann passierten wir den kanadischen Grenzposten. Keine Ausreise, nicht einen Menschen sahen wir. Raus ist einfach, aber rein lassen sie nicht jeden. Unmittelbar nach der Grenze ein Schild: "Amerikanische Grenze 30 km" Gute Fahrt. Das hatte ich in Südargentinien schon mal erlebt. Damals war ich aus dem gleichen Grunde über die Grenze gefahren: Meine drei Monate waren um und ich brauchte eine neue Einreise, um den Aufenthalt zu verlängern. Das gleiche hier und jetzt kam es darauf an. Wir standen an der Grenze als einziges Auto. Ich ließ Almut noch schnell den grünen Streifen aus meinem Paß entfernen, man muß ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen - vielleicht merkt's ja keiner.

Ich fuhr bis an die Ampel. Die blieb rot, aber der Posten gab mir ein Zeichen zum anfahren. Ich fuhr vor das Fenster und reichte ihm die Pässe. Er fragte, wo wir herkämen. "Los Angeles, Kalifornien." Er zeigte mir Almuts Paß mit dem grünen Waiver und fragte mich, wo meiner sei. "Den hab ich an der Grenze abgegeben, denn der war am Ablaufen." Er zog die Päße durch den Scanner und fragte dabei, ob wir Alkohol oder Tabakwaren aus Kanada dabeihätten oder Futter und betonte dabei aus Kanada. Wir verneinten. Wir hatten auch wirklich nichts, alle Cigaretten waren aus den USA, weil die in Kanada unverschämt teuer sind. "Was ist der Zweck Eurer Reise?" "Wir sind Touristen." "Komische Jahreszeit für deutsche Touristen. Die kommen normalerweise immer im Sommer. Deutsche, Schweizer, Franzosen..." Das war jedenfalls ein weiterer sehr guter Grund, um Alaska im Winter zu besuchen. Er bat mich, den Motor abzustellen, um ein Blick unter die Haube werfen zu können. Ich konnte ihm verständlich machen, daß das keine gute Idee sei, daher mußte ich die Haube aufmachen und auch gleich den Kofferraum. Er sah nur kurz hinein, ganz oben lag die Plane, an der die Feuchtigkeit der letzten Übernachtung festgefroren war. Wenn er sie anfaßte, hörte sie sich an, als würde man Butterkekse brechen. Er wollte auch weiter nichts sehen. Er bat uns, das Auto auf dem Parkplatz abzustellen und die Immigration zu erledigen. Wir parkten und gingen in das Gebäude, in dem das Fell eines Grizzys die Wand zierte. Er hatte wohl alleine Dienst und in den langen Winternächten zum Zeitvertreib das Einreiseformular auf Deutsch gelernt. Wir füllten das Formular aus, bekamen unsere Einreise und durften weiterfahren.

Welcome to Alaska.

Noch einmal war es gutgegangen, damit habe ich mir nun weitere drei Monate in God's own Country sozusagen erfahren. Es hat natürlich sehr viel dazu beigetragen, daß ich mit Almut unterwegs war. Als Paar angesehen zu werden macht vieles einfacher, es sieht weitaus harmloser aus, als wenn zwei Menschen anreisen, und weit unverdächtiger, als wenn man allein unterwegs ist. Für März brauche ich entweder ein Visum oder wieder so ein Teil.
Alle Angaben waren nun wieder in Meilen und Fuß. "Haben sie denen das immer noch nicht ausgetrieben..." "Schimpf nicht, Du kannst es nicht ändern." "Gerade deswegen tu ich schimpfen, weil ich es nicht ändern kann. Könte ich das, würde ich es tun un bräuchte nicht schimpfen. Schimpfen wäre dann unsinnig und mach nur Sinn, wenn man über etwas schimpft, was man eben nicht ändern kann." Das muß man ihr einfach mal so erklären, denn da sie nie schimpft oder flucht, weiß sie auch nicht, wie man das sachgerecht anwendet.

An der ersten Tankstelle hielten wir. Erfreut stellte ich fest, daß das Diesel hier sogar billiger war, als in Kalifornien, dabei erwartete ich wesentlich höhere Preise. Ich tankte und wunderte mich, wieso das so einfach ging. Normalerweise muß man immer erst zahlen und dann wird die Zapfe freigeschaltet. Es war schon wieder anständig kalt. Ich ging hinein zum Zahlen. Wieso das ginge, daß man hier tankt, ohne vorher zu zahlen, wollte ich wissen. "There is nowhere to run", meinte er. Rechts ist die Grenze, links die State Troopers. Er erklärte uns auch, daß es in Alaska keine Sales-Tax gäbe. Sehr angenehm. Ich zahlte und während Almut nach Postkarten suchte, unterhielt ich mich mit dem Wärter. War ein älterer Mann aus Colorado und meiner Meinung nach, muß er früher ein Komiker gewesen sein. Zumindest klang er so. Ich fragte nach dem nächsten Hotel. "Gleich hier", ddie Tanke war auch gleichzeitig Motel. Aber es war noch sehr früh und wir wollten noch ein paar Kilometer fressen. Das nächste sei in Tok, etwa 150 km weiter. Ich fragte ihn, wo der nächste McDonald's sei. Bei der zweiten Ampel links. Ich hatte seit Tagen keine Ampeln gesehen und fragte nach: "Ampel?" "Ja", sagt er bierernst, "etwa dreihundert Meilen von hier, links an der zweiten Ampel, linker hand." Aha. Gut zu wissen. Wir verabschiedeten uns, bedankten uns für das Gespräch. Er meinte noch: "Seid vorsichtig mit den Bären!" Da fragte ich: "Ernsthaft?" "Nein, war nur Spaß..." "Kann man nie wissen. Ich habe mal gehört, daß die jungen Ladies hier in Alaska alle mit einer .38er in der Handtasche rumlaufen, wegen der Bären. Stimmt das?" "Achtunddreißiger? Nein, das ist Quatsch, hier in Alaska haben wir keine kleinen Waffen." Er greift unter den Tresen und hält eine riesige Wumme in der Hand, fuchtelt damit umher und erklärt: "Das hier benutzen wir hier. 44er Magnum. Die brauch ich nur, falls einer mit der Kasse abhauen will..."

Wir fuhren noch die 150 km bis Tok und es waren mehrere Motels offen, inklusive eine Jugendherberge, von der der verrückte Tankwart erzählt hatte. Die sollte 45 $ kosten. Wir fuhren zu einem Motel gleich am Ortseingang und da sie mir das Zimmer für nur 5 Dollar mehr überließ, blieben wir hier und orderten auch gleich noch eine Pizza. Wir besorgten eine Flasche Wein, verwandelten ihn in Glühwein und ließen ihn uns schmecken.

Die Luftfeuchtigkeit war hier schon wesentlich höher, der Stern hatte einen weißen Kranz aus Eis bekommen. Und doch war es spürbar kälter geworden. Das Auto wurde wieder genau vor das Zimmer geparkt, der Motor blieb an, wie immer.

Vor der Zimmertür
Ein Ziegelstein ersetzte die Handbremse und wir schliefen zum regelmäßigen Takt des Diesels ein.

 


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