Gammel in Mexiko 2003
Mittwoch, 23. April

Eigentlich wollte ich heut früher aufstehen, um die relativ kühlen Morgenstunden zu nutzen, um die Sonnenstühle zu schleifen und zu streichen. Leider war es halb zehn, als ich erwachte. Schnell das täglich Baguette einwerfen und dann loslegen. Die Tür im Zimmer drei sah grauenhaft aus, auch die mußte neu gemacht werden. Oben in Zimmer zwölf liß sich die Balkontüre nicht mehr zumachen. Alberto, der andere Handwerker nagelte zwei diagonale Balten ins Türfutter und schon war sie repariert. In Deutschland hätte man da angefangen, die Tür auseinanderzunehmen und neu zu verleimen. Alles Quatsch, man kann auch in Mexiko noch was lernen. Literweis trieft einem das Wasser aus dem Leib, es ist nicht auszuhalten. Das einzige, was trocken ist, ist die Kehle, alles ist verkehrt herum.

Ich ging vor zum Laden, eine Cola zu organisieren, da saß der Spanier, den ich neulich traf, gerade mit einem Kanadier beim Kaffee. Der Spanier hieß Jaime und lebt schon seit acht Jahren in Mexiko. Verdingt sich als Maler, malt bevorzugt arme Leute. Er schlägt sich mit seinen Zeichnungen und Gemälde durch, meinte, die Arbeit ginge ihm niemals aus. Er könnte vier Lebzeiten in Mexiko auf die Weise verbringen und er würde noch nicht fertig sein. Allerdings war er sehr verdrossen über die mexikanische Politik, besonders über den Präsidenten, dessen Namen ich nicht mal weiß, auch nach dem Gespräch mit ihm wußte ich nur, daß er irgendwie Dicksucker von Busch oder sowas heißen muß. Er würde gerne nach Brasilien fahren, aus politischen Gründen, weil dort seit Neuestem der Lula an der Macht wäre. Ich meinte, daß es nur sehr wenig Länder auf der Welt gebe, in denen kein Dicksucker regiere, eines davon war der Irak und der sei nun platt. Alle drei waren wir etwas enntäuscht über den guten Saddam, alle hätten wir geglaubt, daß die Iraker den Amis doch noch irgendwie einheizen würden, aber nichts war's. Mit fiel dabei auf, daß ich vor zwei Wochen zuletzt Nachrichten hörte. Momentan tun die beiden für einen pensionierten kanadischen Firmenchef das Haus anmalen, daher mußte sie sich auf den Weg machen. Der Kanadier meinte noch, falls ich vorhätte, nach Guatemala zu fahren, sollte ich ihm bescheid sagen, er müßte da hin und würde mir gern das Diesel zahlen.

Jaime mit seinen Skizzen.


Mittags ging ich was zu Beißen organisieren. Der Burger-Stand hatte zu, also lief ich durch die Fußgängerzone. Plötzlich brüllt es: "He! Saddam!" Es war der Barkeeper. Meine Spitznamen wechseln immer. War ich anfangs Castro, wurde daraus später Che Guevara, da die Haarlänge fü den Castro nun schon zu lang war. Nach dem 11. September hieß ich dann Bin Laden, weil der Bart für einen Che wiederum zu lang war und außerdem, weil Bin Laden an jenem Tag mit einem Schlag weltbekannt geworden war. Nun bin ich Saddam, allerdings kann ich nicht sagen, warum. Die Amis, die an der Bar saßen waren auch der Meinung, daß ich nicht Saddam sei, sondern Osama. Gut, seid ihr nun einig? Wunderbar. Jetzt kann ich ja was zum Essen bestellen. "Was gibt es denn?" Bratwurst. "Kostet wieviel?" Vierzig Peso. "Seid ihr wahnsinnig?" Ein hamburger kostet genausoviel. "Nix da, der kostet 17 Peso und ist riesig". Bei Euren Preisen lohnt es sich ja nicht zu Essen, da verhungetrt man ja noch viel schneller. Es hatte nur alle zu, leider und das, was offen hatte, hatte nichts Gescheites anzubieten, also bestellte ich, nach harten Verhandlungen, die aber nicht das gewünschte Ergebnis brachten, meine Bratwurst. Derweil er sie zubereitete, ging ich ins Internet-Café um meine eMails abzuholen. Es ging wieder nur jedes fünfte Laufwerk, so daß ich mich von einem Rechner erhob und an den nächsten setzte und der Typ schon genervt war, immer alles umzustellen. Sollen sie halt funktionierende Floppys einbauen, dann passiert sowas nicht. Eine gute Nachricht war dabei: Die Scheibe würde morgen abgeschickt. Ein Schloß hätte sich nicht auftreiben lassen. Brauch ich aber auch noch, da hilft nichts.
Mir gingen jetzt erstmals die Batterien für die Kamera aus. Ich hatte sie seit Zürich drin eine Woche und weit über hundert Bilder. Also ich bin begeistert von der Canon PowerShot A40, falls jemand eine gute Digitalkamera sucht, kann ich die nur empfehlen.

