Gammel in Mexiko 2003
Donnerstag, 22. Mai

Als ich morgens den Gang schliff, standen plötzlich die Bullen im Hof des Hotels. Sie fragten mich, ob ich nicht ein Bild von ihr hatte, damit sie sie erkennen. Sie hätten gestern noch einige Stunden dort gewartet, aber sie sei nicht erschienen. Ich bejahte, meinte aber, ich müsse es erst ausdrucken, denn ich hätte es nur auf CD. "Gut, bring es dann zu uns."
Das war ein Theater. Ich ging zu Eikka, besorgte einen Adapter, dann wieder zurück, schloß den Brenner an, holte die CD raus, überspielte das Bild auf den Rechner, zauberte irgendwo eine Diskette hervor, kopierte es auf die Diskette, schnorrte ein Mopped, fuhr damit zum Copy-Shop, ließ es dreimal ausdrucken und fuhr damit dann zur Polizei. Ich ging hinein, fragte nach Beltran, bevor der Polizist antworten konnte, hörte ich ihn schon hinter mir. "Was gibt's?" Ich drehte mich um und sah ihn. Nun war er nicht mehr freundlich, ganz und gar nicht, blickte ziemlich finster drein. Ich hielt ihm das Bild hin "Hier, das Bild." Er zeigte auf den Nebenraum und meinte "Hier, die Alte..." Ich sah hin, sie saß mit dem Rücken zu mir, umringt von drei oder vier Polizisten. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken. Nichts wie weg. Beltran bedankte sich für das Bild, bemühte sich, freundlich zu wirken, aber es gelang ihm nicht. Noch im wegfahren sah ich, wie er in den Nebenraum schoß. "Ow... that's gonna hurt..."

Ich fuhr zum Hotel und nahm mir erstmal ein paar Bier, ich war etwas durcheinander. Die Amerikaner aus Zimmer Nummer drei waren heute beim Fischen gewesen und hatten mich eingeladen, Seviche zu essen. Auch Peter hatten sie eingeladen. Wir saßen also da und aßen erst Seviche, dann Fischfilet, sehr fein, das ganze - und für umsonst.

Beim Sevicheessen.

Am Tisch blieben Dewey und ich zurück und unterhielten uns über die Staaten. Spät in der Nacht kam La Loca vorbei. Ich war etwas verwirrt. Was sollte das denn? Sie versuchte ihren Sermon loszuwerden, aber ich gab ihr ein Zeichen, sie solle besser verschwinden. Sie ging weiter. Das verstand ich nun gerade nicht. Entweder, sie hatte ihn nicht mehr, oder sie hatte den Bullen Dienste angeboten, die ich nun mal nicht bieten kann, aber ich kann's mir nicht vorstellen, schließlich sind 200 US$ fast ein halter Monatslohn, davon können die was zehnmal Besseres anheuern. Eine dritte Möglichkeit wäre noch, daß sie den zweiten Man hingehängt hatte und sie nun den jagen. Doch kein Lebenszeichen von den Bullen... Was war geschehen? Ich bekam die Antwort nicht.

Gary kam mit einem Schweizer vorbei, sie waren auf dem Weg zum Essengehen und fragten mich, ob ich mitkommen wollte. "Danke, bin kurz vorm Platzen... Aber ich komm später noch vorbei." Es kam auch ein Deutscher namens Horst. Der blieb bei Peter. Es war Peters letzter Tag in der Karibik. Morgen fliegt er für drei Wochen nach Deutschland. Ich machte mich auf zum Lokal eines weiteres Schweizers und setzte mich zu Gary und Anhang an den Tisch. Wir unterhielten uns über alles Mögliche, darunter über den Mord in Colosio. Das käme öfter vor, meinte der Schweizer. Einmal wurde eine erschossen aus folgendem Grund: Ihr Mann arbeitete auf der Baustelle und hatte Pause. Seine Frau kam mit dem Essen zu spät, daraufhin erschoß er sie. "Was? Das kann nicht sein, sowas passiert nur in den USA oder, mittlerweile in Europa, aber sicher nicht hier." Doch, und zwar dachte er, daß sie, also seine Frau ein Verhältnis mit dem nachbarn hatte und deswegen zu spät gekommen sei. Aha. Wußt ich es doch, da steckte also ein vernünftiger Grund dahinter und so blieb mein Weltbild unangetastet, daß sinnlose Verbrechen nur in der sogenannten zivilisierten Welt passieren.

