Gammel in Mexiko 2003
Donnerstag, 17. April

Mittags kam Bryan vorgefahren mit seinem Roller und wir fuhren gleich zu ihm, wo seit einem halben Jahr der Daimler unter der Plane stand. Vermutlich war die Batterie völlig im Eimer, sie hatte ja schon letztes Jahr angefangen, Schwierigkeiten zu machen. Ich war gespannt. Als das Tor aufging, sah ich, daß das Auto unbewegt da stand, wo ich es hingestellt hatte. Als erstes wurde die Plane abgenommen, dann wollte ich aufsperren, aber das ging nicht. Schloß eingerostet, verdammt. Das hatte ich damals vergessen. Ich hatte zwar ungelogen 5 Liter Motoröl über das Auto und in den Inneraum geschüttet, aber an das Verdammte Schloß hatte ich nicht gedacht. Im Beifahrerschloß steckt schon seit Jahren ein abgebrochener Schüssel, damit war also auch nichts zu wollen. Zum Glück hatte ich die Fenster einen Spalt aufgelassen und der Kofferraum ließ sich auch aufsperren. Darin befand sich das Werkzeug. Ich bastelte also eine Drahtschlinge, schob sie durch das Fenster und ergriff damit den inneren Türgriff. Leider konnte ich den Draht nur nah oben ziehen, also befestigte ich das andere Ende am Gepäckträger. Dann nahm ich das nächste Stück Draht, bog einen Widerhaken an das eine Ende, schob ihn durch das Beifahrerfenster in den Innenraum und es gelang mir, den anderen Draht zu fassen und diesen herzuziehen. Zack! - die Tür sprang auf.

Hier das Ganze noch einmal für die Kamera nachgestellt.

Nun das nächste Problem. Wie ich befürchtet hatte, war die Batterie tot. Gleich am Eck war eine Autoelektrik. Ich also hin und mit einem Hiwi, Batterie und Kabel wieder zum Auto. Vorglühen, Start. Eine Umdrehung, noch eine. Schluß. Die Batterie war leer. Nochmal zum Laden, eine andere geholt, wieder das gleiche. Wieder zum Laden... Das schlaucht in diesen Breiten. Der Chef sagte, er würde gleich mitkommen, ich solle einen Augenblick warten. Nun, gut. "Eine Weile" heiß hier ja soviel wie "irgendwann". Ich unterhielt mich derweil mit einem Nuklearmediziner aus Belize. Geboren in Südafrika, englischer Paß, lebt in Belize, war gerade auf dem Weg nach Kanada, wo er früher mal gelebt hatte. Er hatte einen GMC, aber keinerlei Ausrüstung, nur zwei kleine Koffer, ansonsten war das Auto leer, daher fragte ich verwundert nach, wie er das machen wollte. "Kanada? Wie? Die ganze Westküste hoch?" "Nein. 250 km von hier, in Progresso, gibt es eine Fähre direkt nach Kalifornien. Kostet für das Auto 180 US$ plus 80 US$ pro Passagier für die Kabine. Das ist günstig, da kann man nicht klagen. Mal sehen...
Als sein Auto fertig war, packte der Mechaniker eine Dose Starterspray, eine nagelneue Batterie, und ging mit mir zu Bryan. Einige Umdrehungen, ein bißchen Nageln, dann lief der Motor. "Ich... Ich glaub... Ich glaub, der läuft..." Welch ein eherner Gesang, plötzlich erhebt sich der Geist mit tausend Flügeln von dem Trübsinn, der ihn Umgab. Kein melancholisches Sinnieren mehr, nun gab es nur noch ein Vorwärts. Aufbruchsstimmung machte sich breit. Gut, die Frage blieb: Wohin? Aber das war erstmal nicht so wichtig. Hauptsache, der Diesel lief. Was hab ich das vermißt...
"Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt..."