So gegen Sechs kam Peter und fragte mich, ob ich gerade Zeit hätte, ihm was zu helfen. Kein Problem. Wir stiegen in sein Auto, holten aus dem Haus seiner Frau einen Schlüssel, fuhren zu einem Laden, um einen Reifenschlauch für einen Roller zu holen und dann zur Reifenwerkstatt, diesmal zu einer anderen als beim letzten mal. "Fährst Du den Roller zum Hotel?" Da schluckte ich erst mal. Ich war noch nie so ein Teil gefahren... Ich hab nur mal eines gesehen, meine Nachbarin hatte mal so einen. Er fragte nach: "Weißt Du, wie das geht?" Natürlich nicht, aber kann ja nicht schwer sein. "Ja, krieg ich schon hin." Er gab mir das Geld für die Reparatur, ich stieg aus und sah mir das Teil an. Wie man bloß so ein Geschwür fahren kann... Peter fuhr weiter. Ich baute mit meinem Spatzenhirn einen einigermaßen vernünftigen Plan zusammen. Was mußte ich als erstes tun? Schlüssel reinstecken und umdrehen, wahrscheinlich. Doch schon stockte ich, denn mir fiel auf, daß ich gar keinen Schlüssel hatte. Gut, Problem erledigt, muß ich halt schieben. Ich sagte dem Reifenmeister, daß er sich ruhig Zeit lassen sollte mit der Reparatur, ich hätte eh keinen Schlüssel. Da lacht mich aus und wünscht mir viel Spaß, indem er mir zeigt, daß das Lenkradschloß drin ist und, nebenbei, daß die Reparatur schon abgeschlossen. "Ach, komm..." In solchen Fällen pflege ich mich resigniert irgendwohin zu setzen, eine Cigarette zu rauchen und ein gutes Buch zu lesen, das ich meist mit mir in der Hosentasche trage. Das gute Buch lag aber im Hotel, ich hatte es ja ausgelesen. Als ich mich gerade auf den Randstein setzen wollte, kam Peter angefahren, grinst, reicht mir die Schlüssel und fährt weiter.
Ich setze mich auf dieses Teil und schau recht blöd. Da kommt ein kleiner Junge mit blauen Augen, höchstens zehn kann er gewesen sein, und fragt mich, ob ich nicht wüßte, wie das funktioniert, denn er wüßte das. Ich steig ab, geb ihm den Schlüssel und sag: "Hier, Chef, bring das Teil mal zum laufen."

Er setzte sich auf den Roller, warf ihn an, als sei das das Leichteste von der Welt.

Dann überließ er mir wieder das Terrain. Gut. Das Teil läuft, jetzt muß noch das Stehwerk eingefahren werden. Einmal kurz das ganze Ding nach vorne geschoben. Aha. Der Kleine kam wieder und erklärte mir, den Seitenständer müsse man fei auch noch einfahren. "Was fürn Teil?" "Das da", meint er und schiebt das Teil nach oben. So, jetzt könne ich losfahren. Ich schob das Teil aus der Werkstatt auf die Straße, suchte nach der Fußbremse, fand sie aber nicht. Ich rief den kleinen. "He, komm mal her, wo ist denn hier die hintere Bremse?" Während ich unten weitersuchte, zog er am Lenker die Bremse, zwickte mir dabei die Hand ein und erklärte mir, daß das die eine Bremse sei und die andere, am anderen Ende des Lenkers, eben die andere Bremse sei. Jetzt verwirrt er mich komplett. "Und wo ist bitte die Kupplung?" Er sah mich ungläubig an: "Kupplung?" Ja, wie mach ich das, daß der losfährt? "Da mußt Du einfach nur hier drehen" und zeigt auf den Griff. Da sah ich ihn ungläubig an, daß man da Gas gibt, das weiß ich auch, aber erst muß doch ein Gang rein. Ich drehte an dem Ding, da zieht dieses Gebilde plötzlich weg und ich hatte Mühe, mitzuhalten. Ich zog instinktiv den rechten Hebel und hätte beinahe einen Abstieg über den Lenker gemacht. So ein Käse. Aber jetzt wußte ich wenigstens eineigermaßen, wie das Teil funktioniert. Ist ja einfach. Ich bedankte mich bei dem Kleinen, der gerade dabei war, sich über mich kaputtzulachen. "Jaja, lach Du nur... Pendejo..." Das liegt nur daran, daß er blaue Augen hat und ich nicht. Jede Wette. Dann fuhr ich los. Ist fast wie Fahrradfahren. Bei der ersten Rechtskurve hätte ich beinahe wieder Abstieg vollführt. Ich war nämlich ganz langsam um die Kurve gefahren und hatte den Lenker einschlagen wollen, aber meine Knie waren im Weg, so daß er sich nicht so weit drehen ließ, wie geplant, ich hatte aber schon das Gewicht entsprechend verlagert. Mit beiden Füßen auf der Erde brachte ich das Teil wieder zum stehen. Nochmal von vorn, diesmal soweit hinter setzen, wie möglich. So ein Theater! Die restlichen drei Blocks kamen mir vor, wie eine Tagesreise. Ich stellte das Teil vor dem Hotel ab, was auch wieder nicht so einfach war, weil ich den verdammten Ständer nicht mehr fand. Der muß doch hier irgendwo sein. Pedro kam aus dem Laden, ich drückte ihm das Ding in die Hand und sagte ihm, er soll es abstellen. "Ich will damit nichts mehr zu tun haben." Idiotische Erfindung... das alles nur, weil ich Idiot zu blöd war, einen Tropfen Öl in mein Türschloß zu geben, ansonsten wäre ich längst schon weg, und zwar vornehm auf vier Rädern...

Abends pinselte ich noch en dritten der vier Stühle an. Langsam wird auch das fertig, wenn hier nur irgendwas trocknen würde, das würde einiges erleichtern. Irgendwann sprach mich vor dem Laden eine an. Ich kannte sie irgendwo her, mir fiel aber nicht mehr ein, von wo. Sie erzählte mir eine Geschichte nach der anderen und ich überlegte und überlegte, doch mir fiel es nicht ein. Erst, als sie längst gegangen war und ich wieder in der Rezeption saß fiel es mir ein. Es war die Kanadierin von neulich.
Mich hatten in den letzten Tagen mehrere Leute angesprochen, ob es irgendwo in der Nähe eine kalte Cola gebe. Ich schickte sie immer ins Blue Parrot Inn. Heute kam mir die geniale Idee: Ich kaufe mir einfach fünf Flaschen Cola, das Stück für 10 Peso und verkaufe es den Amis für 15. Das würde erst mal die Ausgaben etwas lindern. Jetzt mußte es nur noch klappen.


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