Ich ging gegen halb Elf zurück mit dem Schweizer. Peter war noch wach und wir saßen noch lange vor der Rezeption und Peter sorgte dafür, daß der Nachschub an Bier nicht abriß. Als der Schweizer ging, erzählte Peter aus seinem Leben. Sohn eines hohen Tiers in Berlin, hatte einen guten Job in Berlin, eine Wohnung am Kudamm. Irgendwann hatte er keinen Bock mehr, verkaufte alles und verzupfte sich nach Mexiko. Über beziehungen arbeitete er in einem der schicken Hotels und verdiente ein Schweinegeld. Danach zog er nach Cancún und wollte hier am Arsch der Welt ein kleines Hotel haben. Das war's im Groben. Er fragte mich, was meine Pläne seien, ich gab ihm meine Standardantwort: "Mein ursprünglicher Plan war, nach Namibia zu fahren. Jetzt sitz ich an der Karibik und warte aus eine fucking Fensterscheibe...", was soviel heißt wie, "ich hab keine Pläne". Er fragte mich, ob ich nicht noch solange bleiben könne, bis er wieder da sei, damit seine Frau möglichst wenig Streß hätte. Da es im Prinzip egal ist, wo ich gerade rumhänge und Luft verbrauche, sagte ich zu, ich meinte nur, daß ich ab und zu den Computer für länger benutzen möchte. Das sei kein Problem.

Und dann kam's: "Du bist jetzt seit über einem Monat hier, warst immer straight, bist ein netter Kerl. Falls Du hier in Playa bleiben möchtest, ich kann Dir helfen. Willst Du Tourguide bei Alltournative machen? Ich kenn den Generalmanager. Es ist Charly. Du hast Dich dort mal beworben, wie ich hörte... 2000 US$ im Monat, dann brauchst nicht weiter wegen einem 300 Dollar LapTop heulen. Wenn Du weiterfahren willst bis ans Ende der Welt, ist auch in Ordnung. Du mußt nur wissen, was Du willst. Hier in Playa kann ich Dir helfen, doch Du mußt nur wissen, was Du willst. Denk drüber nach und dann komm zu mir und sag: 'Peter, ich will das und das machen, give me a fucking hand...'. Aber es liegt bei Dir.
Tja, das wenn so einfach wäre... Solche Angebote kamen schon öfter, es ist nicht das erste mal. Das Schwierigste liegt in der Fragestellung, ich weiß einfach nicht, was ich will. Vielleicht noch nicht, vielleicht werd ich es nie erfahren. Ich bin nach Playa gekommen, um zeitweise mit Eikka zu arbeiten, an die Geschichte mit dem Tourguide hatte ich im Oktober schon gedacht, da hatte mich Eikka draufgebracht, ich hatte damals sogar mal nachgefragt, Bewerbungsunterlagen ausgefüllt, vorgesprochen. Doch wieder zieht es mich weiter, bloß nicht irgendwo verpflichten, irgendwo festsetzen und Wurzeln schlagen.
"Frei will ich leben und also sterben
 Niemand berauben und niemand beerben..."
2000 US$ im Monat klingt schon verlockend, aber andererseits liegt noch eine Menge Asphalt vor dem Bug des Daimler. Das hier ist nicht meine Gegend, ich hasse dieses Klima, das einen bei lebendigem Leibe verfaulen läßt, ich hasse das Grün, das allerorten sprießt, die unüberschaubare Vielfalt an Getier, ich hasse das Meer, wenn sich nicht ein Schiff zwischen mir und diesem Element befindet. Das hier ist was für Pauschaltouristen, die tagsüber am Strand liegen und nachts bei laufender Klima einschlafen, die für zwei Wochen dem Alltag entfliehen wollen, was ich gut verstehen kann, also nichts gegen Pauschaltouristen. Ich würde mich hier auf Dauer nicht wohlfühlen. Es muß trocken sein, oder kalt, oder beides, schneebedeckte Berge oder Wüste, das ist mein Habitat, aber nicht das hier. Seit dem Tag, an dem ich hier ankam, frage ich mich, welcher Teufel mich geritten haben muß, daß ich damals, im wunderschönen Ushuaia zu Eikka sagte, daß ich nach Playa käme. Wahrscheinlich hab ich das nur getan, um nicht in Brasilien sein zu müssen. "It doesn't make any sense..."


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