Donnerstag, 3. Juli 2003

Ich traf Dennis online. Der war vor Jahren hier in L.A. und ich teilte ihm meine Begeisterung mit. Ihm hat es hier auch gefallen, was ich noch vor einigen Tagen gar nicht hätte nachvollziehen können und auch nicht nachvollziehen mögen. Als ich es endlich geschafft hatte, den Computer einigermaßen zum laufen zu bringen und mich schon wieder fast zu Hause fühlte, legte ich mich ins Bett. Es wurde schon wieder hell. Ich beschloß, noch eine Nacht im Hotel zu bleiben. Mittags klingelte dann das Telephon. Es war der Typ von der Rezeption. Ob ich nicht langsam mal ans auschecken denken wolle. Ich hätte nur für eine Nacht gebucht. "Ja, ich hab's mir anders überlegt, ich bleibe doch noch eine Nacht." Wunderbar, dann soll ich mal in die Rezeption kommen und das klarmachen. "Kann das nicht am abend sein?" "No, Sir, it has to be now. Sorry." Also gut... Ich zog mich an und ging hinunter. Immer diese Eile. Ich legte ihm die Karte hin, er nahm sie und machte mich auf die neuen Raten aufmerksam. Die waren fast verdoppelt. "Was soll denn der Scheiß?" Independence Day. Hätte ich eigentlich wissen müssen, aber das mit den Daten hab ich mittlerweile vollkommen eingemottet. Jeder Tag ist ein Samstag. Ich machte alles rückgängig und checkte aus. Als ich ans Zimmer kam wartete die Putzfrau schon. Mexikanerin, natürlich. Ich fragte sie einfach mal, wo man hier Papiere bekommt. Sie meinte, das sei recht einfach, da gebe es einen Park, da kann man hingehen und sich eine Social-Security-Number kaufen, kostet etwa 120 Dollar. "Nein, gute Frau, das ist nicht ganz das, was ich meinte, ich meinte richtige Papiere, amtliche." Da konnte sie mir nicht weiterhelfen. "Du hast doch nun Papiere, oder?" Ja, sicher hätte sie die, sie wäre auch schon seit 15 Jahren hier. "Na, also, und wie hast Du das angestellt?" "Amnesty". Ich fragte nach, was das sei. Sie erklärte mir, daß alle paar Jahre eine Amnestie für Schwarzarbeiter abgehalten wurde, wenn man nachweisen konnte, daß man schon seit mehreren Jahren illegal im Land arbeite oder, daß man sich eine Existenz aufgebaut hatte, dann bekam man die Greencard. Aber seit September Eleventh würde das wohl nicht mehr so schnell passieren. Ich verabschiedete mich und sie wünschte mir noch Gottes Segen und viel Glück. Hätt ja sein können. Meiner Meinung nach sind nutzlose Informationen die, die man sich nicht eingeholt hat.
Ich fuhr dann weg vom Hotel. Frank hatte zu tun, wollte erst um 16 Uhr beim Roten Löwen sein, und ich wußte nicht so recht, wohin mit mir. Ohne Geld sind die Möglichkeiten recht eingeschränkt. Gerade hier. Ich fuhr einfach auf irgendeine Straße und auf dieser wiederum, fuhr ich vor mich hin. In der Ferne sah ich dann einen Schriftzug auf einem Hügel. Wer kennt ihn nicht, das berühmte Hollywood. Da ich eh nichts zu tun hatte, fuhr ich in die Richtung. Die Gegend wurde immer nobler, irgendwann stand ich vor einem großen Park. Hoch den Hügel, durch den Park. Als ich einen Trauerzug erblickte stellte ich fest, daß das hier kein Park, sondern ein Friedhof war. Nur sind die Grabsteine flach auf die Erde gelegt und daher sieht man das nicht auf den ersten Blick. Ich fuhr immer bergauf, bis ich genau vor dem Schriftzug stand. Der verriet mir, daß ich mich nicht in Hollywood, sondern in Rose Hills befand. Aber einen Versuch war es wert gewesen.

Man hatte eine recht hübsche Aussicht auf Downtown L.A., leider war es etwas diesig

Außerdem hatte ich einen ruhigen Nachtplatz gefunden. Ich speicherte ihm im GPS, dann fuhr ich weiter durch die Gegend. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, daß es langsam Zeit wurde, in den Roten Löwen zu fahren, denn es war bereits halb Vier, um Vier sollte ich dort sein. Trotzdem ich den Löwen eingespeichert hatte und nicht einmal anhielt, kam ich erst um halb sieben dort an. Luftlinie können es nicht mehr als 10 Kilometer sein, aber wenn man keinen Plan von gar nichts hat, dann dauert eben alles eine Weile. "Sorry, hab mich verfahren", begrüßte ich Frank. Hat er sich eh schon gedacht, das passiert hier jedem. Wahrscheinlich ist der Treibstoff deswegen so billig, weil man nämlich 75 v.H. davon einfach in der Dummheit verfährt. Ich unterhielt mich stundenlang bei Erdinger und Franziskaner Weißbier mit Frank über Amerika und L.A.
Mit gefällt es hier, ich möchte hier bleiben. "Bleib erst mal eine Weile, schau Dir das ganze mal an, wenn es Dir dann wirklich gefällt, dann werden sich Mittel und Wege finden. Aber vielleicht hast Du nach vier Wochen die Schnauze voll und willst nach Alaska." Nun, das konnte natürlich sein, aber mir gefällt es hier wirklich. Das Klima ist schon mal perfekt. Immer Sonne immer trocken. Ich bin zwar kein Mensch, der Sonne mag. Stürme und eisige Kälte waren mir stets lieber, aber das hatte wohl mit der Schule zu tun. Die Leute sind in Ordnung. Ich hab zwar nicht mit jedem Einwohner der Stadt gesprochen, aber sowas spürt man. Die Leute sind freundlich, hilfsbereit und einfach normal. Man kann rumlaufen, wie man will, es brüllt einem keiner "Osama Bin Laden" hinterher, es ist einfach jedem wurscht, wie einer aussieht, was er macht, was er nicht macht. Keine Schlaglöcher, keine Bullen-Checkpoints, es funktioniert einfach alles und man hat das Gefühl, daß alles nur von einem selbst abhängt. It's up to you. Ein bißchen Glück braucht man immer, das steht fest, aber dieses Land scheint einem alle Möglichkeiten zu bieten. Die kann man nutzen oder man kann sich eben mit dem McDonald's-Trinkbecher an die Ampel stellen. Aber es kann natürlich sein, daß es einfach nur der Reiz des Neuen ist, das Betreten von Neuland, das schon zu allen Zeiten die Menschen in Begeisterung versetzte oder aber ihnen Angst einjagte, je nachdem, was es für Menschen waren. Da muß man einfach ein paar Wochen ins Land ziehen lassen und sehen, was sich tut. Aber als allererstes mußte Geld hier. Das war das wichtigste. Ohne das würde es schwierig werden, wenn nicht gar unmöglich. Denn Geld geht hier einfach weg wie nichts. Money flows, heißt es.
Wir verabredeten uns für den nächsten Tag so gegen Mittag. Dell würde Indepenence Day bei sich daheim feiern und ich sei auch eingeladen. Dell? Kenn ich nicht, aber das schien auch vollkommen egal zu sein.
Nachts ging es heim. Für alle anderen, ich mußte mir ein Heim für heute nacht suchen. So, wie ich es stets schon tausende Male getan hatte. Einfach eine ruhige Ecke suchen, auf die Bleche legen und schlafen. Regnen würde es eh nicht, das ist angenehm, wenn man das weiß. Ich fuhr hinaus nach Rose Hills, um mich am Gipfel des Hügels zur Ruhe zu betten. Nach einer Stunde kam ich endlich an, aber alle Gates waren zu. Prima. Hätte ich mir eigentlich denken können. Na, gut, dann halt auf eine abgelegene Landstraße. Das ist in einer Millionenstadt, die sich laufend ausbreitet nicht ganz so einfach, besonders, wenn man die Außenbezirke unter allen Umständen meiden muß. Ich fand aber eine, die bald in Serpentinen auf die vorgelagerten Hügel führte. Links und rechts davon lagen lauter Fahrzeugteile, hauptsächlich Zierleisten und Stoßstangen, oder jeweils die Teile davon. Und vor jeder Kurve mehrere Duzend Bremsspuren. Als es wieder Bergab ging und wieder nur ein Lichtermeer zu sehen war, kehrte ich um und stellte mich neben sie Straße in eine Nische, die Bleche auf der Fahrerseite dem Hügel zugewandt. Dort legte ich mich dann schlafen.

Die Lichter von Los Angeles hinter den Hügeln.

Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold