Gammel in Mexiko 2003
Mittwoch, 16. April

Auf Wiederseh'n, mein Mägdelein...Nun hieß es wieder mal Abschiednehmen von meinem teuren Schatz. Sehr unangenehm ist das, aber ich mußte einfach weiter. Wenn es mir in Zürich auch noch so gut gefällt, es half alles nichts. "Es muß geschieden sein", das Flugzeug wartet nicht. Ich hatte den Abflugtermin in einem Anflug von Tatendrang gebucht, sonst wäre ich wohl die nächsten Jahre in Europa geblieben. Das kann ich meinem geliebten Daimler nicht antun. Der steht seit einem halben Jahr in der schwülen Hitze der Karibik und wartet. Wieder fehlte die freudige Aufbruchsstimmung, die mich früher immer ergriff, wenn es hinausging. Der Apetit kommt mit dem Essen. Wurde Zeit, daß es wieder hinausging. Ich hatte in Deutschland Gelegenheit, mir meine Reisekasse etwas aufzufüllen, das eine oder andere zu erledigen. Gut, Krankenversicherung habe ich immer noch keine, aber das hatte ich zeitlich nicht mehr geschafft, doch das Wichtige schien erledigt.
In aller Herrgottsfrühe ging es zum Flughafen, das Gepäck hatten wir schon am Vortag aufgegeben. Der Flug ging um 8:00 Uhr, wir kamen um kurz nach Sieben an, obwohl uns gesagt wurde, daß wir schon um halb Sieben bei der Paßkontrolle hätten sein sollen. Immer diese Hetzerei am Flughafen. Der Abschied war kurz.
"Der Schmerz wird vergehn und schön wird das Wiedersehn... Vor mir die Welt, so treibt mich der Wind des Lebens, wein' nicht, mein Schatz, die Tränen, die sind vergebens..."
So zieht man schweren Herzens dahin, einem ungewissen Schicksal entgegen. Das nächste Wiedersehen wird Jahre auf sich warten lassen. Es hat einmal funktioniert, es wird auch beim zweiten Mal klargehen. Doch des schwulen Gesülzes nun endgültig genug. Heulen ist für Klageweiber...
Ich durchlief die Handgepäckkontrolle ohne Schwierigkeiten, ging zum Gate und stellte fest, daß mir noch gute 30 Minuten blieben. Sofort auf dem Absatz kehrgemacht und wollte die Schleuse in umgekehrter Richtung verlassen. "Wo wollen Sie denn hin?" Ich sagte nichts, zeigte ihm nur den beringten Finger. Er grinste und öffnete mir die Tür. Ich lief zurück, immer da lang, wo die Aufschrift "Kein Ausgang" zu lesen war. Als ich oben ankam, war sie schon weg. Schade. Also, wieder zurück, nochmal durch die Handgepäckkontrolle, diesmal war sie etwas gründlicher, ich mußte den Rucksack leeren. Danach war warten angesagt, bis wir ins Flugzeug durften.
Es klappte alles reibungslos, zumindest kam es mir so vor, ich war mit meinen Gedanken aber auch völlig woanders. Es ging an Bord, mein "Fensterplatz" war zwar in der Fensterreihe, aber irgendwie hatten die hier das Fenster vergessen. Da das Flugzeug aber sogut wie leer war, setzte ich mich einfach an ein freies Fenster. Bald schon ging es los.

"Ein Lied auf den Lippen, den Schirm auf dem Rücken, so ziehen wir zum Start..."