Die erste Fahrt ging zur Bank. Bryan sollte sofort sein Geld bekommen. 50 US$ im Monat, wie abgemacht. Dann wollte ich ein paar Runden drehen, mich wieder zu Hause fühlen. "hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein. Ich fühlte mich wieder so frei wie lange nicht mehr in einem Auto, dachte gar nicht dran, nach Bullen zu wahrschauen, das fiel mir erst hinterher auf, daß ich diese Pest nicht mehr im Nacken hatte. Die Batterie schien nicht zu laden. Das ist ärgerlich. Ich fuhr nochmal zurück und schnorrte eine Batterie, indem ich versicherte, gleich nach den Feiertagen zu kommen, um die Elektrik machen zu lassen. Ich bekam Batterie und Kabel. Dann fuhr ich hinunter zum Hotel Eclipse, parkte das Auto und wollte mir noch eine Konstruktion überlegen, wie das Auto denn nun am besten Abzuschließen wäre. Und wie ich da so in Gedanken versunken bin, mach ich die Fahrertüre zu und hinten auch. Fuck off! Soviel Idiotie mochte ich selbst mir nicht zutrauen, aber es war ja irgendwie klar, daß es so kommen mußte. Diesmal waren alle Fenster zu. Ich holte einen Schraubenzieher und versuchte, das Fenster hinunterzuhebeln. Noch eh ich richtig ansetzte zersprang es in Millionen kleiner Stücke. Da stand ich dann, mitten in einem Scherbenhaufen, das Blut lief mir am Arm entlang und tropfte auf den Boden und ich mußte mich zusammennehmen, um nicht mit dem Schädel gegen die nächste Wand zu rennen. Es ist doch zum Heulen. Und jetzt? Toll... ein offenes Auto in Mexiko, das hat mir gerade noch gefehlt. Eine Scheibe hier zu finden, ist unmöglich. In Playa gibt es keine Mercedes-Vertretung. Die nächste ist in Cancún, aber ohne Scheibe dort hinfahren und dann auch noch diese Preise? Kruzifix... Kleine Ursachen, große Wirkung: Erst hätte ein Tropfen Öl genügt, dann hätte es genügt, ein Schloß aus Deutschland zu bestellen. Nun muß eine Scheibe bestellt werden und zwar per Eilpost. Zum Kotzen, einfach. Was kommt als Nächstes?
Schöne Bescherung... dabei sollen Scherben angeblich doch Glück bringen.

Fest stand, daß ich nun das Gepäck nicht im Auto lassen konnte. Es durfte auch weiterhin im Hotel wohnen. Das ist nicht eine Panne mitten in der Pampa, das ist absolut unnötiger Ärger. Einmal mitdenken und man kann das vermeiden. Das, wiederum ärgert einen noch mehr. "Ach, hätt ich einfach einen Tropfen Öl in das gottverdammt Schloß gekippt", so tönt mein täglich Wehgeschrei. Wer weiß, wann eine Scheibe hier eintrifft, wie lange das wieder dauert? Ich schickte sofort ein eMail los mit höchster Dringlichkeitsstufe. Mehr konnte ich nun nicht mehr tun. Die entstandene Lücke wurde durch eine schwarze Plastikfolie notdürftig gefüllt. Schützt auch nur gegen den Regen und gegen die Viecher, aber das war's auch schon.

Nach Stunden hatte ich einen Parkplatz vor dem Hotel. Als ich das Auto abstellte und aus Neugier wieder anlassen wollte sprang es sogar anstandslos an. Das war schon mal ein gutes Zeichen. Vielleicht war doch keine neue Batterie nötig. Wenigstens konnte ich das Auto immer im Auge behalten. Irgendwie würden wir auch das überstehen. Ich mußte mich sowieso erstmal akklimatisieren und in die Wirklichkeit zurückfinden, von meinem Trip runterkommen, denn mehr war es nicht gewesen, das halbe Jahr in der Heimat. Es ist zwar alles noch in greifbarer Nähe, aber irgendwie doch schon wieder so weit weg, als läge es schon Jahre zurück. Mir war hier schon wieder so, als wäre ich nie weggewesen und das ist auch gut so.
Abends organisierte ich noch einen fetten Burger - ich kann mich für das mexikanische Essen nicht wirklich begeistern - und zog mich ich darnach wieder in der Rezeption des Hotels Eclipse zurück.


Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold