Alaska 2003
Mittwoch, 31. Dezember 2003

Zu des Diesels lieblichen Klängen wachten wir auf. Er schieen sagen zu wollen: "Leut', auf geht's. Weiter, vorwärts, voran, was rastet, das rostet." Die Schneedecke war über Nacht gewachsen, denn es hatte ununterbrochen geschneit. Kein "Pappschnee", wie man die für warmes Wetter charakteristischen großen Schneeflocken nennt, sondern kleine Flocken, die als Pulverschnee liegenbleiben. Der schmilzt nicht so schnell weg. Wir packten zusammen und sahen zu, daß wir weiterkamen. Das Aufstehen ist immer am unangenehmsten, denn man liegt gerade urgemütlich im warmen Schlafsack und dann direkt hinaus in die Schweinekälte, das ist nichts für mich. Allerdings kann man da ja auch nicht überwintern, denn richtig warm wird es nicht. Nur gut, daß das Auto noch kuschelig warm war. Nur schnell gepackt, hinein in die gute Stube, "Tritt aufs Gas und nichts wie weg..."

"Klingt die Musik der Motoren, geben wir nichts verloren..."

Mit den Stiefeln bekam ich nun erstmals Probleme. Im Schnee umherzuspringen mit Stahlsolen und -kappen ist auch nicht besonders schlau, aber ich hielt mich nie länger im Schnee auf als unbedingt nötig. Insgesamt ein paar Minuten, aber das hat wohl gereicht. Aber wird schon klargehen. Weiter ging es dann über Kanadas Landstraßen. Es fehlten noch über 200 Kilometer bis zur nächsten Ortschaft, welche Chatwyn hieß und genau irgendwo im Nirgendwo lag.
Dort in Chatwyn angekommen gingen wir in den Supermarkt. Was mir sofort auffiel war, daß kaum ein Auto auf dem Parkplatz stand, dessen Motor nicht lief. Die meisten davon waren diese übertrieben großen Möchtegerngeländewagen. Minderwertige Fahrzeuge für minderwertige Hausfrauen. Aber alle mit einem ebenso überdimensionierten V8 ausgestattet. Da meint man immer, man ist der große Umweltverpester, aber das Gedröhn dieses Fuhrparks hat mir den kleinen Rest eines schlechten Gewissens in irgendeiner Falte meines Ganglions weggeblasen.

Anschließend fuhren wir zu einem kleinen Restaurant. Nur aus Neugier schaltete ich den Motor aus. Mal sehen, was passiert, wir hatten vor, höchstens eine Stunde zu bleiben. Aber dann kam erst der Chickenburger, für Almut eine Suppe, die so scharf war, daß man damit problemlos hätte ein Loch in den Boden ätzen können. Dann eine heiße Schokolade nach der anderen und schon war es Nacht. Die Tage sind hier nicht sehr lang, fiel uns auf. Und uns fiel auf, daß in Deutschland bereits 2004 war.
Wir mußten weiter, auch wenn es hier noch so gemütlich war. Das Vorglühen dauerte über eine halbe Minute, das hatte ich schon seit Jahren nicht mehr erlebt. Aber der Motor sprang an. Nur stand fest, daß das das letzte mal war, daß er für so lange abgestellt wurde. In der Stadt mag es noch angehen, passiert es da draußen, dann kann es ernt werden.

Wir tankten, fuhren aus der Stadt und hinauf den Hügel. Ich wollte mich gerade darüber freuen, daß das Auto so schön brav heizt, aber beim Blick auf die Instrumente brachte ich nicht viel mehr raus als: "Scheißdreck, verdammter Scheißdreck!" (Sorry, aber so hörte es sich im Originalton nun mal an.) Ich fuhr rückwärts in eine Seitenstraße und sah nach dem rechten. Alle Keilriemen waren noch dran, nur der Kühler kochte. Wäre es die Wasserpumpe, dann müßte das Wasser im Kühler kalt sein, nur der Motor heiß. Das hatten wir in Mali gehabt. Es kann eigentlich nur dieser verfluchte Drecksthermostat sein, der mir schon seit Jahren auf den Nerv geht und der schon an die zwanzig mal ausgewechselt worden war. Als ich gerade dabei war, das verlorene Wasser wieder in den Kühler zu füllen hielt ein Kanadier an. Ob er was helfen könnte. "Nein, eigentlich nicht, der Kühler hat gekocht, aber ich hab nachgefüllt." Ich ließ den Motor wieder an und die Nadel war unten auf 85°C. Das war OK, wenn es denn so bliebe. Er meinte, daß es entweder das Thermostat oder aber die Wasserpumpe sein könnte. Wenn es das thermostat ist, nicht schlimm, "aber wenn es die Pumpe ist und man hier eine neue finden will für dieses Auto... Viel Glück." Dann riet er uns zurück nach Chatwyn zu fahren und und irgendwo einzuquartieren, die Feiertage abwarten und das vor der Weiterfahrt in Ordnung zu bringen. Auf keinen Fall sollten wir weiterfahren. Als ich wissen wollte, wie kalt es denn sei, meinte er: "16 Grad Minus, aber da draußen kann die Temperatur innerhalb weniger Stunden auf minus 40 fallen. Und es ist kein guter Tag für eine Panne. Es ist Silverster, da ist niemand unterwegs. Es sind schon einige Leute dabei gestorben."

Kraftfahrzeug wieder instandgesetzt und klar zum Abmarsch...

Minus sechzehn hatten wir also. War ja gerade noch auszuhalten. Die Temperatur hielt sich, wir fuhren wieder nach Dawson Creek zurück. An der Tankstelle wieder angekommen kontrollierte ich alles nochmal. Kein Wasserausbruch, alles dicht. Ich probierte einen zweiten Anlauf. Wieder hoch den Hügel. Die Temperatur blieb normal, als wäre sie das schon immer gewesen. Dadurch war jeder Grund für einen unplanmäßigen Aufenthalt in Dawson Creek weggefallen. Ich redete mir ein, ich hätte alles nur geträumt. Und wieder einmal fuhren wir los und legten unser Schicksal vertrauensvoll in die Hände unseres treuen, sturmbewährten, kampferprobten Daimlers. So fuhren wir denn fröstelnd durch die gespenstische Landschaft immer weiter gen Norden und hinein ins neue Jahr...


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