Der Flug verlief ereignislos, wir flogen ca. 850 km/h in 11.000 m Höhe und hatten etwa -40°. Es war allerdings mein erster Transatlantikflug bei Tag, mit ein wenig Glück konnte ich heute noch in Playa del Carmen etwas erledigen. Wäre gut, denn ich wußte nicht, wo ich schlafen sollte. Für ein Hotel war mein Geldbeutel nicht groß genug, gerade um diese Jahreszeit. Ich hatte noch eine lange Reise vor mir, auch, wenn ich nicht wirklich wußte, wo sie hingehen sollte. Keine schöne Vorstellung, mit einem Berg Gepäck irgendwo in Mexiko auf der Straße zu übernachten. Ich hatte mich nicht angemeldet, so wußte keiner, daß ich kommen würde.
Aber im Moment war mir selbst das egal, ich versuchte, meinen Schlaf fortzusetzen. Es war gestern noch ein wenig spät geworden, da ich mit Frau und Schwager noch Abschied feiern mußte, "trinket aus und schenket ein, und laßt uns alte Kameraden sein..." Vier Stunden Schlaf ist einfach zu wenig, da fehlen glatte acht Stunden. Nur klappte das mit dem Schlafen nicht so, wie ich mir das vorstellte. Erst kam das Frühstück. Ich schlang es in mich hinein - wer weiß, wann es wieder etwas gibt... Aber bei der Fluglinie Edelweiß schienen sie nicht so knauserig zu sein, wie bei Lauda-Air. Hier kam der erbetene Nachschlag nicht erst am nächsten Tag.
Die Verpflegung hier war wirklich mehr als zufriedenstellend, kann gar nicht klagen. Der einzige Vorteil bei Lauda-Air bestand darin, daß jeder seinen eigenen Monitor hatte. Wir hatten eine Zwischenlandung in Puerto Plata, Dominikanische Republik. Etwa zwei Stunden. Als wir wieder an Bord gingen, war das Flugzeug voll von Heimkehrern. Noch zweieinhalb Stunden Flug und wir landeten in Cancún. Es waren mehr Amis als Mexikaner unterwegs. So kennt man sie. Sie fallen wie Heuschreckenschwärme über ein Gebiet her, je nachdem, was gerade Mode ist, und werfen dort mit Dollars um sich. Sie sind aber nicht unangenehm, das wäre falsch, meiner Meinung nach. Doch alleine trifft man sie da draußen nie. Gut, ist leicht gesagt, ich würde es mich auch nicht getrauen, wenn ich ein Amerikaner wäre. Wiederholt wurde ich schon gewarnt, man müsse höllisch mit den Bullen in Mexiko aufpassen. Wenn die Geld wollen, dann am besten gleich rausrücken, "otherwise the beat the shit out of you". Man möchte ja nicht unhöflich sein und antwortet darauf dann eben nicht, daß das nur Amerikanern passiere, und wenn es zehnmal so ist. Was lieb ich meinen deutschen Paß, viele wissen gar nicht, was der wert ist, er ist der beste Grenzöffner, besser noch, als der schweizer Paß, denn die brauchen - ungerechter- und unverständlicherweise - wesentlich mehr Visa als ihre nördlichen Nachbarn. Will man in die USA? Kein Problem. Nach Afghanistan, Libanon, Irak? Auch kein Problem. Was will man mehr?

Wohin man auch blickte, man sah und hörte nur Amerikaner.

Es würde wohl schwierig werden, eine bezahlbare Unterkunft zu finden, jetzt, wo die ganze Gegend von zahlungskräftigen Touristen überrant wird. Auweh. Die Paßkontrolle verlief auch ohne Zwischenfälle. Es hat niemand bemerkt, daß ich keinen mexikanischen Ausreisestempel im Paß hatte - oder man wollte es nicht merken, denn nun hatte ich zwei Mexiko-Einreisestempel auf der selben Seite, einen mit einem kleinen Auto und einen mit einem kleinen Flugzeug. Sehr nett. Was fehlte, war eben ein Ausreisestempel. Mein Gepäck stand schon bereit, ich nahm es auf, dann kam die Zollkontrolle. "Drukänn, bittä", die Ampel leuchtete grün, ich durfte passieren, "dankä, widdersenn". Nochmal gutgegangen, nicht auszudenken, was das für eine Diskussion gegeben hätte, wenn die die 20 Kilo Autoersatzteile gefunden hätten. Wieso die hier Deutsch sprachen? Keine Ahnung. Ich kaufte mit ein Busticket nach Playa de Carmen. Er kam erst in einer Stunde. So stand ich dann da in meiner schwarzen, fellgefütterten Lederjacke, in der sich alle Dokumente befanden, die eigentlich in meine Knietaschen gehören. Nur hatte ich hier noch meine europäische Bekleidung an und im Gepäck keinen Platz für die Jacke.
Aber auch das ging vorbei, der klimatisierte Bus kam, eine gute Stunde später stand ich wieder am Busterminal in Playa del Carmen. Ich ging hinaus und jeder glotzte mich recht saublöd an. Fragten sich scheinbar, ob ich gerade aus Sibirien kam oder wohl eher, ob ich nach Sibirien wollte und irrtümlich hier gelandet sei. Als erstes ging ich zum Hotel Eclipse. Peter, ein Berliner, Besitzer des Hotel Eclipse, war es, der mir damals im Oktober den Stellplatz für das Auto besorgt hatte und bei dem ich das Gepäck unterstellen durfte, als ich abflog. Nun stand ich wieder hier. Mittlerweile war es 18:00 Uhr geworden, mit dem Auto würde es wohl nichts mehr werden, heute. Als Peter kam, rief er bei Bryan an und machte für den nächsten Mittag einen Termin aus. Ein Zimmer hatte er nicht mehr und, selbst wenn, dann deutlich über meinen Preisvorstellungen. Es war Osterwochenende, alles ausgebucht. Und in der ganzen Gegend sah es nicht anders aus. Aber, er machte mir einen Vorschlag: Ich könnte mich in die Rezeption legen und sollte in der Nacht dafür einige Gäste hineinlassen. Das war ein Deal. Ich verbrachte hier, hinter der Rezeptionstheke, eine schöne, ruhige, mückenfreie Nacht, unterbrochen nur, durch die Ankunft zweier Gäste. Wie Eines doch zum Andern findet und zu einem Gewebe sich vereint. Man möchte es kaum glauben, noch vor einer Stunde hatte ich mich damit abgefunden, samt meinem Gepäck einfach auf der Straße zu schlafen.


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